A2348 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 37⏐⏐15. September 2006
P O L I T I K
D
en Campingbus hatte Frank Spieth (59) schon gekauft, ein Jahr berufliche Auszeit war beschlos- sene Sache. Doch dann entschied sich der Thüringer Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes an- ders. Um gegen eine neoliberale Ge- sundheitspolitik anzugehen, kandi- dierte er als Parteiloser für den Bun- destag. Seit September 2005 sitzt er nun als einer von 53 Abgeordneten der Fraktion „Die Linke“ im Parla- ment und repräsentiert sie als gesund- heitspolitischer Sprecher.Ihm musste keiner erläutern, was das Kürzel KV bedeutet und welche Tücken der Risikostrukturausgleich hat: Spieth ist nach wie vor Ver- waltungsratsvorsitzender der AOK Thüringen und des dortigen Medi- zinischen Dienstes der Krankenver- sicherung. Nun stellt er klar: „Wir wollen es der Bundesregierung schwer machen, ihr unsinniges Konzept einer Gesundheitsreform zu realisieren.“
Anträge im Bundestag
Einfach ist das nicht. Zwar hat die ehemalige Gesundheitsministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Dr. oec. Martina Bunge, für die Lin- ke den Vorsitz im Gesundheitsaus- schuss des Bundestags übernom- men. Doch darüber lässt sich kaum Einfluss nehmen. Zum einen wird von der Vorsitzenden ein fairer Um- gang mit Vertretern aller Parteien erwartet. Zum anderen spiegeln sich im Ausschuss die Machtver- hältnisse wider: Auf Regierungs- entwürfe für Gesetze kann die Op- position kaum Einfluss nehmen. Ih- re Vertreter können zudem bei An- hörungen nur von einer kürzeren Redezeit Gebrauch machen.
Minderheiten wie der Linken bleiben Anträge im Bundestag, ei- gene Gesetzentwürfe wie beispiels- weise der zur Abschaffung der Pra- xisgebühr sowie Anfragen. Um In- formationen zu bekommen und um die Bundesregierung möglicherwei- se in eine Debatte zu verwickeln, formuliert die Fraktion seit Wochen regelmäßig gesundheitspolitische Kleine Anfragen. So hat sie sich nach der Anzahl der ambulanten Geburten und deren Bezahlung er- kundigt oder nach einer Bilanz der Juniorprofessuren. Vor kurzem wollte sie wissen, wie es denn um die Liquidität der Krankenkassen bestellt ist und wie hoch deren Bei- tragsrückstände sind. „Darüber re- det keiner“, weiß Spieth. Dabei ver- mutet er, dass rund zehn Prozent der GKV-Beiträge nicht pünktlich auf den Kassenkonten eingehen. Die Antwort steht noch aus.
Eigene Antworten auf drängende gesundheitspolitische Fragen for- mulierte die Linke in ihren „Eck- punkten zu einer nachhaltigen Ge- sundheitsreform“. Mitte September legte sie das Papier vor. An der Formulierung hat wesentlich Dr.
med. Ellis Huber mitgearbeitet, lan- ge Jahre Berliner Ärztekammerprä-
sident und Verfechter alternativer gesundheitspolitischer Konzepte.
Beraten wird die Fraktion zudem von Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Mit- glied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.
In ihren Eckpunkten schlägt die Linke eine solidarische Bürgerversi- cherung vor, für die alle einen ein- heitlichen, prozentualen Beitrag ih- res Gesamteinkommens zahlen wür- den. Nach den Berechnungen wäre dann ein Beitragssatz von rund zehn Prozent ausreichend. Wenn Tabak-, Alkohol- oder sonstige Steuerein- nahmen hinzukämen, würden sieben bis acht Prozent genügen. Die Kran- kenkassen wiederum würden aus ei- nem Solidarfonds eine Basispau- schale mit Risikozuschlägen erhal- ten. Daraus würde eine „bedarfs- deckende Regelversorgung“ bezahlt, Zusatzangebote wären möglich. Die Versorgungsprozesse sollten auf ein individuelles Case-Management um- gestellt werden.
Pauschales Grundhonorar
Versicherte hätten die freie Wahl un- ter allen Krankenkassen, die einer Kontrahierungspflicht unterliegen sollen. Diese würden einen Dach- und Landesverbände bilden und un- ter staatlicher Aufsicht den Sicher- stellungsauftrag übernehmen. Ihr Pendant wären Zusammenschlüsse aller Ärzte und Psychotherapeuten, womit die Kammern und Kas- senärztlichen Vereinigungen zu- sammengeführt würden.Weiter heißt es an einer Stelle der rund 30 Seiten umfassenden Eck- punkte: „Ärzte und die Angehöri- gen der anderen Gesundheitsberufe handeln erst dann wieder problem- bewusst, wenn ihre Arbeit unabhän- gig von ihren einzelnen Entschei- dungen oder Maßnahmen finanziert wird.“ Deshalb sollten Ärzte ein pauschales Grundhonorar von 60 bis 70 Euro pro Stunde erhalten sowie fachgruppenspezifische Zu- schläge für Praxiskosten. Behan- deln dürften sie im Rahmen der Regelversorgung in einem Umfang, der durch Positivlisten und Erkennt- nisse der evidenzbasierten Medizin
vorgegeben ist. I
Sabine Rieser
OPPOSITION IM BUNDESTAG: DIE LINKE
„Wir wollen nicht nur Anfragen produzieren“
Die Linke kritisiert die Gesundheitspolitik der Großen Koalition.
Nun hat sie eigene Eckpunkte zu einer Reform formuliert – mithilfe prominenter Unterstützung.
Frank Spieth,ge- sundheitspolitischer Sprecher der Links- fraktion im Bundes- tag: „Wir wollen
es der Bundes- regierung schwer machen.“
Foto:Photothek