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Archiv "„Die Ökonomen werden uns nicht mehr aus den Fängen lassen“" (11.05.1989)

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rung bestimmter Positionen des Ein- heitlichen Bewertungsmaßstabes vorgetragen. Dies wohl auch, weil ei- ne Klausurtagung des KBV-Vorstan- des im Juli sich u. a. mit den Hono- rarfragen befassen und die Bera- tungsergebnisse mit der Vertreter- versammlung in einer neuerlichen Sitzung im September gründlich dis- kutieren will. Auch scheint sich die Einsicht verbreitet zu haben, daß strukturelle Mängelerscheinungen, wie sie in einzelnen KVen, zum Teil auch nur bezirksweise, auftreten, nicht auf Bundesebene über den EBM zu bewältigen sind. Während einerseits argumentiert wurde, daß Fehlentwicklungen im Pflichtkassen- bereich mit Honorarverteilungsre- gelungen durch die einzelnen Län- der-KVen zu begegnen ist, wurde andererseits betont, daß es eine

„Schmerzgrenze" gibt, was den Punktwert anbelangt, und diese Schmerzgrenze sei auch im Ersatz- kassenbereich erreicht.

Auswirkungen auf die Ertragslage der Praxen ...

Jedenfalls wird neuerdings nicht nur den einzelnen EBM-Positionen und ihren Auswirkungen auf die

„Honorarströme" Aufmerksamkeit geschenkt, sondern auch den Aus- wirkungen auf die Ertragslage der Praxen. Dr. Oesingmann konnte dar- auf hinweisen, daß vier Kassenärzt- liche Vereinigungen (Niedersachsen, Nordrhein, Hessen und Westfalen- Lippe) eine Längsschnittuntersu- chung zu dieser Frage durchführen.

Und: Das Zentralinstitut der KBV und der KVen hat den Auftrag, eine Kostenstrukturanalyse durchzufüh- ren, die weiter geht als die bisheri- gen.

Damit für diesmal: Schluß der Debatte (. . . aber nicht Schluß des Gesamtberichtes über die VV, denn mitten in die Diskussion zum Oesingmann-Referat waren aus zeit- lichen Gründen Vortrag und Diskus- sion zum Sachverständigengutachten für die „Konzertierte Aktion" einge- schoben, worüber hier nachstehend berichtet wird). roe

Können Ärzte und Volkswirt- schaftler überhaupt miteinander re- den? Schon die Sprache ist völlig ver- schieden! So resümierte ratlos-verär- gert ein Delegierter im Anschluß an das Referat des Wirtschaftswissen- schaftlers Prof. Dr. rer. pol. Klaus- Dirk Henke (Hannover). Der KBV- Vorstand hatte Henke, der dem Sachverständigenrat für die Konzer- tierte Aktion angehört, gebeten, die Vorstellungen des Sachverständigen- rates über die Zukunft der kassen- ärztlichen Versorgung zu erläutern.

Henke konzentrierte sich dabei auf drei Punkte:

• Beitragssatzstabilität

• Neuordnung der (ambulan- ten) ärztlichen Versorgung sowie

• Neugliederung der gesetzli- chen Krankenversicherung.

Punkt drei fiel in der Vertreter- versammlung praktisch „unter den Tisch". Die Delegierten konzentrier- ten sich auf die leidige Beitragssatz- stabilität und (zu Punkt zwei) auf die Vorschläge des Sachverständigenra- tes zur primärärztlichen Versorgung.

Ärger über das Dogma der Beitragssatzstabilität

Um an dieser Stelle nochmals auf den oben zitierten Delegierten zurückzukommen. nicht nur die Sprache zwischen Ärzten, hier den Delegierten der Kassenärzteschaft, und Wirtschaftswissenschaftlern ist verschieden. Sie unterscheiden sich grundlegend in der Denkweise: Hier die Ökonomen, die in volkswirt- schaftlichen Größen denken, die nüchtern an die knappen Ressour- cen erinnern, die es möglichst wirt-

schaftlich zu verteilen gilt. Dort die Ärzte, geprägt vom Gedanken an das Individuum, die Möglichkeiten der Medizin und die Bedürfnisse ihrer Patienten vor Augen.

Henke hatte das Pro und Contra der Beitragssatzstabilität analysiert.

Vielleicht war dabei das Pro deut- licher hervorgetreten. Jedenfalls war das im Publikum so hängengeblie- ben; dementsprechend fiel die Re- aktion aus. Die Angriffe gegen das Dogma „Beitragssatzstabilität"

reichten von der seriösen Argumen- tation bis zum puren Hohn. Seriös:

die Bevölkerung überaltere, die Lei- stungen nähmen notwendigerweise zu, mehr Geld müsse ins Gesund- heitswesen fließen; einer überalter- ten reichen Industrienation würde

Prof. Dr. med. Heinz Losse, Mitglied des Bonner Sachverständigenrats, bei seinem Diskussionsbeitrag zum Jahresgutachten 1989 vor der Vertreterversammlung

„Die Ökonomen werden uns nicht mehr

aus den Fängen lassen"

Eine (heftige) interdisziplinäre Diskussion

über Reformvorschläge des Sachverständigenrates

A-1388 (30) Dt. Ärztebl. 86, Heft 19, 11. Mai 1989

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das Überleben viel wert sein; ja, so der Gipfel der Argumente, das 21.

Jahrhundert werde das Jahrhundert der Medizin sein. Hohn: das Dogma der Beitragssatzstabilität sei so viel wert wie das von der Quellensteuer und dem 18monatigen Wehrdienst.

Man wisse doch, wie die befolgt wor- den seien. An solche Dogmen glaube niemand mehr.

Entzieht sich Medizin der ökonomischen Analyse?

Ein Delegierter faßte das ärzt- liche Credo so zusammen: Wir kön- nen als Ärzte die Medizin nicht be- grenzen. Wenn man das will, dann muß das politisch geschehen; poli- tisch muß dann definiert werden, was Medizin im Sinne der Politiker ist. Medizin sei indes derart kom- plex, daß sie sich dem Ökonomi- schen entziehe. Derselbe Redner ging schließlich die nicht-ärztlichen Sachverständigen generell an (und schloß gleich die Juristen, die tradi- tionellen Kontrahenten vieler Ärzte, mit ein). Er als Arzt erteile keine ju- ristischen und ökonomischen Rat- schläge, aber Juristen und Ökono- men muteten ihm Ratschläge fiir sein ärztliches Verhalten zu. Die unausgesprochene Schlußfolgerung kann nur heißen: jeder möge sich um seinen Bereich kümmern.

Die Ärzte „steuern" nutd 260 Milliarden Mark

Dem erbosten Delegierten wur- de freilich von einem Kollegen aus dem Vorstand entgegengehalten, für die Gesundheit würden jährlich rund 260 Milliarden DM ausgegeben, das entspreche dem Bundeshaushalt.

Damit steuerten die Ärzte ein Volu- men, das dem Etat entspreche, über den der Bundestag befinde. „Des- halb werden uns die Ökonomen nicht mehr aus den Fängen lassen.

Das haben wir heute kapiert". Und sein Rat an die Kolleginnen und Kol- legen: Die Ärzte hätten sich seit Jahrzehnten daran gewöhnt, mit den

Der Finanzwissenschaftler Prof. Dr. rer. pol.

Klaus-Dirk Henke bei seinem Referat über das Jahresgutachten des Bonner Sachver- ständigenrates

Juristen zu leben — jetzt müßten sie sich halt auch mit den Ökonomen auseinandersetzen.

Wohlweislich hatte der KBV- Vorstand einen Arzt als Koreferen- ten zu Professor Henke geladen:

Prof. Dr. med. Heinz Losse, auch er Mitglied des Sachverständigenrates.

Losse vermochte freilich nicht den Ökonomie-Kritikern so einfach bei- zupflichten. Er hielt ihnen vielmehr entgegen: Wir Ärzte haben uns in der Vergangenheit zu wenig um die ökonomischen Probleme geküm- mert. Jetzt stehen wir am Beginn ei- ner interdisziplinären Diskussion.

Im übrigen konzentrierte sich der Münsteraner Mediziner auf den Vorschlag des Sachverständigenra- tes, die primärärztliche Versorgung neu zu strukturieren. Der Sachver- ständigenrat sei dabei frei von ideo- logischen Gedanken gewesen; ihm gehe es auch weniger um Kostenspa- ren, sondern vielmehr um eine Ange- botsstruktur, mit der Qualität und Ef- fizienz verbessert werden könnten.

Laut Sachverständigenrat soll künftig die kassenärztliche Versor- gung schwerpunktmäßig primärärzt- lich orientiert sein. In der Regel soll, so die Idee, der Patient zunächst den Primärarzt (Hausarzt) konsultieren;

der entscheidet dann, ob ein Spezia- list zugezogen werden muß, und überweist den Patienten. Ausnah- men vom Grundsatz sollen indes möglich sein (zum Beispiel bei der Konsultation von Augenärzten oder HNO-Ärzten). Primärärzte/Haus- ärzte sollen durch eine Kopfpau- schale, berechnet nach den bei ihnen eingeschriebenen Patienten, hono- riert werden. Durch Zuschläge zur Kopfpauschale sollte eine qualitativ hochwertige Ausstattung der Praxis gesichert werden, betonte Losse.

Dem Sachverständigenrat jedenfalls sei nicht an einer Ausstattung, die auf Stethoskop und Blutdruckmeß- gerät beschränkt sei, gelegen. Für die Spezialisten ist an eine Honorie- rung nach Einzelleistung, kombiniert mit Fallpauschalen, gedacht.

Einwände gegen das

„Priznärarzt-Modell"

An diesem Modell des Sachver- ständigenrates ließen die Delegier- ten nicht einmal das sprichwörtliche gute Haar. Die Umsetzung dieses Modells würde bedeuten, so hieß es in einem charakteristischen Antrag, der an den Vorstand überwiesen wurde, daß

—das Recht des Patienten auf freie Arztwahl abgeschafft würde,

—die Qualität der ambulanten Versorgung durch Einschränkung der Investitionsfähigkeit verschlech- tert würde und

—immer mehr ambulant er- brachte Leistungen in die stationäre Versorgung übertragen würden.

Hinzuzufügen wäre: nicht nur in die rein stationäre Versorgung. Das Mo- dell des Sachverständigenrates, arg- wöhnten einige Delegierte, würde auch die prä- und poststationäre Diagnostik und Behandlung durch Krankenhäuser begünstigen, weil auch den Ärzten die Möglichkeit im Krankenhaus eröffnet werden solle, ambulant tätig zu sein.

Nach Ansicht des Sachverständi- genrates

soll sich die Nachfrage nach

primärärztlichen Leistungen am Markt regeln. Die Verteilung und letztlich die Zahl der Ärzte würden sich demnach auf Sicht hin von selbst Dt. Ärztebl. 86, Heft 19, 11. Mai 1989 (33) A-1391

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regulieren. Oder, um einen drasti- scher formulierenden Diskussions- redner zu zitieren: Die Allgemein- ärzte sollen in Konkurs gehen, weil sie zuviel sind; die Spezialisten sollen ausgehungert werden, weil sie keine Überweisungen kriegen. Ein anderer riet schließlich den Sachverständi- gen, ihr Gutachten zurückzuziehen, zu überarbeiten und nach fünf Jah- ren nochmals vorzulegen.

Für die Sachverständigen war es „kein Heimspiel"

Die beiden Mitglieder des Sach- verständigenrates hatten gewiß mit Kritik und nicht unbedingt mit ei- nem freundlichen Empfang gerech- net (Henke: „es ist kein Heimspiel");

auf eine derart massive Zurückwei- sung ihrer Vorschläge waren sie in- des nicht gefaßt gewesen. Henke warb in seinem Schlußwort um Ver- ständnis für die Ökonomen. Er ge- stand zu, daß Ökonomen und Ärzte unterschiedlich denken müßten; er erinnerte ferner daran, daß die Bei- tragssatzstabilität eine politische, keine ökonomische Vorgabe sei. Als Ökonom habe er Vorbehalte gegen dieses Prinzip, und er habe das auch deutlich gesagt. Professor Henke ap- pellierte aber auch an die Verständ- nisbereitschaft der Ärzte. Sie müssen doch akzeptieren, daß es auch ande- re Ziele als die Medizin gibt, rief er schon fast ungeduldig aus, in der Realität gibt es doch schon seit Jahr- hunderten das Problem der Knapp- heit. Deshalb gibt es die Ökonomie!

Professor Losse, auf das Modell der primärärztlichen Versorgung eingehend, appellierte nachdrück- lich an die Delegierten: Ehe Sie das Projekt völlig ablehnen, lassen wir doch ein regional eng begrenztes Modell durchführen!

In Berlin standen sich Ableh- nung und Appell gegenüber. Die Diskussion wird freilich weitergehen müssen und vielleicht einmal in ei- nen Dialog einmünden. Jedenfalls waren vom KBV-Vorstand vermit- telnde Worte in diesem Sinne zu hö- ren — und sei es nur ob jener schon apostrophierten Erkenntnis, daß

„die Ökonomen uns nicht mehr aus den Fängen lassen". NJ

Die Fortsetzung und Vertiefung des Dialogs mit dem Sachverständi- genrat für die „Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen" ist gewiß sinnvoll und nützlich, auch wenn es, wie bei der Berliner Arbeitstagung der Vertreterversammlung der KBV, nicht leicht fällt, die ökonomischen Argumente des Rates zu „verinner- lichen" und im Sinne der Sachver- ständigen zu akzeptieren. Dem Fi- nanzwissenschaftler Professor Dr.

rer. pol. Klaus-Dirk Henke, Univer- sität Hannover, fiel die schwierige Rolle zu, quasi in einem „Auswärts- spiel" für die Essentials des Sachver- ständigenrates und die Vorzüge ei- nes vom Rat empfohlenen alternati- ven Versorgungs- und Vergiitungssy- stems zu werben. Verständlicherwei- se hatten die von der Bonner Regie- rungskoalition und den Krankenkas- sen unvermindert verfochtenen Ziele einer „einnahmenorientierten Aus- gabenpolitik", das politische Postulat der Beitragssatzstabilität und einer überwiegend finanz- und wirtschafts- politisch motivierten Begrenzung der Lohnnebenkosten beim Finanzwis- senschaftler Henke mehr Akzeptanz gefunden als bei den Mandatsträ- gern innerhalb der VV der KBV.

Die Schwerpunkte im Gutachten 1989 der Sachverständigen

Im jüngsten Jahresgutachten des Sachverständigenrates gab es fünf Schwerpunkte:

I> Verbesserung der Qualität der ärztlichen Versorgung;

I> Reform der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung;

I> Überprüfung des Grundsat- zes der Beitragssatzstabilität;

I> Entwurf eines alternativen Versorgungs-, Vergütungs- und Fi- nanzierungssystems und

I> Möglichkeiten einer Neu- gliederung und einer Organisations- reform der gesetzlichen Krankenver- sicherung.

Professor Henke sezierte den Problemkomplex „Beitragssatzstabi- lität" und die Konzeption einer ge- stuften primärärztlich-gebietsärzt- lichen Versorgung sowohl im ambu- lanten als auch im stationären Be- reich.

Das Für und Wider der Beibe- haltung der Beitragssatzstabilität klingt aus der Sicht des Sachverstän- digenrates nur teilweise ausgewogen.

Unter dem Strich überwiegen die Pro-Argumente. Professor Henke konstatierte:

Befristete Notlösung

0 Die Beitragssatzstabilität könne aus politischer und ökonomi- scher Sicht als „befristetes Über- gangsinstrument" toleriert werden.

Die Beitragssatzstabilität sei eine

„Antwort auf die Beliebigkeit, Viel- falt und Entwicklungsdynamik der Medizin" Insoweit sei der politisch vorgegebene und im Sozialgesetz- buch festgeschriebene Grundsatz der Beitragssatzstabilität auch ein Instrument, um die erheblichen Ziel- konflikte zwischen der Knappheit der Ressourcen und den (unbegrenz- ten und ausufernden) Zielen der Medizin einigermaßen sozialverträg- lich zu lösen.

Da die volkswirtschaftlichen Ressourcen nicht unbegrenzt seien, müßten die Mittel stets an die Stel- len des dringendsten Bedarfs gelenkt werden, und es müsse geprüft wer- den, ob sie dort zu einem „positiven

Beitragssatzstabilität darf kein Dogma sein

Alternative Versorgungs- und Vergütungssysteme aus der Sicht des

Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion

A-1392 (34) Dt. Ärztebl. 86, Heft 19, 11. Mai 1989

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