Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 35–36|
1. September 2014 A 1445 KV BRANDENBURGNeues Konzept für die Arztsitzvergabe
Dr. med. Hans-Joachim Helming will die Bedarfsplanung weiterentwickeln. Der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg wirbt dafür, den regionalen Versorgungsbedarf stärker bei der Zulassung von Ärzten einzubeziehen.
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ür die Erprobung eines neuen Konzepts der Bedarfsplanung hat sich Mitte August der Vorstands- vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Brandenburg aus- gesprochen. Dr. med. Hans-Joachim Helming plädierte in Berlin dafür, sich mehr am qualitativen Versor- gungsbedarf der Bevölkerung in ei- ner Region zu orientieren und weni- ger an all gemeinen statistischen Verhältniszahlen. Seine Modell- überlegungen fasste er unter dem Begriff „versorgungsauftragsbasier- te Arztsitzvergabe“ zusam- men. Ende des Jahres will die KV den neuen Ansatz in einer Pilotregion testen.Kern dieses Konzepts ist es, den Versorgungsbedarf der Be- völkerung im auszuschreiben- den Gebiet inhaltlich so realis- tisch wie möglich zu beschreiben, und zwar auch im Hinblick auf die Anforderungen der folgenden zehn bis zwanzig Jahre. „Interessierte Ärzte sollen sich orientieren können, was sie denn dort tun sollen“, sagte Helming. Dazu sollen Daten zu De- mografie, Morbidität, Sozialstruktur und daraus abzuleitendem medizi - nischem Behandlungsbedarf zusam- mengetragen werden: „Die Daten haben wir – auch wenn es noch kom- pliziert ist, sie zusammenzubringen.“
Seine Vorstellung ist es, für die Arztsitzvergabe eine Art Warenkorb zusammenzustellen. Aus diesem würde hervorgehen, welche Art von Versorgung in welchem Umfang benötigt wird und welches Hono- rarvolumen sich dadurch erwirt- schaften lässt. „Ärzte könnten die klaren Anforderungsparameter für die Planung ihrer beruflichen Zu- kunft nutzen“, sagte Helming. Sie hätten im Rahmen der neuartigen Ausschreibung viele unternehmeri- sche Möglichkeiten, sich einzeln
oder in Kooperation mit Kollegen zu bewerben. Bei dieser Form der Ausschreibung wären auch zeitli- che Befristungen denkbar.
Zeitlich befristete Zulassungen hat auch der GKV-Spitzenverband mehrfach in die gesundheitspoliti- sche Diskussion eingebracht. Er hatte bereits Ende 2013 in einem Positionspapier zu Reformen bei Sicherstellung und Vergütung dafür plädiert. In diesem Konzept heißt es, es müsse „möglich sein, die Zu- lassung mit konkreten Versorgungs-
aufträgen zu verbinden und damit eine qualitative Ausrichtung des Versorgungsangebotes vorzugeben.
Daneben müssen Versorgungsauf- träge nach Beendigung einer Zulas- sung inhaltlich angepasst werden können, wenn dies für die Versor- gung der Patienten erforderlich ist.“
Als niederlassungsfeindlich be- zeichnete der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (KBV), Dr. med. Andreas Gassen, dieser Tage solche Forde- rungen nach Zulassungen auf Zeit.
Wenn sie nur noch befristet verge- ben würden, könne niemand erwar- ten, dass sich irgendwo über haupt noch ein Arzt niederlasse, sagte Gassen in einem Video-Interview der KBV.
„Wir verfolgen mit der Befristung von Arztsitzen ein ganz anderes Ziel als die Krankenkassen“, stellte Hel- ming für sein Konzept klar. Mögli- cherweise, so seine Erwartung, wür- den sich gerade junge Ärztinnen und Ärzte bei einer befristeten Aus-
schreibung eher als heute dafür ent- scheiden, die ambulante Versorgung in dünn besiedelten Regionen in ei- ner eigenen Praxis zu übernehmen.
Man müsse ihnen aber „mehr Moti- vationsmomente“ mitgeben als heu- te, so der KV-Vorstand. Darunter versteht er einen „Warenkorb“, der die medizinischen Standards bei- spielsweise für die Behandlung einer alten Bevölkerung in einer Region realistisch abbildet, in dem ein er- höhter Bedarf an hausärztlicher, au- genärztlicher oder urologischer Be- handlung enthalten ist.
„Natürlich braucht man die Kran- kenkassen für solch ein Modell“, räumte Helming ein. Ein genauer de- finierter und umgesetzter Versor- gungsauftrag hätte für die Kassen seiner Ansicht nach den Vorteil, dass sie sehr viel konkreter als heute wüssten, wie ihre Versicherten ver- sorgt werden. Um auch in dünn be- siedelten Regionen einen angemesse- nen Behandlungsumfang zu gewähr- leisten, müssten die Krankenkassen dort aber möglicherweise Ärztinnen und Ärzte besser honorieren.
Helming wies darauf hin, dass für eine Erprobung der Brandenburger Vorschläge in größerem Umfang ei- ne Änderung des Sozialgesetz- buchs V notwendig wäre. In Para- graf 105 müsste seinem Vorschlag nach folgende Option vorgesehen werden: „Die KVen können abwei- chend von den Bedarfsplänen . . . zur Sicherstellung regionaler ambulan- ter ärztlicher Versorgungsnotwen- digkeiten Arztsitze mit regionalen Versorgungsaufträgen ausschreiben.
Inhalt und zeitlicher Rahmen der re- gionalen Versorgungsaufträge sowie die Vergütung der ärztlichen Leis- tungen sind durch Verträge der KVen mit den Verbänden der Kran- kenkassen zu regeln.“
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Sabine Rieser
„ Wir verfolgen mit der Befristung von Arztsitzen ein ganz anderes Ziel als die Krankenkassen.
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Hans-Joachim Helming