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Archiv "Neue Wege der Krebsbehandlung?" (14.03.1991)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Neue Wege der Krebsbehandlung?

Rudolf Gross

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1. Immunmodulation

Über Jahrzehnte galten „Stahl, Strahl und Chemotherapie" als die drei Grundlagen einer allein lebenserhaltenden oder doch lebensver- längernden Therapie — unter Bewahrung der Lebensqualität — von Tumorleiden. Für nicht metastasierte solide Tumoren ist die operative Entfernung unverändert die Methodik der Wahl. Dies trifft auch weiterhin für einige In- dikationen der inzwischen technisch weit fort- geschrittenen und differenzierten Strahlenbe- handlung (einschließlich der Inkorporation mit radioaktiven Substanzen beladener mono- klonaler Antikörper) zu. Diese Vorstellungen werden bestärkt durch die sich immer mehr durchsetzende klonale, das heißt auf der ma- lignen Entartung zunächst einer oder weniger Zellen beruhende molekularbiologische Deu- tung von Neoplasien (auch bei scheinbar syste- misch auftretenden). Die Unsicherheit, ob es vor den Eingriffen oder in ihrem Gefolge schon zu einer (noch nicht erkennbaren) Ver- schleppung von Zellen und damit künftigen Rezidiven gekommen ist, hat zur adjuvanten Chemotherapie geführt. Wir haben adjuvante und neoadjuvante Verfahren kürzlich definiert und ihre Indikationen bezeichnet (siehe Dt.

Ärztebl. vom 25. 1. 1990).

Inzwischen haben die Untersuchungen an proliferationshemmenden und proliferations- stimulierenden Zellen (Monozyten-Makro- phagen, Lymphozyten, Plasmazellen und von diesen produzierte Proteine und Glykoprote- ide) sowie vor allem die gentechnologisch mögliche Herstellung dem klinischen Bedarf entsprechender und relativ reiner Präparatio- nen von Zytokinen zu einem „vierten Stand- bein" geführt. Sie wurden unter anderem auf dem 15. Internationalen Krebskongreß in Hamburg (1) eingehend diskutiert (siehe dazu auch 2, 3, 4 sowie die Ubersicht von Höffken u. a. im Dt. Ärztebl. vom 1. 11. 1990 = 5). Zy- tokine — oder nach ihrem Hauptbildungsort:

Interleukine — haben innerhalb der Tumorthe- rapie drei verschiedene Funktionen, die auf auto-para- oder endokrin vermittelten Mecha- nismen beruhen (1, 5, 6):

1. Hemmung des neoplastischen Wachstums per se. Diese kann spezifisch durch zytotoxi- sche T-Zellen vermittelt werden (ADCC = antikörpervermittelte zelluläre Toxizität) oder unspezifisch durch sogenannte natürliche Kil- ler-Zellen (siehe auch Dt. Ärztebl. Heft 50/1983). Enttäuscht haben bisher (für sich al- lein) Interferone, die bei der seltenen Haar- zell-Leukämie eine gute, bei chronischer Mye- lose (in höheren Dosen) eine mäßige bis gute Remission herbeiführen können, ferner die so- genannten Tumornekrosefaktoren (TNF = Kachektine).

2. Verstärkung der Chemotherapie mit den konventionellen zytotoxischen Substanzen oder ihren Kombinationen (Zunahme der Zyto- statika-Sensibilität).

3. Besserer Schutz oder raschere Regeneration des normalen Knochenmarks, besonders durch Granulozyten (G-GSF) oder Granulozyten- Makrophagen (GM-CSF) stimulierende Fak- toren, ferner den Wachstumsfaktor beta-s (neueste Übersicht bei 10).

In der Fülle der erst seit kurzem für die klinische Anwendung zur Verfügung stehen- den Produkte liegen meines Wissens überwie- gend bisher nur Phase-Il-Studien an ausge- wählten Kranken oder vereinzelt Phase-III- Untersuchungen (Vergleiche mit zytostati- scher Behandlung) vor (Lit. bei 6,7). Auch stellen die Nebenwirkungen der meisten gen- technologisch gewonnenen und zum Teil, be- sonders in den USA, im Handel befindlichen Präparationen wie Fieber, Exantheme, kardio- pulmonale Komplikationen von Hypotonie bis zum Myokardinfarkt, hepatische, renale Ne- benwirkungen, Ödeme einen limitierenden Faktor der Behandlung überhaupt oder min- destens der Dosierung dar. Derzeit sind solche Maßnahmen entsprechend erfahrenen und ausgestatteten Kliniken vorbehalten. Gausse und Pfreundschuh (6) vermuten, daß die opti- male biologische Dosierung, die für zum Bei- spiel Interleukin 2 (Il 2) noch nicht abschlie- ßend ermittelt ist, eine glockenförmige Dosis- Wirkungs-Relation haben könnte, während die Nebenwirkungen, ähnlich wie bei den Zy- tostatika, mit der Dosis linear ansteigen.

Dt. Ärztebl. 88, Heft 11, 14. März 1991 (61) A-881

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2. Proliferationshemmung

Rosenberg und seine Gruppe in Bethesda konnten 1980 erstmals zeigen, daß mit rekom- binantem Interleukin 2 (dem früheren Lym- phozyten-Wachstumsfaktor) in vitro (später auch in vivo) aktivierte Lymphozyten (LAK) nach Retransfusion kleinere Tumoren oder Metastasen zum Verschwinden bringen kön- nen, allerdings nicht anhaltend (zum Beispiel 11). Nach langen technischen und ethischen Vorbereitungen konnte das Rosenberg-Team (7) Erfolge vorweisen: Lymphozyten aus Tu- moren wurden kultiviert; ein Teil von ihnen wurden mit einem Gen aus einem Retrovirus versehen, das eine Neomycin-Resistenz her- vorruft. Die Lymphozyten wurden reinfun- diert, und sie ließen sich — wegen der Markie- rung durch das Resistenz-Gen — bei den Pa- tienten mit metastasiertem malignem Mela- nom noch nach bis zu 190 Tagen nachweisen.

Dies war der vielzitierte erste Versuch einer Anwendung gentechnologisch veränderter Substanzen am Menschen — es handelte sich um infauste Fälle von malignem Melanom.

Nachweisbar war dabei auch, daß die markier- ten Lymphozyten in exzidierte Tumorproben infiltriert waren. Die Tumoren selbst zeigten bei drei der fünf Kranken eine deutliche Re- duktion, in einem Fall bis zu 90 Prozent, und zum Teil anhaltende Remissionen (in einem Fall bis zu elf Monaten nach Applikation).

Die Frucht rund zehnjähriger Arbeit kann in verschiedener Richtung als grundlegend be- trachtet werden: 0 Sie bestätigt das Prinzip der durch Lymphokin aktivierten tumorinfil- trierenden Lymphozyten (LAK). C) Damit wurden mit vollem Erfolg und in Übereinstim- mung aller Beteiligten genetisch veränderte (und damit markierte) Blutzellen übertragen und kontrolliert in Funktion — in diesem Fall gegen den Tumor gerichtet — erhalten.

®

Als Ausgang des gentechnischen Eingriffs dien- te (meines Wissens erstmalig) ein Retrovirus.

® Schließlich eröffnen sich damit nach Rosen- berg und Mitarbeitern Möglichkeiten einer Gen-Therapie auch bei anderen Erkrankun- gen (7).

3. Zelldifferenzierung

Ein Traum der Onkologen besteht seit lan- gem darin, die nicht zu sehr entdifferenzierten Tumorzellen wieder zur Reifung (Differenzie- rung) und damit zum Verlust unkontrollierter

Proliferation zu bringen. Besonders Leo Sachs in Tel Aviv hat diesem Traum ein Leben lang experimentelle Arbeiten gewidmet. Nun ist auch diese Manipulation in den Bereich des beim Menschen Möglichen gerückt: Einer französischen Gruppe (8) gelang es, mit all- trans-Retinin eine Ausreifung der promyelozy- toiden Blasten einer akuten Leukämie in vivo herbeizuführen. Sie war verbunden mit einer kompletten Remission und einem Verschwin- den des vorher pathologischen Karyotypus (8, 9).

4. Ausblick

Die intensiven Forschungen der letzten Jahre haben eine Fülle von Daten über prolife- rationshemmende, proliferationsstimulieren- de, reifungsinduzierende Zytokine und andere Substanzen gebracht. Über die Interferone und Kolonie-stimulierenden Faktoren (CSF) liegen schon größere Erfahrungen vor. Gerin- ger sind vergleichende Studien mit LAK, aus- reichende Erfahrungen über optimale Dosie- rung, Applikation sowie über sinnvolle Kombi- nationen, ferner über die Senkung der bisher außerordentlichen Kosten. Modelle einer

„neuen Tumortherapie", die nicht auf der Zy- totoxität der konventionellen Chemotherapie beruhen, sind dank der Fortschritte der Gen- technologie und der Immunologie aber auch beim Menschen erbracht worden. Sie werden — als Versuch einer Ausreifung bei mehr diffe- renzierten oder differenzierungsfähigen, als lokal wirksame Zytotoxizität bei ganz unreifen Tumorzellen — die Behandlung von Neoplasien in der Zukunft teilweise bestimmen. Damit stellt sich zugleich ein allmählicher Übergang von mehr zytotoxischen zu mehr biologischen, das heißt der natürlichen Immunität vergleich- baren Entwicklungen dar. Es zeigt sich ferner, daß noch ein weiter Weg bis zur breiten Durchführung weniger zytotoxischer und/oder weniger kostenträchtiger, noch wirksamerer Therapieprotokolle zurückzulegen ist.

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis im Sonderdruck, anzufordem über den Ver- fasser.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Dr. h. c. Rudolf Gross Herbert-Lewin-Straße 5

W-5000 Köln 41

A-882 (62) Dt. Ärztebl. 88, Heft 11, 14. März 1991

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