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Archiv "Neue Wege zur Therapie des Schlaganfalls" (25.08.1997)

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er Schlaganfall ist in den modernen Industrienationen und damit auch in Deutschland nach den Herz-Kreis- lauferkrankungen und dem Krebs die dritthäufigste Todesursache. Viele Pa- tienten, die einen Schlaganfall überleben, leiden an schweren neurologischen Ausfällen und be- dürfen einer oft jahrelangen mühsamen Rehabi- litation, um diese Ausfälle auch nur teilweise kompensieren zu können. Trotz intensiver expe- rimenteller Forschung und unzähligen klini- schen Therapiestudien sind die Behandlungser- folge bescheiden, und viele Ärzte nehmen dem Schlaganfall gegenüber eine eher defätistische Einstellung ein. In den vergangenen Jahren sind aber in der Schlaganfallforschung bedeutende Fortschritte erzielt worden, die eine optimisti- schere Grundhaltung rechtfertigen. Ein Ergeb- nis epidemiologischer Untersuchungen ist die Erkenntnis, daß eine Reihe von Risikofaktoren – allen voran die Hypertonie – die Wahrscheinlich- keit eines Schlaganfalles um ein Vielfaches er- höhen, und die konsequente Behandlung derar- tiger Risikofaktoren ermöglicht eine wirkungs- volle Prävention. Der Übersichtsartikel der For- schergruppe „Schlaganfallprävention“, welcher in dieser Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes erscheint, belegt mit eindrucksvollen Zahlen, welche Bedeutung der Prävention des Schlagan- falles zukommt und welche Maßnahmen hierfür ergriffen werden sollten.

Aber selbst dann, wenn das Auftreten eines Schlaganfalles nicht verhindert werden kann, sind die Chancen einer wirkungsvollen Behand-

lung sehr viel besser, als noch vor wenigen Jah- ren angenommen wurde. Obwohl derzeit noch deutliche Diskrepanzen zwischen den experi- mentellen und klinischen Ergebnissen bestehen, verfügen wir über ein zunehmend besseres Ver- ständnis der Pathophysiologie des Schlaganfalles und damit auch über den Schlüssel zu einer ziel- gerichteten Therapie.

Die Fortschritte auf diesem Gebiet lassen sich auf drei rasch expandierende Forschungsfel- der zurückführen: die rasante Entwicklung auf dem Gebiete der bildgebenden Meßverfahren, die Aufklärung komplexer pathophysiologischer Interaktionen mittels molekularbiologischer und gentechnischer Methoden und die gezielte Ent- wicklung von Wirkstoffen, die an den Schaltstel- len pathobiochemischer Kaskaden eingreifen und damit die Ausbildung einer ischämischen Zellschädigung verhindern.

Bildgebende Meßverfahren

Auf dem Gebiet der bildgebenden Meßver- fahren kommt der Positronen-Emissions-Tomo- graphie sowie der funktionellen und spektrosko- pischen NMR-Bildgebung besondere Bedeutung zu. Beide Verfahren sind nichtinvasiv und lassen sich deshalb gleichermaßen im Experiment wie in der Klinik einsetzen. Mit der Positronen-Emissi- ons-Tomographie können die Durchblutung, der Sauerstoffverbrauch und der Glukoseumsatz des Gehirns nichtinvasiv gemessen werden. Dadurch ist eine präzise Beurteilung der durch die Durch-

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Neue Wege zur Therapie des Schlaganfalls

Konstantin-A. Hossmann

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blutungsminderung verursachten metabolischen Störungen möglich (6). Die NMR-Bildgebung – und hier insbesondere die perfusions- und diffusi- onsgewichtete Kernspintomographie – ermög- licht eine sehr frühe Darstellung der ischämi- schen Gewebeschädigung und damit auch des zeitlichen Verlaufes des pathologischen Prozes- ses (7).

Wichtigstes Ergebnis derartiger Messungen ist die Beobachtung, daß das Volumen des ischä- mischen Hirninfarktes auch bei gleichbleibender Durchblutungsminderung über viele Stunden hinweg wächst und daß allein durch die Verhin- derung dieses Wachstums Reduktionen des In- farktvolumens um bis zu 50 Prozent erreicht wer- den können.

Als Mechanismen des Infarktwachstums sind eine Vielzahl molekularer, hämodynami- scher und funktioneller Störungen identifiziert worden, die sich am griffigsten unter dem Be- griff „Dysregulation“ zusammenfassen lassen.

So bewirken Störungen der Koppelung zwi- schen Hirnmetabolismus und Hirndurchblutung bei funktioneller Belastung – etwa einer tran- sienten Zelldepolarisation – relative Energiede- fizite, die im Sinne einer „Angina cerebri“ zu Se- kundärschäden in der Infarktrandzone führen können (1).

Programmierter Zelltod

Ein anderes Beispiel ist die Fehlaktivierung genomischer Abläufe, die zum programmierten Zelltod und damit zum Zellsuizid führen (9). In der Ontogenese ist dieser als „Apoptose“ be- zeichnete Vorgang sinnvoll und notwendig, um während der Zellteilungsphase die für die Funk- tion des Hirnes entbehrlichen Zellen zu eli- minieren. Im ausgereiften Hirn können jedoch die durch Apoptose verlorengegangenen Zellen nicht durch Teilung ersetzt werden. Daher führt dieser Vorgang zu Parenchymverlusten und da- mit zu einer Verstärkung der ischämischen Ge- webeschädigung. Weiterhin kommt es zu Dysre- gulationen im Bereich der Blut-Gefäß-Interak- tionen. Adhäsionen von polymorphonukleären Leukozyten am Gefäßendothel, die bei trauma- tischer Gefäßverletzung, nicht aber bei ischämi- schen Durchblutungsstörungen sinnvoll sind, führen zur Bildung von freien Radikalen und da- mit zu peroxidativen Veränderungen, die eine ganze Kaskade pathobiochemischer Abläufe bis hin zur Nervenzelldegeneration auslösen können (13).

Tiermutanten

Da diese und andere Abläufe genetisch de- terminiert sind, ist es möglich, deren pathophy- siologische Bedeutung in Tiermutanten zu unter- suchen, bei denen das betroffene Gen entweder ausgeschaltet oder überexprimiert wird. So konnte gezeigt werden, daß die Ausschaltung von Genen wie ICE oder p53, die als positive Re- gulatoren an der Apoptose beteiligt sind, zu ei- ner Verkleinerung des ischämischen Hirninfark- tes führt (4, 5), während die Ausschaltung des die Apoptose hemmenden Gens bcl-2 eine Ver- stärkung der ischämischen Hirnschädigung be- wirkt (9). Andere Beispiele genetisch kontrol- lierter Schädigungsmechanismen sind die Ab- hängigkeit des Infarktvolumens von der Stärke der Expression der neuronalen Stickoxyd-Syn- thetase, die eine Schlüsselrolle für die stickoxyd- abhängige, pathobiochemische Kaskade der ischämischen Nervenzellschädigung spielt (8), oder die Verkleinerung von Infarkten bei Tieren, die Superoxyd-Dismutase überexprimieren und dadurch in der Lage sind, die im Verlauf der Ischämie auftretenden freien Sauerstoffradikale zu eliminieren (3).

Aus der Kenntnis dieser und weiterer mole- kularer Abläufe sind in den vergangenen Jah- ren Wirkstoffe entwickelt worden, die gezielt in diese Prozesse eingreifen. Neben freien Radi- kalenfängern sind dies insbesondere Agonisten oder Antagonisten von Rezeptoren, die an pa- thophysiologischen Signaltransduktionskaska- den beteiligt sind. Erste positive Ergebnisse sind auch mit gentechnischen Maßnahmen er- zielt worden, mit Hilfe derer neuroprotektive Gene wie das die Apoptose hemmende Gen bcl-2 (10) oder ein Interleukin-1-Rezeptoranta- gonist (2) durch virale Vektoren in das Hirn ein- gebracht wurden.

Thrombolyse

Besondere Aktualität für die Schlaganfallbe- handlung haben seit kurzem die Thrombolytika gewonnen. Da bekannt ist, daß bis zu 80 Prozent der ischämischen Hirninfarkte auf Gefäßthrom- bosierungen beruhen, ist es naheliegend, die Blutgerinnsel durch Thrombolyse aufzulösen.

Dieser Therapieansatz ist nicht neu, aber in der Vergangenheit wurden thrombolytische Maß- nahmen wegen des hohen Blutungsrisikos immer wieder in Frage gestellt. Durch die Entwicklung neuer rekombinanter Thrombolytika, den Aus-

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schluß von Primärblutungen durch nichtinvasive bildgebende Verfahren und die Einengung der Behandlungsindikation auf die ersten drei Stun- den nach Auftreten der neurologischen Sympto- matik konnte das Blutungsrisiko deutlich ver- mindert werden. In einer kontrollierten Studie aus den Vereinigten Staaten konnte deshalb erst- malig eine signifikante, wenn auch bescheidene Besserung der neurologischen Symptomatik nachgewiesen werden (11). Das Potential dieser Therapie ist aber keineswegs ausgeschöpft, da aus experimentellen Untersuchungen hervor- geht, daß die Thrombolyse mit Sekundärkompli- kationen behaftet ist, die ihrerseits einer Thera- pie zugängig sind. Entsprechende Kombinati- onstherapien werden derzeit intensiv erforscht, und es kann damit gerechnet werden, daß in na- her Zukunft deutlich bessere Therapieerfolge er- zielt werden.

Klinische Perspektiven

Dieser grundsätzlich optimistischen Ein- schätzung der Möglichkeiten einer Schlaganfall- therapie steht die ernüchternde Bilanz gegen- über, daß die meisten experimentell erfolgrei- chen Therapieschemata unter klinischen Bedin- gungen versagt haben. Als Grund wird häufig ge- nannt, daß das Gefäßsystem des Schlaganfallpa- tienten im Gegensatz zum Versuchstier patholo- gisch verändert ist und daß die klinische Thera- pie meist sehr viel später als im Experiment ein- geleitet wird. Aber selbst wenn diese Umstände im experimentellen Ansatz berücksichtigt wer- den, sind die Diskrepanzen zur Klinik unver- kennbar. Der Hauptgrund dürfte deshalb darin liegen, daß es bei der Vielzahl der zum Hirnin- farkt führenden Pathophysiologien kein Allheil- mittel gibt. So sind beispielsweise freie Radika- lenfänger vornehmlich bei reversiblen, nicht aber bei permanenten Gefäßverschlüssen wirk- sam. Der Nachweis einer therapeutischen Wir- kung in einem auf diesen Wirkungsmechanismus ausgerichteten Tierexperiment bedeutet deshalb nicht, daß die gleiche Therapie auch unter ande- ren zum Schlaganfall führenden Bedingungen zum Erfolg führt. In Zukunft wird man deshalb eine sehr viel präzisere Differenzierung der indi- viduellen Schädigungsmechanismen durch- führen müssen, um eine gezielte Therapie einlei- ten zu können. Mit den neuen bildgebenden Meßverfahren ist es bereits jetzt möglich, Art und Grad der Gewebeschädigung sehr viel bes- ser als mit den bisherigen neurologischen Unter-

suchungsmethoden zu definieren, und manches spricht dafür, daß die Berücksichtigung individu- eller Schädigungs-„Signaturen“ (12) zu verbes- serten Behandlungsergebnissen führen wird.

Wenn es gelingt, eine konsequente Prävention mit derartigen gezielten Therapieansätzen zu er- gänzen, dann besteht auch eine Chance, die Mor- talität und Morbidität des Schlaganfalles zu sen- ken. Es sollte alle Anstrengungen wert sein, die- ses Ziel zu erreichen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-2192–2194 [Heft 34-35]

Literatur:

1. Back T, Kohno K, Hossmann KA: Cortical negative DC de- flections following middle cerebral artery occlusion and KCl- induced spreading depression – Effect on blood flow, tissue oxygenation, and electroencephalogram. J Cerebral Blood Flow Metabolism 1994; 14: 12–19.

2. Betz AL, Yang GY, Davidson BL: Attenuation of stroke size in rats using an adenoviral vector to induce overexpression of interleukin-1 receptor antagonist in brain. J Cerebral Blood Flow Metabolism 1995; 15: 547–551.

3. Chan PH, Kinouchi H, Epstein CJ et al.: Role of superoxide dismutase in ischemic brain injury – Reduction of edema and infarction in transgenic mice following focal cerebral ische- mia. Progress in Brain Research 1993; 96: 97–104.

4. Crumrine RC, Thomas AL, Morgan PF: Attenuation of p53 expression protects against focal ischemic damage in transge- nic mice. J Cerebral Blood Flow Metabolism 1994; 14:

887–891.

5. Hara H, Fink K, Endres M et al.: Attenuation of focal cerebral ischemic injury in transgenic mice expressing a mutant ICE in- hibitory protein. J Cerebral Blood Flow Metabolism 1997 (in press).

6. Heiss WD, Herholz K: Assessment of pathophysiology of stroke by positron emission tomography. Eur J Nuclear Med 1994; 21: 455–465.

7. Hossmann KA, Hoehn-Berlage M: Diffusion and perfusion MR imaging of cerebral ischemia. Cerebrovascular Brain Me- tabolism Reviews 1995; 7: 187–217.

8. Huang ZH, Huang PL, Panahian N, Dalkara T, Fishman MC, Moskowitz MA: Effects of cerebral ischemia in mice deficient in neuronal nitric oxide synthase. Science 1994; 265:

1883–1885.

9. Linnik MD: Role of apoptosis in acute neurodegenerative dis- orders. Restorative Neurology Neuroscience 1996; 9: 219–225.

10. Linnik MD, Zahos P, Geschwind MD, Federoff HJ: Expres- sion of bcl-2 from a defective herpes simplex virus-1 vector li- mits neuronal death in focal cerebral ischemia. Stroke 1995;

26: 1670–1674.

11. Marler JR et al.: Tissue plasminogen activator for acute ische- mic stroke. N Engl J Med 1995; 333: 1581–1587.

12. Welch KMA, Windham J, Knight RA et al.: A model to pre- dict the histopathology of human stroke using diffusion and T- 2-weighted magnetic resonance imaging. Stroke 1995; 26:

1983–1989.

13. Zoppo del GJ, Schmid-Schönbein GW, Mori E, Copeland BR, Tan CM: Polymorphonuclear leucocytes occlude capillaries following middle cerebral artery occlusion and reperfusion in baboons. Stroke 1991; 22: 1276–1283.

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. med. Konstantin-A. Hossmann Max-Planck-Institut für

Neurologische Forschung Gleuelerstraße 50

50931 Köln

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