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Archiv "Vincent van Gogh: Zwischen Kreativität und Krankheit" (17.04.2009)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 16⏐⏐17. April 2009 A781

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iefen Seelenfrieden soll er empfunden haben, als er im Herbst 1889 im Garten der psychia- trischen Klinik Saint-Paul-de-Mau- sole im südfranzösischen Saint- Rémy die riesigen Pinien, grünen Zy- pressen und das wuchernde Unkraut malte. Das Landschaftsgemälde mit

dem Titel „Der Park der Klinik Saint- Paul“ befand sich die letzten 46 Jahre in Schweizer Privatbesitz und war in dieser Zeit bis auf wenige Ausnah- men den Blicken der Öffentlichkeit entzogen. Umso größer die Sensati- on, als es von der Londoner Galerie Dickinson auf der diesjährigen Kunstmesse „Tefaf“ für 25 Millionen Euro angeboten wurde. „Wir sind sehr glücklich, dass wir das Bild, be- dingt durch einen Erbschaftsfall in der Eigentümerfamilie, präsentieren können“, sagt Emma Ward, Direktorin bei Dickinson London. „Die Farben und die Malweise sind sehr charakte- ristisch für van Goghs leidenschaft- lichen und expressiven Stil in der Spätphase seines kurzen Lebens.“

Solange das Gemälde noch nicht verkauft ist, ist unklar, ob es in Zu- kunft in einem großen Museum hängen wird oder aber wieder im Tresor eines Privatsammlers ver- schwindet. Viele große Werke aus dieser besonderen Schaffensperiode van Goghs dagegen sind derzeit in zwei grandiosen Ausstellungen in Amsterdam und Basel zu sehen(Kas- ten „Ausstellungen“): Während sich das niederländische Van Gogh Mu- seum noch bis zum 7. Juni der Faszi- nation des Künstlers für den Abend und die Nacht widmet, präsentiert das Baseler Kunstmuseum ab dem 26. April eine spektakuläre Gesamt- schau der Landschaftsbilder.

Seine typischen, in kleinen Stri- chen nebeneinandergesetzten Far- ben begann van Gogh ab 1889 zu rhythmisieren und in Wellenlinien oder Spiralen anzuordnen. Dabei ging es ihm weniger um die Wieder- gabe der Wirklichkeit, als darum, das Charakteristische seiner Motive und die durch sie ausgelösten Gefühle zum Ausdruck zu bringen. So sind die geballten Farblinien und zün- gelnden, schlangenartigen Pflan-

zendarstellungen in „Der Park der Klinik Saint-Paul“ auch Symbol seiner seelischen Verfassung.

Als er im Mai 1889 in der Klinik ankam, hatte der Park sofort eine tie- fe Wirkung auf ihn. Er schrieb an seinen Bruder und Vertrauten Theo, der als Kunsthändler in Paris arbeite- te: „Seit ich hier bin, bereichert der menschenleere Garten . . . mein Werk.“ Das Ölgemälde, das er davon im September/Oktober anfertigen sollte, entstand während eines Aus- bruchs an Aktivität: Ende Juli hatte er einen erneuten Anfall an Wahn- vorstellungen und Angstattacken er- litten, der ihn sechs Wochen außer Gefecht setzte. Anfang September, VINCENT VAN GOGH

Zwischen Kreativität und Krankheit

Mit 25 Millionen Euro war ein Spätwerk van Goghs das teuerste Gemälde auf der Kunst- und Antiquitätenmesse „Tefaf“ im März. Er malte es in der Psychiatrie von Saint-Rémy – in einer seiner produktivsten künstlerischen Phasen überhaupt.

BIOGRAFIE

30. März 1853:Vincent van Gogh kommt bei Breda als Sohn eines protestantischen Pfarrers zur Welt.

Ab Juli 1869:Anstellung bei der Galerie Goupil & Cie. zunächst in Den Haag, dann London und später Paris.

Ab Juli 1876:Jobs als Hilfslehrer und Hilfsprediger; Theologiestudien.

August 1879:Van Gogh beginnt, intensiv zu zeichnen; der Bruder Theo unterstützt ihn von nun an finanziell.

Herbst 1880:Der 27-jährige Vincent beschließt, Maler zu werden.

Ab Februar 1888:Aufenthalt in Südfrankreich; hochproduktives Spätwerk.

8. Mai 1889:Nach wiederholten schweren Krisen und Ohnmachts- anfällen lässt sich van Gogh in der Nervenklinik von Saint-Rémy aufnehmen.

27. Juli 1890:Van Gogh schießt auf sich selbst und erliegt zwei Tage später den Verletzungen.

„Der Park der Klinik Saint-Paul“:

Während seines selbst verordneten Aufenthalts in der Nervenheilanstalt von Saint-Rémy schuf van Gogh die außergewöhnliche Komposition.

Bild links:

Selbstporträt von Dezember 1887

Foto:Kunstmuseum Basel,Martin P.Bühler Foto:Dickinson,London/New York

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A782 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 16⏐⏐17. April 2009

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zurück an der Staffelei, schrieb er an Theo: „Ich arbeite auf Hochtouren, das tut mir gut und verjagt die abarti- gen Gedanken.“ Den Anstaltsgarten malte er in diesem Herbst, als er sich endlich wieder im Freien aufhalten konnte, mehrfach. Später folgten auch die Aussicht aus seinem Fens- ter und Motive in der Umgebung von Saint-Rémy. Der Schaffens- rausch, den van Gogh erlebte, stand offenbar in engem Zusammenhang zu seinen Krankheitsschüben, auf die jeweils Phasen großer Klarheit und Kreativität folgten. Etwa ein Jahr verbrachte er in Saint-Rémy. In

dieser Zeit, in der er vielleicht stär- ker als je zuvor mit seinen persönli- chen Dämonen kämpfte, entstanden einige seiner bedeutendsten Werke wie „Die Sternennacht“ (Juni 1889) oder „Weizenfeld mit Zypressen“

(September 1889).

Theo erkannte – lange vor der Öf- fentlichkeit und Fachwelt – die außerordentliche Ausdruckskraft in den Gemälden und schrieb an den Bruder: „Da ist eine Kraft in den Farben, die Du niemals zuvor er- reicht hast . . ., aber wie hat Dein Ge- hirn dies geschafft, und wie bist Du an die Grenzen gegangen, denen das Schwindelgefühl innewohnt.“

Der persönliche Preis für van Gogh war in der Tat immens. Zahl- reiche Spekulationen ranken sich um seine Krankheitsgeschichte, die im dritten Lebensjahrzehnt einsetzte:

Von Epilepsie über Schizophrenie bis zur Menière-Erkrankung, von der bipolaren Störung über eine Angst-Glücks-Psychose bis hin zur Syphilis stellten Ärzte und Psycho- logen zu Lebzeiten und posthum verschiedenste Diagnosen. Einige Wissenschaftler führen van Goghs psychopathologische Symptome, wie Halluzinationen und Bewusst- seinstörungen, aber auch seine we- niger bekannten gastrointestinalen Beschwerden auf seinen intensiven Absinthkonsum in Verbindung mit

langjähriger Mangelernährung zu- rück (DÄ, Heft 42/2001, „Absinth – Neue Mode, alte Probleme“).

Depressive und manische Phasen zeigten sich bereits, als der Maler im Februar 1888 – angelockt von den hellen Farben und der Wärme des Südens – von Paris ins südfranzösi- sche Arles übersiedelte. Seinen Traum, dort eine Künstlergemein- schaft zu gründen, kann er nicht ver- wirklichen. Nur Gauguin leistet der Einladung Folge. Doch zwischen dem exaltierten Künstler und dem nervlich angeschlagenen van Gogh kommt es ständig zu Auseinander-

setzungen und schließlich zum Eklat: Nach einem Streit in der Nacht des 23. Dezember schneidet sich van Gogh in einem Anfall einen Teil seines linken Ohrs ab. Der

„Fou roux“ wird auf Geheiß von Nachbarn in einer Klinik interniert.

Spätestens dann muss van Gogh das Ausmaß seiner Unberechenbarkeit bewusst geworden sein: Auf eige- nen Wunsch lässt er sich nun in der Klinik Saint-Paul aufnehmen.

Auch wenn er sich dort nur un- zulänglich behandelt fühlte, be- scherte ihm doch seine intensive Zeichen- und Maltätigkeit in der Natur zumindest vorübergehend seelische Entlastung. Der positive Einfluss hielt allerdings nicht lange an. Im Mai 1890 zog er zu seinem Arzt Dr. Paul Gachet nach Auvers- sur-Oise bei Paris, wo sich seine De- pressionen verschlimmerten. Zwei Monate später, am 29. Juli 1890, starb er mit 37 Jahren an den Folgen einer Schussverletzung, die er sich selbst zugefügt hatte.

Noch in Saint-Rémy, circa vier Monate vor seinem Tod, sandte van Gogh den „Park der Klinik“ mit einem Konvolut von Bildern nach Paris zu Theo – auch als Dank für die fortwährende finanzielle Unter- stützung, die dieser ihm gewährte.

Die anerkennende Rezeption des Gemäldes zunächst in der Kunst-

welt und den späteren Ruhm sollte er nicht mehr erleben.

Am 8. Oktober 1889 bezieht er sich im Brief an Theo auf das Gemälde, als er „zwei Ansichten des Parks der Anstalt“ erwähnt, die er

„sehr erfreulich“ findet. Überhaupt spiegelt das Schreiben sein Wohlbe- finden in dieser Phase: „Was mich betrifft, geht es mir zurzeit sehr gut . . . Aber während der Anfälle ist es schrecklich – dann verliere ich völ- lig das Bewusstsein. Aber das treibt mich an zu Arbeit und Ernsthaftig- keit, wie im Bergwerk ein Gruben- arbeiter, der ständig in Gefahr und deshalb immer in Eile ist.“ I Sabine Schuchart

* Vincent van Gogh am 7. oder 8. September 1889 in Saint-Rémy, Brief an den Bruder Theo.

Literatur (Neuerscheinung):

Gunnar Decker: “Vincent van Gogh – Pilgerreise zur Sonne. Biografie”, Matthes & Seitz Berlin, März 2009.

AUSSTELLUNGEN

BASEL

26. April bis 27. September:

Zwischen Erde und Himmel:

Die Landschaften

70 Gemälde – im Kontext mit rund 40 Meisterwerken von Zeitgenossen – bieten Einblick in Vincent van Goghs Auseinandersetzung mit der Natur.

Foto: „Zypressen“ – das Bild malte er Ende Juni 1889 in Saint-Rémy.

Kunstmuseum, St. Alban-Graben 16, Di.–So. 9–19, für Gruppen bis 22 Uhr, auch Pfingstmontag (1.6.) Amsterdam

Bis 7. Juni:

Van Gogh: Die Farben der Nacht Mit der Nacht verband der Künstler Geborgenheit und Poesie. Œuvres wie „Die Sternennacht“ zeigen, wie sensibel er die zu dieser Zeit herr- schenden Stimmungen ausdrückte.

Van Gogh Museum, Paulus Potter- straat 7, tgl. 10–18, Fr. 10–22 Uhr

Ich in meiner Geisteskrankheit, ich denke an so viele andere Künstler, die auch geistig erkrankt waren, und ich sage mir, dass dies kein Hindernis ist, den Beruf des Malers auszuüben. *

Foto:The Metropolitan Museum of Art

Referenzen

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