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Archiv "Vincent van Gogh: Diagnose?" (19.04.1990)

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lyse im Rahmen einer Syphi- lis". Die Verbindung von

„Genie, Irrsinn und Ruhm", so der Titel einer zwölfbändi- gen Reihe von Lange-Eich- baum und Kurth, trifft stets auf größtes öffentliches Inter- esse.

Nur wenige Künstler ha- ben zu so zahlreichen Deu- tungen herausgefordert wie Vincent van Gogh (1853- 1890). Daß er sich ein Ohr abgeschnitten hat, in psychia- trischer Behandlung war und schließlich Selbstmord verüb- te, ist selbst Menschen be- kannt, die sich ansonsten nur wenig für Kunst interessieren.

Eine einfühlsame psycho- analytische Beschreibung des Lebens des Künstlers anhand seiner Briefe (sechs Bände mit über 700 Briefen) hat der Psychoanalytiker Humberto Nagera verfaßt. Im Vorwort zu diesem Buch schreibt An- na Freud, daß Nagera vor un- seren Augen das Bild eines moralisch hochstehenden Mannes im Kampf mit seinem ungebändigten Triebleben entwerfe; das Buch bekunde eindrücklich die Machtlosig- keit des Menschen Konflikten und destruktiven Regungen gegenüber, für die auch der höchste Ausdruck des künst- lerischen Schaffens keine Lö- sung finden könne. Zur Illu- stration der inneren Wider- sprüche zitiert Nagera unter anderem einen Brief von Theo, dem Bruder Vincent

van Goghs, an eine der jünge- ren Schwestern: „Es ist, als wären zwei Menschen in ihm, der eine wunderbar begabt, fein und zart, der andere hartherzig und nur auf sich selbst bedacht. Sie treten ab- wechselnd auf . . ." Von die- sen Gefühlen wurden Theo, der sich aufopfernd um Vin- cent kümmerte, mehr die feinfühligen entgegenge- bracht, während dem Vater gegenüber eine kritisch-ver- bitterte Haltung bestand, was wie die Aufspaltung ambiva- lenter Gefühle auf zwei Va- ter-Figuren wirkt. Zusammen mit der impulsiven Art und Weise des Sprechens und Handelns führt Nagera dies zu der Diagnose einer neuro- tischen Charakterstruktur mit psychoseähnlichen Episoden in Streßsituationen; heute würden wir wohl am ehesten von einer Borderline-Persön- lichkeitsstruktur sprechen.

Was bleibt von der so lan- ge und zum Teil heftig disku- tierten Frage nach dem Ein- fluß einer Krankheit auf das Schaffen von Vincent van Gogh? Die Diagnose „episo- dische Dämmerzustände im Rahmen einer Schläfenlap- penepilepsie" wird heute am ehesten bejaht; die Förde- rung der Anfallsbereitschaft durch Alkoholmißbrauch und durch aggressive, speziell un- bewußte, verdrängte Konflik- te ist bekannt. Unter dem Einfluß äußerer Konflikte

Gogh:

Anläßlich des 100. Todes- tages van Goghs (hier ein Selbstbildnis, gemalt im Janu- ar 1889; Foto:

Archivfür Kunst und Geschich- te, Berlin) eine kritische Rück- schau zum Thema

„Kunst und Psychiatrie"

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

KULTURNOTIZEN

Vincent van Diagnose?

Als der deutsche Psychia- ter und Philosoph Karl Jas- pers die Bilder Vincent van Goghs kennenlernte, veran- laßte ihn dies zu seiner 1922 erschienenen Schrift „Strind- berg und van Gogh, Versuch einer pathographischen Ana- lyse unter vergleichender Heranziehung von Sveden- borg und Hölderlin". Er ge- langte zu der Auffassung, van Gogh habe an einer Schi- zophrenie gelitten. Jaspers versuchte in diesem Zusam- menhang darzulegen, daß Kunst mit Schizophrenie, Geisteskrankheit mit Gestalt und Form zusammengehen könne — ja, daß ohne die schi- zophrene Psychose vieles im Werk von van Gogh nicht ent- standen wäre. Er fand so zu einer zentralen Frage dieses Problemkreises, nämlich, ob ein Krankheitsprozeß immer nur zerstörerisch wirke oder nicht auch konstruktiv.

In einem offenen Brief an Jaspers wies Karl Birnbaum noch im gleichen Jahr auf die zu Lebzeiten van Goghs ge- stellte Diagnose einer Epilep- sie hin — und damit war der Streit der Psychiater um die

„richtige" Diagnose entfacht.

Nachdem die seinerzeit her- vorragenden Forschungen französischer Neurologen und Psychiater zur Epilepsie unter anderem durch die Monographie „Episodische Dämmerzustände" von K.

Kleist (1926) in Deutschland größere Resonanz gefunden hatten, blieb die Diagnose ei- ner Epilepsie bei Vincent van Gogh in der Diskussion, stand aber gegenüber der Auffassung des renommier- ten Karl Jaspers, der sich ihr nicht anschloß, stets zurück.

Die Liste der psychiatri- schen Etikettierungen wurde jedoch immer länger. Sie reicht inzwischen von der Diagnose einer „zyklothymen Persönlichkeit mit Perioden von Depression und Manie"

über „Alkoholismus" bis hin zu der Diagnose einer „Para-

(zum Beispiel finanzielle Not, mangelnde Anerkennung) ge- wannen die aggressiven inne- ren Konflikte die Oberhand, und Vincent van Gogh wand- te die aufbrechenden aggres- siven Impulse gegen sich selbst; es kam zur Selbstver- stümmelung und schließlich zum Selbstmord. In den Fel- dern von Auvers brachte er sich eine Schußverletzung bei, an deren Folgen er zwei Tage später, am 29. Juli 1890, starb.

Neben einer solchen Be- trachtung des Lebens, der Krankheit und der bewußten wie auch unbewußten Kon- flikte darf zu keinem Zeit- punkt übersehen werden, daß Vincent van Gogh trotz die- ser und gegen diese Erkran- kung zu einem bestimm- ten Zeitpunkt der kunst- geschichtlichen Entwicklung und aus inneren, von seiner Anlage und Lebensgeschichte geprägten psychischen Bedin- gungen ein künstlerisches Werk zu schaffen in der Lage war, das sich jeder rein psy- chopathologischen Interpre- tation entzieht. Erst jenseits des Streits um Diagnosen können wir eine Ahnung und ein erstes Verständnis erlan- gen für die im Inneren des Künstlers tobenden Wider- sprüche. Sie spiegeln sich in seinen Briefen und Bildern.

Van Gogh selbst nannte seine Kunst den „Blitzableiter" für seine seelische Bedrängtheit und Aufgewühltheit. In sei- ner künstlerischen Arbeit ge- lang es ihm über Jahre hin- weg immer wieder, seiner in- neren Spannungen Herr zu werden, ihnen im Bild eine Form zu geben. Gerade für van Gogh trifft zu, was der Kunsthistoriker Ernst H.

Gombrich einmal allgemein formuliert hat: „Das große Kunstwerk ist durch einen starken Impuls gekennzeich- net, dem ein noch höheres Maß an Disziplin gegenüber- steht und ihn beherrscht."

Dr. med. Hartmut Kraft, An der Ronne 196, Köln 40, Arzt für Neurologie und Psychia- trie, Psychotherapie, Psycho- analyse

A-1318 (110) Dt. Ärztebl. 87, Heft 16, 19. April 1990

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