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Archiv "Koalitionsvertrag: Streit um Details vertagt" (30.10.2009)

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A 2172 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 44

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30. Oktober 2009

P O L I T I K

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er abschließende Auftritt der Gesundheitsexperten dauerte nur wenige Minuten. Und am Ende blieben viele Fragen offen. Insbe- sondere FDP-Verhandlungsführer Philipp Rösler, der sich als künfti- ger Gesundheitsminister auf weite- re zähe Auseinandersetzungen ein- stellen kann, wirkte abgekämpft, als er an der Seite von Ursula von der Leyen (CDU) und Barbara Stamm (CSU) vor die Kameras trat, um zu verkünden, was bei den intensiven Debatten der vergangenen Wochen herausgekommen war. Der Kurz- auftritt der drei Mitglieder der Ar- beitsgruppe Gesundheit und Pflege verdeutlichte noch einmal, was schon vor Beginn der Koalitions- verhandlungen zu erwarten gewe- sen war: Die Gesundheitspolitik war einer der Knackpunkte in den Gesprächen zwischen der Union und den Liberalen. Zu unterschied- lich waren die Positionen der Betei- ligten, zu gewaltig sind die Finanz- probleme, vor denen das Gesund- heitssystem steht.

Und so kam es, wie es kommen musste: Bis zuletzt wurde um die Gesundheitspolitik gerungen. Erst am vorletzten Tag ihrer Verhand- lungen einigten sich die Gesund- heitspolitiker und die Parteivorsit-

zenden der schwarz-gelben Koali- tion über strittige Fragen. Die Vor- ab-Festlegung der Kanzlerin, am Gesundheitsfonds werde nicht ge- rüttelt, hatte die Verhandlungen nicht einfacher gemacht, schließ- lich war die FDP im Wahlkampf vehement für dessen Abschaffung eingetreten. Mit dem Kompromiss können nun beide Seiten leben.

Der Gesundheitsfonds bleibt zu- nächst einmal unverändert und da- mit auch der einheitliche Beitrags- satz sowie die Begrenzung der Zu- satzbeiträge auf ein Prozent des Einkommens. Die krisenbedingten Einnahmeausfälle der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die 2010 ein Defizit von insgesamt 7,4 Milliarden Euro erwartet, sollen durch Steuergelder ausgeglichen werden.

Zugleich konnten der FDP- Vorsitzende, Guido Westerwelle, und Rösler verkünden, man habe eine Strukturreform vereinbart. Dazu stehen allerdings nur ganze sieben Zeilen im 128-seitigen Koalitions- vertrag. „Langfristig“ wird demnach ein Beitragssystem mit drei Elemen- ten eingeführt: einem einkommens- abhängigen Arbeitgeberbeitrag, der auf der heutigen Höhe eingefroren wird, einem einkommensunabhängi-

gen Arbeitnehmerbeitrag und einem Sozialausgleich. Die notwendigen Schritte hin zu diesem Reformmo- dell muss eine Regierungskommis - sion erarbeiten, die zu Beginn der Legislaturperiode eingesetzt werden soll. Nach Angaben der Verhand- lungsführer in der Arbeitsgruppe Ge- sundheit/Pflege könnte diese Reform 2011 kommen. Vereinbart wurde der Termin allerdings nicht. Vor der wichtigen Landtagswahl in Nord- rhein-Westfalen im Mai 2010 erwar- ten die Koalitionäre ohnehin keine Empfehlungen der Kommission.

Pauschale für Arbeitnehmer:

CSU ist skeptisch

Der CSU-Vorsitzende, Horst See- hofer, der schon das frühere CDU- Modell der Kopfpauschale be- kämpft hatte, betrachtet auch die in- haltlichen Festlegungen mit einer Portion Skepsis. Zunächst einmal ändere sich gar nichts, sagte Seeho- fer. „Wir werden dann sehen, zu welchen Ergebnissen die Regie- rungskommission kommt.“ Wäh- rend Westerwelle einen „Durch- bruch hin zu einem freiheitlichen, wettbewerblichen Gesundheitswe- sen“ sieht, unterstrich Angela Mer- kel das Ziel, die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten abzukop- KOALITIONSVERTRAG

Streit um Details vertagt

Schwarz-Gelb hat sich für einen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik entschieden.

Ab 2011 soll ein neues Finanzierungssystem kommen. Wie genau dieses aussehen soll, muss allerdings eine Kommission erst noch erarbeiten.

Foto: dpa

Zufrieden mit dem Kompromiss:

Horst Seehofer, Guido Westerwelle und Angela Merkel.

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Deutsches Ärzteblatt

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30. Oktober 2009 A 2173 peln. „Dabei ist ein sozialer Aus-

gleich zwingend erforderlich.“

Die Kritik der Opposition an den Plänen von Schwarz-Gelb ließ nicht lange auf sich warten: CDU und FDP handelten „gegen das Allge- meinwohl“, kommentierte der de- signierte SPD-Chef, Sigmar Gabriel, den Koalitionsvertrag. Kosten und Risiken der Gesundheits- und Pfle- geversicherung würden allein auf die Schultern der Arbeitnehmer abgewälzt. Ähnlich sieht das Clau- dia Roth, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen: Die Pläne entlarvten die Absichten von Union und FDP, die soziale Dimension der Marktwirtschaft abzuwickeln.

„Union und FDP machen knallharte Lobbypolitik für die Unterneh- men.“

Koalition bekennt sich zur ärztlichen Freiberuflichkeit

Viele Ärztinnen und Ärzte verbin- den mit dem Machtwechsel in Ber- lin die Hoffnung, dass ihre Anliegen künftig mehr Gehör finden. Immer- hin: Mit FDP-Politiker Rösler wird nun erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Arzt das Sagen im Bundesgesundheitsministerium haben. Zudem gibt es im Koaliti- onsvertrag einige Passagen, die na- helegen, dass die neue Regierung den Schulterschluss mit der Ärzte- schaft sucht: Union und FDP haben eigens einen Abschnitt mit der Überschrift „Ärztliche Versorgung und freier Arztberuf“ in das Papier aufgenommen. Darin bekennen sich die Koalitionäre zur ärztlichen Freiberuflichkeit als tragendes Prinzip der Gesundheitsversorgung.

Union und Liberale versprechen, die überfällige Reform der Gebüh-

renordnung für Ärzte (GOÄ) anzu- gehen. Die GOÄ werde an den aktuellen Stand der Wissenschaft angepasst. Dabei seien die Kosten- entwicklungen zu berücksichtigen.

Neben der GOÄ soll auch die Ho- norarreform überprüft werden.

Zudem kündigt die neue Regie- rung an, die Rolle von Ärzten in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zu stärken. MVZ sollen nur noch dann zugelassen werden, wenn Ärzte die Mehrheit der Geschäftsan- teile und der Stimmrechte halten.

Bisher gilt lediglich: Ein MVZ muss von einem Arzt geleitet werden.

Auch bei der elektronischen Ge- sundheitskarte trägt Schwarz-Gelb den Bedenken vieler Ärzte Rech- nung. Die neue Regierung plant eine

„Bestandsaufnahme“. Danach solle entschieden werden, ob eine Weiter- arbeit auf Grundlage der bestehen- den Strukturen möglich sei.

In dem Papier ist gleich an meh- reren Stellen die Rede davon, dass

„regionale Besonderheiten“ stärker berücksichtigt werden sollen. Etwa bei der Vergütung – ein Punkt, in dem sicherlich die Handschrift der CSU erkennbar ist. Diese hatte sich auch in puncto Selektivverträge durchgesetzt: Die FDP hatte im Zu- ge der Verhandlungen noch gefor- dert, die Kassen sollten nicht mehr dazu verpflichtet sein, Hausarztver- träge abzuschließen. Nun aber fin- det man im Koalitionsvertrag ledig- lich einen Satz zum Thema: „Wir werden nach drei Jahren feststellen, wie viele Hausarztverträge deutsch- landweit abgeschlossen worden sind.“ Es bleibt also zunächst alles beim Alten.

Überhaupt sind einige Passagen des Vertrags lediglich vage Ab-

sichtserklärungen. So wollen Union und FDP die „Möglichkeiten zur Kostenerstattung ausweiten“, man will überprüfen, inwieweit Richt- größen bei der Verordnung von Arzneimitteln weiterhin notwendig sind. Die Praxisgebühr soll in ein

„unbürokratisches Erhebungsver- fahren“ überführt werden.

Ärztevertretern bewerteten die Entscheidungen der künftigen Re- gierung überwiegend positiv. Prof.

Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Prä - sident der Bundesärztekammer, sieht in den Plänen eine Chance,

„eine neue Gesundheitskultur“ in Deutschland aufzubauen und die medizinischen Versorgungsstruktu- ren auf eine Gesellschaft des langen Lebens hin auszurichten. „Wenn der Versicherte wieder zum Patienten wird und Ärzte wieder Ärzte sein können, dann ist der richtige Kurs eingeschlagen“, sagte er. Hoppe er- wartet von der künftigen Regierung vor allem eine Entbürokratisierung und keine weitere Kommerzialisie- rung des Gesundheitswesens. Dr.

med. Andreas Köhler, Vorstandsvor- sitzender der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung, sieht den Vertrag von Union und FDP mit gemischten Gefühlen. „Licht und Schatten lie- gen bei der Koalitionsvereinbarung eng beieinander“, sagte er. Kritisch bewertete er vor allem die Entschei- dung, das es bei den Hausarztverträ- gen zunächst keine Änderungen gibt. Dagegen lobte er die Betonung der Freiberuflichkeit und die Rege- lungen zu den MVZ.

Scharfe Kritik äußerte Dr. Johan- nes Vöcking, Vorstandsvorsitzender der Barmer Ersatzkasse. Er be- zeichnete den eingeschlagenen Weg als „Fehlstart“. Die Koalitionäre hätten eine Gesundheitspolitik ohne Mut und Ideen präsentiert.

Schon die ersten Reaktionen auf den Koalitionsvertrag zeigen: Der Streit über Gesundheitspolitik ist nicht beendet. Für den künftigen Bundesgesundheitsminister Rösler haben die Marathonsitzungen und nächtlichen Debatten lediglich vor- erst ein Ende. Die Zeit der Diskussio- nen hat mit dem Ende der Koalitions- verhandlungen erst begonnen. ■ Dr. med. Birgit Hibbeler, Nora Schmitt-Sausen, Heinz Stüwe

Finanzreform der gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV) voraussichtlich 2011, Regie- rungskommission erarbeitet Konzept.

Krisenbedingtes GKV-Defizit wird 2010 durch Steuergelder ausgeglichen.

Wechsel von GKV in private Versicherung bei einmaligem Überschreiten der Jahreseinkom- mensgrenze möglich

verpflichtende kapitalgedeckte Zusatzversiche- rung in der Pflege

Rolle der Ärzte in Medizinischen Versorgungs- zentren wird gestärkt.

Bei Hausarztverträgen bleibt alles beim Alten.

Gebührenordnung für Ärzte wird reformiert.

Honorarreform und elektronische Gesund- heitskarte kommen auf den Prüfstand. BH

WAS SCHWARZ-GELB PLANT

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