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Archiv "Vom Ärztestand und den sozialdemokratischen Kassen" (24.04.1985)

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Hasenclevers symbolträchtiges Bild hängt im Kunstmuseum Düsseldorf (Reproduk- tion mit freundlicher Genehmigung des Museums) Foto: Landesbildstelle NRW

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DAS BESONDERE BUCH

D

as Bild „Arbeiter vor dem Ma- gistrat", das Johann Peter Hasenclever 1848 gemalt hat, zeigt rechts die zumeist wohlbe- leibten Herren des Magistrats, die in einer Mischung aus Verständ- nis und Erstaunen die Gruppe der Arbeiter, die vor ihnen mit einer Petition erschienen ist, betrach- ten. Die Arbeiter bitten zwar um Arbeit, doch ihre Haltung, zumal die ihres Anführers, zeugt nicht von Demut. Ein neuer Stand steht gegen den alten.

Tennstedt hat dieses Bild seinem Buch „Vom Proleten zum Indu- striearbeiter" vorangestellt. Es ist tatsächlich symbolträchtig, das wird dem Leser bei der Lektüre immer klarer. Die Arbeiterschaft gewinnt zunehmend an Selbstbe- wußtsein, bekommt Sinn für Poli- tik und schließlich auch politische Macht. Die sozialen Einrichtungen erweisen sich dafür als ideales Übungsfeld.

Wie sich aus den von bürgerli- chen Kräften gesetzlich einge- führten Sozialeinrichtungen zum

Wohle der Arbeiterschaft Institu- tionen der Arbeiterschaft entwik- kelten — das ist ein politisch lehr- reiches Kapitel der jüngeren deut- schen Geschichte. Bei Tennstedt ist es dazu noch spannend ge- schrieben, denn er bedient sich der erzählenden Geschichts- schreibung. Die Erzählungen stammen von zeitgenössischen Autoren. Tennstedt verzichtet auf das Zitieren programmatischer Papiere, ihm ist es um die Schil- derung der tatsächlichen Lebens- verhältnisse zu tun. Und so ent- stand, obwohl der Autor der So- zialdemokratie und der Gewerk- schaftsbewegung geistig verbun- den ist, kein ideologischer Schin- ken, sondern ein differenziertes Zeitgemälde.

Es umfaßt die Anfänge sozialer Reformen in Preußen seit Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur So- zialpolitik des Kaiserreichs. Kern- stücke sind die Selbsthilfebemü- hungen der Arbeiterschaft sowie die aus den Bismarckschen So-

Vom Ärztestand und den sozial- demokratischen Kassen

zialgesetzen entstandenen Versi- cheru ngssysteme.

Die Arbeiterbewegung hat deren politischen Nutzen für sich selbst anfänglich nicht bemerkt oder be- merken wollen. Sie setzte auf die von ihr gegründeten Hilfskassen und lehnte die vom Gegner, dem Staat, geschaffene Sozialversi- cherung ab. Die Orts-, Betriebs- und Innungskassen aber setzten sich, gesetzlich begünstigt, durch.

Je mehr sie an Gewicht gewan- nen, desto entschlossener stieg die Arbeiterschaft in deren Selbst- verwaltung ein. Die Ortskranken- kassen galten schließlich schlicht als sozialdemokratische Kassen.

Ein Kapitel für sich sind die Bezie- hungen zwischen Ärzten und Krankenkassen. Die Kassen wa- ren frei, die Ärzte auszuwählen, mit denen sie zusammenarbeiten wollten. Die Ärzte ließen sich ge- geneinander ausspielen. Die so- genannte Arztfrage wurde erst nach der Jahrhundertwende ge- löst, als die Ärzte sich zusammen- schlossen und es den Kassen ver-

wehrt wurde, nach eigenem Gut- dünken „Kassenärzte" zu be- schäftigen, indem also die freie Arztwahl eingeführt wurde. Jene ominöse Arztfrage machte übri- gens auch den versicherten Arbei- tern zu schaffen. Denn die von den Kassen angestellten „Kassen- ärzte" waren zugleich auch Kon- trolleure im Auftrag der Kassen.

Und noch ein zweites, die Ärzte- schaft damals erheblich bewe- gendes Thema schlägt Tennstedt an, den Streit um die Kurpfusche- rei. Er fördert überraschende Er- kenntnisse zutage. Die sozialde- mokratischen Kassen hatten näm- lich von Anfang an eine Neigung zu Naturheilkundigen bis hin zu Kurpfuschern. Rechtlich war de- ren Beschäftigung zulässig, da der Begriff der ärztlichen Behand- lung gesetzlich nicht festgelegt worden war. Ideologisch paßten Naturheilkundige, Naturärzte usw.

ins Konzept der Arbeiterschaft;

Naturheilkunde, Selbsthilfe in Form gesunder und natürlicher Lebensweise und naturgemäße Selbstbehandlung gingen inein- ander über.

Dieser Tradition entsprang auch eine gesundheitliche Volksaufklä- rung und Hygienebewegung, in der sozialdemokratische Ärzte führend tätig waren. Bedeutende ärztliche Ratgeber der Ortskran- kenkassen waren nicht von unge- fähr Anhänger der Naturheilkun- de. Es gab allerdings auch nam- Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 17 vom 24. April 1985 (23) 1235

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Sozialdemokratische Kassen DIE GLOSSE

hafte sozialdemokratische Ärzte, die dezidiert die Schulmedizin vertraten; deren Argumente ha- ben sich mehr und mehr durch- setzen können.

Tennstedts Vorliebe für erzählte Geschichte und die ausführliche Zitierung von Zeitgenossen hat sich auch in einer Vielzahl biogra- phischer Skizzen niedergeschla- gen, die jetzt in einem Reader zu- sammengefaßt wurden. Aus Le- bensläufen und Lebenswerken wird Geschichte oft verständlicher als aus mancher systematischen Darstellung. Doch fehlt in der Auf- satzsammlung auch nicht der sy- stematische Überblick.

Sozialpolitisch und sozialge- schichtlich interessierte Leser können in dieser Sammlung man- che Entdeckung machen. Wer et- wa weiß, daß die in Deutschland entwickelten Vorstellungen für die soziale Sicherung nach Japan hineingetragen wurden — parallel in etwa mit dem erheblichen deut- schen Beitrag für die Entwicklung der Medizin in Japan?

Das Buch ist eine Fundgrube, so vielfältig und materialreich ist es.

Eine Fundgrube auch im doppel- ten Sinne: es ist nicht ganz ein- fach, einen der Beiträge anhand des Inhaltsverzeichnisses aufzu- finden. Die Aufsätze, die zuvor an verschiedensten Stellen erschie- nen sind (vor allem in der Zeit- schrift für Sozialreform), sind nämlich für den Reader fotome- chanisch reproduziert worden.

Das technische Ergebnis ist nicht befriedigend. Der Finder wird dann aber durch den Inhalt be- lohnt. Norbert Jachertz Florian Tennstedt: Vom Proleten zum Industriearbeiter, Arbeiterbewegung und Sozialpolitik in Deutschland 1800 bis 1914, Bund-Verlag, Köln, 614 Seiten, broschiert, 49,80 DM

Florian Tennstedt: Porträts und Skizzen zur Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Kassel, 602 Seiten (Bezug über den Autor: Professor Dr. Florian Tennstedt, Gesamthochschule Kassel, Fachbereich 4/Sozialwesen, Heinrich- Plett-Straße 40, 3500 Kassel)

Habilitation anno '85

Unbemerkt von der nichtuniversi- tären Öffentlichkeit vollzieht sich an den medizinischen Fakultäten unseres Landes die Heranbildung der Wissenschaftler und Professo- ren des Jahres 200ö.

Mit welcher Akribie und Sorgfalt dabei vorgegangen wird, dafür ist die nachfolgende, durch Zufall bekannt gewordene fachliche Stellungnahme aus einem aktuel- len Habilitationsverfahren ein sehr schönes Zeugnis.

Spectabi 1 ität,

gerne komme ich Ihrem Wunsch nach, ihrer Fakultät ein Gutachten über die von Herrn F. vorgelegte Habilitationsarbeit über das The- ma: „Der Einfluß der Schuhfarbe auf den Krümmungsradius des Ta- lo-Cruralgelenkes bei den Bewoh- nern tropischer Regenwälder in Untervolta" zu erstellen.

Habla bla bla modenta fil opoco bla Johnson (J. comp., 7, 3, 1922) ragazzo 44° N. Terapo popofino bla portas in annuni bla bla aha:

Fisher et al. so ploplo bla bla fil fil pfett-pfett (p>0.005!) ha ha ipse in sono caraciola. F. bla bla hmm pffet pfffet Flop (p = 0.5). Hm, hm, pfett pfffeet bla bla sch sch mmh bla bla pfft pffft onnbar rrrrrrr zi- quirt bla 43 autopfot 67 annuni atala o atali. Hm, bla bla atatürk, filfil mh-mmh, hm-hm 54 ± 54, Bla bla Hager (Clin. invest., 12, 3, 1982), sodopu bla, 000h, allzut fausch, hm, mmpso filfil an bla

bla. Pffffeeeet!

Die befremdliche Frage eines Mit- gliedes Ihres Habilitationsaus- schusses, ob es sich bei der Ar- beit überhaupt um Wissenschaft handelt, ist damit wohl überzeu- gend beantwortet.

Auch wenn die Aussagen von Herrn F. durch die Tatsache ein- geschränkt werden, daß die Be-

wohner tropischer Regenwälder in Untervolta nur barfuß gehen, so hat doch die sorgfältige statisti- sche Aufarbeitung des Materials und der sozialchirurgische Ansatz bei der Problemerfassung ge- zeigt, daß es im Prinzip möglich sein dürfte, diese unter epidemio- logischen Gesichtspunkten au- ßerordentlich wichtige Frage zu beantworten, wenn die Proban- den erst einmal Schuhe tragen werden. Die Untersuchungen sind

DÄ-Karikatur: Peter Bensch, Köln

methodisch anspruchsvoll, die Li- teratur ausgiebig berücksichtigt, die Befunde werden kritisch dis- kutiert, so daß ich der hohen Fa- kultät in T. die Annahme der Ar- beit uneingeschränkt empfehlen kann.

Mit kollegialer Hochachtung Ihr

P.S.: Aufgrund des Gutachtens wurde Herr F. zum Doktor med.

habil. promoviert. Er erhielt wenig später die Venia legendi für das Fach „Experimentelle Sozialpe- dologie". Rudi von Poldenko 1236 (24) Heft 17 vom 24. April 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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