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Archiv "„... nicht sterben als entmündigtes Objekt der Medizin„: Dasselbe Buch" (30.01.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Sterben und Tod

unangefochten bleiben sollten:

1. Nolls Text, befürchtet Herr Speck, könnte ein Lehrbuch der „non-com- pliance" werden. Wer aber mit der Autonomie der Pa- tienten ernst macht, muß auch dulden, sogar begrü- ßen, wenn der Patient sich die medizinischen Rat- schläge anhört und dann selber entscheidet, ob er sie befolgt, abändert oder ablehnt. Nur muß der Pa- tient aufrichtig genug sein, dem Mediziner seine Ent- scheidung mitzuteilen.

Und das war Peter Noll ge- genüber seinen Ärzten in höchstem Maße.

2. Herrn Specks neuge- prägtes Konzept eines

„protrahierten Freitodes"

ist widersprüchig: Die Al- ternative zum Freitod ist weiterleben. Wer hingegen Krebs hat und eine ver- stümmelnde Operation mit 35 Prozent Heilungschan- cen ablehnt, entscheidet nicht ob, sondern nur wie er dem ihm wahrscheinlich bevorstehenden Tod ent- gegenleben will. Distanzie- rung oder Ablehnung von mutilierenden, risikorei- chen und überwiegend er- folglosen Therapien sind durchaus zu verstehen und als Alternativen für den Krebskranken zu respek- tieren. Da kann sich keiner ein Urteil darüber anma- ßen, ob der Wunsch des Patienten, den unbeein- flußten Verlauf der Krebs- erkrankung abzuwarten, verwerflicher ist als die Zu- stimmung zu einem Dasein mit künstlichem Urinab- fluß, Verlust der sexuellen Potenz, prognostischer Unsicherheit und Erdulden von belastenden Nachbe- handlungen.

3. „Die MediZin ist aber doch eine exakte Wissen- schaft", schreibt Speck.

Die Medizin kann schon deswegen nicht exakt sein, weil ihre Ausübung in nicht geringem Maße vom Pa- tienten abhängig ist, des-

sen Wünsche, Werte und Unberechenbarkeiten ein zwar essentieller jedoch wissenschaftlich nicht er- faßbarer Teil des medizini- schen Handelns ist und bleiben wird. Die Medizin ist nämlich eine praktische Wissenschaft, deren Ziel nicht in der Akkumulation von Wissen, sondern in der effizienten Behandlung liegt: Gerade weil die Me- dizin eine Wissenschaft des Individuellen ist, kann sie eine ausgeprägte Wert- bezogenheit und eine in- härente Fallibilität nicht vermeiden, was ihr jeg- lichen Anspruch auf Exakt- heit grundsätzlich ab- spricht.

Im Grunde genommen ist Peter Nolls Buch paradig- matisch für zwei anerkann- te medizin-ethische Prinzi- pien:

a) Die Mündigkeit — Auto- nomie — des Patienten, der selber die Risiko/Nutzen- Analyse seiner Krankheits- situation zu bewerten hat;

b) die Möglichkeit ster- bender Patienten, den Ver- lauf ihrer letzten Zeit sel- ber zu bestimmen. Diesbe- züglich ist es verwunder- lich, daß Herr Speck die Neigung, den noch verblei- benden Lebensabschnitt zu gestalten, ins Lächer- liche zieht und dabei zahl- reiche thanatologische Studien vergißt, die zwei- erlei belegen:

1.) Der Tod wird in der mo- dernen Gesellschaft ver- borgen, verschwiegen und verheimlicht;

2.) Das Sterben vollzieht sich allzu oft in Anstalten, wo Einsamkeit und Abhän- gigkeit den Tod unnötig grausam werden lassen.

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte kann man es nur begrüßen, wenn ein Patient artikuliert genug ist, um die Medizin kritisch zu betrachten. Auch wenn die Kritik ablehnend ist,

sollte sie uns Ärzten als Korrektiv immer willkom- men sein.

Dr. Michael Kottow Im Langen Hau 33 7000 Stuttgart 80

Dasselbe Buch

Max Frisch stellt die alles dominierende Entschei- dung des Freundes an den Anfang der Totenrede. Ei- ner Anklage gleich trifft uns dieser Satz in Peter Nolls „Diktate über Ster- ben und Tod". Wenn hier ein Betroffener offen und rückhaltlos seine subjekti- ve Entscheidung be- schreibt, erlaubt das Medi- zinern von Fatalismus und Naivität zu sprechen? Ist die beschriebene Non- Compliance nicht statt dessen eine Herausforde- rung an uns Ärzte?

Ein Krebskranker mißt sei- ne Vorstellung von Le- bensqualität an den ihm angebotenen Lebens- und Überlebenschancen. Er macht sich und seine Be- findlichkeit zum Mittel- punkt der Überlegungen, vertraut sich nicht der aus Befunden und Therapie- schemata errechneten Prognose an. Er hofft auf einen schnellen, würdevol- len Tod, dem er den Vor- zug gibt vor Lebensbe- schränkung mit unsiche- rem quantitativem Aus- gang. Diese desillusionier- te Form der Hoffnung, der Entschluß Peter Nolls muß ernst genommen werden.

Nicht etwa deshalb, weil Gefahr droht, daß das Buch als „Lehrbuch der Non-Compliance" mit „fa- talem Werthersyndrom"

mißverstanden wird; einer Zeitbombe gleich, die alle Fortschritte und Erfolge in der Krebstherapie auslö- schen könnte. Die Gewis- senhaftigkeit und der Ernst, mit denen sich Peter Noll nicht nur mit seinem persönlichen Schicksal

auseinandersetzt, sondern über viele Aspekte unserer Gesellschaft reflektiert, sprechen gegen solche Befürchtungen. Ernst ge- nommen werden muß die Konsequenz, mit der ein Kranker sich Diagnose,

Therapiemöglichkeiten und Prognose stellt, um sich dann jedem therapeu- tischen Eingriff zu entzie- hen.

Bestürzend deutlich wird in dem Buch die Situation des isolierten Menschen unserer Gegenwart. Nolls Abwägen zwischen Le- bensquantität und -quali- tät, die Frage nach Ästhetik und Würde des Sterbens schließt zu keinem Zeit- punkt Reflexionen über ei- ne tragfähige Bindung oder Gemeinschaft ein, die ein Leben mit reduzierter Lebensqualität und ein längeres Leiden erst er- träglich machen könnten.

In den letzten hundert Jah- ren hat die Medizin unvor- stellbare Erfolge errungen.

Wird mit diesem Buch nicht auch die Frage nach dem Stellenwert des Indivi- duums in diesem fast grenzenlos Machbaren ge- stellt?

Bleibt in Praxis und Klinik heute noch genügend Zeit für die Ärzte, die individu- ellen Vorstellungen vom Leben der betroffenen Pa- tienten an den Nebenwir- kungen des notwendigen Therapiespektrums zu messen? Kann nicht ärzt- liche Führung nur erwach- sen aus der Kenntnis von Befindlichkeit, Ängsten und Bereitschaft zu Ein- schränkungen der Patien- ten?

Der Verlust von Potenz, das Leben mit künstlicher Harnableitung — vielen Pa- tienten wird das zumutbar erscheinen angesichts ei- nes voraussehbaren, na- hen Sterbens. Diese Pa- tienten haben Anspruch auf jede erträgliche Mög- lichkeit einer Lebensver- längerung.

226 (10) Heft 5 vom 30. Januar 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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Magnesiocard®

Streßabschirmung

Calcium-Antagonismus

Lipidsenkung

Magnesiocarde Verla-Pharm

Zusammensetzung: 1 Kapsel/1 lackierte Tablette/1 Amp. i.m. zu 5 ml enthalten:

Magnesium-L-aspartat-hydrochlorid-trihydrat 614,8 mg, Magnesium-Gehalt: 5 mval (2,5 mmol). 1 Ampulle i.v. zu 10 ml enthält: Magnesium-L-aspartat-hydro- chlorid-trihydrat 737,6 mg, Magnesium-Gehalt: 6 mval (3 mmol). 5 g Granulat zum Trinken (1 Beutel) enthalten: Magnesium-L-aspartat-hydrochlorid-trihydrat 1229,6 mg, Magnesium-Gehalt: 10 mval (5 mmol). Verdauliche Kohlenhydrate 3,1 g.

Indikationen: Zur Behandlung des primären und sekundäien Magnesium-Mangel- Syndroms, besonders zur Prophylaxe und Therapie der durch Magnesiummangei und Streß bedingten Herzerkrankungen. Bei Magnesium-Mangelzuständen, z. B.

infolge Fastenkuren, Hypercholesterinämie, Arteriosklerose, Leberzirrhose, Pan- kreatitis, Schwangerschaft, Stillzeit, Einnahme östrogenhaltiger Kontrazeptiva, zur Calciumoxalatstein-Prophylaxe.

Kontraindikationen: Exsikkose, Niereninsuffizienz mit Anurie.

MAGNESIOCARD,, Ampullen sollen nicht angewandt werden bei AV-Block, Myasthenia gravis.

Die Injektion von MAGNESIOCARD® bei gleichzeitiger Herzglykosid-Therapie ist nur in Fällen von Tachykardie bzw. Tachyarrhythmie angezeigt.

Nebenwirkungen: Ampullen: Bradykardie, Überleitungsstörungen, periphere Ge- fäßerweiterungen.

Handelsformen und Preise: Kaps.: 25 DM 10,34, 50 DM 19,72, 100 DM 35,51.

Tabl.: 25 DM 10,09, 50 DM 19,37, 100 DM 34,70. Granulat zum Trinken: Btl.: 20 DM 13,46, 50 DM 30,02, 100 DM 50,39. Amp. i.m.: 2 DM 3,89, 5 DM 8,68. Amp.

i.v.: 3 DM 6,91, 10 DM 20,63.

Aber den gleichen An- spruch auf Respektierung ihres Begriffes von Le- bensqualität und früherem Tod haben die anderen Pa- tienten. Nur dafür gibt das Buch sein Votum. Daß Ak- zeptanz auch möglich sein muß, wenn der Patient ge- gen Minderung seiner Vor- stellung von Lebensquali- tät entscheidet, nachdem er mit den Folgen von Nichttherapie vertraut ge- macht wurde.

Als Ärzte sind wir nicht in der Lage, Curatoren der Vereinzelung, der Hoff- nungslosigkeit und des Unvermögens von Leiden- und Sterbenkönnen zu sein. Aber wir können Bü- cher wie die „Diktate über Sterben und Tod" als Para- meter ärztlichen Handelns nutzen. Beim Lesen der Rezension von Dr. Reiner

SICHERHEITSGURT

Zu dem Leserbrief „Gurt- pflicht überdenken", von Heinz Fielstette, in Heft 43/1984, Seite 3140:

Infarkte selten

Diese Expectoration ist das Dümmlichste, was mir in diesem Zusammenhang je vorgekommen ist. Man braucht die einzelnen Punkte gar nicht anzuspre- chen. Erstmals lese ich, daß seit Einführung der Si- cherheitsgurte die Ver- kehrsunfälle erschreckend angestiegen sind. Gemeint ist: als Folge. Seit Einfüh- rung der Gurte habe ich sie benutzt und auch die Per- sonen auf dem Beifahrer- sitz dazu angehalten. Mei- ne damals über 80jährige Mutter sträubte sich dage- gen, bis sie merkte, daß sie unter dem Gurt doch noch Luft holen konnte. Ich selbst habe mich nie be- einträchtigt gefühlt. Bei meinem einzigen Ver-

Speck stellt sich für mich die Frage, haben wir wirk- lich dasselbe Buch gele- sen?

Dr. med. Ute Otten Claudiusweg 10 5600 Wuppertal 1

Schlußwort

Die Fülle der Invektiven — meist ohnehin auf Mißver- ständnissen beruhend — läßt an dieser Stelle so- wohl für Peter Nolls Buch wie für dessen Rezension nur den Hinweis auf eine Ansicht Prousts zu: „In Wirklichkeit ist jeder Le- ser, wenn er liest, ein Le- ser nur seiner selbst."

Dr. med. Reiner Speck Dürener Straße 252 5000 Köln 41

kehrsunfall, als es auf der Kantonalstraße Nähe Mar- tigny im Wallis zu einer

Teil-Frontalkarambolage mit Aufriß der linken Wa- genseite bei Fremdver- schulden kam, wären mei- ne Tochter und ich auf dem Beifahrersitz ohne den Schutz des Gurtes be- stimmt nicht unbeschädigt geblieben.

Wie steht es denn mit dem

„Streß und Distreß" beim Anschnallen im Flugzeug beim Starten und Landen, bis „hin zu organischen Schäden"? Ich habe nur gelesen, daß insbesondere die Schwere der Verlet- zungen und Zahl der To- desfälle durch den Gurt verringert werden. Herzin- farkte am Lenkrad sind meines Wissens ohnehin eine Seltenheit ...

Dr. med. Johannes Braun Matthis-Grünewald- Straße 57

4600 Dortmund

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT BRIEFE AN DIE REDAKTION

VERLA-PHARM 8132 TUTZING

228 (12) Heft 5 vom 30. Januar 1985 82. Jahrgang

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