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Mehr Kinder und Jugendliche mit MS

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Mehr Kinder und Jugendliche mit MS

Montag, 11. Mai 2015

Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass die MS auch bei Jugendlichen und Kindern vorkommen kann und unterschätzt wird. Diese tritt häufiger auf als bisher ange- nommen und die Diagnose wird in 10% der Fälle vor dem 20. Lebensjahr gestellt.

Die MS-Diagnose bei jungen Menschen wird, wie bei Erwachsenen, aufgrund von ty- pischen Symptomen und in entsprechenden Untersuchungsresultaten gestellt. Ob- wohl die zur Verfügung stehenden Medikamente zur Behandlung der MS nicht aus- drücklich an Kindern geprüft wurden, werden diese auch bei jungen Betroffenen mit gutem Erfolg und ähnlichem Nebenwirkungsprofil eingesetzt.

MS bei Kindern und Jugendlichen – eher unterschätzt

Obwohl die MS zumeist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auftritt, weisen wis- senschaftliche Untersuchungen zunehmend darauf hin, dass die Erkrankung im jün- geren Alter häufiger auftritt als bisher angenommen. Immerhin wird die Diagnose MS in ca. 10% der Fälle vor dem 20. Lebensjahr gestellt, davon ca. 5% vor dem 16.

Lebensjahr. Wenngleich die Definitionen und Grenzziehungen uneinheitlich sind, lässt sich eine Manifestation der Erkrankung vor dem 10. Lebensjahr (sogenannte

«True Childhood MS») von einem sehr viel häufigeren Auftreten zwischen dem 10.

und dem 16. Lebensjahr («juvenile oder jugendliche MS») unterscheiden, wobei hier der Altersgipfel nach der Pubertät liegt. Die Geschlechterverteilung vor der Pubertät ist annähernd ausgeglichen, während der Anteil der Mädchen nach der Pubertät deutlich höher ist.

Auch bei Kindern und Jugendlichen handelt es sich bei der MS um eine chronisch- entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems: Es kommt zu schubartigen Symptomen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten an verschiedenen Stellen im Zen- tralnervensystem ausgelöst werden. Dementsprechend basiert die Diagnosestel- lung, wie bei Erwachsenen, auf der Anamnese (Krankengeschichte), dem Vorhan- densein typischer Symptome sowie auf Auffälligkeiten im Hirnwasser (Liquor) und bei der Bildgebung des Gehirns mittels Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT).

Entwicklungsbedingte Unterschiede zu Erwachsenen

Aufgrund der Vielfalt der möglichen Symptome wird MS als «die Krankheit mit 1000 Gesichtern» bezeichnet. Besonders bei Heranwachsenden zeigt sich das Krankheits- bild häufig noch vielschichtiger als bei Erwachsenen. Nicht selten treten hier ver- schiedene Symptome gleichzeitig auf. Dementsprechend ist bei der Diagnosestel- lung bei Kindern und Jugendlichen an eine Vielzahl anderer möglicher Erkrankungen zu denken, die für diese Altersgruppen spezifisch sind: solche, die neuroimmunolo- gischen (also die Immunabwehr betreffend), neurometabolischen (den Stoffwechsel

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der Nervenzellen betreffend) oder infektiösen (erregerbedingten) Ursprungs sind, ähnliche Merkmale aufweisen und daher schwierig zu differenzieren sind. So ist die sogenannte Akute Disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) eine der häufigsten Krankheiten, die ähnliche Symptome wie die kindliche MS hervorruft und ausge- schlossen werden muss.

Auch finden sich bestimmte Symptome, wie Augenbewegungsstörungen und das Zittern bei zielgerichteten Handlungen (Intentionstremor) bei Heranwachsenden e- benfalls häufiger als bei Erwachsenen. Dagegen lassen sich im Unterschied zu Er- wachsenen bei Kindern mit MS in der Anfangsphase insgesamt weniger Läsionen (Vernarbungen) im MRT-Bild feststellen. Dies kann damit zusammenhängen, dass das junge Zentralnervensystem ein hohes Regenerationspotenzial gegenüber im- munologischen Angriffen vorhalten kann. Wichtig ist auch, dass Kinder fast aus- schliesslich einen schubförmigen MS-Verlauf aufweisen. Dieser geht nach ca. 15 bis 20 Jahren in einen sekundär-chronischen Verlauf über, der durch eine schleichende Zunahme der Symptome ohne klar voneinander abgrenzbare Schübe gekennzeich- net ist. Dies bedeutet, dass Kinder zwar eine längere Spanne zwischen Erkrankungs- beginn und chronischer Behinderung überbrücken, diese jedoch um durchschnitt- lich 10 Jahre früher erreichen als Betroffene, deren MS-Erkrankung erst nach dem 18. Lebensjahr ausbrach.

Entwicklung der Leistungsfähigkeit

Zunächst sei festgehalten, dass die Gehirnentwicklung mit der Geburt bei Weitem noch nicht abgeschlossen ist. Vielmehr werden erst durch Erfahrung und andere Umwelteinflüsse die einzelnen Nervenzellen allmählich so miteinander vernetzt, dass eine optimale Funktionstüchtigkeit hergestellt wird. Damit z. B. ein Gegenstand erkannt und auch benannt und dessen Bedeutung zu anderen Gegenständen einge- schätzt werden kann, muss eine Vielzahl unterschiedlicher Nervenzellen im Gehirn möglichst rasch miteinander kommunizieren. Hierzu «vernetzen» sich ganze Ner- venzellverbände. Das Myelin, die Schutzhülle der Nervenfasern, spielt dabei eine entscheidende Rolle: Es dient der ungehinderten Verbindung verschiedener Hirn- areale und ermöglicht dies auch in einer besonders schnellen zeitlichen Abfolge.

Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass sich dieser Vernetzungs- prozess in bestimmten Hirnarealen teilweise bis ins junge Erwachsenenalter hin- zieht. Dementsprechend kann eine MS-bedingte Störung dieses Prozesses durch die teilweise oder vollständige Beschädigung der Myelinhülle ernsthafte Konsequenzen für die Betroffenen haben. So kann es auch bei Kindern durch diese Prozesse zu Be- einträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit kommen. Häufig zeigt sich das, wie auch bei Erwachsenen mit MS, in Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörun- gen sowie in Störungen der Merkfähigkeit und der Schnelligkeit im Denken.

Im Gegensatz zu den Erwachsenen scheinen bei Kindern und Jugendlichen mit MS aber auch die sprachlichen Funktionen beeinträchtigt zu werden. Dies mag daran

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liegen, dass das Erlernen der Sprache mit dem Erreichen eines bestimmten Umfan- ges des Wortschatzes längst nicht abgeschlossen ist, sondern dass gerade die

sprachlichen Feinheiten eine besondere Anforderung an die Vernetzung des Ge- hirns und an die Denkgeschwindigkeit stellen. Dies alles zusammen kann bei betrof- fenen Kindern und Jugendlichen zu teilweise deutlichen Leistungseinbrüchen im Schul- und Ausbildungsleben führen. Umso wichtiger ist es, dass die Betroffenen selbst oder die Eltern und Lehrer handeln, wenn ihnen bestimmte Schwächen auf- fallen. Es ist dann ratsam, leistungspsychologische Untersuchungen durchzuführen sowie Hilfestellungen und Fördermassnahmen einzuleiten.

Diese Massnahmen sollten sowohl direkt bei den jungen Betroffenen ansetzen (z. B.

in Form besonderer schulischer und sportlicher Förderung) als auch bei den nahe- stehenden Angehörigen (Eltern, Geschwistern, Freunden), um hier ein Verständnis für die Situation zu wecken. Bei besonderen Problemen ist es hilfreich, wenn die ge- eigneten Lösungsstrategien gemeinsam erarbeitet werden. Im Einzelfall können Ge- spräche mit dem Schulpsychologischen Dienst und familientherapeutische Beratun- gen eine wertvolle Hilfe leisten. Glücklicherweise kann davon ausgegangen werden, dass das Regenerationspotenzial von Kindern und Jugendlichen wohl deutlich höher ist als bei älteren Erwachsenen und deshalb therapeutisch-rehabilitative Förder- massnahmen hier auf besonders fruchtbaren Boden fallen.

Derzeit gibt es noch keine speziellen Studien, bei welchen die etablierten Behand- lungsmöglichkeiten von MS bei Kindern und Jugendlichen systematisch untersucht wurden. Dementsprechend orientiert sich die Therapie im Wesentlichen am selben Behandlungskonzept wie bei erwachsenen Patienten. Hierbei richtet sich das Be- handlungskonzept nach der Verlaufsform der Erkrankung. Hier gibt es nach wie vor für die schubförmige MS die weitaus vielfältigeren Behandlungsalternativen, wenn- gleich mit Hochdruck auch an der besseren Behandelbarkeit der chronisch progre- dienten MS geforscht wird. Wie bei Erwachsenen gilt auch hier, dass eine konse- quente und umfassende, d. h. sowohl medikamentöse als auch nicht-medikamentö- se Behandlung so früh wie möglich eingeleitet werden sollte, um bleibenden Behin- derungen oder hieraus erwachsenden Fehlhaltungen vorzubeugen.

Psychosoziale Probleme

Ein wesentlicher Aspekt, den es bei dieser Altersgruppe im Zusammenhang mit der MS zu berücksichtigen gilt, bezieht sich auf ihre besondere psychosoziale Entwick- lungsstufe. Uneingeschränkte Bewegungsfreiheit, Rollenidentität, aber auch schuli- sche Leistungsentwicklung und Autonomiestreben sind Bedürfnisse und Kompo- nenten einer gesunden psychologischen Entwicklung, die durch die MS-Erkrankung beeinträchtigt werden kann. Somit können sowohl schubausgelöste Veränderungen der Gehirnsubstanz sowie schubbedingte Fehlzeiten in der Schule gemeinsam dazu führen, dass Jugendliche mit MS objektiv schlechtere Schulleistungen erzielen und dadurch bedingt eine «Versagenshaltung» annehmen, die sich dann auch als Hemmschuh für die weitere Entwicklung herausstellt. Daneben können Fehlzeiten

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sowie Einschränkungen der Teilnahme an gemeinsamen Schul- und Freizeitaktivitä- ten auch eine mangelnde oder gar fehlende Anerkennung durch Gleichaltrige bewir- ken, die ihrerseits Stimmungstiefs und Rückzugstendenzen bei den betroffenen Ju- gendlichen nach sich ziehen kann. Darüber hinaus können Stimmungsveränderun- gen und durch die Müdigkeit (Fatigue) bedingte Leistungsknicks als direkte Folge der MS auftreten, was diese Probleme zusätzlich verstärken kann. Dies alles kann zu ei- nem sozialen Rückzug bis hin zu Depressionen führen.

Pubertät, Körperbild und MS

Während der Pubertät entwickelt sich mit den damit einhergehenden körperlichen Veränderungen auch ein neues Körperbild, welches die Heranwachsenden allmäh- lich integrieren müssen. Die Integration eines neuen Körperbildes erfordert aber vom Heranwachsenden auch eine Akzeptanz, d. h., den sich im Laufe der Pubertät sich verändernden Körper zu akzeptieren. Heranwachsende mit einer MS sind oft durch bestimmte Symptome eingeschränkt; sie fühlen sich nicht immer wohl in ih- rem Körper, vergleichen sich mit anderen Jugendlichen und können wegen be- stehender körperlicher Unzulänglichkeiten ein Gefühl der Enttäuschung erleben.

Dies kann sich verstärken, wenn ihr Körper hierdurch nicht den Idealvorstellungen entspricht. Auf diesem Weg kann ein beeinträchtigter Vorgang der Integration des neuen Körperbildes ähnlich einer Enttäuschung zu einer Art «Trauerreaktion » füh- ren, die durch widersprüchliche Gefühle wie «nichtwahrhaben wollen» (Verleug- nung), Wut aber auch Schuldgefühl nach sich ziehen kann. Somit bedarf es auch ei- ner Begleitung und Unterstützung, damit es zu notwendigen Anpassungen und schliesslich zu einer Akzeptanz kommt. Schliesslich ist es für die heranwachsenden MS-Betroffenen nicht einfach, die Verantwortung für eine lebenslange Behandlung ihrer Erkrankung zu übernehmen.

Herausforderungen für Eltern

Für alle Jugendlichen gilt, dass diese Lebensphase schwierig ist, da sie mit Autono- miebestrebungen und selbständigem Entscheidungsbedürfnis verbunden ist. Wie alle Heranwachsenden machen auch junge MS-Betroffene im Rahmen ihrer Persön- lichkeitsreifung einen Abgrenzungsprozess gegenüber ihren Eltern durch. Somit ist diese Phase häufig ohnehin von Stimmungsschwankungen und schulischen Lei- stungsveränderungen gekennzeichnet. Gerade deshalb ist es für die Betroffenen, a- ber auch für ihre Eltern nicht einfach, die MS-bedingten Störungseinflüsse von den entwicklungsbedingten und damit «normalen» Leistungsveränderungen der Jugend- lichen zu unterscheiden. Dies schafft bei den Eltern von Betroffenen eine besondere Verunsicherung, die sich in derartigen Aussagen verdichtet wie «will er nicht oder kann er nicht?». Hier ist wichtig festzuhalten, dass häufig beide Faktoren zusammen- wirken, also sowohl die besondere Lebensphase, die bei Jugendlichen durch das Streben nach Selbständigkeit gekennzeichnet ist als auch die MS-bedingten Verän- derungen, die ihrerseits zu Einschränkungen führen können, die psychologisch nicht immer sicher von einer «Antihaltung» zu unterscheiden sind.

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Gemeinsam stellen diese Schwierigkeiten für die Betroffenen eine bedeutsame Hür- de in ihrer psychosozialen Entwicklung dar. Wichtig ist, dass man sich dieser Zusam- menhänge bewusst ist und den betroffenen Heranwachsenden frühzeitig Unterstüt- zungsmassnahmen anbietet. Eltern sollten einerseits verstehen, dass hinter einem

«Nicht-Wollen» nicht immer eine teenager-typische Verweigerungshaltung steckt, sondern manchmal auch ein krankheitsbedingtes «Nicht-Können». Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass chronisch kranke Heranwachsende auf dem Weg z- um Erwachsen werden einerseits Turbulenzen erfahren, wie sie für die Lebenspha- se der Adoleszenz typisch sind, andererseits durch ihre Erkrankung in vielfacher Hinsicht einen psychologischen «Mehraufwand» erbringen müssen, um diese Phase erfolgreich zu bewältigen. Dementsprechend gilt es, sie dabei partnerschaftlich und ihnen mit Zuversicht und Hilfestellung zu begegnen. Andererseits sollen Eltern ihre Kinder aufgrund ihrer Erkrankung auch nicht zu überfürsorglich-behütend behan- deln. Hier die richtige Balance zu finden, ist nicht immer einfach und erfordert manchmal psychologischen Rat, den Eltern und Pädagogen nicht scheuen sollten.

Text: Prof. Dr. Pasquale Calabrese, Berater für Psychotherapie, Neuropsychologie und Verhaltensneurologe bei der Schweiz. MS-Gesellschaft

Schweiz. MS-Gesellschaft, Josefstrasse 129, Postfach, CH-8031 Zürich Tel. 043 444 43 43 | info@multiplesklerose.ch | www.multiplesklerose.ch

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