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Archiv "Brief aus Italien: Zu wenig und zu viel .. ." (15.02.1990)

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DEUTSCHES

111Mitialdalfflill

ÄRZTEBLATT

Kürzungen auf dem Gebührensektor jammernde Doktor außerordentlich extravagant Urlaub machen kann, den ein von gastrointestinalen Stö- rungshemmern und Beta-Blockern finanzierter Tester exclusive für ihn vorschläft und vorschlemmt

Brauchen eigentlich die Ärzte Heerscharen von Testern, um zu wis- sen, was in Medizinerkreisen fein und vornehm ist?

Verteuern die von der Pharma- reklame finanzierten Exclusivetester der Gratisnobeljournale das Ge- sundheitswissen, was die Medien all- gemein den Ärzten ankreiden, nicht ganz gewaltig?

Können die Luxusvorschläfer und -vorkauer auch nach der Fest- preiseinführung noch um die Welt jetten, um die Arzte zu informieren, ob man beim Dinieren mit meerum- spülten Popo Schnupfen bekommt, der, wenn durch doxycyclinempfind- liche Erreger verursacht, mit Siga- muc behandelt werden kann, das, weil Schnupfenmittel, der schnup- fende Patient bezahlen muß?

Der letzte Ton des Angelusläu- tens ist verklungen. Droben am azur- blauen Himmel, gleich hinter der Dampfwolke des Kühlturms, fliegt kein Engel, sondern ein Jumbojet.

Der Geruch vom aufgewärmten Sau- erkraut ist Gestank von verkohltem Sauerkraut geworden, womit erwie- sen ist, daß Kohl ungleich Kraut ist.

Sowas entdeckt, wer beim Kochen philosophiert.

Vielleicht sollte ich anfangen, Müsli und Körner zu essen? Bisher war ich kein Gesundheitsapostel, kein Antialkoholiker, kein grüner Ideologe, kein roter oder schwarzer Fanatiker — nicht mal ein Mediziner, sondern die am 15. jeden Monats Gehälter und am 10. jeden dritten Monat Einkommensteuer voraus- zahlende, im übrigen zu Sparsamkeit angehaltene Ehefrau des abdanken- den Kassenarztes Nummer 5883520, der bei der Quartalsabrechnung viel- leicht noch Kürzungen wegen ir- gendwelcher Sigmaüberschreitung verkraften muß.

Anschrift der Verfasserin:

Trudel Menne Bergstr. 24 7892 Albbruck

Brief aus Italien

Zu wenig

und zu viel .. .

Leitende Ärzte der Kliniken der römischen Universität La Sapienza und des Schwerpunktkrankenhauses Spallanzani in Rom berichteten, daß sie in den ersten Wochen des neuen Jahres im Durchschnitt täglich etwa dreißig AIDS-Patienten abweisen mußten. Die Gründe: Es fehlen Pfle- gekräfte — in diesen Kliniken zur Zeit 73 —, es fehlen 250 Betten, und der staatliche Gesundheitsdienst ist nicht in der Lage, ausreichend Mate- rial für ELISA- und Western Blot- Tests zu liefern. Und AZT ist alle.

Physisch stehen zwar die fehlenden Betten in den Krankenzimmern, aber sie können wegen des Personal- mangels nicht belegt werden. Profes- sor Fernando Aiuti, Lehrstuhlinha- ber für Klinische Immunologie an der Sapienza („Weisheit"), kündigte an, daß er das Rote Kreuz und die Armee um Hilfe bitten werde.

Ärztestreiks - und noch mehr Rauchverbote

Das hat nichts damit zu tun, daß nach den Bankbeamten (ein Chaos gerade zur Weihnachtszeit!) nun auch verschiedene Ärztegruppen wieder einmal Zwei-Tage-Streiks durchgeführt haben. Den Initiatoren geht es darum, daß es endlich zu Verhandlungen über die Verträge kommen muß, die schon seit vielen Monaten abgelaufen sind. Aber es war hauptsächlich eine der drei Ärz- tegewerkschaften, die den Streik be- trieb; die anderen beiden konkurrie- renden Organisationen machten nicht mit. Und auch die streikende Organisation, die Cosmed, hatte die Aktion so angelegt, daß Notfalldien- ste und die Versorgung schwerer Fälle sichergestellt blieben, wobei zu den „schweren Fällen" ausdrücklich auch die derzeit in Italien grassieren- de „englische" Grippe gezählt wur- de. Die anderen Gewerkschaften hatten sich an der Aktion deswegen nicht beteiligt, weil der zuständige

Minister für öffentliche Arbeiten für die folgende Woche bereits zu einem Vertragsgespräch eingeladen hatte.

Einen Streik veranstalteten auch die öffentlich angestellten Veterinäre — aber der war auch eher ein Schlag ins Wasser, weil die Streikleitung im In- teresse der Bevölkerung die Fleisch- beschau ausdrücklich ausgenommen hatte. Aber was machen Veterinäre im öffentlichen Dienst sonst noch?

An den Zollämtern gab es ein paar Schwierigkeiten bei den Fleisch- und Tiereinfuhren.

Von all dem unabhängig gab es Probleme auf den Liparischen In- seln, auch Äolische Inseln genannt.

Auf der Hauptinsel Lipari steht das einzige Krankenhaus, das auch für Vulcano, Stromboli und die anderen Mini-Inseln zuständig ist. Die Abtei- lung für Gynäkologie und Geburts- hilfe hatte längere Zeit keinen Arzt mehr. Nachdem der Chef in den wohlverdienten Urlaub gegangen war, erkrankte der Oberarzt, und der Assistenzarzt hatte längst seine Hochzeit geplant, wofür ihm auch Urlaub zusteht. Sechs Schwestern hielten den Betrieb aufrecht.

Der liberale Gesundheitsmini- ster De Lorenzo hat in einem Rund- schreiben an mehrere Amtskollegen sowie an Arbeitgeber- und Arbeit- nehmerverbände angekündigt, er werde sich bemühen, gesetzliche Re- gelungen gegen das Rauchen am Ar- beitsplatz durchzusetzen. Heute schon ist das Rauchen in den Publi- kumsräumen öffentlicher Gebäude und, wenn auch mit Einschränkun- gen, in Gaststätten nicht erlaubt.

Das will De Lorenzo, Arzt aus Nea- pel, nun weiter einschränken Er räumt in seinem Schreiben allerdings ein, daß ein solches Verbot nur durchgesetzt werden kann, wenn zu- vor eine gewisse öffentliche Akzep- tanz geschaffen worden ist, und er forderte deshalb besonders die So- zialpartner auf, sich dafür einzuset- zen.

Übrigens soll der Anteil der Raucher an der Gesamtbevölkerung von 1980 bis 1986 von 34,9 auf 29,3 Prozent zurückgegangen sein. Ta- bakwerbung ist in Italien seit eh und je verboten. Und zum Jahreswechsel sind die Zigarettenpreise wieder ein- mal erhöht worden; die populärste A-452 (28) Dt. Ärztebl. 87, Heft 7, 15. Februar 1990

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Sorte, die MS (Monopolio di Stato, ausgesprochen Emme Esse) kostet jetzt 2050 Lire, knapp 2,90 DM.

Pro Bein ein Arzt

Im Krankenhaus zu Montecchio in der Nähe des norditalienischen Reggio Emilia arbeiten zwei Chirur- gen, die einen landesweiten Ruf für bestimmte Operationen besitzen:

Professor Borsalino (er heißt wirklich so!) und sein Oberarzt Sevag Uluho- gian, ein naturalisierter Armenier. Ei- ne 78jährige Dame namens Desdemo- na Modi aus Parma hatte Empfehlun- gen für den Armenier gehört, als sie eine Gefäßoperation an beiden Un- terschenkeln benötigte, und sie verab- redete mit ihm die Operation. Der Chef teilte jedoch sich selbst für die Operation ein. Nun ist da keine Allge- meinnarkose vonnöten, und Signora Desdemona bemerkte, daß sie nicht vom Arzt ihres Vertrauens, sondern von dessen Chef operiert werden soll- te. Sie protestierte.

Hier kommt nun die ganze Pro- blematik der freien Arztwahl im Krankenhaus heraus: Der Chef muß die Arbeit gleichmäßig verteilen.

Und ohnehin trägt er die volle Ver- antwortung auch für das, was seine nachgeordneten Arzte machen (letz-

Bisher waren von AIDS haupt- sächlich Männer zwischen 20 und 50 Jahren betroffen. Im kommenden Jahrzehnt wird die Erkrankung mehr und mehr auf Frauen und Kinder übergreifen. Die ärmsten Länder der Welt werden am stärksten betroffen sein. Die Weltgesundheitsorganisa- tion (WHO) rechnet damit, daß al- lein in diesem Jahr weltweit zwei Millionen Frauen im gebärfähigen Alter von AIDS-Viren infiziert wer- den, davon 80 Prozent in Schwarzaf- rika. Kinder infizierter Mütter wer- den mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 bis 40 Prozent ebenfalls infi- ziert, entweder bereits während der Schwangerschaft oder bei der Ge- burt.

Angesichts dieser Prognosen könnten die medizinischen Erfolge

teres spielte hier, da beide für eine relativ leichte Operation gleich qua- lifiziert waren, nur die geringere Rolle, aber das ist nachher in der Presse ausführlich diskutiert wor- den). Um die Vergütung ging es we- niger — das bezahlte ohnehin der staatliche Gesundheitsdienst.

Signora Desdemona protestierte also: Sie wollte den Arzt ihres Ver- trauens. Prof. Borsalino kam in eine Autoritätskrise — nicht zuletzt, weil er und sein Oberarzt schon seit Jah- ren in einem in der ganzen Gegend bekannten Konkurrenzkampf liegen.

Es kam auf dem Op-Tisch zu einer salomonischen Entscheidung: Prof.

Borsalino operierte das rechte Bein, Dr. Uluhogian zur gleichen Zeit mit einer zweiten Equipe das linke.

Der Professor fand, daß das nicht nur dem Wunsche, sondern auch dem ureigenen Interesse der betagten Patientin entsprach — wur- de doch die Dauer ihrer Operation auf die Hälfte verkürzt, da beide Teams gleichzeitig arbeiteten. Signo- ra Desdemona hat sich zwar beim Ombudsman beschwert. Aber die Öffentlichkeit stellt eine ganz andere Frage: Jetzt werde man endlich her- ausbekommen, wer von den beiden Intimfeinden der bessere Operateur sei — welches (oder: „wessen") Bein heilt am schnellsten? bt

und Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte in vielen Ländern der so- genannten Dritten Welt während der kommenden Jahren zunichtege- macht werden. In dem am stärksten betroffenen Ländern wie etwa Ugan- da ergaben Umfragen in Kranken- häusern, daß etwa ein Viertel der schwangeren Frauen Trägerinnen der AIDS-Viren sind. Die Kinder- sterblichkeit stieg dort aufgrund der Immunschwächekrankheit um 38 Prozent. In Port-au-Prince auf Haiti sind 55 von hundert Säuglingen un- ter 18 Monaten HIV-positiv. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen rechnet die WHO damit, daß die Kindersterblichkeit in Schwarzafrika bis Mitte der neunziger Jahre um mindestens 50 Prozent zunehmen wird. In fünf Jahren werden in den

zentralafrikanischen Städten dreimal mehr Erwachsene an AIDS sterben als bisher. AIDS wird dort die häu- figste Todesursache überhaupt wer- den, schätzt die WHO. Das Anwach- sen der Sterberate wird schwere Fol- gen für die körperliche und seelische Gesundheit auch der Kinder haben, die nicht HIV-positiv sind. „Die Weltöffentlichkeit hat die Verhee- rungen noch nicht begriffen, die die- se Krankheit anrichten wird. Es be- steht die Gefahr, daß die Familien- strukturen, die in vielen dieser Län- der die einzige Sicherheit darstellen, vollkommen zusammenbrechen", warnt ein Mediziner

In Südamerika breitet sich AIDS mit ungeheurer Geschwindig- keit aus, insbesondere in den großen Städten wie Rio de Janeiro, Säo Pau- lo und Mexiko. Armut, Drogenkon- sum und die Lebensumstände in den Elendsvierteln fördern die Verbrei- tung des HIV-Virus, konstatieren die Arzte. In Südostasien, bisher we- niger stark betroffen, werden immer häufiger Fälle von AIDS registriert.

Insbesondere in Thailand, das als Paradies für Sextouristen gilt, über- tragen Frauen das Virus auf ihre Kinder.

Auch die reichen Industrienatio- nen werden nicht verschont. Allein in New York werden bis zum Jahr 2000 etwa 50 000 bis 100 000 Kinder zu Waisen werden, weil ihre Eltern an AIDS sterben. Auch in diesen Ländern hat die Krankheit ungeahn- te Ausmaße unter schwangeren Frauen angenommen In Miami ha- ben nach Informationen der WHO mehrere Entbindungskliniken 3,5 Prozent infizierte Mütter registriert.

In New York und Boston waren 3,1 Prozent beziehungsweise 1,7 Prozent der entbundenen Frauen HIV-posi- tiv. In Paris war in einigen Kranken- häusern jede hundertste Schwangere Trägerin des Virus.

„Die Gefahr, die über den Frau- en und ihren Kindern schwebt, ist ei- ne Tatsache. Sie müssen über die Auswirkungen dieser Krankheit in- formiert und vor allem bei Bluttrans- fusionen besonders geschützt wer- den, da sie es sind, die die meisten Blutreserven erhalten", kommentiert Jonathan Mann, der das AIDS-Pro- gramm der WHO leitet. afp

AIDS: Zunehmend Frauen und Kinder betroffen

Dt. Ärztebl. 87, Heft 7, 15. Februar 1990 (29) A-453

Referenzen

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