• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Brief aus Italien: Kampf um den freien Beruf" (12.12.1974)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Brief aus Italien: Kampf um den freien Beruf" (12.12.1974)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Die parlamentarischen Arbeiten über den Entwurf der italienischen Regierung für eine Reform des Ge- sundheitswesens haben noch gar nicht begonnen — aber die ersten katastrophalen Auswirkungen einer noch gar nicht stattgefundenen Re- form werden schon sichtbar. Dabei gab es — wie bei der Verabschie- dung des Entwurfs bereits voraus- gesagt wurde (DEUTSCHES ÄRZ- TEBLATT, Heft 37/1974 — bis Mitte November gar keine Regierung, die sich um die parlamentarische Be- handlung der Reform hätte küm- mern können.

Kurz vor dem Rücktritt der Regie- rung trafen Gesundheitsminister Vittorino Colombo und die Reprä- sentanten des Verbandes der ita- lienischen Kassenärzte zu einer Diskussion über den Entwurf zu- sammen, die in den Gesprächsfor- men recht angenehm verlief, in der Sache jedoch nicht viel weiterführ- te. Die Kassenärzte — und eine nach dem Gespräch stattfindende Versammlung des Zentralkomitees des Verbandes bestätigte diese Haltung — sind zwar mit einer Re- form des Gesundheitswesens durchaus einverstanden, die einen staatlichen Gesundheitsdienst an die Stelle der tiefgegliederten ita- lienischen Krankenversicherung setzt. Sie sind aber nicht bereit, für diesen Gesundheitsdienst in einem Beamten- oder Angestelltenverhält- nis zu arbeiten, sondern verlangen die Beibehaltung ihrer Position als freiberufliche Vertragspartner. Da- bei sollten die Verträge selbstver- ständlich auf kollektiver Basis zwi- schen dem Gesundheitsdienst und den Vertretungen der Ärzte abge- schlossen werden.

Der durchaus verbindliche Ton des Kommuniquös über die Begegnung mit dem Gesundheitsminister und

BLICK ÜBER DIE GRENZEN

der Entschließung des Zentralko- mitees steht in einem ganz be- wußten Kontrast zu der Haltung, die die Organisationen der italieni- schen Ärzteschaft gegenüber dem Arbeitsminister Bertoldi einnehmen (Gesundheits- und Arbeitsmini- ster gehören beide der Christ- lich-Demokratischen Partei an).

Bertoldi hat mit unbedachten (?) Äußerungen schon vor längerer Zeit den Zorn der Ärzte auf sich gezogen, und er läßt keine Gele- genheit vorbeigehen, um seine Ab- neigung gegen die Freiberuflich- keit der Ärzte zum Ausdruck zu bringen. Fast am gleichen Tage, an dem die Konferenz mit Colombo stattfand, nahm der Vorsitzende des Verbandes der Allgemeinärzte eine Rede Bertoldis zum Anlaß, ihn der Verdrehung von Tatsachen und sogar verfassungswidrigen Han- delns zu bezichtigen.

Einheitsvertrag für das

gesamte Krankenhauspersonal Eine wichtige Rolle spielt dabei eine Auseinandersetzung, in der Bertoldi auch Partei ist, und die schon seit vielen Monaten läuft:

der Abschluß eines Tarifvertrages für die Krankenhäuser. Bertoldi übernahm die Taktik seiner christ- demokratischen und sozialistischen Vorgänger, die darin bestand, ei- nen einheitlichen Vertrag für das gesamte Krankenhauspersonal von den Ärzten bis zum Pförtner zu for- mulieren. Natürlich ist es eine der Zielsetzungen einer solchen Taktik, die Position der Ärzte zu schwä- chen. Aber es spielen auch andere Dinge eine Rolle, die insbesondere mit den Auseinandersetzungen in- nerhalb der tief untereinander und sogar in sich selbst zerstrittenen Richtungsgewerkschaften begrün- det sind, die sich seit Jahren zu

DAS BLAUE PAPIER

rung eindeutige Prioritäten zu set- zen. Dabei kommt dem Ausbau des Früherkennungsprogramms ein be- sonderes Gewicht zu. Bei dem ho- hen finanziellen Aufwand, der an- gesichts der Millionenzahl erfor- derlicher Untersuchungen mit je- der Erweiterung des Früherken- nungsprogramms verbunden ist, muß vor einer Ausdehnung des Programms auf Früherkennung weiterer Krankheitsarten in Modell- versuchen jedoch sorgfältig ge- prüft werden, ob die Früherken- nung einer bestimmten Erkrankung mit konkreten zusätzlichen Hei- lungschancen für den Versicherten verbunden ist und diese vom Versi- cherten auch tatsächlich genutzt werden können. Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch fi- nanziell vertretbar. Die Grenze der finanziellen Leistungsfähigkeit der Krankenversicherung erfordert vielmehr vor jeder Einführung neu- er Leistungen eine sorgfältige Prü- fung, ob dem dadurch entstehen- den Mehraufwand ein entsprechen- der Nutzen für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung ge- genübersteht.

Wenn als Voraussetzung für jede mit Kostensteigerungen verbunde- ne Weiterentwicklung der gesetzli- chen Krankenversicherung die Er- haltung bzw. Sicherung der finan- ziellen Leistungsfähigkeit der Soli- dargemeinschaft anerkannt wird, dann bedingt dies eine Neurege- lung in der Finanzierung der Rent- nerkrankenversicherung.

Ziel der finanziellen Neuordnung muß es daher sein, die Rentenver- sicherungsträger künftig an den tatsächlichen Ausgaben der ge- setzlichen Krankenversicherung für die Krankenversicherung der Rent- ner angemessen zu beteiligen. Ent- sprechend der Empfehlung der Sachverständigenkommission soll- ten die Krankenkassen dabei mit nicht mehr als 20 Prozent der Auf- wendungen belastet werden und dementsprechend die Rentenversi- cherungsträger mindestens 80 Pro- zent der Kosten übernehmen.

• Wird fortgesetzt

Brief aus Italien:

Kampf um den freien Beruf

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 50 vom 12. Dezember 1974 3633

(2)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Italien: Kampf um den freien Beruf

einer Einheitsgewerkschaft vereini- gen wollen, aber immer wieder da- mit scheitern.

Die Mehrzahl der ärztlichen Orga- nisationen hat diesen Einheitsver- trag für das gesamte Krankenhaus- personal von Anfang an abgelehnt;

von den größeren Organisationen hat bisher lediglich die ANAAO (Verband der Jung- und Assistenz- ärzte) den Entwurf unterschrie- ben. Die Verbände der Chefärzte und der Allgemeine Krankenhaus- verband lehnen ihn ab, ebenso aber auch das Syndikat der paramedi- zinischen Berufe und der Apothe- ker. Es gibt auch einen Verband, der Angehörige aller im Kranken-

haus vertretenen Berufe umfaßt und trotzdem gegen den Einheitsver- trag ist. Daß Krankenhausträger und Regierung angesichts eines solchen Durcheinanders auf der Seite ihrer Vertragspartner der Verzweiflung nahe sind, kann man verstehen.

Fünf Verträge gekündigt

Anfang November hat auf Initia- tive des Kassenarztverbandes die Föderation der italienischen Ärzte- kammern dem ohnehin nur noch geschäftsführend tätigen Arbeits- minister massiv den Krieg erklärt.

Die Föderation kündigte die bis zum 31. Dezember 1974 laufenden Verträge mit fünf zentralen Kran- kenversicherungen, in denen die Staatsbediensteten, die Beschäftig- ten der halbstaatlichen Körper- schaften und der Körperschaften des öffentlichen Rechtes, die Be- diensteten der staatlichen Elektrizi- tätsgesellschaft, die Kriegs- und Zi- vilbeschädigten und die Sebleute gegen Krankheit versichert sind.

Bertoldi sagte dazu, diese Kündi- gung sei ungesetzlich.

Die Vorgeschichte der Auseinan- dersetzung ist diese: In den letzten Jahren hatten diese fünf Kranken- kassen es allmählich erreicht, daß die Vertragsverhältnisse, die sie mit der Ärzteschaft unterhalten, dem Vertrag angeglichen werden, der zwischen der Föderation der

Ärztekammern und der italieni- schen Primärkasse, dem INAM, be- steht. Dieser Vertrag sieht zwar die Möglichkeit vor, daß die ärztliche Behandlung wahlweise nach dem Kostenerstattungs- oder dem Sach- leistungssystem gewährt wird; in den meisten Provinzen Italiens hat man sich jedoch beim INAM ein- vernehmlich mit den Ärzten für das Sachleistungssystem entschieden.

Erst in diesem Jahr gelang es auch der letzten dieser fünf Kassen — der der Staatsangestellten —, für ihre Versicherten das Sachlei- stungssystem durchzusetzen. Aller- dings enthalten die Verträge mit diesen fünf Kassen eine Bestim- mung nicht, die im INAM-Vertrag enthalten ist, nämlich eine automa- tische Honoraranpassung an be- stimmte Kriterien der Entwicklung der Lebenshaltungskosten.

Im August erließ die Regierung nun ein Dekret im Rahmen ihres Kon- junkturprogramms, das auch vom Parlament später bestätigt wurde, wonach bis zum Inkrafttreten der Reform des Gesundheitswesens die zwischen den Krankenkassen und ihren verschiedenen Partnern geltenden Verträge weiterlaufen sollen. Bertoldi legt das so aus, daß eine Kündigung damit verbo- ten sei. Dr. Poggiolini, Präsident des Verbandes der Allgemeinärzte, meint demgegenüber, dieses Ge- setz sei, wenn es so ausgelegt wür- de, verfassungswidrig. Und er kün- digte für den Dezember Aktionen und Streiks der Ärzte an.

Keine Honoraranpassung bei 23 Prozent Teuerung?

In der Tat wäre es unverständlich, wenn die Auslegung des Arbeitsmi- nisters richtig sein sollte. Am glei- chen Tage, an dem die Föderation der Ärztekammern die Vertrags- kündigung aussprach, teilte die Re- gierung mit, daß die Preisentwick- lung wieder eine Stufe erreicht habe, in der die in vielen Zweigen der italienischen Wirtschaft vor- handenen Mechanismen zur An- passung der Einkommen an die Preisentwicklung wirksam werden.

Beim Vertrag zwischen den Ärzten und dem INAM bedeutet das eine Anpassung der Honorare. Bei den fünf nun gekündigten Verträgen wäre eine solche Anpassung nicht erfolgt — sie hätten unverändert weiter gegolten, und ein Zeitpunkt für das Inkrafttreten einer Reform des Gesundheitswesens ist über- haupt nicht abzusehen. Nach Re- gierungsangaben lagen die Preise der Lebenshaltung Anfang Novem- ber 1974 um 23 Prozent über denen des gleichen Zeitpunktes des Vor- jahres.

Wenn es in den nächsten Wochen nicht zu einer Einigung kommt, dann wollen die Ärzte ab 1. Januar für die Versicherten der fünf betrof- fenen Kassen den vertragslosen Zustand erklären, was praktisch den Übergang zum Kostenerstat- tungssystem bedeutet. Gesund- heitsminister Colombo — auch nur geschäftsführend — hat allerdings den Eindruck entstehen lassen, daß er die Motive der Ärzte verstehe und bereit sei, zum Abschluß neuer Abmachungen beizutragen. Das Er- gebnis solcher Verhandlungen könnte allerdings ein Einheitstarif für alle italienischen Krankenkas- sen sein.

Am 23. November — fünfzig Tage nach dem Rücktritt des Minister- präsidenten Rumor — gelang es dem designierten neuen Regie- rungschef Aldo Moro, eine neue Ministerliste zusammenzustellen, die nun von den beiden Häusern des Parlamentes bestätigt werden müßte. Die Regierung rückt etwas nach rechts; nur Christdemokraten und Republikaner sind vertreten, aber erstmalig haben auch die Li- beralen eine Stützung von außen zugesagt. Für das Gesundheitswe- sen und die Ärzte allerdings dürfte sich nicht viel ändern: Zwar ist der Gesundheitsminister ein anderer, aber der neue Minister Gullotti stammt wie sein Vorgänger aus der Mittelgruppe der „Dorotei" inner- halb der Christlichen Demokraten

— und der neue Arbeitsminister Toros gehört wie sein Vorgänger Bertoldi dem linkesten Christdemo-

kratenflügel an. bt

3634 Heft 50 vom 12. Dezember 1974 DEUTSCHES ARZTEBLAIT

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Chris Ham, ein bekannter Theo- retiker in Gesundheitsfragen, faßte die Ziele der Regierung so zusam- men: „Das Ziel ist ein mehr plurali- stischer Staatlicher Gesundheits- dienst,

Abbildung 1 zeigt anhand ausgewählter Berufe, wer besonders häufig im Freien arbeitet: An erster Stelle befinden sich Hoch- und Tiefbauberufe (gesamt: 91 %, Männer: 98 %),

„Schicksalstag" für die rund 3070 Krankenhäuser und die mehr als 800 000 Mitarbeiter der Fachberufe im Krankenhaus aufgerückt: Bis zu diesem Stich- tag ist es nämlich

Das will De Lorenzo, Arzt aus Nea- pel, nun weiter einschränken Er räumt in seinem Schreiben allerdings ein, daß ein solches Verbot nur durchgesetzt werden kann, wenn zu- vor

Nach dem neuen Gesetz kann jedermann seine Entscheidung für oder gegen eine Organspende für den Fall seines To- des jetzt einem amtlichen Register mitteilen. Außerdem erfolgt eine

„Als der Hartmannbund dann 1949 wiederge- gründet worden ist, ist seine Wiedergründung von vornherein eine bewußt politische Entschei- dung gewesen." Jungmann macht damit

Steyr 6160 CVT Tractor

Interpretation der Thermografie – Aufnahmen und der Messwerte für Temperatur und relative Feuchte Aufgrund der vorliegenden Thermografie - Aufnahmen bei einer Aussentemperatur von