dergelassenen Ärzten im Einzugsbe- reich der Kliniken auch die stationä- re Behandlung ermöglicht werden.
Große Sorgen äußerten die Hartmannbund-Delegierten aus der ehemaligen DDR. Die „überfallähn- lichen" Kündigungen von Ärzten und Assistenzberufen in Polikliniken wurden kritisiert. Derzeit kommen auf einen Arzt vier bis sieben nicht- ärztliche Mitarbeiter; das sei auf Dauer nicht finanzierbar, erklärte
der thüringische Hartmannbund- Vorsitzende, Dr. med. Wolfgang Müller (Weimar). Ein umfassendes Sozialprogramm für nichtärztliche Mitarbeiter, denen Arbeitslosigkeit droht, wird unter Einschaltung der Maßnahmen der Arbeitsverwaltung für dringlich erforderlich gehalten.
Die Einzelleistungsvergütung und die Übernahme des EBM wer- den begrüßt. Aber auch in kommu- nalen poliklinischen Einrichtungen
müsse aus Mitteln der Krankenkas- sen eine mit den Leistungen korre- lierte Vergütung über die Kassen- ärztliche Vereinigung gezahlt wer- den.
Zur Förderung der Niederlas- sung müßten ERP-Mittel, Investiti- onszulagen und Mittel aus dem Ei- genkapital-Hilfeprogramm (EKH) der Bundesregierung unbürokratisch und unabhängig vom Alter vergeben werden. Dr. Harald Clade
90 Jahre Kampf für den freien Arztberuf
Am 13. September 1900 gründeten 21 Ärzte auf Initiative des damals 37jährigen Dr.
Hermann Hartmann (t 1923) in Leipzig den „Ver- band der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen", kurz „Leipziger Ver- band" und später nach seinem Initiator „Hart- mannbund" genannt. Mit diesem Namen erfolgte 1949 eine Neugründung: Der Verband der Ärzte Deutschlands (Hartmannbund) e. V., der nun im September im Bonner Maritim-Hotel das 90-Jah- re-Jubiläum beging. Den Festvortrag hielt Profes- sor J. F. Volrad Deneke, der Präsident des Bun- desverbandes der Freien Berufe und ehemalige Hauptgeschäftsführer des Hartmannbundes (nachstehend ein kurzer Auszug). Das „Deutsche Arzteblatt — Ärztliche Mitteilungen" ist dem Hart- mannbund übrigens auf besondere Weise ver- bunden. Im Untertitel „Ärztliche Mitteilungen"
setzt sich die Tradition des Hartmannschen Ver- bandsblattes fort, 1900 mit diesem Titel für El- saß-Lothringen gegründet, 1905 als offizielles Verbandsorgan für das ganze damalige Reichs- gebiet erweitert.
J. F. Volrad Deneke:
Das schnelle Wachstum des Hartmannbun- des, der 1903 bereits 9000 Mitglieder und bis zum Ende des Ersten Weltkrieges über 24 000 Mitglieder, das waren 94 Prozent aller niederge- lassenen Kassenärzte, gewonnen hatte, ist zu- gleich signifikant für die durch Hermann Hart- mann eingeleitete neue gesellschaftspolitische Orientierung der Ärzteschaft in der sich neu for- mierenden industriellen Gesellschaft. Charakteri- stisch dafür ist die gelebte Unabhängigkeit vom Staat des Kaiserreiches, gegen dessen Führung die Freiheit des Berufsstandes verteidigt und er- trotzt werden mußte. Damals traten auch führen- de Sozialdemokraten — August Bebel an der Spit- ze — für die ärztliche Berufsfreiheit ein, weil sie ganz konsequent die ärztliche Berufsfreiheit als Voraussetzung und Spiegelbild der freien Arzt- wahl sahen, die sie nicht nur für die oberen Klas- sen, sondern auch für die Arbeiterschaft durch- gesetzt wissen wollten.
Die „Kassenkämpfe" der Zeit vor dem Er- sten Weltkrieg verliefen stets nach dem gleichen Muster: Die bestehenden Einzelverträge mit den Kassen wurden gleichzeitig und gemeinsam ge- kündigt. Neue Verträge wurden erst dann verein- bart, wenn die Krankenkassen bereit waren, die Forderungen des Hartmannbundes anzuerkennen I> Kollektivverträge statt Einzelverträge, I> Wahrnehmung der ärztlichen Interessen ge- genüber den Krankenkassen durch den Hart- mannbund,
I> freie Arztwahl durch die Versicherten.
Es können hier nicht die Stationen nachge- zeichnet werden vom „Berliner Abkommen" vom 23. Dezember 1913 über den vertragslosen Zu- stand 1923 bis zum Abkommen von 1931 zwi- schen Ärzten und Krankenkassen. Wichtig bleibt, daß es der Logik dieser Strategie zu Kollektivver- trägen und zur Waffengleichheit mit den Kranken- kassen ganz konsequent entsprach, daß der 1900 gegründete Hartmannbund sich in der Gründung der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands vollendete.
„Als der Hartmannbund 1932 durch Not- verordnung in den Kassenärztlichen Vereinigun- gen und bald darauf in der Kassenärztlichen Ver- einigung Deutschlands (KVD) aufgegangen ist", ich zitiere hier Gerhard Jungmann, „ist das von den Ärzten ohne Widerspruch akzepiert worden, weil damit auch die Sicherung ihrer beruflichen Stellung und ihrer wirtschaftlichen Existenz ver- bunden war"
Gerhard Jungmann hat damit deutlich dar- auf hingewiesen, daß das wesentliche Ziel
„Gründung von Körperschaften öffentlichen Rechts", um Waffengleichheit mit den Kranken- kassen bei der Vertretung der wirtschaftlichen In- teressen der Kassenärzte zu schaffen, damals erreicht wurde und der Verband zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen nach seinem eigenen damaligen Verständnis — auch bei dem Fortbe- stand als selbständige Organisation bis zur Auf- lösung bei Inkrafttreten der neuen Reichsärzte- ordnung 1936 — sich in die Kassenärztliche Ver- einigung Deutschlands weiterentwickelt hatte.
Wieder darf ich Gerhard Jungmann zitieren:
„Als der Hartmannbund dann 1949 wiederge- gründet worden ist, ist seine Wiedergründung von vornherein eine bewußt politische Entschei- dung gewesen." Jungmann macht damit unmiß- verständlich darauf aufmerksam, daß es 1949 nicht das Ziel war, „die wirtschaftlichen Interes- sen" zu wahren, denn hierfür war unbestritten Rechtsnachfolger die Arbeitsgemeinschaft der Kassenärztlichen Vereinigungen, und die wirt- schaftlichen Interessen der angestellten und be- amteten Ärzte wurden von einem eigens dazu ge- gründeten Verband, dem Marburger Bund, wahr- genommen. Vielmehr ging es 1949 in Wahrneh- mung der Koalitionsfreiheit um die Gründung eines Verbandes, der die Interessen allerdeutschen Ärz- te — also nicht nur der Kassenärzte — politisch in al- tendie Arzteschaft angehenden Fragen—also nicht nur die wirtschaftlichen Interessen — vertreten wollte. Die Wiederaufnahme des traditionsreichen und mit der Semantik kämpferischer Gemeinschaft ausgestatteten Namens verband den Gedanken an eine große berufspolitische Geschichte mit dem Willen, die Zukunft kämpferisch für die Erhaltung des freien Arztberufes überhaupt zu gestalten.
Als berufspolitische Führungspersönlich- keiten nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches die nach dem Untergang der Weimarer Republik zerrissenen Fäden der ärztlichen Sozial- geschichte und Berufspolitik wieder aufnahmen, waren sie sich der geschichtlichen Identität des im Jahr 1900 gegründeten „alten" Hartmannbun- des mit den sich nun demokratisch neu formie- renden Kassenärztlichen Vereinigungen sehr wohl bewußt. Die Organisationsgründung 1949 knüpfte zwar bewußt an die Traditionen des „al- ten" Hartmannbundes an, setzte jedoch das be- reits erreichte Ziel der Bildung von KVen als selbstverständlich voraus und formulierte neue Akzente der Strategie des Kampfes für den freien Arztberuf. In Wahrnehmung der Koalitionsfreiheit machte sich der Verband mit freiwilliger Mitglied- schaft die Vertretung der Interessen aller Ärzte zu eigen mit dem Ziel, „Schild und Schwert" der Körperschaften zu werden . . . ❑
Dt. Ärztebl. 87, Heft 43, 25. Oktober 1990 (37) A-3305