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Archiv "Ordnungspolitik im freien Arztberuf: Basisdemokratie und Selbstverwaltung" (10.10.1997)

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m Anfang steht ein freier Be- ruf. Staat und Gesellschaft wollen ihn behalten, um be- stimmte Vorteile für die Bür- gerinnen und Bürger in einer frei- heitlichen Grundordnung am Leben zu erhalten: die Bindungsfähigkeit an ethische Normen, die persönliche Verantwortlichkeit der Ärzte, die Synthese von Leistungsanreiz und Distanz von vorrangigem Gewinn- streben.

So richtig paßt das nie in die Welt, in der sich andere Prioritä- ten wie von selbst durchsetzen:

Freiheitsstreben ohne hinderliche Pflichten, Gewinnstreben, Ver- schanzung hinter Sicherheiten in kollektiver Geborgenheit. Deshalb gibt es für solche Berufe nicht nur hohe Qualifikationshürden mit staatlichen Examina und Approba- tionen, sondern auch die Einsicht des Staates zur Einbindung des Sachverstandes und des beruflichen Selbstverständnisses in ein besonde- res zusätzliches Ordnungssystem:

die Selbstverwaltungen mit dem Auftrag „mittelbarer Staatsgewalt“.

Das ist insoweit kein Privileg, als da- durch geltendes Recht für alle Bür- gerinnen und Bürger nicht ersetzt, sondern mit Sachverstand verfeinert wird. In die Selbstverwaltung wer- den, wenn sie funktionieren soll,

„kundige Thebaner“ gewählt, die ih- re Einsichten und Erfahrungen just dort gesammelt haben, wo ihre sach- verständigen Entscheidungen anset- zen und wirken sollen.

Am besten ist es, wenn ihre Ver- bindung mit den Auswirkungen ih- rer Entscheidungen nicht abreißt, daß also Regieren und Regiertwer- den im Kontext gleichzeitig vonstat- ten gehen. Doch diese idealtypische Kombination beseitigt nicht die Spannungen und Interessenunter- schiede, die sich aus der Verschie-

denheit der Menschen und ihrer per- sönlichen Prioritäten an der soge- nannten Basis entwickeln, jener Ebene demokratischer Willensbil- dung, die kraft ihrer Fähigkeit, In- teressenschwerpunkte zu Mehrhei- ten zu bündeln, auch besonnene Re- gelungen in Mißkredit bringen kann.

„Hier die Basis, dort die Selbst- verwaltung!“ Das sind Positionen, die den Sinn der sachverständigen Mittelbarkeit bei berufsspezifischen Ordnungssystemen zweifelhaft er- scheinen lassen und auf diese Weise den Ruf nach dem Gesetzgeber pro- vozieren.

Mit der ständigen Berufung auf die Ergebnisse und Ereignisse an der „Basis“, deren Verallgemeine- rung bei gestandenen freiberuflich tätigen Ärzten ohnehin wenig Pro- blembewußtsein verrät, wird genau jene Führungsqualität desavouiert, die aus eigener Kenntnis der Wirk- lichkeit Wege in die Zukunft sucht.

Dabei ist nicht jedermanns Beifall zu erwarten. Aber jedermanns Bei- fall wirkt als „Basis“, wenn sich da- bei genügend Applaus einstellt.

Feindbilder

Auf diese Weise entstehen Feindbilder, die aus dem Mutigen – aber politisch weniger Wendigen – einen abschußreifen Mandatsträger in der Selbstverwaltung machen. So wird es immer schwieriger, nach in- nen oder nach außen Kurs zu halten.

Es ist nicht die Aufgabe der Selbstverwaltung, die Vorstellungen zu realisieren, die sich an der „Basis“

aus den Träumen von einer Welt nach Wunsch entwickeln. Wenn man aufmerksam hinhört, sind es immer

„die anderen“, die den Handlungs- bedarf der Selbstverwaltung auslö- sen – mal hier und mal dort. Und

zwischem dem oder der, die sich zu Unrecht gemaßregelt oder auch nur drangsaliert fühlen, und denen, die es darauf ankommen lassen, ist nach außen kaum ein Unterschied. Das wissen alle; aber die Mandatsträger in der Selbstverwaltung müssen für alle denken und handeln. Beide, die Ärz- te an der „Basis“ und die Ärzte als Mandatsträger, dienen auf ihre Weise der Qualität und der persönlichen Verantwortung in ihrem Beruf. Daß sie sich gegenseitig achten und schüt- zen, weil sie verstehen, was richtig ist und was wichtig ist, macht die Selbst- verwaltung effizient. Gerade in einer Zeit, in der die Finanzierungsmetho- den zu täglichen Triagen zwischen Versuchung und Verzicht zwingen, ist Einvernehmen unentbehrlich.

Zweifel am Konzept Zur Zeit mehren sich überall die Zweifel an der Schlüssigkeit des Konzeptes für die Selbstverwaltun- gen: In der Kommunalpolitik voll- zieht sich die Verbeamtung der bis- her mit Selbstverwaltungswahlman- daten gekoppelten Führungsebene.

In der Selbstverwaltung der Gesetz- lichen Krankenversicherung hat der Gesetzgeber die parlamentarische Ebene der Vertreterversammlungen abgeschafft und ein professionelles Management eingeführt. Von einer verantwortlichen Mitwirkung der Versicherten kann keine Rede mehr sein, denn auch der paritätisch be- setzte Verwaltungsrat wird sich vor- wiegend aus Gewerkschaftern und Funktionären der Arbeitgeberver- bände zusammensetzen. Die Pro- blemferne der Entscheidungskriteri- en ist vorgezeichnet.

Auch in der Selbstverwaltung der Vertragsärzte, den Kassenärzt- lichen Vereinigungen, zeigen sich A-2609

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 41, 10. Oktober 1997 (17)

Ordnungspolitik im freien Arztberuf

Basisdemokratie und

Selbstverwaltung

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Auflösungserscheinungen. Einerseits meldet sich eine „Basis“, die davon ausgeht, daß es einer zusätzlichen In- teressenartikulation der Ärzte aus der Praxis bedarf, möglicherweise unter- schiedlich nach Fachgruppen. Ande- rerseits wird nach stärkerer Professio- nalisierung in der Führungsebene, insbesondere beim Vertragsgeschäft, gerufen.

Der Gesetzgeber scheint auch hier mit einer transparenten Struktur ohne nennenswerte demokratische Ir- ritationen zu liebäugeln. Dazu passen die Kommentare, die Freiberuflich- keit sei ohnehin nur noch eine hohle Fassade. Das sollte aufhorchen lassen.

„Vorfahrt für die Selbstverwal- tung“ ist als Prinzip für die notwendi- gen Problemlösungen in einer durch Sozialversicherte finanzierten Kran- kenversorgung und gesundheitlichen Betreuung jedenfalls besser als Staatsdirigismus. Es ist aber dabei nicht gleichgültig, welchem Ord- nungssystem die ärztliche Selbstver- waltung folgt. Auch diese Selbstver- waltung muß sich aus dem freien Arztberuf heraus entwickeln und von daher ihre interne Legitimation be- ziehen, die in der Verwaltungspraxis ebenso wichtig ist wie der staatliche Auftrag. Immerhin sind Vertragsärzte selbständig und in eigener, ihrem Pati- enten gegenüber uneingeschränkter Verantwortung tätig. Ihr Beruf ist an- spruchsvoll und von persönlichen Verzichten begleitet. Das trifft auch für diejenigen zu, die sich in Selbst- verwaltungsmandate wählen lassen.

Das ist, so scheint es, bei manchen in Vergessenheit geraten. Für den Um- gang miteinander in einer solchen Selbstverwaltung sind gegenseitiger Respekt und permanente Selbstkritik ebenso unverzichtbar wie die Domi- nanz des Gemeinsinns. Eine solche Art von Verwaltung entspricht auch der Freiberuflichkeit.

Alle müssen wissen, daß überall in der Selbstverwaltung die „Basis“

mit am Tisch sitzt und gerade deshalb auch Unpopuläres beschlossen wer- den kann. Das schließt Irrtümer nicht aus; es sollte aber vor Populismus schützen.

Prof. Dr. med.

Ernst-Eberhard Weinhold 27637 Nordholz

A-2610

P O L I T I K LEITARTIKEL/AKTUELL

(18) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 41, 10. Oktober 1997

Als erste internationale Instituti- on plant der Europarat ein umfassen- des und striktes Verbot des Klonens von Menschen. Einen entsprechen- den Vorschlag des Bioethik-Komitees des Staatenbunds hat die Parlamenta- rische Versammlung Ende September mit nur wenigen Gegenstimmen ge- billigt. Am 10. und 11. Oktober sollten die Staats- und Regierungschefs der 40 Europaratsländer das Anti-Klon- Protokoll verabschieden und zur Un- terschrift auslegen.

Das Protokoll soll „jegliche In- tervention“ verbieten, die auf das ge- netische Kopieren von Menschen ab- zielt. Es wurde von einer Experten- gruppe des Bioethik-Ausschusses er- arbeitet, dem Fachleute und Regie- rungsvertreter der Europaratsländer angehören. Untersagt werden sollen dem Text zufolge alle gentechnischen Manipulationen, die „auf Schaffung eines menschlichen Wesens abzielen, das mit einem anderen menschlichen Wesen, sei es lebend oder tot, gene- tisch identisch ist“.

Breite Zustimmung Demnach soll sowohl das Klonen durch Teilung menschlicher Embryo- nen als auch durch die Übertragung von Zellkernen – diese Methode wur- de beim Klonschaf „Dolly“ ange- wandt – verboten werden. Erlaubt bleiben soll dagegen das Klonen von Gewebeteilen oder einzelner Zellen des menschlichen Körpers. Diese bio- technischen Methoden seien ein

„wichtiges Instrument des medizini- schen Fortschritts“, heißt es in einem medizinischen Beitext zu dem Proto- kollentwurf. Auch medizinische Tech- niken zur Überwindung der Un- fruchtbarkeit sollen von dem Verbot ausgeschlossen werden.

Das vom Europarat geplante Klonverbot geht deutlich über eine entsprechende Initiative des vom

amerikanischen Präsidenten Bill Clin- ton eingesetzten Ethik-Ausschusses hinaus. Er will Klonversuche mit menschlichen Embryonen im Rah- men der Embryonenforschung zulas- sen, solange die Föten nicht ausgetra- gen werden. Verboten werden sollen Klonexperimente in den USA nur dann, wenn ihr Ziel die Geburt eines Kindes ist.

In der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates, der 286 Abgeordnete aus den 40 Mitgliedslän- dern angehören, fand das geplante Anti-Klon-Protokoll breite Zustim- mung. Redner aller Fraktionen beton- ten, dem wissenschaftlichen Fort- schritt müßten da Grenzen gesetzt werden, wo die Würde des Menschen in Gefahr sei. Die Möglichkeit, Säuge- tiere und damit auch Menschen zu klonen, werfe ethische Fragen auf, welche die ganze Menschheit beträ- fen, sagte der österreichische Christ- demokrat Walter Schwimmer. Die Be- antwortung dieser Fragen dürfe nicht allein den Wissenschaftlern überlas- sen werden. Das Klonen von Men- schen wäre ein „Akt des Wahnsinns“, meinte auch der französische Liberale Jean-François Mattei. Der Mensch würde dadurch zu „biologischem Ma- terial“ degradiert und manipuliert.

Das geplante Protokoll soll die europäische Konvention über Men- schenrechte und Biomedizin ergän- zen, die im April nach mehrjährigen Beratungen zur Unterschrift ausge- legt wurde. Es kann nur von Staaten unterzeichnet werden, die auch der Konvention beigetreten sind. Bisher haben dies 22 der 40 Europaratslän- der getan. Die Bundesregierung hat die sogenannte Bioethik-Konvention bisher nicht unterzeichnet, weil sie die Bestimmungen zum Embryonen- schutz und zur Forschung an nichtein- willigungsfähigen Personen für unzu- reichend erachtet. Bonn schließt aber einen Beitritt zu einem späteren Zeit- punkt nicht aus. Elisabeth Braun

Anti-Klon-Protokoll des Europarates

Kein genetisches

Kopieren von Menschen

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