A 1194 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 26|
27. Juni 2014GESUNDHEITSTELEMATIK
Es knirscht in der Selbstverwaltung
Mehr Nutzanwendungen von der Gesundheitskarte fordern sowohl die Kassen als auch die Ärzte. Da hören die Gemeinsamkeiten auf. Die Politik droht mit Eingriffen.
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er Besuch der Konferenz sei ihm ein „Herzensanliegen“, betonte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe bei der Eröffnung der eHealth Conference 2014 in Hamburg. „Wir müssen die Chan- cen, die E-Health für eine bessere Qualität der Versorgung bietet, noch stärker nutzen. Wie ein Stra- ßennetz muss auch die Telematikin- frastruktur die Beteiligten im Ge- sundheitswesen so miteinander ver- binden, dass für sie die für die Be- handlung wichtigen medizinischen Informationen schnell und sicher austauschbar zur Verfügung ste- hen.“ Mehrfach nahm der Minister in seinem Grußwort dafür eindring- lich die Selbstverwaltung in die Pflicht. Nach der Ausgabe der elek- tronischen Gesundheitskarte (eGK) und der Auftragsvergabe an die In- dustrie müsse die Selbstverwaltung jetzt die Erprobung von Online-An- wendungen umsetzen: „Ich erwarte von den Organisationen der Selbst- verwaltung und den beauftragten Industrieunternehmen, dass sie die- se Aufträge engagiert und zügig umsetzen.“Finanzierung zügig aushandeln Gröhe zeigte sich erfreut darüber, dass der Deutsche Ärztetag sich für die Fortführung der Arbeiten an der Telema tik in fra struktur (TI) ausge- sprochen hat. „Das war ein gutes, aber man muss wohl auch sagen, ein notwendiges Signal.“ Zu den anstehenden Herausforderungen gehöre auch eine gesicherte Finan- zierung der Ausstattungs- und Be- triebskosten, etwa in den Arztpra- xen. Hier stehe die Selbstverwal- tung in der Verantwortung, ange- messene Finanzierungsvereinba- rungen zügig abzuschließen. „Ich appelliere noch einmal an die Selbstverwaltung, dies alsbald in Verhandlungen zu erreichen. Wir werden das aufseiten des Ministeri-
ums genau im Blick behalten und wenn notwendig auch steuernd ein- greifen“, mahnte der Minister.
Die Selbstverwaltung indes zeigt sich erneut tief zerstritten. Kassen und Ärzte werfen sich wechselsei- tig vor, das Projekt zu blockieren.
Fakt sei, dass trotz der Investitionen der Krankenkassen von etwa einer Milliarde Euro bis Ende 2014 „we- der die eGK bis dato einen messba- ren Nutzen hat, noch eine interoper- able Telematikinfrastruktur nutzen- bringend etabliert ist“, klagt der Vorsitzende des GKV-Verwaltungs- rates, Dr. Volker Hansen. Er fordert daher sanktionsbewehrte, verbind- lich einzuhaltende Termine für die Nutzung der TI seitens der Politik.
Bis Ende 2017 müssen die Kran- kenkassen darüber hinaus aus Si- cherheitsgründen die eGK der ers- ten Generation komplett austau- schen, weil das Zertifikat für einen Sicherheitsschlüssel ausläuft. Die Vorbereitungen dazu beginnen 2015 und werden die Kassen noch- mals einen dreistelligen Millionen- betrag kosten. „Wir haben die Kom- plexität des Projekts unterschätzt“, räumte die Vorsitzende des GKV- Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfei- fer, ein und äußerte zudem erstmals Zweifel, dass die Industriepartner der Betreibergesellschaft gematik ihre vertraglich zugesicherten Leis- tungen einhalten können.
Der Vorsitzende der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Andreas Gassen, wirft hin- gegen dem GKV-Spitzenverband
„Borniertheit“ vor und kritisiert, dass der Verband sich nur auf die Einführung des Versichertenstamm- datenmanagements fokussiere, ei- ner reinen „Verwaltungsanwen- dung, mit der weder ein positiver Effekt auf die Qualität der Versor- gung einhergeht, noch messbare Einsparungen zu verzeichnen sein werden“. Auch seien bislang erst 91
Prozent der gesetzlich Versicherten mit einer eGK ausgestattet. Immer noch hätten mehr als sechs Millio- nen keine neue Karte erhalten. Vor diesem Hintergrund lehnt die KBV eine endgültige Ablösung der alten Krankenversichertenkarte zum 30.
September 2014 ab.
Streit um Netzhoheit
Ein weiterer Streitpunkt ist die Netz infrastruktur für das Gesund- heitswesen. Mit dem KV-SafeNet haben KBV und Kassenärztliche Vereinigungen – mangels verfügba- rer Alternative – ein eigenes Netz- werk für den Austausch von Ge- sundheitsdaten aufgebaut. „Unsere Lösung ist ein funktionierendes und sicheres System. Das bestätigen auch Datenschützer“, so die KBV.
Dieses Netz biete die Möglichkeit der Interoperabilität, auch mit der TI, sobald diese stehe.
Die Frage ist, wie ein solches sektorales Bestandsnetz in die TI, für deren Aufbau die gematik zu- ständig ist, eingebunden werden soll. Die KBV will die alleinige Zu- ständigkeit dar über behalten und es lediglich an die TI anbinden. Das Bundesamt für Sicherheit in der In- formationstechnik (BSI) und auch die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff haben sich in Brie- fen an das Bundesgesundheitsmi- nisterium jedoch dagegen ausge- sprochen. Sie verlangen eine voll- ständige Migration, da nur so „ein einheitlich hohes Datensicherheits- niveau (und damit Datenschutzni- veau) des Gesamtsystems sicherge- stellt“ und vom BSI abgenommen werden könne.
Bundesminister Gröhe zeigte sich verärgert über den neuerlichen Zwist. Einigen sich die Konflikt- parteien nicht, könnte dies erneut den Gesetzgeber auf den Plan ru-
fen.
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Heike E. Krüger-Brand