DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Beschwerden
und Medikamentenverbrauch im mittleren Lebensalter
Ingeborg Siegfried und Erika Baum
A
nhand einer Studie mit 345 weiblichen und 157 männ- lichen 40- bis 65jährigen Pa- tienten einer Allgemeinarzt- praxis im stadtnahen länd- lichen Raum wurden vegetative Be- schwerden und Medikamentengebrauch dieser Probanden erfaßt. Die Zahlen wa- ren somit nicht repräsentativ, es wurden aufgrund der Stichprobenziehung aus der Patientenkartei auch solche Personen er- faßt, die nicht zum Erhebungszeitpunkt, sondern lediglich in den letzten vier Jah- ren die untersuchte Praxis konsultiert hat- ten. Die Angaben anderer Studien über die Häufigkeit von unspezifischen vegeta- tiven Beschwerden im mittleren Lebens- abschnitt wurden dabei weitgehend bestä- tigt. Die Summe der abgefragten Be- schwerden war bei den weiblichen Pro- banden in jeder Altersteilgruppe höher als bei den männlichen, wobei die Diffe- renz unter den 50- bis 54jährigen beson- ders deutlich ausgeprägt war.Überwiegend
vegetative Symptome
Im einzelnen klagten Frauen wesent- lich häufiger als Männer über Angstge- fühl, Depressivität, Konzentrations- schwäche, Schwindel, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Herzklopfen und Obsti- pation. Eine auffallende Häufung von Be- schwerden fand sich bei ganztags berufs- tätigen Frauen und solchen, die durch Be- rentung oder Arbeitslosigkeit aus dem Erwerbsleben ausgeschieden waren. Den- noch zeigten nur wenige vegetative Sym- ptome einen Zusammenhang mit Hitze- wallungen, die als menopausenspezifisch angesehen werden.
Von den Probandinnen berichteten sieben Prozent, an mehr als 50 Tagen der vergangenen zwölf Monate, weitere 52 Prozent gelegentlich Schmerzmittel/An- tiphlogistika eingenommen zu haben. Für Psychopharmaka/Hypnotika einschließ- lich pflanzlicher Mittel, wie zum Beispiel Baldrian, bejahten 14 Prozent eine häufi- ge und 26 Prozent eine gelegentliche Ein- nahme solcher Medikamente in diesem Zeitraum. Abführmittel wurden nach An- gaben der Frauen von 10 Prozent häufig und von 12 Prozent gelegentlich einge- nommen, bei Blutdruckmitteln (ein- schließlich Betablockern, Diuretika bei der Indikation Hypertonie, und Antihy- pertonika) nahmen nach eigenen Anga- ben 18 Prozent der Frauen regelmäßig und 20 Prozent gelegentlich solche Medi- kamente ein.
Mit Ausnahme der Blutdruckmittel gaben Männer wesentlich seltener einen vorausgegangenen Medikamentenkon- sum an: von 157 Befragten hatten fünf Prozent mehr als 50 mal in zwölf Monaten und 40 Prozent gelegentlich Schmerz- mittel, 13 Prozent mehr als 50mal und 15 Prozent gelegentlich psychotrope Medi- kamente, ein Prozent regelmäßig und vier Prozent gelegentlich Abführmittel einge- nommen.
Ausgenommen Laxantien, die fast ausschließlich im Rahmen der Selbstme- dikation eingenommen wurden, bestätig- te die Analyse der verordneten Medika- mente diese Zahlen. Bei 60- bis 65jähri- gen Patienten, besonders Frauen, wurden psychotrope Medikamente doppelt so häufig wie bei den 40- bis 49jährigen ver- ordnet.
Die von den Patienten berichtete Ein- nahme wie auch die hausärztliche Verord-
Dt. Ärztebl. 84, Heft 51/52, 19. Dezember 1987 (41) A-3529
nung von Analgetika und Medikamenten mit psychotroper Wirkung stand in enger Beziehung zu der Ausprägung vegetativer Beschwerden, wobei der Anstieg der Ver- ordnungshäufigkeit mit dem Alter über- proportional verlief.
Medikamente als Verstärker?
Bei gelegentlichem Gebrauch von Psychopharmaka fand sich eine Erhö- hung, bei regelmäßiger Einnahme dieser Medikamente eine weitere Steigerung der Klagsamkeit über vegetative Beschwer- den. Gleiche Verhältnisse fanden sich in Beziehung zu dem berichteten Schmerz- mittelgebrauch der Stichprobe. Von 108 Patienten, die nach eigenen Angaben unter Migräne litten, waren 24 wegen dieser Erkrankung in den letzten 18 Mo- naten ärztlich behandelt worden, aber 30 hatten in dieser Zeit mehr als drei, 48 Probanden ein bis drei Packungen an Analgetika/Antiphlogistika verordnet er- halten.
Bei Miteinbeziehung von pflanzlichen Mitteln und Kombinationspräparaten mit
psychotropen Anteilen sowie Hypnotika zeigt sich, daß bei der untersuchten Klien- tel 40 Prozent der Frauen und 28 Prozent der Männer im mittleren Lebensabschnitt zumindestens gelegentlich solche Medika- mente einnahmen und auch verordnet er- hielten.
Die Ursachen für die Beschwerden- häufigkeit und den hohen Medikamen- tengebrauch im mittleren Lebensab- schnitt sind vielschichtig und können im Rahmen dieses Artikel nicht näher be- sprochen werden. Es ist offensichtlich, daß bei Patienten in dieser Lebensphase Aufklärungsarbeit sowohl durch die Ärz- te als auch die Medien zu leisten ist und daß ein erhebliches therapeutisches Fin- gerspitzengefühl beim behandelnden Arzt notwendig ist, um den Beginn eines Medi- kamentenabusus , aber auch eine uner- trägliche psychische Situation bei den Be- treffenden zu vermeiden.
Professor Dr. med. Ingeborg Siegfried Dr. med. Erika Baum
Lehrstuhl für Allgemeinmedizin der Universität Gießen
Am Hain 2, 6301 Biebertal
Quincke-Ödem als
Autoimmunerkrankung
Während der letzten 25 Jahre wurden drei Formen des Inhibitor- mangels des ersten Komplement- komponenten (C1-Inhibitor) mit Quincke-Ödem erkannt Zwei For- men davon sind hereditär und eine ist erworben. Im Vergleich zum he- reditären Quincke-Ödem tritt der erworbene Cl-Inhibitormangel sel- ten auf und ist im allgemeinen asso- ziiert mit lymphoproliferativen Er- krankungen. Die Autoren referieren in ihrem Bericht über eine weitere Art des erworbenen C1-Inhibitor- mangels mit Quincke-Ödem.
Bei zwei Patienten mit rezidivie- renden Quincke-Ödem ohne assozi- ierte Erkrankung wurden IgG 1-Au- toantikörper gegen den C1-Inhibitor nachgewiesen. Die Anti-C1-Inhibi- tor-Antikörper verhindern die Bin-
dung der C1-Inhibitoren mit akti- vierten Cls. Beide Patienten hatten 60 bis 70 Prozent des normalen Cl- Inhibitorspiegels, doch waren diese Inhibitoren funktionell nicht aktiv und wiesen ein Molekulargewicht von 96 000 (normaler Cl-Inhibitor:
FÜR SIE REFERIERT
105 000) auf. In vitro-Studien mit Patientenserum zeigten einen Zer- fall des 125I-markierten 105 000-Da1- ton-C1-Inhibitors in ein inaktives 96 000-Dalton-Molekül, hervorge- rufen durch aktivierte Komplement- komponenten des Typs 1, das in nor- malem menschlichen Serum nicht nachgewiesen werden kann.
Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß diese Fälle des erworbe- nen C1-Inhibitormangels durch eine Blockade der C1-Inhibitor-Funktion bedingt sind. Die Blockade erfolgt durch Anti-C1-Inhibitor-Antikör- per, durch welche der C1-Inhibitor inaktiviert wird. Aufgrund der dann unkontrollierten Enzyme werden die ersten Komplementkomponen- ten (Cis) aktiviert. Wie bei den an- deren Formen des C1-Inhibitorman- gels führt die nicht beabsichtigte Ak- tivierung des Komplementsystems zum Quincke-Odem. Lng
Alsenz, J.; K. Bork; M. Loos: Autoanti- body-Mediated Acquired Deficiency of Cl Inhibitor. New Engl. Journ. Med. 316 (1987) 1360-1366
Dr. Jochem Alsenz, Institut für Medizini- sche Mikrobiologie, Johannes Gutenberg- Universität, Hochhaus am Augustusplatz, 6500 Mainz
A-3530 (42) Dt. Ärztebl. 84, Heft 51/52, 19. Dezember 1987