Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 19⏐⏐11. Mai 2007 A1323
M E D I Z I N
höhte Inzidenz von venösen Thrombembolien bei Pa- tienten mit Prolaktinomen gezeigt werden (2). Auch die Hyperprolaktinämie unter Therapie mit Antipsy- chotika führt zu einer gesteigerten Thrombozytenakti- vierung (3). Die gehäufte Entwicklung venöser Thrombembolien ist eine im klinischen Alltag weni- ger bekannte Komplikation antipsychotischer Thera- pie mit einem relativen Risiko von 7,1 in einer Fall- Kontroll-Studie (4). Der pathophysiologische Mecha- nismus für diese Thrombophilie ist unbekannt, könnte aber über die prolaktinbedingte ADP-vermittelte Thrombozytenstimulation erklärbar sein (1, 2). Inte- ressanterweise schneiden bezüglich dieser Nebenwir- kung die Antipsychotika der zweiten Generation nicht besser als die klassischen Präparate ab (3, 4), was durch die teilweise erhebliche Prolaktinstimulation der Präparate erklärbar sein könnte.
LITERATUR
1. Wallaschofski H et al.: PRL as a novel potent cofactor for platelet aggregation. J Clin Endocrinol Metab 2001, 86: 5912–9.
2. Wallashofski H et al.: Prolactin receptor signaling during platelet activation. Horm Metab Res 2003, 35: 228–35.
3. Wallaschofski H et al.: Hyperprolactinemia in patients on antipsychotic drugs causes ADP-stimulated platelet activation that might explain the increased risk for venous thromboembolism: a pilot study. J Clin Psychopharmacol 2003, 23: 479–83.
4. Zornberg GL, Jick H: Antipsychotic drug use and risk for first-time idiopathic venous thromboembolism: a case-control study. Lancet 2000, 356: 1219–23.
PD Dr. med. Henri Wallaschofski
Medizinische Klinik A, Abteilung Gastroenterologie, Endokrinologie und Ernährungsmedizin
Universität Greifswald Friedrich-Loeffler-Straße 23a 17487 Greifswald
PD Dr. med. Martin Eigenthaler
Institut für Klinische Biochemie und Pathobiochemie Universität Würzburg
Josef-Schneider-Straße 2 97080 Würzburg
Prof. Dr. med. Tobias Lohmann Medizinische Klinik
Städtisches Krankenhaus Dresden-Neustadt Industriestraße 40
01129 Dresden
Schlusswort
Der einer möglichen Neuroleptika-assoziierten Thrombophilie zugrunde liegende Pathomechanismus ist nicht geklärt. Ein kausaler Zusammenhang zwi- schen der durch Neuroleptika induzierten Prolak- tin(PRL)-Erhöhung und dem Auftreten venöser Thromboembolien in der Folge einer vermehrten P-Se- lektin-Expression der Thrombozyten ist allerdings fraglich. So fanden Wallaschofski und Mitarbeiter in ihren Arbeiten eine lineare Korrelation zwischen der PRL-Serumkonzentration und der P-Selektin-Expres- sion der Thrombozyten. Hohe PRL-Serumkonzentra- tionen – und folglich eine vermehrte P-Selektin-Ex- pression – wären theoretisch zu erwarten unter Thera-
pie mit hohen Dosen von Antipsychotika mit starker D2-Rezeptoraffinität, zum Beispiel unter hohen Dosen hochpotenter, klassischer Neuroleptika. Der Nachweis eines Anstiegs der P-Selektin-Expression ist jedoch nicht in jedem Fall gleichbedeutend mit einer Throm- bozytenaktivierung. So demonstrierte eine große Fall- Kontroll-Studie ein höheres Risiko für venöse Throm- boembolien unter Therapie mit niederpotenten im Ver- gleich zu hochpotenten Antipsychotika. Auch bestand das Risiko für Thromboembolien offenbar unabhängig von der Dosis der Antipsychotika (1). Clozapin hat kaum nennenswerte Effekte auf die PRL-Konzentrati- on. Dennoch scheint das Risiko für venöse Throm- boembolien unter Clozapin im Vergleich zu anderen atypischen Antipsychotika höher zu sein (2). Der Zu- sammenhang zwischen Schizophrenie, PRL und An- tipsychotika ist äußerst komplex und bislang nicht hin- länglich geklärt. Für die durch Neuroleptika induzierte PRL-Erhöhung scheinen nicht nur Unterschiede zwi- schen den verschiedenen Atypika von Bedeutung (2), sondern möglicherweise auch Geschlechtsunterschie- de (3). Schließlich zeigten etwa 25 Prozent der anti- psychotisch unbehandelten Patienten mit Erstmanife- station einer Schizophrenie pathologisch erhöhte PRL- Konzentrationen (4). Interessant in diesem Zusam- menhang ist, das die Mehrheit schizophrener Patienten starke Raucher sind und das Nikotin nicht nur die Thrombozytenaggregation stimuliert, sondern in Tier- versuchen auch die Freisetzung von PRL-releasing- Peptid in zentralen Neuronen des Nucleus tractus soli- tarii zu induzieren vermag (5). Demnach ist das Rau- chen möglicherweise ein wichtiger Faktor in der Phy- siologie der PRL-Freisetzung.
LITERATUR
1. Zornberg GL, Jick H: Antipsychotic drug use and risk of first-time idio- pathic venous thromboembolism: a case-control study. Lancet 2000;
356: 1219–23.
2. Liperoti R, Pedone C, Lapane KL, Mor V, Bernabei R, Gambassi G: Ve- nous thromboembolism among elderly patients treated with atypical and conventional antipsychotic agents. Arch Intern Med 2005; 165:
2677–82.
3. Aichhorn W, Whitworth AB, Weiss EM, Marksteiner J: Second genera- tion antipsychotics: is there evidence for sex differences in pharmaco- kinetic and adverse effect profiles? Drug Saf 2006; 29: 587–98.
4. Rechsteiner E, Bull N, Aston J, Riecher-Rössler A: Prolactin serum le- vels in individuals at risk for psychosis, first episode patients and de- pressive controls. Nervenarzt 2006; 77 (Suppl. 3): S152.
5. Sun B, Nemoto H, Fujiwara K, Adachi S, Inoue K: Nicotine stimulates prolactin-releasing peptide (PrRP) cells and non-PrRP cells in the soli- tary nucleus. Regul Pept 2005; 126: 91–6.
Für die Verfasser PD Dr. med. Marcus W. Agelink Ruhr-Universität Bochum/Klinikum Herford Schwarzenmoorstraße 70
32049 Herford
Interessenkonflikt
Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.