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Archiv "„G-BA und Akupunktur: Der Kaiser ist nackt“ / „Bundesausschuss: Akupunktur als Regelleistung“: Verfälschte Studienergebnisse" (17.07.2006)

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T H E M E N D E R Z E I T

Bei derselben schulmedizinischen Dia- gnose differieren sie von Patient zu Pa- tient, weil die TCM einen anderen Krankheitsbegriff hat. Sie denkt induk- tiv-synthetisch, während wir im Westen angelehnt an die exakten Naturwissen- schaften kausal-analytisch denken. Der Modellversuch kommt mir deshalb so vor, als wollte man die Regeln der engli- schen Grammatik mithilfe der Mathe- matik beweisen . . . Mit einer lege artis – sinensis – durchgeführten Ganzkörper- Akupunktur, eventuell in Verbindung mit fernöstlicher Phytotherapie kann man z. B. 70 Prozent der Migräniker heilen:

für viele Jahre oder lebenslang. Natürlich entfallen dann die Umsätze u. a. mit den teueren Triptanen, und vielleicht ist das der Grund, warum die Migräne aus der neuen Regelung genommen wurde . . .

Dr. med. Anna Hutzel,

Richard-Riemerschmid-Allee 28, 81241 München

Verfälschte Studienergebnisse

Aus den Ergebnissen des Modellver- suchs (speziell dem der Bundesknapp- schaft, dem sich ja alle Primärkassen an- geschlossen haben) herauslesen zu wol- len, dass die Akupunktur nach TCM- Kriterien sich nicht von der Akupunktur von „Nichtakupunktur“-Punkten oder gar Placeboakupunktur unterscheidet ist m. E. nicht haltbar: Das Knapp- schaftsmodell sah ja eine Aufteilung der Patienten in eine Verum- und eine Placebogruppe vor, d. h., die Akupunk- turärzte sollten per Münzwurf entschei- den, ob ein Patient eine reguläre oder aber eine Scheinakupunktur bekom- men solle. Auch mir wurde vor Beginn der Modellversuche ein entsprechendes Vertragsformular von der Bundes- knappschaft vorgelegt. Da meine Pati- enten in der Regel unter einer langjähri- gen Schmerzanamnese zu leiden haben, habe ich es seinerzeit aus ethischen Gründen abgelehnt, an dem Knapp- schaftsmodell teilzunehmen, da ich es den Patienten nicht zumuten wollte, sich monatelang in der Placebogruppe einer unwirksamen Schmerzbehandlung zu unterziehen. Ich bin sicher, dass auch die meisten Kollegen, die sich dem Knappschaftsmodell angeschlossen ha- ben, in ihren Placebogruppen entgegen dem Studiendesign der Knappschaft

keine Schein-, sondern tatsächlich eine Verumakupunktur durchgeführt haben.

Auf diese Weise ist es dann zu einer systematischen Verfälschung der Studi- energebnisse gekommen . . . Damit ist die Akupunktur erneut in den Dunst- kreis von unwissenschaftlichen Placebo- methoden gerückt worden, anstatt end- lich als hoch wirksame Behandlungsme- thode mit circa 3 000-jähriger Erfolgsge- schichte gewürdigt zu werden . . .

Dr. med. Karl Schulte-Wintrop, Lippmauer 38, 45721 Haltern am See

Überraschung und Verwunderung

Die Ergebnisse der Studien ART und GERAC, der größten Akupunkturstu- dien weltweit, . . . wurden in den renom- miertesten Fachjournalen veröffentlicht und sind von der Durchführung her und dem hohen Grad an Wissenschaftlich- keit beispielhaft. Überrascht hat der Kommentar von Till Spiro, der inter- essanterweise die Notwendigkeit zur Durchführung einer Studie über ein Verfahren, mit dem mittlerweile 26 Pro- zent aller Deutschen behandelt wurden, infrage stellt. Verwunderung haben die Interpretationsversuche des seiner Mei- nung nach „wichtigsten Prüfungsgegen- stands“, der Untersuchung der spezi- fischen Wirkung der Akupunktur, aus- gelöst. Einem mit den Paradigmen der modernen Wissenschaft vertrauten Arzt sollten die grundsätzlichen Unter- schiede zwischen „efficacy“ und „effec- tiveness“ bekannt sein. Während man im wissenschaftlichen Diskurs für die

„efficacy“ „spezifische“ Ef-

fekte attributiert, werden die hinzu- kommenden klinischen Wirkungen als unspezifisch deklariert und die Gesamt- wirkung als „effectiveness“ bezeichnet.

Nun ergibt sich für weite Felder der Me- dizin das Problem, dass Studiendaten zunehmend verdeutlichen, dass die un- spezifischen Effekte bei der medizini- schen Behandlung häufig die maßgebli- cheren sind. Für den Patienten ist die

„efficacy“ sowieso unwichtig, er wird ei- ne Therapie zu Recht immer nur nach der Gesamtwirkung beurteilen. Aber auch das gesamte ärztliche Handeln und Entscheiden ist auf die gesamte Wir- kung, also auf die Effektivität ausgerich- tet. Oder wie würde man sich selbst im Krankheitsfalle zwischen einer weniger wirksamen spezifischen und einer hoch wirksamen, aber überwiegend unspezi- fischen Therapie entscheiden? Was sind aber die Erkenntnisse aus den ART- und GERAC-Studien? In den komplett publizierten ART-Studien war die Aku- punktur bei Kniearthrose spezifisch wirksam, bei den Rückenschmerzen fand sich ein Trend zur spezifischen Wirksamkeit und bei den Kopfschmer- zen war sie „nur“ unspezifisch wirksam.

In den GERAC-Studien war die Aku- punktur bei Rücken- und Kniebe- schwerden unspezifisch wirksam, aber der konventionellen Therapie überle- gen. Der Gemeinsame Bundesaus- schuss hat also folgerichtig zwei Indika- tionen ausgewählt, in denen Akupunk- tur derzeit das wirksamste Behand- lungsverfahren darstellt, das möglicher- weise spezifisch wirksam und dazu noch sehr sicher ist. Die Akupunktur hier den Patienten vorzuenthalten ist vom klini- schen Standpunkt aus

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 28–29⏐⏐17. Juli 2006 AA1953

Foto:Vario Images

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mehr als patientenfern, wenn nicht ethisch bedenklich. Im Sinne der Effek- tivität und möglicherweise auch der Kosten-Nutzen-Vergleiche müsste so- gar der Indikationsbereich Kopf- schmerz zugelassen werden . . . Unspezi- fische Effekte sind nicht sicher unspezi- fisch, es lässt sich nur feststellen, dass wir derzeit keine ausreichend detaillierten Kenntnisse darüber haben, und es liegt sogar nahe, dass sie letztlich der Summe mehrerer spezifischer Wirkmechanis- men entsprechen . . . Es wird folglich ei- nes der wichtigsten wissenschaftlichen Themenfelder der Zukunft sein, die Natur unspezifischer Effekte besser zu verstehen . . . Wir möchten dem Kom- mentator empfehlen, zunächst mit der erforderlichen Präzision an das Thema heranzugehen und der Unspezifität ärztlichen Handelns etwas tapferer ins Auge zu sehen. Will er dann aber immer noch alle Verfahren aus dem Leistungs- katalog herausnehmen oder nicht zulas- sen, für die kein spezifischer Wirkeffekt bekannt ist, dürfte aus dem gesamten Gebiet der instrumentellen, chirurgi- schen, physiotherapeutischen und psy- chosomatischen Ansätze in der neueren Schmerztherapie nicht mehr viel übrig bleiben. Kein gutes Angebot für den Patienten.

Literatur bei den Verfassern Dr. med. Andreas Michalsen, Prof. Dr. med. Gustav J. Dobos,

Stiftungsprofessur für Naturheilkunde der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung an der Universität Duisburg-Essen, Abteilung Innere Medizin und Integrative Medizin der Kliniken Essen-Mitte, Am Deimelsberg 34 a, 45276 Essen

Die Kassen sind nicht schuld

Die korrekte Akupunktur ist nicht wirksamer als die Scheinakupunktur, trotzdem wird eine Zusatzqualifikation erforderlich; das A-Diplom reicht – an- ders als für die Studien – nicht mehr aus.

Kann mir jemand erklären, warum ich für wildes Danebenstechen eine Zu- satzausbildung mit Prüfung etc. benöti- ge? Nach 19 Jahren als Facharzt für Allgemeinmedizin mit Berechtigung für psychosomatische Grundversorgung muss ich mir nicht mehr erzählen las- sen, wie ich meinen Patienten ausrei- chend Zuwendung geben kann. Konse- quenz:Akupunktur wird es nur noch als

Privatleistung geben, zumal die Hono- rierung als Kassenleistung sicher, wie gewohnt, gegen null tendieren wird – und bitte nicht wie immer die Schuld den Kassen geben, die Beschlüsse fasst ein Gemeinsamer Bundesausschuss.

Dr. med. Wolfgang Schwinzer,Schulstraße 7, 37441 Bad Sachsa

Mengensteuerung durch Bürokratieaufbau

Der Patient mag sich naiverweise erst einmal freuen über den Beschluss, die Akupunktur für zwei Indikationen als Regelleistung der Kassen einzuführen.

Ob er Chancen hat, diese als solche auch zu erhalten, darüber kann erst die Ausgestaltung entscheiden. Da wir Nie- dergelassenen bekanntlich bereits ei- nen nicht unerheblichen Anteil unserer Leistung kostenlos erbringen, würde eine Honorierung im Regelleistungsvo- lumen einer Selbstausbeutung gleich- kommen, zu der wohl kaum ein Arzt be- reit sein wird. Zudem hat der Gemein- same Bundesausschuss – trotz aller Auf- rufe von KBV und Politik, die Büro- kratie abzubauen – eine wahre Doku- mentationsorgie (Therapieplan sowie Eingangs- und Verlaufserhebung mit je- weils sechs Parametern) beschlossen, die potenziellen Anbietern wohl die Arbeit vermiesen soll. Diese Mengensteuerung durch Bürokratieaufbau, von der der Patient nichts hat, muss natürlich auch bezahlt werden . . . In seiner Regulie- rungswut hat der Ausschuss auch gleich die einzig wahre Lehre über die richtige Anzahl an Nadeln verkündet. Da bis- her noch keine einzige Dosis-Wirkungs- Studie in diesem Sinn zur Akupunktur gelaufen ist, kann der Sachverstand des Ausschusses – anscheinend alles erfah- rene Akupunkteure – nur bewundert werden. All diese Vorgaben zu erfüllen, dazu wird man keinen Arzt zwingen können . . .

Dr. Axel Wiebrecht,Bundesallee 141, 12161 Berlin

Wo liegt der Sinn dieser Regelungswut?

. . . Über Jahre wurde die Akupunktur im Modellvorhaben von Ärzten, die ei- ne definierte Qualifikation erfüllten,

durchgeführt und von den Kassen fi- nanziert. Jetzt kommt man zu dem Schluss, dass sie zumindest so wirkungs- voll ist, dass sie als Kassenleistung ange- boten werden soll.Warum sind jetzt die- se Ärzte nicht mehr ausreichend quali- fiziert, sondern sollen 80 Stunden Psy- chosomatik- und 80 Stunden Schmerz- therapie-Kurse belegen? Das war doch für die Ergebnisse des Modellvorha- bens auch nicht nötig.Wo kann der Sinn dieser Regelungswut liegen? Haben die Kassen ihren Kunden gegenüber Angst, die Akupunktur nicht als Regelleistung zuzulassen, und gleichzeitig die Ein- sicht, dass das alles auf Dauer zu teuer wird, und suchen somit Wege, möglichst die Leistungserbringer in der Zahl zu minimieren? Eine andere Erklärung kann es kaum geben . . .

Dr. med. Rainer Kluge,Preusweg 23, 52074 Aachen

Irrationales Handeln wird kassenfähig

. . . In den Modellversuchen konnte ein Wirksamkeitsnachweis der Akupunk- tur nicht erbracht werden, weder bei Migräne noch bei Spannungskopf- schmerzen, LWS-Schmerzen, HWS- Schmerzen, allergischer Rhinitis, aller- gischem Asthma, auch nicht bei Dys- menorrhoe. Lediglich bei Gonarthrose- schmerzen war die Akupunkturbe- handlung anfangs (nach zwei Monaten) der Scheinakupunkturtherapie überle- gen. Nach sechs und zwölf Monaten zeigten sich allerdings auch hier keine Unterschiede mehr. Nun wissen wir natürlich alle, dass chronisch kranke Pa- tienten Hilfe, zumindest Zuwendung und Zuspruch brauchen. Das hatte Findley schon vor 185 Jahren erkannt:

„Der Mensch in der Not verlangt ak- tives Handeln – rationales Handeln, wenn möglich – irrationales, wenn nötig, eher als gar keines“ (1821). Wenn durch den G-BA also irrationales Han- deln kassenfähig wird, warum dann nur bei zwei Diagnosen (chronische Rücken- und Knieschmerzen) und nicht bei allen anderen auch? . . .

Prof. em. Dr. Frank P. Meyer,

Magdeburger Straße 29, 39167 Groß Rodensleben

Der Autor des Kommentars hat auf ein Schlusswort verzichtet.

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A1954 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 28–29⏐⏐17. Juli 2006

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