• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "G-BA und Akupunktur: Der Kaiser ist nackt" (28.04.2006)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "G-BA und Akupunktur: Der Kaiser ist nackt" (28.04.2006)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

P O L I T I K

A

A1118 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 17⏐⏐28. April 2006

KOMMENTAR

D

er Gemeinsame Bundesaus- schuss (G-BA) erfreut sich seit seiner Konstituierung großer öf- fentlicher Beachtung, da seine Ent- scheidungen die Leistungsansprüche aller gesetzlich Krankenversicherten unmittelbar betreffen und damit die politische Stimmung von 90 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung be- einflussen können. Unter besonders großer medialer Anteilnahme musste er jetzt einen Beschluss gemäß § 135 Abs. 1 SGB V über die Aufnahme der Akupunktur bei bestimmten Diagno- sen in den Pflichtenkatalog der Kran- kenkassen fassen, dessen Zustande- kommen in archetypischer

Weise den Antagonismus zwischen Anspruch und Wirklichkeit des gesund- heitspolitischen Geschäfts aufzeigt.

Als Voraussetzung für die positive Bewertung ei- ner neuen Behandlungsme-

thode fordert der genannte Paragraph unter anderem die Anerkennung des therapeutischen Nutzens nach dem je- weiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Thera- pierichtung. Die letzten vier Worte las- sen den unbefangenen Leser stutzen:

Welcher Wissenschaftsbegriff liegt hier zugrunde? Können wissenschaftliche Erkenntnisse richtungsabhängig sein?

Ohne diesen klientelbezogenen Zusatz hätte man wahrscheinlich gar nicht in die Überprüfung der Akupunktur ein- steigen müssen, weil die diesem jahr- tausendealten mystisch-magischen Ver- fahren zugrunde liegenden Einstich- punkte mit keinerlei naturwissen- schaftlichem Verfahren einer anatomi- schen Struktur oder Funktionseinheit zugeordnet werden können. Hier wäre mit den Worten des Bundesgerichts- hofs eine Beweiserhebung unsinnig, da die Wahrheitsermittlung auf diesem Weg von vornherein ausgeschlossen ist.

Nun hat der Gesetzgeber aber den transzendenten Bedürfnissen größerer

Bevölkerungsanteile in einer säkulari- sierten Welt Rechnung getragen, in- dem er nicht naturwissenschaftlich ori- entierten Therapierichtungen einen ei- genen Erkenntniskosmos mit der Mög- lichkeit einer Binnenanerkennung des Nutzens okkulter Methoden eröffnet hat. Da die der Akupunktur verpflich- teten Gesellschaften und Forschungs- gruppen auf den wissenschaftlichen Charakter der von ihnen propagierten Heilmethode abheben, überprüfte der G-BA anhand aufwendig durchgeführ- ter Studien, ob der schulmäßigen Na- delung im Rahmen des traditionellen Akupunkturkonzepts eine spezifische

Wirkung zukommt. Diese Frage ist nach Auswertung aller Ergebnisse zu verneinen, und sie war der wichtigste Prüfgegenstand der Untersuchungen.

Dieses Resultat wurde schon vor der Beschlussfassung des G-BA be- kannt, und die Reaktionen der Aku- punkturapologeten waren bemerkens- wert: Plötzlich mutierte die als Ver- gleichsstudienarm durchgeführte und gleichfalls schmerzlindernde Schein- akupunktur zu einer Akupunkturart sui generis, und die Spezifität der tradi- tionellen Akupunkturpunkte wurde relativiert – ungeachtet des Anspruchs der Akupunkturausbilder, eine exakte Punktlokalisation als grundlegende Technik vermitteln zu müssen. Außer- dem wird jetzt eine Vielzahl wichtiger Kontextfaktoren angeführt – das so genannte „Setting“–, durch welche laut Deutscher Akupunktur Gesellschaft die Lebensenergie tieferer Organebe- nen angeregt und der Fluss der Le- benskräfte aktiviert werden sollen; die Gesellschaft räumt allerdings ein, dass

diese Umstände bisher nur wenig un- tersucht wurden.

Die Studien haben also nicht die fei- ne, aber gleichwohl begreifbare Textur einer fernöstlichen Lehre offenbart, sondern das Fehlen eines wie auch im- mer gewebten wissenschaftlichen Klei- des demonstriert. Deshalb scheidet ei- ne wissenschaftliche Anerkennung der Akupunktur auch nach dem methodi- schen Binnenverständnis ihrer Ver- fechter aus. Außerdem macht die feh- lende Spezifität der Nadelpunkte eine vom § 135 Abs. 1 SGB V geforderte Be- schreibung der Qualifikation leistungs- erbringender Ärzte sowie der Quali- tätssicherungsmaßnahmen fragwürdig.

Aus den genannten Gründen hätte eine Auf- nahme von Akupunkturin- dikationen in den GKV- Leistungskatalog nicht er- folgen dürfen, wobei mit ihrer Ablehnung nicht die Aussage verbunden gewesen wäre, dass die Penetration menschlicher Haut keine Wirkungen hat. Diese Ef- fekte sind aber einem Bereich zuzu- ordnen, der von der Solidargemein- schaft aller Versicherten unter einer Gesundheitspolitik, deren Credo seit Jahren Kostendämpfung heißt, nicht mehr bezahlt werden kann. Wundersa- merweise kam aber trotz der eindeuti- gen Sachlage eine zustimmende Mehr- heit im G-BA zustande, dank derer zwei Akupunkturindikationen nun zur GKV-Leistung geworden sind. Dieses Abstimmungsergebnis dürfte Folgen für künftige Entscheidungen im G-BA haben, die weit über den aktuellen Ge- genstand hinausreichen. Interessant wären übrigens die wahren Motive derjenigen, die gerade positiv votiert haben: Sie sollten Gegenstand einer kleinen Untersuchung sein, die deut- lich preiswerter, aber wahrscheinlich mit höherem Erkenntnisniveau als die Akupunkturstudien durchgeführt wer- den könnte. Dr. med. Till Spiro

G-BA und Akupunktur

Der Kaiser ist nackt

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Es ist ihm sicher auch unbekannt, dass in Japan neben einer hoch entwickelten westlichen Medizin Universitätsinstitute für Traditionelle Medizin betrieben wer- den, an denen

Will er dann aber immer noch alle Verfahren aus dem Leistungs- katalog herausnehmen oder nicht zulas- sen, für die kein spezifischer Wirkeffekt bekannt ist, dürfte aus dem

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass HBeAg-positiven Patienten mit chronischer Hepatitis B eine Peginterferon-alpha-Therapie oder eine Kombinati- on Peginterferon alpha

Dabei erfährt der Leser, dass Akupunktur nicht ein isoliertes Therapiever- fahren darstellt, sondern im Verbund mit der Chinesi- schen Arzneimittellehre, Be- wegungslehre und

Interessant ist das auch ande- re Literaturangaben bestäti- gende Ergebnis einer Teilstu- die, wonach die klassische Akupunktur eben keine signi- fikant therapeutische Wir- kung

Mi- nura, Professor für Innere Medizin an der kaiserlichen Universität To- kyo, der gleichzeitig Leibarzt des letzten Kaisers (1911 bis 1925) war, hat auch die Wirkungen der

Diese letzte Frage muß nach der Auseinanderset- zung mit den Thesen von Herrn Professor Schmidt mit „Nein" beantwortet werden: Obwohl das Phä- nomen der Schmerzinhibi-

Diese letzte Frage muß nach der Auseinanderset- zung mit den Thesen von Herrn Professor Schmidt mit „Nein" beantwortet werden: Obwohl das Phä- nomen der Schmerzinhibi-