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Archiv "Die Lithium-Prophylaxe: hohe Effizienz und geringes Risiko bei regelmäßiger Überwachung" (10.02.1995)

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(1)

Norbert Müller

Hans-Peter Kopfhammer Rolf Spatz

Hanns Hippius

Die Lithium-Prophylaxe:

hohe Effizienz und geringes Risiko bei

regelmäßiger Überwachung

D

ie akute und prophylaktische Behandlung affektiver Er- krankungen mit Lithiumsal- zen wurde bereits vor mehr als hundert Jahren von den dänischen Brüdern Carl und Fritz Lange propa- giert. Die Lithiumbehandlung setzte sich damals jedoch nicht durch und wurde erst 1949 von dem australi- schen Psychiater John Cade zur The- rapie der Manie wiederentdeckt und von einer dänischen Forschergruppe um Morgan Schou in kontrollierten Studien bestätigt. Dies war gleichzei- tig der erste wichtige Schritt der mo- dernen Psychopharmakologie. Als Therapie der ersten Wahl bei der Ma- nie gelten heute zwar Neuroleptika, aber auch Lithium hat dabei nach wie vor seinen Platz. Das Hauptindika- tionsgebiet der Lithiumbehandlung ist heute allerdings die Rezidivpro- phylaxe affektiver Psychosen, die Mitte der sechziger Jahre nach der Publikation erster kontrollierter Stu- dien eingeführt wurde. Eine rezidiv- prophylaktische Wirksamkeit zeigte sich dabei sowohl für bipolare (ma- nisch-depressive) als auch für mono- polare manische oder depressive Krankheitsverläufe.

Indikation und Effizienz

Nach der internationalen Litera- tur beträgt die Erfolgsrate bei der Re- zidivprophylaxe ungefähr 80 Prozent.

In 30 bis 50 Prozent der Fälle tritt eine Abnahme der Häufigkeit und/oder des Schweregrades beziehungsweise der Dauer der Phasen ein, eine völlige Rezidivfreiheit wird in 30 bis 50 Pro- zent der Fälle erreicht. Nur etwa 20 Prozent der mit Lithium behandelten Patienten zeigen keinen therapeuti-

Die Behandlung mit Lithium ist eine ef- fektive und sichere Möglichkeit zur Prophylaxe affektiver Psychosen. Li- thiumintoxikationen sind seltene Not- fälle, die durch regelmäßiges Monito- ring der Blutspiegel in den meisten Fäl- len vermieden werden können, wobei das Führen eines Lithiumpasses nicht unterbleiben sollte. Besondere Risikosi- tuationen, die durch drei typische Fall- berichte illustriert werden, stellen Än- derungen der Lebens- und Ernährungs- gewohnheiten, Kombinationen mit an- deren Pharmaka, medizinische Eingrif- fe, Exsikkose infolge von Diarrhoe, Er- brechen, Reisen oder großer Hitze dar, aber auch die psychische Dekompensa- tion der Patienten. Spezieller Aufmerk- samkeit bedarf die Lithiumprophylaxe im Alter. Das Absetzen von Lithium we- gen des Intoxikationsrisikos ist nur in Ausnahmefällen erforderlich.

schen Effekt (vergleiche 7). Steht bei schizoaffektiven Psychosen die affek- tive Komponente im Vordergrund, scheint auch hier eine Lithiumpro- phylaxe sinnvoll.

Vor der Indikationsstellung zur Lithiumprophylaxe sollte eine indivi- duelle Abschätzung des Rezidivrisi- kos erfolgen. Bipolar erkrankte Pati- Psychiatrische Klinik und Poliklinik (Leiter Prof.

Dr. med. HansJiirgen Möller) der Ludwig-Ma- ximilians-Universität München

enten (mit manischen und depressi- ven Phasen) haben ein erhöhtes Rezi- divrisiko gegenüber monopolar de- pressiven Erkrankungen. Im Allge- meinen sollte bei bipolaren Störun- gen eine medikamentöse Prophylaxe nach zwei, bei unipolaren Störungen nach drei Phasen erfolgen, wenn der Abstand der einzelnen Erkrankungs- phasen höchstens vier Jahre (bipolar) beziehungsweise fünf Jahre (mono- polar) beträgt. Treten die Erkran- kungsphasen in größeren Abständen auf, wird die Abwägung eher gegen die Lithiumbehandlung sprechen. Al- lerdings sind der Schweregrad, die Dauer und die sozialen Auswirkun- gen der Erkrankungsphasen mit ein- zubeziehen. Mitentscheidend ist die individuelle Bereitschaft der Patien- ten zur medikamentösen Langzeitbe- handlung.

Bei der Einstellung auf Lithium, die in der Regel durch den Facharzt erfolgen sollte, ist zunächst die Erhal- tungstherapie mit Antidepressiva oder Neuroleptika für einige Monate erforderlich. Während dieser Zeit kann die Prüfung der Indikation zur Prophylaxe und die Aufklärung der Patienten, möglichst unter Einbezie- hung von Angehörigen, erfolgen.

Zu beachten ist, daß der volle prophylaktische Effekt erst nach eini- gen Monaten bis zu einem Jahr nach Beginn der Lithiumbehandlung ein- tritt, eine Steigerung dieses Effekts läßt sich noch nach zwei Jahren oder mehr beobachten.

An der prophylaktischen Effizi- enz von Lithium bestehen keine Zweifel, vielmehr belegen Untersu- chungen, daß Lithium eines der effek- tivsten prophylaktischen Pharmaka der modernen Medizin ist, auch im Vergleich mit dem prophylaktischen

(2)

Bauchkrämpfe, Diarrhöen Intestinal

Tabelle]: Symptomatik und Diagnostik der Lithiumintoxikation

Verlangsamung, Antriebsmangel, Irritierbarkeit, innere Unruhe, Gedächt- nisstörungen, Orientierungsstörungen, Verwirrtheit

Psychisch

Tremor, Dysarthrie, Nystagmus, Schwindel, Ataxie, Hyperreflexie, muskuläre Faszikulationen und Fibrillationen, Dyskinesien Neurologisch

Oligurie, Anurie, Schock, Durstgefühl Renal

Klinische Untersuchung Psychiatrische, neurologische, internistische Untersuchung, Medikamentenanamnese

Labordiagnostik Bestimmung von Lithium-Spiegel, Elektrolyten, Kreatinin

Elektrophysiologie EEG, EKG MEDIZIN

Einsatz von ASS oder den in der kli- nischen Effizienz umstrittenen Lipid- senkern. Derzeit besonders aktuell:

die Einsparung von Kosten durch die Lithiumprophylaxe wird auf minde- stens 60 Prozent geschätzt (2). Daraus läßt sich auch die enorme sozialreha- bilitative Bedeutung von Lithium er- sehen.

Die Dosierung von Lithium er- folgt in der Regel nach dem Blutspie- gel. Für die prophylaktische Wirk- samkeit reicht nach neueren Untersu- chungen ein Spiegel von 0,6 bis 0,8 mmo1/1 aus. Es ist dabei darauf zu ach- ten, daß die Medikation einschlei- chend erfolgt, um unerwünschte Ef- fekte möglichst zu vermeiden.

Nebenwirkungen

Bis vor einigen Jahren wurde ein Lithiumspiegel von 0,8 bis 1,2 mmo1/1 als prophylaktisch wirksam erachtet — eine um etwa 50 Prozent höhere Do- sis als heute. Mit der Dosisreduktion hat das Nebenwirkungsrisiko weiter abgenommen Die am häufigsten be- obachteten Nebenwirkungen sind feinschlägiger Tremor, Polyurie und Polydipsie, unspezifische und reversi- ble Repolarisationsstörungen im EKG ohne klinische Bedeutsamkeit, Hypothyreose, leichte Leukozytose ohne Linksverschiebung und Ge- wichtszunahme Seltener treten der- matologische Komplikationen in Form von Akne und akneiformen Dermatosen auf, eine Psoriasis vulga- ris kann sich unter Lithiumbehand- lung manifestieren oder verschlech- tern.

Lithiumintoxikationen:

Risiken und Diagnostik

Lithiumintoxikationen (Tabelle 1) sind, bezogen auf die Verordnungs- häufigkeit und das spezifische Intoxi- kationsrisiko der Patienten aufgrund psychotischer Dekompensation und Suizidalität, seltene Ereignisse. Syste- matische Untersuchungen im Gebiet um Aarhus/Dänemark erbrachten, daß während einer neunjährigen Be- obachtungsperiode mit einer berech- neten Gesamtbehandlungszeit von

DIE UBERSICHT

Nur in seltenen Fällen erreichen die Nebenwirkungen der Lithium- prophylaxe ein Ausmaß, das ein Ab- setzen von Lithium erfordert. Diese Indikation sollte vom behandelnden Arzt in enger Abstimmung mit dem Psychiater oder Nervenarzt erfolgen.

Neben Antiepileptika, vor allem Carbamazepin, das ebenfalls relativ nebenwirkungsarm ist, stellt — je nach Indikation — die Neuroleptika- oder Antidepressiva-D auerbehandlung ei- ne Alternative zur Lithiumprophyla- xe dar. Letztere sind gegenüber Lithi- um allerdings mit einem höheren Ne- benwirkungsrisiko behaftet.

4 900 Jahren lediglich 24 Lithiuminto- xikationen auftraten, davon 15 — etwa zwei Drittel — in suizidaler Absicht. Es war kein Todesfall zu verzeichnen (8).

Andere Untersuchungen fanden ver- gleichbare, zum Teil noch geringere Risiken (2). Andererseits gilt die Dunkelziffer als hoch, denn schlei- chende Intoxikationen aufgrund eines chronisch erhöhten Spiegels werden häufig erst bei Routinekontrollen be- merkt. Ab einem Spiegel von 1,5 mmo1/1 muß verstärkt mit Nebenwir- kungen gerechnet werden, ab 2,0

mmo1/1 treten meist Intoxikationszei- chen auf und ab 3,5 mmo1/1 droht Le- bensgefahr (6). Andererseits werden die Nebenwirkungen auch bei der sechs- bis zehnfachen Konzentration des prophylaktisch wirksamen Spie- gels noch toleriert (siehe nachfolgen- de Fallberichte).

Das Risiko einer Lithiumintoxi- kation muß insbesondere bei Ände- rungen der Lebens- und Ernährungs- gewohnheiten beachtet werden. Als Beispiele seien Fernreisen und Diäten mit der erhöhten Gefahr von Dehy- dratation durch Exsikkose (Vorsicht bei starker Hitze!), Erbrechen und Diarrhoe genannt. Bei Kombination mit anderen Pharmaka (Tabelle 2), Fieber, medizinischen Eingriffen wie Operationen oder Koloskopien, so- wie bei Nierenerkrankungen und Elektrolytverschiebungen ist beson- dere Vorsicht angebracht. Nicht zu- letzt sind Stoffwechselveränderungen im Alter und psychische Dekompen- sation (Suizidalität!) im Auge zu be- halten.

Therapie der Intoxikation

Bei akuten Intoxikationen kön- nen bei rechtzeitigem Auffinden

(3)

Thiazide Spironolacton Triamteren

erhöhen Lithium-Spiegel

erhöhen Lithiumspiegel ACE-Hemmer

Tabelle 2: Medikamenteninteraktionen mit Lithium (nach: Stoudemire et al., 1991;

DasGupta und Jefferson, 1990)

keine signifikanten Veränderungen der Lithiumspiegel, aber möglich erhöhte Neurotoxizität in Kombination mit Lithium

Methyldopa

können Lithiumspiegel erhöhen oder er- niedrigen, Effekte nicht klar; Verapamil und Lithium: mögliche Bradykardie Kalzium-Kanal-Blocker

Theophylline, Aminophylline, Acetazolamid

erniedrigen Lithiumspiegel

nichtsteroidale Anti- phlogistika (z. B. Indo- methacin, Ibuprofen, Phenylbutazon)

erhöhen Lithiumspiegel

kann Lithiumspiegel erhöhen und das Risiko einer Nephrotoxizität in Kombination mit Lithium verändern Metronidazol

zunächst induziertes Erbrechen oder eine Magenspülung vorgenommen werden. Bei leichteren Intoxikatio- nen, etwa nach Wasser-Elektrolyt- Verlust bei anstrengender Arbeit oder Hitzeexposition, kann zunächst eine vermehrte Kochsalzzufuhr aus- reichen. Eine forcierte Diurese be- schleunigt ebenfalls die Lithiumaus- scheidung, sollte jedoch nur bei aus- reichender Nierenfunktion und sta- bilen Herz-Kreislauf-Verhältnissen durchgeführt werden. Aufgrund der Rückresorption von Lithium im pro- ximalen Tubulus der Niere wird die Lithiumausscheidung allerdings nur mäßig beschleunigt. Bei schweren In- toxikationen ist eine Hämodialyse er- forderlich, die eventuell durch eine Peritonealdialyse ergänzt werden muß. Darüber hinaus ist die sympto- matische Behandlung anderer Intoxi- kationsfolgen notwendig.

Anhand von drei aktuellen Fall- darstellungen sollen typische Risiken für eine Lithiumintoxikation und die Behandlung illustriert werden:

Fall 1:

Die 72jährige verwitwete Rent- nerin, die sich bereits siebenmal we- gen einer Zyklothymie in stationärer psychiatrischer Behandlung befun- den hatte, nahm zur Vorbereitung ei- ner Koloskopie ein Laxans ein. Be- reits einige Tage zuvor hatte sie eine zunehmende leichte depressive Ver- stimmtheit bemerkt und befürchtete, daß aufgrund der Diarrhoe ihr Lithi- umspiegel nicht mehr ausreichte, wes- halb sie die Dosis steigerte. Bei einem Routineambulanztermin zeigten sich ein Verwirrtheitssyndrom, Ataxie, Tremor und eine Diarrhoe; es wurde ein Lithiumspiegel von 4,58 mmo1/1 gemessen. Die Patientin wurde in ei- ne internistische Klinik überwiesen, wo sie Natrium i. v. erhielt und hämo- dyalisiert werden mußte.

Fall 2:

Nach einer Ersterkrankung im Alter von 20 Jahren hatte die 25jähri- ge Sekretärin vier Jahre später inner- halb eines Jahres insgesamt drei rezi- divierende Phasen, die jeweils mit ei- ner ängstlichen Depression begannen und dann in ein maniformes Syndrom umschlugen, weshalb eine Lithium- prophylaxe erfolgte. Im Verlauf des

gleichen Jahres erfolgte ein Suizidver- such mit 50 Tabletten eines Lithium- präparates. Die Patientin wurde mit einem Lithium-Serumspiegel von 4,0 mmo1/1 auf eine internistische Entgif- tungsstation gebracht. Nach der Übernahme in die Psychiatrische Kli- nik wurde bei einem Serumwert von 2,07 mmol/1 ein EEG abgeleitet (Ab- bildung).

Die Patientin war verlangsamt in der Motorik, die Sprache war verwa- schen, die Stimmung depressiv und weinerlich.

Sehr verzögert kam es erst nach Ablauf eines Zeitraumes von 28 Ta- gen zu einer vollkommenen Normali- sierung des EEG der Patientin.

Fall 3:

Ein 53jähriger Patient mit lang- jähriger bestehender schizoaffektiver Psychose, vorbehandelt mit individu- ell erprobter Kombination aus Neu- roleptika, Lithium und einem Tran- quilizer, unterzog sich einer elektiven Hüftgelenksoperation. Die Psycho- pharmakotherapie wurde lediglich am OP-Tag nach Nahrungs- und Flüs-

sigkeitskarenz ausgesetzt. Zwei Tage später zeigte der Patient motorische Unruhe und Orientierungsstörungen, was als diskretes postoperatives Durchgangssyndrom gewertet wurde.

Im konsiliarpsychiatrischen Kontakt am siebten postoperativen Tag war er im formalen Denken inkohärent, af- fektiv distanzlos, unzureichend orien- tiert und in der Aufmerksamkeit re- duziert. Es fanden sich eine leichte Dysarthrie sowie ein diskreter Tre- mor der Hände. Die Kontrolle des Li- thium-Serumspiegels erbrachte einen Wert von 5,7 mmo1/1.

Wegen der Intoxikation wurde der Patient über mehrere Tage hämo- dialysiert. Später zeigte sich, daß un- ter Einnahme von Lithium bereits vor Jahren eine Polyurie aufgetreten war, was er durch Trinken von etwa zehn Litern Flüssigkeit pro Tag kompen- siert hatte.

Lithiumintoxikationen sind ge- fährliche Zwischenfälle, die sehr sel- ten auftreten, dann jedoch Not- fallcharakter haben. Im Vordergrund stehen dabei psychische und neurolo- gische Symptome, häufig auch ga-

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A MEDIZIN

Abbildung: EEG-Befund einer 25jährigen Patientin nach einem Suizidversuch mit einer Überdosis eines Lithiumpräparates und anschließender Entgiftung.

Bei einem deutlich erhöhten Lithiumspiegel von 2,07 mmo1/1 findet sich eine unregelmäßige, etwas ver- langsamte 7-9/s-Grundtätigkeit mit paroxysmalen Störungen, die vorwiegend 2-4/s-Gruppen mit iso- lierten Stike-Wave-Komplexen und steilen Wellen enthalten.

stroenterologische Zeichen. Beson- ders sorgfältig ist auf psychische Ver- änderungen zu achten, da sie leicht als Symptome der Grunderkrankung verkannt werden können. Einen Überblick über Symptome und Dia- gnostik der Lithiumintoxikation gibt Tabelle 1. Auf Komplikationen bei medizinischen Eingriffen, Pharma- kainteraktionen sowie EEG-Verän- derungen soll ausführlicher eingegan- gen werden.

Probleme bei

operativen Eingriffen und gestörter Nierenfunktion

Patienten unter prophylaktischer Lithiummedikation bedürfen einer sorgfältigen Überwachung, wenn sie sich einem operativen Eingriff unter- ziehen. Begleitumstände wie Erbre- chen, Durchfall, Polyurie oder starkes Schwitzen können zu einer bedeutsa- men Verringerung des Körperflüssig- keitsvolumens führen und hierüber einen Anstieg des Lithiumspiegels be- wirken. Dieser Effekt kann zusätzlich verstärkt werden, wenn bereits vor- her eine lithiuminduzierte Polyurie bestand und der Patient perioperativ nicht mehr imstande ist, durch ver- mehrtes Trinken kompensatorisch entgegenzuwirken (Fall 3). Eine un- mittelbar vor der Operation angeord- nete Flüssigkeitskarenz intensiviert diesen Konzentrationsvorgang weiter.

Vor Operationen sollte deshalb die Lithiumbehandlung für zwei bis drei Tage ausgesetzt werden. Wäh- rend notwendiger präoperativer Nah- rungs- und Flüssigkeitskarenz sollte für eine ausreichende parenterale Vo- lumensubstitution gesorgt werden.

Zwischen Lithiumsalzen und Narko- semitteln bestehen keine Wechselwir- kungen. Eine mögliche Verlängerung der Wirkung von Muskelrelaxanzien muß aber bedacht werden.

DIE UBERSICHT

Die Unterbrechung der Lithium- medikation sollte sich auf einen mög- lichst kurzen Zeitraum beschränken.

Ein Wiederansetzen von Lithium kann erfolgen, sobald postoperativ eine ausgeglichene Flüssigkeitsbilanz vorliegt, spätestens aber, wenn der Patient wieder selbständig trinken kann. Einige wenige Patienten, bei denen zum Beispiel aus früheren Li- thiumabsetzversuchen eine rasche Verschlechterung des psychopatholo- gischen Status bekannt ist, benötigen während dieser lithiumfreien Zeit ei- ne besonders engmaschige Überwa- chung. Der überbrückende Einsatz eines Neuroleptikums oder eines Benzodiazepins kann notwendig sein.

Bei Patienten mit akutem Nie- renversagen ist die Fortführung einer Lithiumprophylaxe kontraindiziert.

Ein Ausweichen auf Neuroleptika ist möglich. Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz sind unter sorgfäl- tiger Überwachung aber in aller Re- gel ohne größere Probleme mit Lithi- um weiterzubehandeln. Auf Medika- menteninteraktionen ist jedoch zu achten (Tabelle 2). Dies gilt auch für dialysepflichtige Patienten. Lithium- salze sind voll dialysabel. Nach einer Dialyseeinheit genügt die Substituti- on durch eine Einmalgabe von etwa 300 bis 600 mg, da bis zum nächsten Dialysetermin die Spiegel aufrecht- erhalten bleiben. Initial empfiehlt sich eine Konzentrationsbestimmung jeweils nach der Postdialysegabe.

Später aber sollte auch unmittelbar vor einer Dialyseeinheit eine Mes- sung durchgeführt werden, um ein zwischenzeitliches Ansteigen der Li-

thiumkonzentrationen erfassen und korrigieren zu können.

Patienten, die nierentransplan- tiert wurden, können in der Akutpha- se wegen der massiven perioperativen Wasser- und Elektrolytverschiebun- gen nicht mit Lithium weiterbehan- delt werden. In einem stabilen post- operativen Abschnitt ist eine Lithi- umprophylaxe aber in aller Regel wieder aufzunehmen. Da nierentrans- plantierte Patienten meist Kortiko- steroide und/oder Ciclosporin ein- nehmen, müssen deren vermindernde Effekte auf die Lithium-Clearance berücksichtigt werden. Eine Dosisan- passung durch reduzierte Lithiumga- be ist vorzunehmen (5).

Eine Unterdosierung und damit eine unzureichende Prophylaxe sollte unbedingt vermieden werden, die Li- thiumpause wenige Tage nicht über- schreiten. Bei Dosisreduktion sind engmaschige Kontrollen des Lithium- spiegels erforderlich. Im Zweifelsfall ist die Konsultation eines Psychiaters oder Nervenarztes sinnvoll.

Lithiumsalze und

Elektroenzephalographie

Abnorme EEG-Befunde wäh- rend einer Lithiumintoxikation sind fast obligat (Abbildung). Neben der Synchronisationstendenz und der Verlangsamung des Grundrhythmus wurde auch eine Häufung paroxysma- ler Störungen mit gruppierten, steilen und langsamen Graphoelementen be- obachtet. Bereits im therapeutischen Bereich von Lithium fanden sich dis-

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krete EEG-Veränderungen mit ver- mehrter Theta-Delta-Aktivität. Da- bei wurden diese abnormen EEG-Be- funde frühestens bei Spiegeln ab 0,4 mmo1/1, im Mittel etwa ab 0,6 mmolll und von anderen Autoren erst ab 1,0 mmo1/1 gesehen (4). Quantitative Analysen des EEG zeigten unter Li- thium eine Zunahme der Power im Bereich von drei bis sieben Herz.

Tierversuche mit implantierten Tiefenelektroden bei Affen können die auftretenden EEG-Veränderun- gen erklären. So kommt es im Bereich der Chemitroden, die in die Region des Hippocampus oder des Mandel- kerns eingesenkt werden, bei Verab- reichung von Lithium zu Entladungen von langsamen, steilen, biphasischen Wellen mit einer Frequenz von einem Herz. Diese bezeichnete man als Li- thium-Welle.

EEG-Kontrolluntersuchungen bei abklingender Lithiumintoxikation sind ein feiner Indikator für den wei- teren Verlauf. Es kommt zu einer kontinuierlichen Rückbildung der ab- normen Graphoelemente. Häufig ist das EEG noch abnorm, obwohl der Lithiumspiegel bereits in einen thera- peutischen Bereich oder gar auf 0 ab- gefallen ist (9). Die abnormen EEG- Befunde überdauern die klinische und serologische Normalisierung wahrscheinlich deshalb, weil eine noch vorhandene intrazelluläre Lithi- um-Restkonzentration für dieses Phänomen verantwortlich ist.

Lithium-Monitoring

Der Lithium-Serumspiegel sollte bei der Dauerbehandlung auch nach Jahren kontinuierlicher Einnahme re- gelmäßig etwa alle zwei bis drei Mo- nate kontrolliert werden, um Unter- oder Überdosierungen vorzubeugen.

Engmaschigere Kontrollen sind bei erhöhtem Risiko und in höherem Le- bensalter erforderlich. Bei Verdacht auf eine Lithiumintoxikation muß sofort eine Serumspiegelbestimmung vorgenommen werden, wobei heute mittels Automaten mit einer ionense- lektiven Elektrode eine zuverlässige Sofortbestimmung möglich ist (3).

Empfehlenswert ist das regelmäßige Führen eines Lithiumpasses. Auf die- se Weise läßt sich das Risiko für Into-

xikationen minimieren, wenn es auch

— insbesondere bei psychischer De- kompensation etwa in suizidaler Ab- sicht — nie auszuschließen ist. Derzeit wird in einer weltweiten Studie ge- prüft, ob eine Lithiumeinnahme alle zwei Tage bei weiter vermindertem Risiko prophylaktisch ebenso effektiv ist. Das Absetzen von Lithium wegen des Intoxikationsrisikos ist nur in Ausnahmefällen erforderlich, wobei mit Carbamazepin eine effektive Al- ternative zur Verfügung steht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1995; 92: A-365-369 [Heft 6]

Literatur

1. DasGupta K, Jefferson JW: The use of lithium in the medically ill Gen Hosp Psychiatry 1990; 12: 83-97

2. Felber W, König L, Lange E: Rehabilitati- ve Ziele in der Psychiatrie — die Lithiumbe- handlung affektiver Psychosen. Dt Ge- sundh Wesen 1981; 36: 289-293

3. Greil W, Runge H, Steller B: Sofortbestim- mung von Lithium im Blut mittels ionense- lektiver Elektrode. Nervenarzt 1992; 63:

184-186

4. Heimchen H, Kanowski S: EEG-Verände- rungen unter Lithium-Therapie. Nerven- arzt 1971; 42: 144-148

5. Kapfhammer HP: Nieren- und leberinsuf- fiziente Patienten — ein therapeutisches Problem. In: Möller H-J, Przuntek H (Hrsg.): Therapie im Grenzgebiet von Psychiatrie und Neurologie. Springer, Hei- delberg, New York 1993: 75-92

6. Müller-Oerlinghausen B: Neurologische Komplikationen im Laufe der Lithium-Be- handlung. Aggressol. 1982; 23: 77-79 7. Müller-Oerlinghausen B; Greil W: Die Li-

thiumtherapie — Nutzen, Risiken, Alterna- tiven. Springer, Heidelberg, New York 1986

8. Schou M: Lithium Prophylaxis: Myths and Realities. Am J Psychiatry 1989; 146:

573-576

9. Spatz R, Kugler J, Greil W, Lorenzi E: Das Elektroenzephalogramm der Lithium-In- toxikation. Nervenarzt (1978); 49: 539-542 10. Stoudemire A, Moran MG, Fogel BS: Psy-

chotropic drug use in the medically ill. Psy- chosomatics 1991; 31: 377-391

Anschrift für die Verfassen

Priv.-Doz. Dr. med. Dipl.-Psych.

Norbert Müller

Psychiatrische Universitätsklinik Nußbaumstraße 7

80336 München

Alternative

Therapieformen bei onkologischen

Patienten

In einer englischen Studie wurde untersucht, wieviele onkologische Pa- tienten neben einer konventionellen Tumortherapie zusätzlich alternative Therapien anwandten, welche Ver- fahren am häufigsten waren und ob sich ein Nutzen oder ein Risiko ablei- ten ließ.

Durch eine Fragebogenaktion sowie durch Interviews wurden bei 600 nicht-selektionierten onkologi- schen Patienten, die bereits länger als drei Monate von ihrer Diagnose wuß- ten, diesbezüglich Daten erfaßt.

Von 69 Prozent der Patienten, die auf die Fragebögen antworteten, hat- ten 16 Prozent zusätzliche Therapie- verfahren angewandt. Am häufigsten wurden Heilverfahren, progressive Entspannung, diverse Diäten, Homöopathie, Vitamine, Kräuterthe- rapien und naturheilkundliche Ver- fahren angegeben. Die Patienten, die diese Methoden anwandten, waren tendentiell jünger, einer höheren so- zialen Schicht zugehörig und häufiger Frauen. 75 Prozent wandten mehr als ein zusätzliches Verfahren an. Diäten und Kräutertherapien wiesen am häu- figsten Nebenwirkungen auf. Die Pa- tienten, die alternative Tumor- therapien anwandten, waren häufig von der konventionellen Therapie wegen ausbleibender Erfolge und dem Auftreten von Nebenwirkungen enttäuscht. Trotz fehlender Wirksam- keit auf die Tumorprogression wur- den die Alternativverfahren von den Patienten akzeptiert, als wesentlich wurden auch psychologische Momen- te wie Hoffnung und Optimismus an- gegeben. acc

Downer SM, Cody MM, McCluskey P, Wilson PD, Arnot, SJ, Lister TA, Slevin ML: Pursuit and practice of complemen- tary therapies by cancer patients receiving conventional treatment. B M J 1994; 309:

86-9.

Dr. Slevin, Dep. of Radiotherapy, St. Bar- tholomew's Hospital, London EC1A 7BE, England.

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