Deutsches Ärzteblatt
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1. Oktober 2010 A 1879D
ie Medizin ist eine Naturwis- senschaft. Aber das Arzttum ist keine Naturwissenschaft, son- dern das Arzttum ist das Letzte und Schönste und Größte an Beziehun- gen von Mensch zu Mensch.“ (Prof.Sauerbruch, 1875–1951)
„Ein guter Arzt ist für mich einer, der den Patienten nicht nur als Kun- den wahrnimmt, sondern auch den Menschen und dessen Bedürfnisse und Belange erkennt.“ (Passant in München)
Ob ein großer Chirurg am An- fang des letzten Jahrhunderts oder ein zufällig gewählter Mensch der heutigen Zeit – alle scheinen sich einig darüber zu sein, dass man den Arzt nicht auf seine Rolle als me -
dizinischer Experte reduzieren kann.
Ist doch die bloße Zweckorientie- rung der ärztlichen Kompetenz für das komplexe Handlungssystem der Medizin nicht ausreichend. So ist die Ärztin, der Arzt auch Mensch, eine Ärztin auch Ehefrau, ein Arzt auch Vater und der Patient nicht nur Kranker, sondern auch Mensch, Berufstätiger et cetera.
In der Öffentlichkeit und den Medien wird immer wieder eine
„Entmenschlichung der Medizin“
thematisiert. Diverse Studien zei- gen, dass im Verlauf der beruflichen Sozialisierung von Medizinstudie- renden und jungen Ärzten ein Wer- tezerfall erfolgt. Und daher stimmt auch das folgende Zitat einer Medi-
zinstudentin nachdenklich: „Wün- schenswert (hoffentlich nicht illu- sorisch?) wäre es, aus den anfängli- chen Idealen – die natürlich in Er- mangelung von Einsicht und Erfah- rung mehr oder weniger verklärt sind – das Beste zu bewahren, zum Beispiel: ein guter, warmer, helfen- der, zugewandter Arzt zu sein und aus dem Medizinstudium mit abge- klärten, entzerrten, bereicherten, gestärkten und optimistischen Idea- len herauszugehen – anstatt ernüch- tert, zermürbt, angstvoll, pessimis- tisch, zynisch, verloren und orien- tierungslos.“
Dieser offensichtliche Mangel in der medizinischen Ausbildung war Anlass zu einer neuen Initiative an
Die gleichzeitige Teilnahme an der haus- und fachärztlichen Versorgung ist auch dann nicht zulässig, wenn Versorgungsengpässe drohen.
Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) ent- schieden.
Seit der zum 1. Januar 1993 eingeführten Gliederung der vertragsärztlichen Versorgung ist eine gleichzeitige Teilnahme an der haus- ärztlichen und der fachärztlichen Versorgung ausgeschlossen. Ausnahmen von dem Grund- satz, dass Vertragsärzte Leistungen nur in ih- rem jeweiligen Versorgungsbereich erbringen dürfen, sind nur im engen Rahmen vorgese- hen. So bestimmt § 73 Absatz 1a Satz 3 Sozi- algesetzbuch (SGB) V, dass der Zulassungs- ausschuss für Kinderärzte und Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung eine von § 73 Ab- satz 1a Satz 1 SGB V abweichende befristete
Regelung treffen kann, wenn eine bedarfsge- rechte Versorgung nicht gewährleistet ist. Ge- mäß § 73 Absatz 1a Satz 4 SGB V können Kin- derärzte mit Schwerpunkt auch an der fach- ärztlichen Versorgung teilnehmen. Dem Inte- resse von Allgemeinärzten, die im Wesentli- chen spezielle Leistungen erbringen, wird da- durch Rechnung getragen, dass ihnen der Zu- lassungsausschuss auf ihren Antrag hin die Genehmigung zur ausschließlichen Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung erteilen kann (§ 73 Absatz 1a Satz 5 SGB V). Weitere Aus- nahmen sind auch unter verfassungsrechtli- chen Erwägungen nicht erforderlich.
Der Kläger, der seit 1995 als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Ver- sorgung zugelassen und seit 1996 als Haus- arzt an der vertragsärztlichen Versorgung
teilnimmt, kann damit keine chirurgischen Leistungen auf Überweisung durchführen, auch wenn er die Bezeichnung Facharzt für Chirurgie führt. Das Argument des Arztes, ihm die Abrechnung von chirurgischen Leis- tungen weiterhin zu genehmigen, weil kein Chirurg im Planungsbereich niedergelassen ist und die nächstgelegenen Chirurgenpraxen 13 und 28 Kilometer entfernt sind, begründet keine Ausnahmeregelung. Dem Kläger kann nicht gestattet werden, diese Leistungen ab- zurechnen, da diese dem fachärztlichen Ver- sorgungsbereich vorbehalten sind. Durch die Zuordnung zur fachärztlichen Versorgung ist kein Raum für eine Berücksichtigung der – durch Fachkundenachweis belegten – per- sönlichen Befähigung zu chirurgischen Leis- tungen. (Bundessozialgericht, Urteil vom 28.10.2009, Az.: B 6 KA 22/09 R)
RAin Barbara Berner
RECHTSREPORT
Hausärztliche und fachärztliche Versorgung MEDIZINSTUDIUM
Selbstreflexion als Ausbildungsziel
Die Medizinische Fakultät der Technischen Universität München bieten den freiwilligen Kurs „Humanität in der Medizin“ an.
Die ersten Erfahrungen damit sind positiv.
Foto: Fotolia [m]
Blick auf sich selbst: „Je mehr wir uns bereits im Studium mit unse- ren eigenen Proble- men auseinander- setzen, umso gerin- ger ist das Risiko, dass und diese Pro- bleme in der Arzt- Patient-Beziehung im Weg stehen.“
S T A T U S
A 1880 Deutsches Ärzteblatt
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1. Oktober 2010 der Fakultät für Medizin der Tech-nischen Universität (TU) München.
Unter dem Titel „Humanität in der Medizin“ wurde ein neuer fakultati- ver Kurs ins Leben gerufen. Ziel des Pilotprojekts war es, dass sich die Studenten während der klini- schen Studienjahre aktiv reflektie- rend mit Wertvorstellungen und Sinnerklärungen im Zusammen-
hang mit ihrem ärztlichen Alltag und den von ihnen ausgeübten Tä- tigkeiten auseinandersetzen. Alltäg- liche menschliche Konflikte, denen Ärztinnen und Ärzte ausgesetzt sind, sollten erkannt, analysiert und schließlich mögliche Lösungsansät- ze diskutiert werden.
Im Vorfeld wurden in Fokus- gruppen mit Studierenden und Pa- tienten wesentliche Themen in Be- zug auf „Humanität in der Medizin“
identifiziert. Daraus entwickelten sich die folgenden sechs Themen:
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Mein Weg – Privatleben, Be- ruf und Karriere●
Der Patient – eine leibhaftige Person●
Mein Alltag – von Leiden und Tod●
Das Gespräch – zwischen Arztrolle und Menschsein●
Die Angst – zwischen Verant- wortung und Unsicherheit●
Die Arbeit – zwischen Hierar- chie und TeamMit jeweils zwei Doppelstunden je Thema wurden diese Seminare im Verlauf des letzten Jahres erst- malig für eine Gruppe von Studen- ten durchgeführt. Das jeweilige Thema wurde interdisziplinär durch einen praktisch tätigen Mediziner und einen Geisteswissenschaftler
gestaltet und geleitet. In jedem Se- minar wurde versucht, den in der Medizin eher atypischen induktiven Weg der Erkenntnisgewinnung zu beschreiten: Die Studenten wurden aufgefordert, angenommene Denk- gewohnheiten und Perspektiven zu hinterfragen, zu erweitern und ge- gebenenfalls zu verändern. Aus- gangspunkt war die persönliche Er- fahrungswelt, angereichert durch Fallbeispiele und fiktionale Ausein - andersetzungen mit den Themen, in Reflexion und Diskussion.
Diese neue Seminarreihe war so- wohl für die Studenten als auch für die vielen beteiligten Dozenten eine intensive und ungewohnte Erfah- rung. Die Möglichkeit, menschli- che Grundfragen mit anderen Stu- denten, erfahrenen Ärzten und Wis- senschaftlern diskutieren zu kön- nen, hinterließ eine nachhaltige Wirkung bei allen Beteiligten.
Das folgende Zitat aus der öf- fentlichen Abschlussveranstaltung der Studenten fasst alles Wesentli- che zusammen: „. . . wir sind der Meinung: Je stärker wir aus unse- rem Studium hervorgehen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir auch für unsere Patienten stark sein können. Je mehr wir uns bereits im Studium mit unseren ei- genen Problemen, Sorgen und Ängs- ten auseinandergesetzt haben, umso geringer ist das Risiko, dass uns diese Probleme in der Arzt-Patien- ten-Beziehung, im Team oder sonst wo hinderlich im Weg stehen. . . . (das Seminar) ist ein geeignetes Fo- rum und ein geschützter Rahmen, um unser Selbstverständnis zu er- weitern und wichtige Erfahrungen in Bezug auf unsere ärztliche Zu- kunft zu sammeln.“
Die Fakultät wird im kommen- den Studienjahr die Initiative fort- setzen und ausbauen. Es ist sicher schwierig, den direkten Nutzen ei- ner solchen aktiven Auseinander- setzung mit der „Humanität in der Medizin“ während der Ausbildung für das spätere Arztsein zu belegen.
Trotzdem waren sich alle Beteilig- ten darüber einig, dass sie diese Ini- tiative bereichert hat und dass der Dialog im Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaft und Humanität fortgesetzt werden sollte. ■
Priv.-Doz. Dr. med. Pascal O. Berberat E-Mail: berberat@chir.med.tu-muenchen.de
Zur Abrechnung von Röntgenaufnahmen eines oder beider Hüftgelenke enthält die Gebühren- ordnung für Ärzte (GOÄ) bestimmte Abrech- nungsbeschränkungen.
Wird beispielsweise ein Hüftgelenk in zwei Ebenen geröntgt, so ist diese Leistung mit der Nr.
5030 GOÄ („…Hüftgelenk, jeweils in zwei Ebe- nen“, bewertet mit 360 Punkten) berechnungsfä- hig. Eine gegebenenfalls erforderliche dritte Ebe- ne kann mit der Nr. 5031 GOÄ („…Hüftgelenk, ergänzende Ebene…“, bewertet mit 100 Punk- ten) in Ansatz gebracht werden. Werden jedoch, was in der Praxis nicht selten vorkommt, eine Be- ckenübersichtsröntgenaufnahme und Röntgen- aufnahmen eines oder gegebenenfalls auch bei-
der Hüftgelenke in axialer Ebene durchgeführt, so kann diese Leistung insgesamt nur mit der Nr.
5040 GOÄ („Beckenübersicht“, bewertet mit 300 Punkten) abgerechnet werden. Ein zusätzlicher Ansatz der Nr. 5031 GOÄ für die Röntgenunter- suchung in axialer Ebene, unilateral oder bilate- ral, ist gebührenrechtlich nicht möglich, weil sich die Nr. 5031 GOÄ in der Gebührenordnung nur auf die Nr. 5030 GOÄ und nicht auf die Nr. 5040 GOÄ („Beckenübersicht“) bezieht. So verbleibt nur die Möglichkeit, den zusätzlichen Aufwand der unilateralen beziehungsweise bilateralen axialen Hüftgelenksaufnahme(n) bei der Berech- nung der Nr. 5040 GOÄ über den Gebührenrah- men zu berücksichtigen.
Auch die Nr. 5035 GOÄ („Teile des Skeletts in einer Ebene, je Teil“) kann für die axiale(n) Hüftgelenksaufnahme(n) nicht in Ansatz ge- bracht werden, da diese Gebührennummer ge- mäß den Anmerkungen zu ihrer Leistungsle- gende unter anderem neben der Nr. 5040 GOÄ nicht berechnungsfähig ist.
Andererseits kann jedoch, falls neben der Darstellung der Hüftgelenke auf der Becken- übersichtsaufnahme die Darstellung beispiels- weise eines Hüftgelenks in zwei weiteren Ebe- nen medizinisch erforderlich ist, für die letztge- nannte Leistung die Nr. 5030 GOÄ neben der Nr. 5040 GOÄ berechnet werden. Es ist dies somit auch ein Beispiel der Inkongruenz in der derzeit gültigen GOÄ.
Dr. med. Stefan Gorlas
GOÄ-RATGEBER
Abrechnungsbeschränkungen bei Röntgenaufnahmen des Hüftgelenks