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Archiv "Ärztliche Ethik in standespolitischer Sicht" (01.12.1977)

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wohl wir gemeinsam davon über- zeugt sind, daß alle Vernunfts- gründe dagegen sprechen. Dies zeigt sich auch bereits an den er- heblichen lnvestitionsaufwendun- gen, welche für die gynäkologi- schen Kollegen gerade entstehen.

Der an mir versuchte Rufmord ko- stet meine Kollegen sechsstellige Beträge, deren Ausgabe rechtlich nicht erforderlich gewesen wäre. Frage: Ist damit nicht ein Haupt- punkt der Kritik an Ihnen ent- fallen?

Antwort: Derjenige, der sich rich- tig informiert und sachlich geur- teilt hat, hat von Anfang an gar keine Kritik geübt.

Frage: Würden Sie zugeben daß das Modell "D" den Trend zur "ge- werblichen" ärztlichen Leistung beschleunigt hätte?

Antwort: Das Gegenteil ist der Fall.

Die gemeinsame Nutzung von Ge- räten durch freiberuflich tätige Ärzte hat mit "gewerblichen" Lei- stungen überhaupt nichts zu tun.

ln unserem Modell erbrachte jeder der freiberuflich tätigen Ärzte sei- ne eigenen Leistungen in eigener Verantwortung. Auch die zwangs- läufig notwendige Kostenabrech- nung hat nichts mit Gewerbe zu tun. Es handelt sich, wie kein sachlich Denkender bestreiten kann, um eine echte Kostenerstat- tung. Dies beweist zur Genüge der Vertrag der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft über die Kostenerstattung von Kranken- hausärzten gegenüber den Kran- kenhausträgern: Man kann der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung nicht unterstellen, daß sie den Krankenhausträgern zu La- sten der Ärzte höhere Beträge zu- billigt als die, welche der Kosten- deckung entsprechen. Nicht an- ders haben auch wir die Kostener- stattung praktiziert. Die Behaup- tung, ich hätte mich "gewerblich betätigt", gehört also ebenfalls zum Vokabular der Verleum- dungskampagne ... "

Die Information:

Bericht und Meinung

THEMEN DER ZEIT

Ärztliche Ethik

in standespolitischer Sicht

J.

F. Valrad Deneke

Die drei Lehrstühle für innere Medizin der Universität zu Köln (Prof.

Dr. R. Gross, Prof. Dr. W. Kaufmann, Prof. Dr. H. H. Hilger) und der Lehrstuhl für innere Medizin I der Universität des Saarlandes (Prof. Dr.

P. G. Scheurlen) veranstalteten mit Hilfe der Fritz-Thyssen-Stiftung am 1. Oktober 1977 in Köln ein eintägiges Symposium zum Thema

"Ärztliche Ethik". Unter zehn Referenten behandelte der Hauptge- schäftsführer der Bundesärztekammer das Thema aus standespoliti- scher Sicht; sein Referat ist hier wiedergegeben. Die Gesamtheit der Referate des Symposiums wird an anderer Stelle veröffentlicht.

Die Einbindung eines Diskussions- beitrages in ein größeres themati- sches Geflecht bedeutet Chance und Zwang zur strikten Beschrän- kung auf den abgefragten Aspekt. ln diesem Sinne sollen hier ausschließ- lich

..,.. das ideologische Beziehungsver- hältnis und

..,.. die praktische Wechselwirkung von ärztlicher Ethik und Standespo- litik betrachtet werden. Im Hinblick auf die anderen Beiträge und zur Vermeidung ermüdender Wiederho- lungen wird darauf verzichtet, in concreto Imperative und Prioritäten einer ethischen Wertskala für Ärzte aufzuzählen, aus aktueller standes- oder berufspolitischer Sicht zu orten und dies zu begründen.

Der Zwang zur Beschränkung auf trockene Theoreme entbindet je- doch nicht von der Pflicht zu Defini- tionen. Abgrenzung und Gehalt der Begriffe, wie sie der Referent ver- wendet, sind zugleich Schlüssel für das Verständnis seiner analytischen Fragen und seiner prognostischen Thesen.

Dementsprechend soll dieser Dis- kussionsbeitrag gegliedert werden in drei, notgedrungen fragmentari- sche Gedankenzüge:

1. Definitorische Thesen zu den Grundbegriffen des Themas, 2. analytische Fragen zu den Wech- selbeziehungen von ärztlicher Ethik und Standes- bzw. Berufspolitik, 3. prognostische Thesen zur Ver-

laufsentwicklung der praktischen Bedeutung berufsspezifischer ärztli- cher Ethik.

ln diesem Aufriß wird bereits deut- lich, daß die Begriffsverbindung

"ärztliche Ethik" den zentralen An- satz ihrer Problematik in der Berufs- bezogenheit hat. Hier liegt also die Fragwürdigkeit des Themas dieses Symposions überhaupt.

Definitorische Thesen

Zunächst Definitionen der Begriffe

"Stand", "Standespolitik", "ärztli- che Ethik": C>

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 48 vom 1. Dezember 1977 2841

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Die Information:

Bericht und Meinung

Ärztliche Ethik in standespolitischer Sicht

1. Definition:

Als "Stand" bezeichnen wir eine hinsichtlich ihrer Funktion, ihrer Rechte und Pflichten in Gesell- schaft, Wirtschaft und Staat von anderen abgehobene gesell- schaftliche Gruppe. Diese unter- liegt spezifischen, für sie charak- teristischen Verhaltensnormen und entwickelt eine arteigene Subkultur, - eine Kultur in der Kultur, die zwar arteigen, aber gleichwohl mindestens in einer Art Osmose die soziale Biozöse des Ganzen interaktiv, wechsel- wirkend stimuliert.

Je nach der Art, in der die Zugehö- rigkeit zu einem Stand begründet wird, kann unterschieden werden zwischen

- Geburtsständen, - Besitzständen, -Berufsständen.

Wir nennen damit nur die besonders gängigen Kategorien, unter ihnen einen weiteren, für unser Thema re- levanten Begriff, den des "Berufs- standes". Was ist Beruf überhaupt?

Was ist Beruf heute? Was ist Beruf uns selbst, jedem von uns in dieser industriellen, gewerbefleißigen, be- rufstätigen Gesellschaft?

An Stelle einer Enumeration der et- wa zwanzig verschiedenen Berufs- begriffe, die in der soziologischen Literatur verwandt werden, sei hier lediglich das Bewegungsfeld skiz- ziert, in dem sich das Verständnis von "Beruf" heute profiliert und arti- kuliert:

Zwischen dem ständischen Berufs- gedanken, der auf sozialethischem Fundament den Berufsträger als ganzen Menschen sinnvoll einer hö- heren Einung zuordnet und dem wirtschaftlichen Berufsgedanken,

der im individualistisch-kapitalisti-

schen Zeitalter die Menschen in das Zweierlei von Erwerbsperson und Privatperson aufspaltet, hat sich für die Gegenwart kein für alle Berufe übereinstimmend gültiger Berufsbe-

griff entwickelt. Vielmehr herrscht in breiten Schichten der mit dem Klas- sengedanken korrespondierende wirtschaftliche Berufsgedanke vor.

ln anderen Schichten hat der ständi- sche Berufsgedanke seine Gültig- keit nicht verloren, der dem Gedan- ken einer in Funktionsgruppen ge- gliederten Gesellschaftsordnung verwandt ist.

2. Definition:

Als "Standespolitik" wird bezeich- net

einerseits die Interessenpolitik eines Standes, hier eines Berufs- standes, einer Berufsgruppe ein- schließlich der Förderung ihrer spezifischen Subkultur mit ent- sprechenden, gegebenenfalls eli- tären lsolationstendenzen, andererseits die Funktionspolitik einer Gruppe in bezug auf das gesellschaftliche, wi rtschaftl icl1e und kulturelle Ganze, in bezug auf die berufliche Aufgabe inner- halb dieser größeren Einheit und in bezug auf Objekt oder Partner der beruflichen Hinwendung.

~ auf die ordnende Gestaltung ei- nes Gemeinwesens,

~ auf die Regelung der zwischen- menschlichen Beziehungen,

~ auf die Sicherung und Entfaltung individuellen Lebens

gerichtetes zielbewußtes Handeln. Politik als zielbewußtes Handeln richtet sich also nach ideellen Orien- tierungssystemen.

Diese bezeichnen wir auch dann als

"ideell", wenn sie nicht eben "ideal"

interessengesteuert sind oder als ideologischer Überbau gesellschaft- lich-ökonomischer Verhältnisse ver- standen werden.

Auch diese Feststellung ideologi- scher Determinierung ärztlicher Standespolitik zeigt, daß bereits die definitorische Propädeutik ethisch relevante und damit irrationale Ent- Scheidungsprozesse

oder herausfordert.

3. Definition

voraussetzt

I j Als .. Ethik" bezeichnen wir

Hier sind also bereits zwei, meist mit moralischer Wertung benutzte Defi- nitionen gängig, deren Diskrepanz auch bei moralisch wertfreiem Ver- 1

I

ständnis aus der Gegensätzlichkeit ideologischerPositionen entspringt.

einerseits ganz allgemein die Wissenschaft - Forschung und Lehre-vom Sittlichen,

ln Übereinstimmung mit dem derzeit vorherrschenden Sprachgebrauch bezeichnen wir als "Ideologien"

ideelle Orientierungssysteme auf der Grundlage emotionalen, intel- lektuellen und moralischen Weltver- ständnisses. Damit wird deutlich, daß wir hier gedanklich in einem Raum operieren, dessen Topogra- phie von völlig unwissenschaftli- chen Prämissen und Maximen ge- staltet wird. Standespolitik als sol- che ist also mit ideologischer und damit auch bereits mit ethischer Problematik befrachtet.

Als politische Ideologien, mithin auch als standespolitische Ideolo- gien bezeichnen wir ideelle Orientie- rungssysteme für ein

andererseits im Besonderen und um diese Begriffsverwen- dung geht es hier - ein in sich mehr oder weniger geschlosse- nes System von Sittengesetzen und die Lehre davon.

Als "Ethos" bezeichnen wir die an

der ideellen Rangordnung von Wer- ten orientierte Ausprägung von Ge- sinnung und Haltung eines einzel- nen oder einer Gruppe.

Als "Standesethos" wird die von der überwiegenden Mehrheit der Ange- hörigen eines bestimmten Standes zu einem bestimmten geschichtli- chen Zeitpunkt anerkannte Norm der sittlichen Gesinnung und Hal- tung verstanden. Soweit Enzyklopä-

2842 Heft 48 vom 1. Dezember 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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Prof. Dr. R. Gross (rechts) nahm am 1. Oktober 1977 zu seinem 60.

Geburtstag zahllose Glückwünsche entgegen, hier von Prof. Dr. W.

Kaufmann (Köln) zu Beginn des eintägigen Symposiums über „Ärztliche Ethik". Für außerordentliche Verdienste um die ärztliche Fortbildung, nicht nur in seinem engeren Kölner und nordrheinischen Wirkungs- kreis, sondern auf dem Gesamtgebiet der inneren Medizin, insbeson- dere auch bei den Internationalen Fortbildungskongressen der Bun- desärztekammer, verlieh der Vorstand der Bundesärztekammer Rudolf Gross die Ernst-von-Bergmann-Plakette, die ihm BÄK-Hauptgeschäfts- führer J. F. Volrad Deneke an diesem Tag in Köln überreichte. Auf dem linken Bild (von links nach rechts): Prof. Dr. P. G. Scheurlen, Prof. Dr. G.

Dotzauer, Prof. J. F. Volrad Deneke, Frau Gross und eine der drei Töchter des Jubilars Fotos: d-e-w

Die Information:

Bericht und Meinung

dien Zeitgeist und aktuelles Weltver- ständnis widerspiegeln, mag der Ortsbestimmung ein Zitat aus der letzten Ausgabe des „Brockhaus"

dienlich sein.

Da wird ausdrücklich festgestellt:

„Auch in der heutigen Berufswelt hat das Standesethos in Berufsstän- den mit sozialen Aufgaben und Ver- antwortlichkeiten noch erhebliche Bedeutung" (17. Auflage 1973, 18.

Band, Seite 11).

Als „Berufsethos" bezeichnen wir Einstellung und Haltung eines Men- schen oder einer Gruppe in und zu ihrem Beruf.

Das Berufsethos bildet damit einen allgemeinen Werthintergrund — Fun- dament oder nach marxistischer Lehre „Überbau" — des beruflichen, oft auch des außerberuflichen Han- delns und Verhaltens. Standesehre

eines Berufsstandes und Berufsehre sind insoweit synonyme Begriffe.

„Standespolitische Sicht" ist bereits im Spiel, wenn überhaupt von Stan- desethik oder Berufsethik die Rede ist. Die Wortverbindung „ärztliche Ethik" ist schon als solche eine be- rufsstandspolitische Kategorie.

Im Sinne der noch immer aktuellen Antinomie von idealistischer und materialistischer Ideologie kann

„standespolitische Sicht" die Be- trachtung der Welt aufgrund grup- penegoistischer, pragmatisch-utili- taristischer Einstellung bedeuten.

Sie kann jedoch auch die Sicht aus der Verantwortung des Teiles für das Ganze sein. Analysen und Pro- gnosen ethischer Theoreme und Tatbestände in gesellschaftlicher Gegenwart und Zukunft müssen demnach immer darauf getestet werden, ob und wie sie — vorwissen-

schaftlich — ideologisch eingefärbt sind.

Analytische Fragen

Nach den definitorischen Margina- lien seien nun drei analytische Fra- gen formuliert.

1. Frage:

Ist die ärztliche Ethik Grundlage und Ziel oder Argumentationshil- fe und Instrument ärztlicher Standespolitik?

Besteht überhaupt eine Chance, die- se analytische Frage „objektiv", auf- grund wissenschaftlicher Forschun- gen zu beantworten?

Wer die standes- bzw. berufspoliti- sche Publizistik der letzten hundert

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 48 vom

1. Dezember 1977 2843

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Die Information:

Bericht und Meinung

Ärztliche Ethik in standespolitischer Sicht

Jahre nach den sozialwissenschaft- lichen Methoden quantitativer und qualitativer Inhaltsanalyse durch- forscht — einschließlich entspre- chender Auswertung aller Wortpro- tokolle der Deutschen Ärztetage seit Gründung des Deutschen Reiches durch Otto von Bismarck —, der wird zu dem Ergebnis kommen, daß min- destens in dieser Zeit und bis zur Stunde die ärztliche Ethik Grundla- ge und Ziel der ärztlichen Standes- politik ist.

Wer jedoch Ethik nur als „Überbau"

materialistischen Welt- und Gesell- schaftsverständnisses begreift, der braucht sich dieser Forschungsmü- he erst gar nicht zu unterziehen. Er geht ja schon davon aus, daß nicht nur die Sittenlehre, sondern auch sittliches Handeln nur Ausflüsse oder Verschleierungen materialisti- scher Egoismen sind.

Insoweit bleibt an dieser Stelle die analytische Frage in ihrer alternati- ven Formulierung offen. Sie kann in- dividuell so oder auch anders beant- wortet werden. In Ansehung der multiplen Lebenswirklichkeit wird man jedoch generell einräumen müssen, daß ärztliche Ethik sowohl Grundlage und Ziel als auch Argu- mentationshilfe und Instrument der heute und hier praktizierten ärztli- chen Berufs- und Standespolitik ist.

Der gängigen politischen Moral gilt dies übrigens als völlig legitim.

2. Frage:

Gibt es innerhalb des ärztlichen Berufsstandes einen Konsens über Funktion und Inhalt ärztli- cher Ethik?

Aus den vorgegebenen Definitionen folgt, daß diese Frage letztlich auch die Frage nach der Einheit des ärztli- chen Berufsstandes ist.

Es gibt meines Wissens keine hinrei- chend gesicherten sozialempiri- schen Untersuchungen dieser Fra- ge. Einschlägiges Studium der zeit- genössischen Literatur einschließ- lich der besonders aufschlußreichen Analyse von Leserbriefen in medizi-

nischen und ärztlichen Zeitschriften sowie die Beobachtung von Grup- penaktivitäten innerhalb der Ärzte- schaft deuten darauf hin, daß der Konsens über Funktion und Inhalt ärztlicher Ethik innerhalb des Be- rufsstandes selbst — also nicht nur in der allgemeinen Öffentlichkeit — in Frage gestellt ist.

Es bedarf sorgfältiger sozialempiri- scher Untersuchungen, um festzu- stellen, an welchen Stellen und in welcher Tiefe, ebenfalls in welchen Mehrheitsverhältnissen hier Diskre- panzen bestehen. Wir halten ein sol- ches Forschungsvorhaben für vor- dringlich, weil sich nach unserer fe- sten Überzeugung in dieser Frage- stellung Patientenschicksale ent- scheiden.

Es ist ja wohl nicht gut denkbar, daß es für die Art und Weise der ärztli- chen und medizinischen Versor- gung der Bevölkerung unerheblich wäre, ob beispielsweise die Mehr- heit des Berufsstandes den Beruf als Berufung lebt oder als einen Job zum Zwecke des Gelderwerbs be- treibt. Und selbstverständlich gibt es Zwischentöne, die ganz sorgfältig auf das oft genug kaschierte oder verdeckte Leitmotiv abgehorcht werden müssen.

Es bedarf gewiß auch altersgrup- penspezifischer und facharztspezifi- scher Untersuchungen.

Die Ergebnisse solcher sozialempiri- schen Forschungsarbeiten könnten zugleich Auskunft darüber geben, ob bestimmte, ursprünglich ärztli- che Funktionen der psychosomati- schen Sozialisation, also der Einbin- dung und Einstimmung der Indivi- duen in Gesellschaft und Gemein- schaft, von anderen Berufsträgern übernommen werden oder ob be- stimmte Funktionen psychosomati- scher Sozialisation überhaupt verlo- rengehen.

Wahrscheinlich ist das so. Denn so- zialethischer Dissens und morali- sche Bedürfnislosigkeit sind we- sentliche Ursachen der Dissoziie- rung unserer gesellschaftlichen Ordnung.

3.

Frage:

Wie groß ist in der ärztlichen Be- rufsausübung die Diskrepanz zwischen dem ethischen Impera- tiv und dem faktischen Verhal- ten?

Diese Frage schließt eine Vorfrage ein: Welche Kluft tut sich auf zwi- schen dem ethischen Selbstver- ständnis des Standes, seiner Grup- pen, seiner einzelnen Angehörigen einerseits und der Erwartung der Gesellschaft, gesellschaftlicher Gruppen und einzelner Patienten andererseits? Wenn wir anerken- nen, daß die moderne Gesellschaft pluralistisch, vielgliedrig und offen für Individualität ist, dann wäre auch Platz für vielerlei Arten des Konsens.

Wo etwa keine Nachfrage nach be- sonders qualifizierter ärztlicher Ethik ist, wird mangelndes Angebot an qualifizierter ärztlicher Ethik auch nicht vermißt. Ob eine solche Übereinstimmung in der Negation ungewußte Individuationsdefizite und psychosomatische Schäden in- diziert, das allerdings ist eine andere Frage.

Tatsächlich müssen wir jedoch fest- stellen, daß manche Konflikte offen- sichtlich daraus entstehen, daß der Berufsstand ethische Normen in ei- nem Ausmaß lebt, wie dies in großen Gruppen der Gesellschaft nicht mehr erwünscht ist.

Ich nenne als Beispiele die Ausein- andersetzung um den § 218 des Strafgesetzbuches und um die

„Sterbehilfe". Positiv ist, daß in die- sen Diskussionen immerhin um den Konsens gerungen wird.

Andere Konflikte entstehen dagegen gerade daraus, daß Ärzten ethisches Handeln und Verhalten von Perso- nen und Gruppen abverlangt wird, die ihrerseits gar nicht daran den- ken, sich selbst vergleichbaren ethi- schen Anforderungen zu unterwer- fen. Musterbeispiel ist die publizisti- sche Kampagne zur ärztlichen Ho- norarpolitik, nicht zuletzt geschürt von sozialistischen Diätenempfän-

• Fortsetzung auf Seite 2874

2844 Heft 48 vom 1. Dezember 1977

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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DEUTSCHE S ÄRZTEBLATT

Heft 48 vom 1. Dezember 1977

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Implantatwerkstoffe

für den Knochen-und Gelenkersatz

Bernd-August Blencke

Für den Knochen- und Ge- lenkersatz finden heute' Me- tallegierungen. Kunststoffe und Keramiken Anwendung.

Bei der Herstellung von Im- plantaten werden in letzter Zeit werkstoffspezifische und biomechanische Gesichts- punkte stärker berücksichtigt.

Implantatwerkstoffe sollten absolut biokompatibel sein.

Die heute bekannten Materia- lien erfüllen diese Forderung noch nicht ideal. Aufgrund zahlreicher Mißerfolge wurde die Implantatforschung auf al- len Gebieten der operativen Medizin intensiviert. Es wur- den ungeeignete Materialien eliminiert und neue Werkstof- fe entwickelt. Man sollte aber auch neue Materialentwick- lungen nicht zu sehr mit Vor- schußlorbeeren bedenken, da nur die Langzeitanwendung in großer Zahl den entscheiden- den Nachweis für die Güte ei- nes Implantats liefern kann.

Aus der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der Philipps-Universität Marburg

(Direktor: Professor Dr. med. Gerhard Exner) und der Orthopädischen Klinik und dem Rehabilitationszentrum der Diakonie „Lichtenau" e. V.,

(Ärztlicher Direktor: Professor Dr. med. habil. Joachim Langhagel)

Für den Knochen- und Gelenkersatz werden heute im wesentlichen Me- tallegierungen, synthetische Kunst- stoffe und Oxidkeramiken verwen- det.

An Implantatwerkstoffe sind nach- folgende Hauptforderungen zu stellen:

Atoxizität,

fi)

chemische und mechanische Stabilität,

(!)

solide, dauerhafte Verankerung im Knochen,

keine Antigeneigenschaften,

• keine Kanzerogenität,

• Sterilisierbarkeit,

einfache technische Anwen- dungsmöglichkeit.

Atoxizität

Atoxizität der Werkstoffe, bezie- hungsweise ihrer durch Lösung oder Abrieb an die Umgebung abge- benden Bestandteile ist eine Grund- forderung, wird aber von den heute

verwendeten Werkstoffen noch nicht voll erfüllt. Eine Vielzahl von Stoffen führt zu Abwehrreaktionen und toxischen Veränderungen, so zum Beispiel Nickel- und Kupfer- ionen und auch Monomere der syn- thetischen Kunststoffe, etwa das Monomer des Methylmetacrylat. Die heutigen Metallegierungen enthal- ten zwar kaum noch Kupfer, aber meist beachtliche Mengen von Nik- kel, die im Gewebe in Lösung gehen können.

Angaben von Herstellern, daß die modernen Metallegierungen Werk- stoffe mit der höchsten Korrosions- beständigkeit aller bis heute be- kannten Implantatlegierungen sind, dürfen nicht darüber hinwegtäu- schen, daß alle implantierten metal- lischen Werkstoffe infolge Korrosion oder Abrieb Ionen an ihre Umge- bung abgeben.

Auch nichtmetallische Implantat- werkstoffe sind chemisch instabil und geben toxische Substanzen ab.

Ihre Konzentration ist jedoch bei al- len modernen Werkstoffen gering, daher kommt es weder zu nennens- werten Störungen im Implantatlager noch zu Allgemeinreaktionen. Zu hohe oder falsche Belastung, Aus- lockerung oder Infektion können

2845

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Abbildung 1 Modellimplantation einer Hüftgelenkstotalendoprothese mit Polyäthylenpfanne und Femurschaftendoprothese aus einer Schmiedelegie- rung. (Modell Müller der Fa. Protek)

Abbildung 2: Histologische Untersuchung der Bindegewebskapsel um eine Kompressionspatte. die nach einer Unterschenkelfraktur angelegt wurde. Ent- nahme vier Monate nach der Implantation anläßlich der Reoperation wegen einer Pseudoarthrose. Durch eine Eisenfärbung (Berliner Blau) deutlich gemachte Eisenablagerung im Gewebe. Ferner sind Blutungen und geringe nekrotische Bezirke erkennbar

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Implantatwerkstoffe

den Gewebe- und Plasmaspiegel to- xischer Stoffe zusätzlich erhöhen.

Bereits eine leichte Erhöhung der Korrosion kann zur Abwehrreaktion und zur Gewebeschädigung führen.

Die mechanische Beanspruchung eines Implantates ist meist größer als die des umliegenden Knochens.

Dies liegt unter anderem in der ver- änderten Lasteinleitung und Last- aufnahme. Das Implantat muß also die mechanischen Eigenschaften des Knochens übertreffen. Gute sta- tische und dynamische Festigkeit können mit hohen Verschleißraten durch Abrieb einhergehen. Starker Reibungswiderstand durch werk- stoffspezifische Eigenschaften, zu große Oberflächenrauhigkeit oder u:Igünstige inadäquate Formge- bung von Gelenkteilen führt zu ver- mehrter Belastung der Verankerung des Implantates in seinem knöcher- nen Lager.

Bei der Konstruktion von alloplasti- schen Gelenken werden heute im Hinblick auf einen möglichst niedri- gen Reibungsverschleiß die gegen- einander gleitenden Teile aus ver- schiedenen Werkstoffen hergestellt.

Die derzeit am häufigsten verwende- te Kombination besteht aus Metalle- gierung und synthetischem Kunst- stoff. Bei Metall-Polyäthylen-Prothe- sen beträgt der Reibungskoeffizient etwa ein Drittel des Koeffizienten der Metallprothese. Die Verschleißrate wird hier noch mit etwa 1/10 Milli- meter pro Jahr angegeben.

In letzter Zeit werden Hüftgelenks- prothesen mit gleitenden Teilen aus Aluminiumoxidkeramik und Poly- äthylen verwandt. Umfangreiche Voruntersuchungen haben gute bio- logische Eigenschaften der neuen keramischen Werkstoffe erkennen lassen. Langzeitbeobachtungen un- ter klinischen Bedingungen stehen jedoch noch aus.

Bei allen Implantatwerkstoffen tritt Materialermüdung durch Versprö- dung ein. Die entstehenden Spröd- brüche sind die Folge wechselnder dynamischer Kräfte. Sprödbrüche treten im Bereich von Spannungs- spitzen an besonders belasteten Im-

2846 Heft 48 vom 1. Dezember 1977

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Antigenwirkung

Eine Antigenwirkung von Implanta- ten, beziehungsweise einzelner ihrer Bestandteile ist sehr selten. Antigen- Antikörper-Reaktionen nach der Im- plantation der heute für den Kno- chen- und Gelenkersatz verwende- ten synthetischen Kunststoffe wur- den bisher nicht beschrieben, wohl aber allergische Exantheme an den Händen von Operateuren beim Um- gang mit Knochenzementen. Unver- träglichkeitserscheinungen mit all- ergischen Hautreaktionen nach der Implantation von nickelhaltigen Me- tallegierungen können nach den bisherigen Erfahrungen als extrem selten gelten.

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Einführung

Die Implantation alloplastischer Materialien hat in den letzten 30 Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Abgesehen von der nur vorübergehenden Einbringung von Schrauben, Platten, Drähten oder Nägeln zur Osteosynthese von Frakturen und zu Osteotomien mit der Absicht, diese Fremdkörper nach der Knochenkonsolidierung wieder zu entfernen, stellen sich entscheidende Probleme bei Implantaten, die für dauernd im Organismus verbleiben sollen, wie künstliche Gelenke, Knochenersatzteile, Gefäßprothesen, Herzklappen, Ventile, Katheter usw. Das Ausmaß der Implantationschirurgie wird deutlich, wenn man bedenkt, daß von Orthopäden und Chirurgen in aller Welt täglich allein mehrere tausend Hüftgelenksendoprothesen eingesetzt werden.

Die Entwicklung der verwendeten Werkstoffe, wie Metallegierungen, Kunststoffe oder neuerdings von Glas und Keramik, ist geradezu stürmisch verlaufen. Für den nicht unmittelbar in der Implantations- chirurgie tätigen Arzt, genauso aber auch für viele Operateure, ist es nicht ganz einfach, sich ein realistisches Bild vom aktuellen Stand der Entwicklung und der Leistungsfähigkeit der angebotenen Werkstoffe zu machen.

Optimistische Publikationen mancher Untersucher und ebenso die Werbeanzeigen und Prospekte der Implantathersteller wecken Erwar- tungen, die oft nicht in Erfüllung gehen. Andererseits führen kritische Berichte über einzelne spektakuläre Mißerfolge zu falschem Pessimis- mus. Zweifellos sind auf dem Gebiete der Prothetik in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten erhebliche Fortschritte erzielt worden. Aber wesentliche Probleme sind noch immer nicht endgültig gelöst.

Der Beitrag von Bernd-August Blencke ist bemüht, den derzeitigen Stand der Entwicklung und Problematik der Implantatwerkstoffe dar- zustellen. Professor Dr. med. Gerhard Exner plantatabschnitten auf. Diese Span-

nungsspitzen werden auch nicht durch den Umbau des Knochens während des Heilungsprozesses kompensiert.

Letztlich entscheidend für den Er- folg ist bei Knochen- und Gelenker- satz die solide und dauerhafte Ver- ankerung der Implantate im Gewe- be. Keiner der heute verwendeten Werkstoffe findet direkten Anschluß an die Struktur des Knochens, des Bindegewebes oder der Muskulatur.

Es kommt immer zur Ausbildung ei- ner mehr oder weniger breiten, ge- fäßarmen, bindegewebigen Zwi- schenschicht mit unterschiedlicher Zellzahl und Zellpopulation. Die Auf- gabe der Implantatabkapselung kann auch von einer wenig differen- zierten zellarmen sklerosierten Kno- chenschicht übernommen werden.

Der Verbund zwischen Implantat und Knochen geschieht bei allen Werkstoffen nur auf mechanischer Grundlage durch Verschraubung, Verblockung und Verzahnung. Ein chemischer Verbund mit dem Lager- gewebe tritt in klinisch bedeutsa- mem Ausmaß nicht ein.

Kanzerogenität

Die Diskussion um die Sarkombil- dung nach der Implantation von Fremdkörpern nimmt in der Litera- tur einen weiten Raum ein. Im Tier-

Abbildung 3: Histologische Untersuchung des Kapselregenerates um eine Hüftgelenksendoprothese. Das Präparat wurde zwei Jahre nach der Implanta- tion anläßlich Reoperation wegen einer Implantatlockerung gewonnen. In dem faserreichen zellarmen Bindegewebe sind Polyäthylenablagerungen, die durch Abrieb entstanden. erkennbar

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 48 vom 1. Dezember 1977 2847

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20 000 21 000 60 200 40 000 Niederdruck-

polyäthylen

800 400 4

Metallegierungen rostfreier Prothesen-

Stahl legierungen

80

80

Polymethyl- methakrylat

Hochreine dichte Aluminiumoxidker.

(Al 2 0 3-Keramik)

13 2 300

6 50

70 2,5

7 500

50 2,2

40

14 (sehr starke Schwankungen)

2000 Zur Fortbildung

Aktuelle Medizin

Implantatwerkstoffe

experiment entstehen unter geeig- neten Bedingungen Fremdkörper- sarkome. Die klinischen Erfahrun- gen mit über Jahrzehnte im Körper belassenen Implantaten zeigen aber, daß es beim Menschen bisher nicht zu Tumorbildungen gekommen ist.

Festigkeit von Implantaten

Die mechanischen Festigkeitswerte von Implantatwerkstoffen müssen so hoch sein, daß sie kein größeres Volumen als der ersetzte Knochen oder Gelenkkörper einnehmen. Sie müssen sich ferner gut bearbeiten lassen, damit sie den anatomischen Gegebenheiten voll angepaßt wer- den können. Metallische Implantate besitzen hervorragende mechani- sche Eigenschaften und werden als Monometall oder als Metallegierun- gen zum Knochen- und Gelenker- satz verwendet (Tabelle 1).

Korrosionsanfälligkeit

Für Kurzzeitimplantate (Marknägel, Platten, Schrauben, Drähte) finden Stähle Verwendung, die auf einer Ei-

sen-Ch rom-Nickel-Molybdän-Basis beruhen (Tabelle 2). Diese Stähle weisen eine zwar geringe, aber für Langzeitimplantate zu hohe Korro- sionsrate auf. Legierungen für Lang- zeitimplantate, wie Endoprothesen, beruhen auf einer Kobalt-Chrom-

Molybdän-Basis und haben einen unterschiedlich hohen Nickelgehalt.

Der Eisengehalt dieser Legierung ist im Vergleich zu den Stählen sehr gering (Tabelle 2).

Zur Korrosion kommt es, weil extra- und intrazelluläre Flüssigkeiten als Elektrolyte wirken. Vom Metall wer- den Elektronen abgegeben, und es bilden sich an der Oberfläche Me- tallionen, die in Lösung gehen. Die

Folge ist eine Oxidation des metalli- schen Implantates. Durch einwand- freie Werkstoffherstellung kann die auf einer inneren Gefügestörung be- ruhende endogene Korrosion erheb- lich eingeschränkt werden. Von kli- nisch größerer Bedeutung ist aber die auf chemischen oder elektroche- mischen Reaktionen beruhende exogene Korrosion.

Lokale Korrosionsprozesse Bedeutungsvoll sind lokale Korro- sionsprozesse. Hierbei lassen sich mehrere Formen unterscheiden.

Daß bei der Implantation verschie- dener Metallegierungen nebenein- ander ein Stromkreis entsteht, der eine galvanische Korrosion zur Fol- ge hat, ist heute allgemein bekannt.

Kaum vermeidbar ist aber eine Kor- rosion durch Elementbildung infol- ge von Potentialdifferenzen an in- homogenen Werkstoffoberflächen oder durch einen Metalltransfer von

Operationsinstrumenten; ebenso die Korrosion durch Verletzung der Passivschicht metallischer Implan- tate.

Die genannten Korrosionsformen sind von statischen oder dynami- schen Kräften unbeeinflußt. Dage- gen beruht die Spannungs-Rißkor- rosion auf einer Kombination me- chanischer und korrosiver Vorgän- ge. Im Bereich von Spannungsspit- zen kommt es zur fortschreitenden transkristallin verlaufenden Rißbil- dung.

Eine weitere Ursache für die Implan- tatzerstörung ist der Korrosionsdau- erbruch, der infolge zyklisch-dyna- mischer Belastung in Anwesenheit korrodierender Körperflüssigkeiten entsteht.

Hinzu kommt, daß die durch Korro- sion abgegebenen Metallionen zu einer Gewebeschädigung führen, die in der Implantatumgebung als unspezifischer Entzündungsprozeß abläuft und als Metallose bezeichnet wird (Abbildung 2).

Polymere Kunststoffe

Synthetische Kunststoffe dürfen nur atoxische Zusätze enthalten. Sie sol- len auspolymerisiert sein und einen möglichst geringen Monomergehalt aufweisen. Auch bei den erst im Or-

Tabelle 1: Mechanische Kenndaten des menschlichen Werkstoffe (Die angegebenen Werte sind Mittelwerte)

Knochens und der gebräuchlichen Implantat-

Härte (kp/mm 2 ) Druckfestigkeit oder Zugfestigkeit (kp/mm 2)

Biegefestigkeit (kp/mm 2 ) Elastizitätsmodul (kp/mm 2 )

Menschlicher Knochen (Kompakta)

2848 Heft 48 vom 1. Dezember 1977

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(9)

C 0,03 0,3 0,03

Co 35 59

Cr 20 30 20

Fe 1 1 59

Mn 0,1 1 2

Mo 9 6 4

Ni 34 2 14

S i 0,1 1 1

Ti 1

Tabelle 2: Chemische Zusammensetzung von metallischen Implantatlegierungen (nach Semlitsch) Implantatlegierungen:

Schmiedelegierung: Gußlegierung:

(Protasul 10 ®) (Protasul 2 ®)

Rostfreier Stahl (Normbezeichnung AISI 316 L) Legierungselemente

in Gew.-%

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

ganismus polymerisierenden Kunst- stoffen (zum Beispiel Knochenze- mente) sollte der Restmonomerge- halt nach Aushärtung äußerst gering sein, da die Monomere zelltoxisch sind. Wegen der Toxizität ihrer Ab- bauprodukte und ihrer Zusätze müs- sen synthetische Kunststoffe gegen- über dem Gewebe und den Gewebs- flüssigkeiten chemisch stabil sein und dürfen keine physikalischen Veränderungen erfahren.

Von den extrakorporal polymerisier- ten Kunststoffen hat sich für den Knochen- und Gelenkersatz bisher nur das hochmolekulare Nieder- druckpolyäthylen bewährt. Während die Druckfestigkeit des Polyäthylens gut ist, ist seine Biegefestigkeit un- zureichend. Dies schränkt seine An- wendung ein.

Chemisch ist Polyäthylen weitge- hend stabil. Anhand einer großen Zahl von Nachuntersuchungen nach Prothesenexplantationen konnte aber gezeigt werden, daß die durch Abrieb auftretenden Polyäthylenpar- tikel zu deutlicher Gewebereaktion führen. Diese ist wie die Metallose ein Faktor der zur Implantatlocke- rung führt (Abbildung 3). Allerdings sind für diesen Prozeß relativ lange Zeitspannen erforderlich.

Intrakorporal polymerisierende Kunststoffe: Das Polymethylmeth- akrylat (PMMA) hat als sogenannter

Knochenzement in der Endoprothe- tik ein noch vor wenigen Jahren un- vorstellbar breites Anwendungsge- biet gefunden. Es besteht vor seiner Verarbeitung aus zwei Komponen- ten, dem Monomer und dem Vorpo- lymerisat. Während der Vermi- schung hat der Werkstoff für einige Minuten pastenartige Konsistenz und ermöglicht so eine einfache Applikation. Die Aushärtung im Ope- rationsgebiet geschieht unter star- ker Wärmeabgabe, wobei der Ei- weißkoagulationspunkt von 56 Grad überschritten werden kann. Die thermische Schädigung des Implan- tatlagers zeigt sich in einer Nekrose der unmittelbar dem Implantat anlie- genden Gewebsanteile. Eine Gewe- beschädigung ist auch durch die Monomerabgabe während der Aus- härtung des Werkstoffes im Orga- nismus möglich.

Unter der Implantation von PMMA wird eine von der Monomerkonzen- tration im Blut abhängige, meist schnell reversible Blutdrucksen- kung beobachtet, die auf den lipoid- lösenden Eigenschaften des freien Monomers beruht.

Während des Aushärtungsvorgan- ges kommt es zur Schrumpfung des PMMA mit einer Volumenabnahme von etwa 1 bis 2 Prozent. Die Folge ist das Entstehen eines Primärspalts zwischen dem Implantat und seinem Lager. Durch Wasseraufnahme tritt

dann aber in den ersten Wochen nach der Implantation wieder ein teilweiser Ausgleich ein.

Ein primärer oder sekundärer direk- ter Kontakt zwischen dem PMMA und dem Knochengewebe stellt eine Ausnahme dar. Die Verankerung des Implantates im Lagergewebe beruht auf einer mechanischen Makro- und Mikroverzahnung zwischen dem Werkstoff und der strukturierten in- neren Knochenoberfläche.

Alle mechanischen Eigenschaften von PMMA (Tabelle 1) liegen unter- halb der vergleichbaren Werte des kompakten Knochens. Hieraus er- gibt sich, daß eine optimale Kraftein- leitung und eine breitflächige Last- übertragung erforderlich ist, um ei- ne Zerstörung des PMMA unter Be- lastung zu vermeiden. Operations- technische Fehler können daher schneller als bei anderen Werkstof- fen zum Versagen des Implantates führen.

Oxidkeramiken

Seit kurzer Zeit finden Aluminium- oxidkeramiken klinische Anwen- dung. Moderne Fertigungsverfahren und die Verwendung von Ausgangs- substanzen mit hohen Reinheitsgra- den erlauben es, eine hochgradig druckfeste Keramik mit einem sehr guten Reib- und Verschleißverhalten

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 48 vom 1. Dezember 1977

2849

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Karies und multiple Sklerose

FÜR SIE GELESEN

Der Gebißstatus von 51 Epileptikern wurde mit dem von 51 MS-Kranken klinisch und röntgenologisch vergli- chen. Die an einer multiplen Sklero- se Erkrankten haben schlechtere Zähne, 41 Prozent mehr Granulome und 18,5 Prozent mehr Amalgam- füllungen als Anfallskranke. Die pro- thetische Versorgung ist bei beiden Gruppen gleich schlecht, Zahn-Foki sind gleich häufig. Die Hypothese der MS-Entstehung durch das Quecksilber aus Amalgam-Füllun- gen wird erneut diskutiert, jedoch durch die Argumente widerlegt, daß die ,Quecksilber-Amfnahme aus Luft und Nahrung mindestens ebenso groß sei wie die aus Amalgam-Fül- lungen und nicht als Allergen für einen Autoimmunisierungsprozeß infrage komme, der die Neuroaller-

Das Magenstumpfkarzinom wird 15 bis 20 Jahre nach einer Magenteilre- sektion wegen eines Geschwürlei- dens gehäuft beobachtet, eine Früh- diagnose ist nur endoskopisch möglich.

In zwei skandinavischen Studien wird auf die Frühdiagnose des Karzi- noms und die Problematik prämali- gner Schleimhautveränderungen eingegangen. Von 421 Patienten, bei denen vor 20 bis 25 Jahren eine par- tielle Gastrektomie durchgeführt worden war, konnten 108 endosko- pisch nachuntersucht werden. Mul- tiple, aus dem Anastomosenbereich entnommene Biopsien ließen trotz einer makroskopisch unauffälligen Schleimhaut in vier Fällen ein Karzi- nom diagnostizieren, bei drei Pa- tienten fand sich eine schwere Dys- plasie. Nur ein Patient wies eine un- auffällige Magenschleimhaut auf. In der zweiten Studie konnten 214 von 459 Patienten mit einer 20 Jahre zu- rückliegenden Magenteilresektion endoskopisch nachuntersucht wer- den. Drei von 140 Patienten, die zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung bereits verstorben waren, waren ei-

gie in Gang setze. Auch die Bedeu- tung der Zahnkaries als pathogene- tisch wichtiger Faktor bei der Ent- stehung der MS wird bestritten, eine Fokalsanierung ist im Hinblick auf die Pathogenese nutzlos. Ein Kau- salzusammenhang zwischen Retro- bulbär-Neuritis und Amalgam be- steht nicht, eine Besserung des Vi- susverlustes setzt spontan und un- abhängig von der Entfernung der Amalgamfüllung ein. Abschließend ziehen die Autoren die Konsequenz, daß die zahnärztliche Versorgung der gebißvernachlässigenden Mul- tiple-Sklerose-Kranken verbessert

werden müsse. Ehl

Firnhaber, W., Orth, H.: Über die pathogeneti- sche Bedeutung von Zahnerkrankungen und Zahnbehandlungen bei der multiplen Sklerose, J. Neurol. 215 (1977), 141-149

nem Magenstumpfkarzinom erle- gen. Bei den 214 Nachuntersuchten fanden sich sechs Stumpfkarzino- me, darunter zwei in einem Frühsta- dium. Ein Patient bot multifokale schwere Dysplasien, zwei tubuläre Adenome und 20 (9,3 Prozent) rege- nerative Polypen.

Zur Früherkennung des Magen- stumpfkarzinoms sollten wiederholt endoskopische Kontrolluntersu- chungen, 10 bis 15 Jahre nach einer Billroth-II-Resektion beginnend, durchgeführt werden, wobei es sich empfiehlt, zahlreiche Biopsien (20) aus anastomosennaher Magen- schleimhaut zu entnehmen, auch wenn makroskopisch keine Verän- derungen erkennbar sind.

Schrumpf, E., Serck-Hanssen, A., Stadaas, J., Aune, S., Myren, J., Osnes, M.: Mucosal changes in the gastric stump 20-25 years after partial gastrectomy, Lancet 2 (1977) 467-469 Research Laboratory of Gastroenterology, De- partment of Pathology, and Surgical Depart- ment II, Ulleval Hospital, Oslo

Domellöf, L., Eriksson, S., Janunger, K. G.:

Carcinoma and passible precancerous changes of the gastric stump after Billroth II resection, Gastroenterology 73 (1977) 462-468 Departments of Surgery and Pathology, Uni- versity Hospital, University of Umea, Sweden.

Implantatwerkstoffe

herzustellen. Aluminiumoxidkerami- ken zeichnen sich durch ihre Resi- stenz gegen chemische Einflüsse aus.

In umfangreichen tierexperimentel- len Untersuchungen, vor allem in den USA und in Deutschland, konn- te die gute Gewebeverträglichkeit der Al 2 0 3-Keramik nachgewiesen werden. Keramiken werden bisher vorwiegend für den alloplastischen Hüftgelenksersatz verwendet. We- gen ihres guten Reibungsverhaltens werden Gelenkköpfe oder Gelenk- pfannen aus diesem Material herge- stellt. Nach den bisherigen Erfah- rungen können Schäfte von Prothe- sen nicht aus Keramik gefertigt wer- den, da sie der Biegebeanspru- chung nicht standhalten. Keramiken sind unelastisch und zeigen nur ge- ringe Kerbschlagfestigkeit. — Im Ver- lauf der letzten zwei Jahre wurden an mehreren deutschen Kliniken Verbundendoprothesen mit Kera- mikköpfen erprobt. Die Zahl der durchgeführten Operationen ist noch gering und dürfte insgesamt 1000 Fälle kaum überschreiten. Ob die keramischen Werkstoffe eine Wende im alloplastischen Gelenker- satz bringen, läßt sich aus den bis- herigen Ergebnissen nicht ableiten, da die erforderlichen Langzeitbe- handlungen noch nicht vorliegen.

Literatur

Contzen, H., Straumann, F., u. Paschke, E.:

Grundlagen der Alloplastik mit Metallen und Kunststoffen, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 1967 — Frank, E., u. Zitter, H.: Metallische Im- plantate in der Knochenchirurgie, Springer Verlag, Wien, New York, 1971 — Charnley, J.:

Acrylic Cement in Orthopedic Surgery, E. and S. Livingstone, Edinburgh and London. 1970 — Oest, 0., Müller, K., u. Hupfauer, W.: Die Kno- chenzemente, Ferdinand-Enke-Verlag, Stutt- gart, 1975

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. habil.

Bernd-August Blencke Orthopädische Klinik und Rehabilitationszentrum Am Mühlenberg

3436 Hessisch Lichtenau

Diagnose des Magenstumpfkarzinoms

2850 Heft 48 vom 1. Dezember 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Zur Fbrtbilchmg Aktuelle Medizin

KONGRESS-NACH RICHTEN

Penici II in-resistente Gonorrhöe

Hierzulande ist das Problem noch nicht sonderlich relevant;

denn die Beta-Laktamase-produ- zierenden Penicillin-resistenten Gonokokken sind vorläufig (noch) in den Bordellen Ost- asiens heimisch. Sie finden sich dort derzeit allerdings schon bei etwas über 40 Prozent aller Go- norrhöe-Erkrankungen. - Wenn von 4875 Mann einer Flotte sich am Ende 1753 Mann innerhalb eines Dreivierteljahres eine Go- norrhöe in den Häfen Ostasiens holen, wird die Marineleitung bei so viel Penicillin-Resistenz ner- vös. Und sie sinnt auf Abhilfe mit folgendem Ausweg (Dr. W. 0. Harrison, Naval Medical Center and Naval Environtal and Preven- tive Medicine Unit 5, San Diego, Ca., USA)

0

400 mg Sulfamethoxazol plus Trimethoprin, 3 Tage lang 6 Ta- bletten: 65,2 Prozent Heilung;

dieselben Medikamente 3 Tage lang 9 Tabletten: 90,7 Prozent Heilung.

8

Der Rest erhielt 2 Gramm Spectinomycin intramuskulär;

Heilungsquote: 97,1 Prozent. Mit Verdopplung der Spectinomycin- dosis wurde das Problem hun- dertprozentig gelöst.

(10. Internationaler Kongreß für Chemothe- rapie, September 1977, Zürich)

Akute Epiglottitis beim Erwachsenen

Offenbar verfügen nicht alle Er- wachsenen. über genügend Anti- körper gegen Haemophilus influ- enza Typ b; denn gelegenWeh können auch sie an der eigent- lich nur bei kleineren Kindern be- kannten einschlägigen Epiglotti- tis erkranken. Es scheint sich da- bei überhaupt um die häufigste Epiglottitis beim Erwachsenen zu

handeln (Dr. H. Zwahlen, Deptm.

innere Medizin, Universitätsklini- kum Genf). - Nur frühzeitige Tra- cheotomie und wirksame antibio- tische Behandlung der Haemo- philus-lnfluenza-b-Keime kann die Mortalität einigermaßen in Schach halten.

(10. Internationaler Kongreß für Chemothe-

rapie, September 1977, Zürich)

Adoleszentenprobleme bei Mukoviszidose

Mit den Therapiechancen wach- sen auch die Sozialmedizinischen Probleme bei dieser chroni- schen, ständig therapiebedürfti- gen, häufigsten angeborenen Stoffwechselerkrankung in unse- rer Population (1 : 1600 Lebend- gebu,rten; Erbträger-Frequenz 1 : 20; Vererbung autosomal-re- zessiv). Die pulmonale Manifesta- tion bestimmt die Prognose. We- gen der Chronizität der Erkran- kung verlagert sich im Laufe der lebenserhaltenden umfassenden, freilich nur symptomatischen Therapie die Problematik vom Somatischen in der Folgezeit mehr in den Sozialmedizinischen Bereich, so unter anderem vor al- lem (Professor Dr. U. Stephan, Universitätskinderklinik Essen) ..,.. auf die Belastung der Familie durch die Dauertherapie (Klopf- und Lagerungsdrainage, Inhala- tionen, Arzneimitteleinnahme);

..,.. auf die Eingliederung in Kin- dergarten und Schule und auf die oftmals außerordentlich depla- zierten, unverständlichen Reak- tionen der Lehrer,

..,.. auf den pubertären Therapie- protest.

Letztlich beschränkt das Be- wußtsein körperlicher Leistungs- schwäche die Entfaltungsmög- lichkeiten der Jugendlichen, die schon früh um das letale Ende ihrer Erkrankung wissen.

(18. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie, September 1977, Kiel)

2852 Heft 48 vom 1. Dezember 1977

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Prostaglandine und Darmperistaltik

Die peristaltischen Kontraktionen der Darmwand gehen offenbar auf ihren Gehalt an Prosta- glandin E2 zurück, während die vegetative Innervation den Grundtonus hält. Auf biochemi- schem Wege steuert das Vege- tativum auch den raschen Prostaglaninumsatz: Azetylcho- lin induziert die Prostaglandinak- tion, Adrenalin und Noradrenalin löschen sie aus (Dr. E. Schmidt, Chirurgische Universitätsklinik Würzburg). Beim Morbus Crohn liegt ein Prostaglandin- überschuß vor. Bei ungestörter Synthese ist der Prostaglandin- abbau gehemmt. Das erklärt die Diarrhöen und die Spastik bei diesem Leiden. Ein Serumfaktor hemmt die Prostaglandindehy- drogenase in der Darmwand.

(54. Tagung der Vereinigung der Bayeri- schen Chirurgen, Juli 1977, Bern)

Nukleinsäuren

im Harn bei Malignomen

Malignompatienten scheiden ebenso wie Gesunde im Harn Ab- bauprodukte von Nukleinsäuren aus. Das Verhältnis der Abbau- produkte untereinander weicht jedoch bei Krebskranken deut- lich vom physiologischen "Mu- ster" ab. Messen kann man das mit flüssigkeitschromatographi- schen Verfahren (Privatdozent Dr. G. Schöch, Universitätskin- derklinik Hamburg-Eppendorf). Die maligne modifizierten "selte-

nen" Nukleobasen kommen und

gehen beispielsweise bei Leuk- ämien mit dem Rezidiv bezie- hungsweise dem Therapieerfolg. Auch bei soliden Tumoren kön- nen entsprechende Befunde er- hoben werden. Sie sind nur weni- ger ausgeprägt als bei Leuk- ämien und vor allem kein Früh-

zeichen. WP

(74. Deutscher Kinderärztekongreß, Sep- tember 1977, Kiel)

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Zur Fortbildtmg Aktuelle Medizin NOTFALL IM BEREITSCHAFTSDIENST

Alkohol- Entzugsdelir

Pathophysiologie: Voraussetzung für ein Alkoholentzugsdelir ist ein chronischer Alkoholabusus. - Nicht Art und Konzentration eines alkoholischen Getränkes sondern die Dauer des Abusus führen bei entsprechender Disposhion zum Delir.- Abrupter Alkoholentzug, Infekte, Unfälle, Operationen, akute Gastroenteritis, sowie Resorptionsstörungen des Darmes lösen häufig die Entzugssituation aus. Das Delir kann aber auch bei fortgesetztem Alkoholkonsum entstehen. Ungeklärt sind bis heute die dem Krankheitsbild zugrundeliegenden Stoffwechselstörungen: Auswirkungen auf den Kohlehydrat-, Fett-, und Eiweißhaushalt, Hypovitaminosen, gestörte Entgiftungsfunktion der Leber, Veränderungen des Elektrolyt- und Wasserhaushaltes, Azidose und Hypoxidose werden diskutiert. ln einem Teil der Fälle muß außerdem mit einer passageren Nebennierenrindeninsuffizienz gerechnet werden. - Die Bedro- hung des Alkoholentzugsdelir-Kranken ist zum einen durch die Besonderheit des Delirs selbst gegeben.

lnfolge der hochgradigen Erregung treten eine tiefe Erschöpfung und ausgeprägte Kreislaufbelastung mit einer durch DauerstreB bedingten drohenden Nebennierenrinden-lnsuffizienz ein; zum anderen besteht die Gefährdung in einer stets vorhandenen Myokardiopathie und drohenden Pneumonie.

Symptomatik

Hautzeichen bei chronischem Alkoholismus im Gesichtsbe- reich:

~ gedunsene Haut,

~ Teleangiektasien,

~ Konjunktivitis,

~ und Pharyngitis.

Diese Hautveränderungen müssen aber keineswegs vor- handen sein. Das Vollbild des Delirs wird durch folgende Symptome bestimmt:

~ zeitliche u. örtliche Des- orientiertheit,

~ typische psychomotori- sche Unruhe,

~ nestelnde Bewegungen,

~ grobschlägiger Tremor.

Diagnose

Für die Diagnose ist eine zu- verlässige Fremdanamnese wichtig.

Vorboten eines Delirs sind Schlafstörungen, Reizbarkeit, Angst, Unruhe und Zittern.

Optische Halluzinationen zei- gen sich recht früh

Im "anlaufenden" Delir treten gelegentlich zerebrale Anfälle (Okkasionsanfälle)- meist nur als einmalige Reaktion - auf.

Differentialdiagnose:

Q.

Hirnorganisches Anfalls- leiden,

f). seniles Delir,

E). Entzugsdelir nach chroni- schem Abusus von Sedativa und Psychopharmaka,

Q.

Korsakoffsyndrome bei or- ganischen Hirnerkrankungen.

Therapie

Da jeder Patient im Alkohol- entzugsdelir zu unvorherge- sehenen Handlungen neigt, die oft seine Umgebung, häu- fig auch das eigene Leben be- drohen, muß unverzüglich die Krankenhauseinweisung er- folgen. Die erhebliche Suizid- gefahr wird oft nicht genü- gend berücksichtigt. Wenn der Kranke eine Krankenhaus- behandlung ablehnt, muß eine Zwangseinweisung erfolgen.

Vor dem Transport müssen folgende Maßnahmen beach- tet werden:

~ Alles vermeiden, was Halluzinationen provozieren kann: Raum ausreichend be- leuchten, für geräuscharme Umgebung sorgen.

~ ln der Regel muß ein unru- higer erregter Krankerfür den Transport in die Klinik sediert werden. Hierfür eignet sich Clomethiazol (Distraneurin®) 2-4 Kapseln

a

0,5 g. Nach 1-2 Std. können weitere 2 Kapseln verabfolgt werden.

~ Bei akuten Erregungszu- ständen muß unverzüglich ein

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 48 vom 1. Dezember 1977 2853

(13)

Zur Fortbildung

Aktuelle Medizin

~

ALKOHOL-ENTZUGSDELIR

Symptomatik

Zeichen kritischer Beeinträch- tigung der vegetativen Funk- tionen:

.,.. Tachykardie, .,.. Hypotonie, .,.. Tachypnoe

Dr. Peter Lübcke

Allgemeines Krankenhaus Altona

111. Medizinische Abteilung Paui-Ehrlich-Straße 1 2000 Harnburg 50

Diagnose

ln der Reihe "Notfall im Bereitschaftsdienst"

sind 1976 folgende Beiträge veröffentlicht worden:

Perforierende Augenverletzungen Heft 19/1976, Seite 1279 f.

Nierenkolik

Heft 20/1976, Seite 1375 f.

Kardiogener Schock Heft 21/1976, Seite 1431 Verschluß

der Zentralarterie der Netzhaut

Heft 24/1976, Seite 1600 Der akute Hoden

Heft 27/1976, Seite 1817 f.

Ulkus-Perforation Heft 28/1976, Seite 1879 Die kardiavaskuläre Synkope Heft 29/1976, Seite 1939 ff.

Die akute gastrointestinale Blutung

Heft 30/1976, Seite 1974 Die Rektalblutung Heft 31/1976, Seite 2027 f.

Das akute Glaukom Heft 32/1976, Seite 2064 Verätzungen des Auges Heft 33/1976, Seite 2117 f.

Ertrinken

Heft 34/1976, Seite 2166 Ileus

Heft 35/1976, Seite 2210 Der Gichtanfall - Arthritis urica acuta

Heft 36/1976, Seite 2259 f.

Status asthmaticus Heft 37/1976, Seite 2307 f.

Anurie

Heft 38/1976, Seite 2371 f.

Stenosen der oberen Luftwege

Heft 39/1976, Seite 2435 f.

Paraphimose - Priapismus Heft 40/1976, Seite 2502

Anaphylaktische

Reaktionen (I)

Heft 41/1976, Seite 2557 f.

2854 Heft 48 vom 1. Dezember 1977

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Therapie

Präparat intravenös verabfolgt werden. Distraneurin® als Tropfinfusion ist wegen der Atem- und Kreislaufdepres- sion ohne klinische Überwa- chung nicht zu empfehlen. Am geeignetsten erscheint die in- travenöse Gabe von 5-10 mg Haloperidol (Haldol®). Auf kei- nen Fall sollte die Sedierung mit Opiaten oder mit dem frü- her beliebten SEE (Scopol-

amin, Eukodal, Ephetonin) er-

folgen. Diese Präparate sind für Alkoholdelirpatienten we- gen der Kreislaufdepression lebensgefährlich .

.,.. Bei Hypotonie kann - so- fern der unruhige Patient eine i. v. Infusion eines Plasmasr- satzstoffes nicht toleriert -, die i. m. Gabe von 1 Amp. ( =

1 0 mg) Theodrenali n (Akri- nor®) empfohlen werden.

Anaphylaktische Reaktionen (II)

Heft 42/1976, Seite 2645 Lungenembolie

Heft 43/1976, Seite 2713 Blutungen aus Nase und Rachenraum Heft 44/1976, Seite 2791 Die regelmäßige Bradykardie Heft 45/1976, Seite 2857 Die unregelmäßige Bradykardie

Heft 46/1976, Seite 2933 Akute, spontane Hirnhautblutung

(Subarachnoidalblutung) Heft 47/1976, Seite 3019 Elektrounfall

Heft 48/1976, Seite 3099 Akute Pankreatitis Heft 49/1976, Seite 3169 f.

Digitalis-Intoxikation Heft 50/1976, Seite 3237 f.

Das Erysipel

Heft 51/1976, Seite 3295 f.

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin UBERSICHTSAUFSATZ

KARZINOMSERIE

Wert und Strahlenrisiko mammographischer Kontrolluntersuchungen

Volker Menges

Radiologisches Zentralinstitut Theresienkrankenhaus Mannheim (Chefarzt: Dr. med. habil. Volker Menges)

Die in der Fach- und Laien- presse befürchtete Strahlen- gefährdung durch die Mam- mographie ist nicht begrün- det. Eigene und in der Litera- tur mitgeteilte Erfahrungen zeigen, daß nur mit Hilfe der Mammographie echte Früh- diagnostik möglich ist. Die mammographische Kontroll- untersuchung kann gerade bei der Brustkrebsvorsorge und -früherkennung für die Patientin von entscheidender Bedeutung sein. Es wird über die Berechtigung, den Wert und den sinnvollen Einsatz der mammographischen Ver- laufsuntersuchung berichtet.

In der Fach- und Laienpresse wurde in den letzten Wochen wiederholt von vermeintlichen Gefahren der Mammographie gesprochen. Wis- senschaftler des National Cancer In- stitute New York vermuten, daß sich mit jeder röntgendiagnostischen Untersuchung der weiblichen Brust bei Frauen zwischen 35 und 50 Jah- ren die Spontaninzidenz von Brust- krebserkrankungen erhöhe.

Diese Äußerungen können nicht un- widersprochen hingenommeh wer- den, da sie sich auf hypothetisches Datenmaterial stützen. Bis jetzt ist kein konkreter Fall einer Krebspro- vokation in der Weltliteratur be- kanntgeworden, der mit zutreffen- den Gründen auf mammographi- sche Untersuchungen zurückge- führt werden könnte. Speziell Oeser (1976) und Hoeffken (1977)*) sind bereits mit überzeugender Argu- mentation derartigen Thesen einer möglichen Brustkrebsinduzierung durch mammographische Untersu- chungen entgegengetreten (siehe 19, 31)**).

Auf Grund unserer eigenen interdis- ziplinär erarbeiteten Erfahrungen bei über 8500 im Rahmen der Krebs- vorsorge klinisch und mammogra- phisch untersuchten Frauen der letzten fünf Jahre können wir eben- falls zeigen, daß die richtig einge- setzte Mammographie mit den heute üblichen Spezialgeräten für die Pa- tientin unvergleichlich mehr Nutzen

und Vorteile bringt als vermeintliche Gefahren. In unserem Krankengut findet sich eine Trefferquote für kli- nisch absolut okkulte Karzinome von 0,78 Prozent (67/8500) mit ei- nem mittleren Tumordurchmesser von 8 Millimeter (2 bis 12 Millimeter).

Vergleicht man dieses Ergebnis mit den Berechnungen des National Re- search Council, Washington, die auf einem maximal kalkulierten Strah- lenrisiko beruhen und nach denen bei einer Million Frauen, die 30 Jah- re lang einmal jährlich eine Mammo- graphie durchführen lassen, in 45 Fällen ein Brustkarzinom induziert werden soll, so stehen 45 hypothe- tisch induzierten Mammakarzino- men 7800 mammographisch ent- deckbare, klinisch noch okkulte Kar- zinome mit guter Prognose gegen- über. Die unabhängige Auswertung großer Statistiken zeigt, daß die bis- her erreichte Verbesserung der Fünf- und ganz besonders der Zehn- jahresüberlebenszeiten proportional um denselben Prozentsatz zunahm, um den die Frühfälle ohne nach- weisbare axilläre Lymphknotenbe- teiligung durch die radiologische Frühdiagnostik erfaßt werden konn- ten (7, 21). 45 Prozent aller an ameri- kanischen Screeningzentren ent- deckten Mammakarzinome waren klinisch okkult und nur mammogra- phisch nachweisbar (37). Nur die Mammographie ist nachweislich in der Lage, das Brustkarzinom unter der kritischen Tumorgröße von 1 Zentimeter zu entdecken, der geziel-

ten bioptischen Kontrolle und damit der notwendigen Frühbehandlung zuzuführen. Bei den Auseinander- setzungen um die Mammographie kann es einzig und allein um die Zweckmäßigkeit und Rechtfertigung von mehr oder weniger regelmäßi- gen Voruntersuchungen bei gesund erscheinenden, klinisch symptomlo- sen Frauen gehen. Denn wer kann im Einzelfall die Verantwortung übernehmen für ein durch Unterlas- sung entsprechender Vorsorgeun- tersuchungen zu spät erkanntes Brustkarzinom.

Bei der Krebsvorsorge spielt ganz allgemein bei negativer Erstuntersu- chung die Wiederholungsuntersu- chung zur Krebsfrüherkennung eine entscheidende Rolle. Will man ein Brustkarzinom in einem noch be- handlungsgünstigen Stadium erfas- sen, sind Kontrolluntersuchungen in bestimmten Zeitabständen notwen- dig und erfolgversprechend (3). Es muß deshalb eine Untersuchungs- methode zur Anwendung kommen, die jederzeit eine Wiederholung zu- läßt und deren Aussagewert und Zu- verlässigkeit sich durch Repetitions- untersuchungen nach Möglichkeit

*) DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 74 (1977) 151

") Die in Klammern stehenden Zahlen bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 48 vom 1. Dezember 1977 2855

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Mammographie

noch weiter steigern läßt. Diese For- derung erfüllt vor allem die Mammo- graphie mit ihren Vergleichsmög- lichkeiten und jederzeit zu objekti- vierenden Befunden. Die Verlaufs- mammographie läßt nach unseren Beobachtungen bei unauffälligem oder unklarem Erstmammogramm praktisch als einzige Methode neu auftretende Strukturveränderungen und sich entwickelnde Karzinom- frühzeichen in Erscheinung treten.

Etwa ein Drittel (22/67) unserer klei- nen okkulten Karzinome konnte erst auf Grund der Möglichkeit von Ver- gleichsmammogramm entdeckt werden (Abbildung 2). Martin (1971) weist deshalb speziell darauf hin, daß eine „frühzeitig" angefertigte Mammographie als Vergleichsbasis

(„baseline-mammography") für spätere Mammographien wichtig ist zur Erkennung von kleinen und kleinsten Karzinomen (26).

Daß mammographische Verlaufsun- tersuchungen durchaus sinnvoll und berechtigt sind, kann durch fol- gende Beobachtungen weiter belegt werden:

Das Mammakarzinom ist nach den von uns und von anderen Autoren bisher ermittelten Tumorverdoppe- lungszeiten bei insgesamt 132 Brustkarzinomen ein Tumor, der un- abhängig vom histologischen Typ und weitgehend auch vom Alter der Patientin anfangs im klinisch noch okkulten Stadium im Durchschnitt langsame Wachstumstendenzen

zeigt und erst relativ spät gegen En- de der klinischen Latenzphase in di- rekter Korrelation zur Tumorgröße metastasiert (4, 10, 13, 17, 18, 20, 23, 33) (Abbildung 1). Nahezu zwei Drit- tel des Tumorwachstums verlaufen klinisch latent.

Die durch die klinische Tastuntersu- chung entdeckten Karzinome (ab 1 Zentimeter Größe) wachsen aus- nahmslos schon länger als 10 Jahre.

Bei einer Mittelwertbetrachtung der bisher errechneten Tumorverdoppe- lungszeiten beträgt die durch- schnittliche Wachstumszeit, bis der Tumor im röntgenologisch diagno- stizierbaren Stadium von 2 Millime- ter einen Durchmesser von 1 Zenti- meter erreicht hat, 6 Jahre (15). Das zu erstrebende Ziel muß es sein, in

Abbildung 1: R. E., 51 J.: Wachstum eines klinisch okkulten Karzinoms (Biopsie zunächst verweigert, da klinisch Tastbefund unauffällig). Das Tumorvolumen hat sich innerhalb des Beobachtungszeitraumes von vier Jahren noch nicht einmal verdoppelt (Volumenzunahme -- 75 Prozent). Deutliche Zunahme der sekundären Malignitätszeichen (Spiculae, Mikrover- kalkungen)

2856 Heft 48 vom 1. Dezember 1977

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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10 mm

Abbildung 2: H. D., 56 J.: a) Das Mammogramm vom 14. April 1976 zeigt einen kleinen, inhomogenen Herdschatten, der retrospektiv als kleinere. atypische Gewebeformation auf einem vor 20 Monaten angefertigten Mammogramm zu erkennen ist. Auf Grund des Vergleichsbildes muß der Befund als malignom- suspekt gewertet werden. b) Präparatradiogramm mit Markierung des kleinen, auch intraoperativ nicht tastbaren Gewebebezirkes für die gezielte histologi- sche Aufarbeitung, c) Histologie*): 2 bis 3 Millimeter kleines Carcinoma soli- dum scirrhosum

•) Herrn Privatdozent Dr. K. Wurster, Pathologisches Institut der Universität Heidelberg, danke ich für die Bearbeitung der Histologie

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Mammographie

dieser Zeitspanne den Tumor zu ent- decken und die radiologische Früh- diagnose zu erreichen.

Ein auffallend schnell wachsender Tumor unter der Größe von 1 Zenti- meter wurde bisher nicht beobach- tet und scheint in diesem Größenbe- reich eine Ausnahme zu sein. Die kürzeste beobachtete mittlere Tu- morverdoppelungszeit beträgt 86 Tage.

Daraus ergibt sich die kürzeste be- obachtete mittlere Wachstumszeit von fast 2 Jahren, bis ein Tumor nach 30 Teilungsphasen einen Durchmesser von 1 Zentimeter er- reicht hat. Die absolute Häufigkeit schnell wachsender Mammatumo- ren schätzt man im allgemeinen auf 30 Prozent (15). Von den bisher aus- gemessenen Tumoren zeigten nur 11 Prozent ein schnelleres Volumen- wachstum (10). Bei den weitaus mei- sten Mammakarzinomen haben wir also eine relativ lange klinische La- tenzzeit, in welcher der Tumor in der prognostisch noch günstigen präkli- nischen Phase radiologisch erfaßt werden kann.

Bei der Frage nach dem sinnvollen Intervall mammographischer Vor- sorgeuntersuchungen kommt der Berücksichtigung der Wachstums- tendenz des Mammakarzinoms die entscheidende Bedeutung zu. Die Chance der Frühdiagnose ist eine direkte Funktion der Tumorverdop- pelungsrate sowie des zeitlichen Ab- standes der einzelnen Untersuchun- gen (18).

Da nur wenige der beobachteten Brustkarzinome ein schnelleres Wachstum zeigen, sollte selbst bei Voraussetzung der beobachteten kürzesten Tumorverdoppelungszeit die radiologische Frühdiagnose bei den weitaus meisten Frauen mög- lich sein, wenn im Abstand von 1 bis 2 Jahren eine Mammographie durchgeführt wird. Wegen der zu er- wartenden falschnegativen Rate der Mammographie von 2 bis 12 Prozent sollte das Intervall zwischen 2 mam- mographischen Vorsorgeuntersu- chungen 2 Jahre nicht überschrei- ten. Da die axilläre Lymphknoten-

metastasierung bei kleinen Tumoren unter 1 Zentimeter relativ selten (5 bis 24,5 Prozent) und die Wachs- tumstendenz bei mindestens 70 Pro- zent aller Mammakarzinome so langsam ist, daß das Mammakarzi-

nom durch eine im Abstand von 1 bis 2 Jahren durchgeführte kombi- nierte klinisch-radiologische Unter- suchung im Frühstadium dia- gnostiziert werden kann, wäre die- ses Vorgehen der sicherste Weg, um

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Abbildung 3: Sch. L., 53 J.: Klinisch unauffällige Risikopatientin unter mammo- graphischer Kontrolle (fünffache Ausschnittsvergrößerung aus dem Mammo- gramm). a) Auftreten von gruppenförmigen Mikroverkalkungen, eine Probe- biopsie wird zunächst nicht für indiziert gehalten. b) Auf dem Kontrollmammo- gramm nach sechs Monaten haben die Verkalkungen deutlich an Anzahl und Größe zugenommen. Die gezielte Probebiopsie ergibt ein auch intraoperativ nicht tastbares, kleines Karzinom

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Mammographie

die Lebenserwartung beim Brust- karzinom zu verbessern (16, 18).

Ob und ab welchem Alter diese Kon- trollabstände im Rahmen der Krebs- vorsorge allgemein durchgeführt werden sollen und können, oder ob

nur im bestimmten Einzelfall, zum Beispiel bei der Risikopatientin, die- se Fragen können in diesem Rah- men nicht weiter erörtert werden.

Neben den organisatorischen und apparativen Problemen ist der finan- zielle Aufwand zu bedenken, der ei-

ner derartig breitangelegten Vorsor- geuntersuchung heute im Wege steht.

Die Frage, ob die Mammographie in einer Ebene (sogenannte Schräg- aufnahme) für die Krebsvorsorge ausreichend ist, kann heute eben- falls noch nicht generell und schlüs- sig beantwortet werden (24).

Kann aber ein Vorsorgeprogramm nicht allgemein durchgeführt wer- den, so bleibt als Ausweg, zunächst die Frau mit einem statistisch aner- kannten Risiko besonders zu beachten.

Die Ergebnisse der epidemiologi- schen Krebsforschung des Mamma- karzinoms gestatten die Einordnung der Patientin in ein bestimmtes Risi- koprofil. Außerdem können aus dem radiologischen Strukturbild des fi- broglandulären Gewebes der jewei- ligen Mamma Anhaltspunkte für die zu erwartenden Proliferationsten- denzen gewonnen werden (27, 39).

Wir machen deshalb die Kontrollab- stände bei den uns zur Krebsvorsor- ge zugewiesenen Frauen individuell direkt vom jeweiligen Risikofaktor der Patientin abhängig. Dieser er- gibt sich aus einem von uns erstell- ten Risikopunktesystem, in dem alle karzinomfördernden Faktoren be- wertet und addiert werden.

Auf diese Weise ist eine zwar be- grenzte, aber dafür gezielte und doch möglichst effektive Vorsorge möglich. 46 Prozent (31/67) unserer klinisch und mammographisch un- tersuchten Patientinnen mit einem klinisch okkulten Karzinom fallen unter die Gruppe der sogenannten Risikopatientinnen. Der kürzeste Kontrollabstand bei unseren Vorsor- gebemühungen beträgt, wenn der Ausgangsbefund keinen suspekten Krankheitsherd ergibt, sechs Mona- te, und zwar bei Patientinnen, die einseitig ablatiert sind oder bei de- nen bioptisch eine Mastopathie Typ III (nach Prechtel) festgestellt wurde.

Das Risiko beträgt im ersteren Fall 10 bis 16 Prozent (1, 2, 22, 40). Für die Patientin, bei der durch Probe- exstirpation atypische Proliferatio- nen gesichert sind, wird das Entar-

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