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Archiv "Im Blickpunkt: Die seltenen Zwischenfälle" (20.02.1975)

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Im Blickpunkt:

Die seltenen Zwischenfälle

Prof. Sewering: Bereits erhebliche Vorarbeit

für ein vereinfachtes Verfahren zur Klärung und zur Entschädigung in Fällen schuldhafter Behandlungsfehler

Ein Gerichtsverfahren in München hat ein anhaltendes Interesse der Öffentlichkeit mehr auf das Thema „Ärztliche Kunstfehler" ge- lenkt, als dies einigen Vereinigungen gelungen war, die spektakulär angekündigt hatten, sich mit Hilfe interessierter Rechtsanwälte ei- ner angeblichen „Problematik", nämlich der des ärztlichen Kunst- fehlers, annehmen zu wollen. Heidrun Graupner, Redakteurin der

„Süddeutschen Zeitung", hat dem Präsidenten der Bundesärzte- kammer und des Deutschen Ärztetages, Professor Dr. Hans Joa- chim Sewering (München), zu dieser Thematik kritische Fragen gestellt, deren Beantwortung der „Problematik" ihre wahre Dimen- sion zuweist. Das Interview wurde am 18. Januar 1975 von der

„Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht; hier sein Wortlaut (auch die Zwischenzeilen stammen von der „Süddeutschen Zeitung"). DÄ

Die Information:

Bericht und Meinung DAS INTERVIEW

SZ: Was ist ein Kunstfehler? Ist es möglich, Grenzsituationen so zu definieren, daß keine Ungerechtig- keiten — weder für den Patienten,

noch für den Arzt — entstehen?

Sewering: Wenn in der Öffentlich- keit der Begriff „Kunstfehler" ge- braucht wird, so geschieht dies im- mer sehr pauschal. Gemeint ist letz- ten . Endes ein dem Patienten vom Arzt zugefügter Schaden. Es ist aber nicht unbedingt das gleiche, ob ein Arzt, trotz aller Sorgfalt, eine falsche Diagnose stellt oder eine falsche Behandlung durch- führt oder ob er durch Verletzung ärztlicher Kunstregeln oder Sorg- faltsmangel einen Patienten schä- digt. Schon daraus zeigt sich, daß Grenzsituationen der Beurteilung überhaupt nicht vermieden werden können. Es muß vor allem auch be- rücksichtigt werden, daß — mensch- lich verständlich — ein Patient unter Umständen auch dann ei- nen Fehler des Arztes vermutet, wenn eine regelrecht durchgeführ- te Behandlung nicht den vom Pa- tienten erwarteten Erfolg brachte.

In Grenzsituationen wird es also im- mer auf eine sehr sorgfältige Unter- suchung im Einzelfall ankommen.

Es gibt keine Statistik

SZ: Wie oft geschehen Kunstfeh- ler? Gibt es auch Zahlenmaterial über die Häufigkeit bestimmter Kunstfehlerformen? Könnte man daraus Konsequenzen ableiten?

Sewering: Es gibt keine statisti- schen Zahlen über diese sogenann- ten Kunstfehler. Die in der Öf- fentlichkeit behaupteten Häufun- gen von falschen Behandlungen sind mit Sicherheit aus der Luft ge- griffen und verfolgen sehr durch- sichtige Ziele.

Kann keine Rede davon sein ...

SZ: Die Vertrauensfrage ist nach einem ärztlichen Fehler besonders akut. Immer wieder, so heißt es, werde ein Fehler vertuscht, um das Vertrauen des Patienten nicht zu verlieren. Verstärkt aber nicht ge- rade dieses Vertuschen das Miß- trauen der Patienten?

Sewering: Diese Frage enthält eine Unterstellung, welche durch nichts gerechtfertigt wird. Es kann keine Rede davon sein, daß „immer wie- der" ein Fehler vertuscht werde.

Das angebliche Mißtrauen der Pa- tienten wird vielmehr gestärkt durch die ständigen Behauptungen über solche Vertuschungen.

„Uns nie für unfehlbar gehalten"

SZ: Auf der anderen Seite wird der Arzt vielfach nicht als Mensch, sondern als unfehlbares, entrück- tes Denkmal angesehen. Ist die notwendige Kooperation zwischen Arzt und Patient in ihrer komple- mentären Rollenstruktur von Be- handelndem und Heilungswilligem vorhanden?

Sewering: Die Kooperation zwi- schen Arzt und Patient ist in aller Regel unverzichtbare Vorausset- zung für die Durchführung und den Erfolg einer Behandlung schlecht- hin. Wir Ärzte haben uns noch nie für „unfehlbar" gehalten. Fehldia- gnosen oder falsche Behandlungen hat es immer gegeben und wird es auch in der Zukunft immer wieder geben. Die Tatsache, daß Millionen Menschen laufend in ärztlicher Be- handlung stehen und wieder ge- sund werden, ist aber doch wohl ein deutlicher Hinweis, daß die Ärzte sich ihrer Sorgfaltspflicht be- wußt sind und auch hinsichtlich ih- rer medizinischen Kenntnisse den Anforderungen gerecht werden.

Die Frage der Aufklärungspflicht SZ: Können bei einer Umgehung der ärztlichen Aufklärungspflicht — etwa bei einem dem Patienten ver- heimlichten Krebsgeschwür oder bei den Nebenwirkungen einer Strahlenbehandlung — Probleme im Zusammenhang mit der Kunst- fehlerfrage entstehen?

Sewering: Die Verheimlichung ei- ner tödlichen Diagnose und die Verheimlichung von Nebenwirkun- gen einer Strahlenbehandlung lie- gen auf völlig verschiedenen Ebe- nen. Im ersten Falle werde ich als Arzt zu entscheiden haben, ob ich meinem Patienten die volle und für ihn vielleicht vernichtende Wahr- heit sage. Dies gehört sicherlich mit zu den schwersten Entschei- dungen, die ein Arzt zu treffen hat.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 8 vom 20. Februar 1975 485

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Die Information:

Bericht und Meinung

Sewering zum Thema „Ärztliche Kunstfehler"

Wenn aber bei einer Strahlenbe- handlung Nebenwirkungen aufge- treten sind, so wird es in erster Li- nie darauf ankommen, ob diese Nebenwirkungen zwangsläufig und unabwendbar waren, oder ob sie auf einen Behandlungsfehler, etwa in der Dosierung, zurückzuführen sind. Über unabwendbare Neben- wirkungen wird der Patient vorher aufzuklären sein, unerwartet aufge- tretene müssen ihm bekanntgege- ben werden, weil sie ja in aller Re- gel eine entsprechende Behand- lung erforderlich machen.

Langwierig, weil schwierig

SZ: Für Patienten und Angehörige ist es bisweilen sehr schwierig, ei- nen Fehler in der Behandlung nachzuweisen. Die Prozesse dau- ern oft jahrelang, eine Entschädi- gung ist im Vergleich zu anderen Ländern, wie den USA, meist sehr gering. Wäre nicht die Einführung einer gesetzlichen Haftpflichtversi- cherung notwendig, um wenigstens die finanziell oft verzweifelte Situa- tion der Patienten zu mildern?

Sewering: Die Entschädigung eines Patienten im Falle eines nachge- wiesenen Verschuldens des Arztes

ist bisher noch nie an einer feh- lenden Haftpflichtversicherung ge- scheitert. Jeder praktizierende Arzt und auch jeder Krankenhausarzt ist haftpflichtversichert. Hier be- darf es also keiner gesetzlichen Regelung. Die Langwierigkeit von rechtlichen Auseinandersetzungen liegt vielmehr in der Schwierigkeit der Materie begründet. Es ist durchaus verständlich, daß der Pa- tient, dem ein Schaden zugefügt wurde, oder der glaubt, es sei ihm ein solcher Schaden zugefügt wor- den, so schnell wie möglich eine Entschädigung haben möchte. Es kann aber andererseits weder dem Arzt noch einer Haftpflichtversiche- rung zugemutet werden, ein Ver- schulden nur deshalb zuzugeben, weil damit Zeit gewonnen wird.

Auch der Arzt hat einen Anspruch darauf, seinen Rechtsstandpunkt und sein Handeln zu verteidigen, ganz abgesehen davon, daß, wie ich schon ausgeführt habe, viele

Fälle tatsächlich außerordentlich schwierig zu beurteilen sind. Wir sind aber darüber hinaus daran in- teressiert, ein vereinfachtes Ver- fahren einzuführen, und haben da- für bereits erhebliche Vorarbeit ge- leistet. Wir hoffen es schon in Kür- ze praktizieren zu können.

im Blickpunkt

die seltenen Zwischenfälle

SZ: Nicht direkt zu den Kunstfeh- lern gehören Unglücke in Kliniken.

Doch mit dem immer komplizier- ter werdenden technisch-medizini- schen Apparat wächst auch die Gefahr eines Unfalls. Wie häufig und von wem werden Kliniken und technische Geräte — ob in der Nu- klearmedizin oder Klinikanlagen — überprüft?

Sewering: Es gibt zwischen Klini- ken und Arztpraxis weder bei Be- handlungsfehlern noch bei Un- glücksfällen eine unterschiedliche Beurteilung. Was aber die Zahl von solchen „Unglücksfällen" angeht, so muß doch auch hier berücksich- tigt werden, daß im Blickpunkt der Öffentlichkeit nur die sehr seltenen Zwischenfälle erscheinen, wäh- rend zur gleichen Zeit tausendfach gleichartige Behandlungen durch- geführt werden, bei denen nichts Nachteiliges passiert ist.

Arzt auf Techniker angewiesen SZ: Könnten sich die Hamburger Todesfälle durch defekte Klimaan- lagen und Bestrahlungsgeräte nicht doch wiederholen, wenn man bedenkt, daß man im Schwabinger Krankenhaus aus Unkenntnis der Konstruktionspläne zunächst in zwei von vier Operationssälen kei- ne Schwebestoff-Filter einbaute (auch wenn der Fehler in diesem Fall vor der Inbetriebnahme ent- deckt wurde)?

Sewering: In bin überzeugt, daß je- der Krankenhausträger und alle verantwortlichen Ärzte daran in- teressiert sind, mit technischen Ein- richtungen zu arbeiten, die in Ord- nung sind. Bei der Kompliziertheit der Medizintechnik wird man sich

aber in einem erheblichen Umfang immer auf die Zuverlässigkeit der Ingenieure und Techniker verlas- sen müssen.

Bedenkliche Entwicklung in USA SZ: Menschliches Versagen wird sich auch in Zukunft in der Medizin nicht vermeiden lassen. Wird sich die Problematik der ärztlichen Kunstfehler und der Klinik-Unglük- ke aber mit der immer größer wer- denden Belastung, der immer stär- keren Spezialisierung und Techni- sierung der Medizin verändern?

Sewering: Ich sagte schon: Es hat immer einmal Fehler gegeben und wird auch in Zukunft solche geben.

Das ist unvermeidbar. Man möge aber auch folgendes bedenken:

Die Fortschritte der medizinischen Wissenschaft gestatten uns heute die Diagnose und Behandlung von Erkrankungen, an denen noch vor kurzer Zeit die Menschen hoff- nungslos zugrunde gehen mußten.

Je wirksamer ein Medikament ist, um so eher muß man auch einmal mit einer Nebenwirkung rechnen.

Die Antibiotika haben Millionen Menschen das Leben gerettet. Soll- ten wir darauf verzichten, weil eini- ge das Unglück hatten, Opfer eines Penicillinschocks zu werden? Sol- len wir auf lebensrettende Rönt- genuntersuchungen verzichten, weil es schon Opfer von Kontrastmittel- injektionen gegeben hat? Soll man schwierige und umfangreiche Operationen, die heute unseren Chirurgen möglich sind, unterlas- sen, weil mit dem Umfang des ope- rativen Eingriffes auch das Risiko möglicherweise ansteigen könnte?

Wer in der öffentlichen Propagan- da gegen die Ärzte daran mitwirkt, aus jedem Arzt primär einen

„Kunstfehlerverdächtigen" zu ma- chen, könnte eines Tages mitschul- dig werden, wenn risikobehaftete ärztliche Behandlungen nicht mehr durchgeführt werden, weil keinem Arzt zugemutet werden kann, einen zunehmenden Teil seiner Kraft für die Abwehr von Haftpflichtforde- rungen zu verwenden. Die Entwick- lung in den USA spricht hier be- reits eine warnende Sprache.

486 Heft 8 vom 20. Februar 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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