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Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 46, 19. November 1999 (1)
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er politische Einigungs- prozeß in Europa wird oft- mals dafür eingespannt, im Zuge einer gemeinsamen Sozial- und Gesundheitspolitik die Syste- me der sozialen Sicherung zu „har- monisieren“. Die Europäische Union und der Maastrichter Ver- trag dekretieren keineswegs eine gleichmachende, allumfassende europäische Sozialunion, keine Harmonisierung auf dem Stan- dard gut situierter Länder. Har- monisierung ist in der Regel nur ein beschönigendes Deckwort für Gleichmacherei. Nivellierungen würden gerade die Qualität des Gesundheitswesens in besonderer Weise treffen. Dies hat Politiker der Unionsparteien – so den bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber und den Vor- sitzenden der CDU, Dr. Wolfgang Schäuble – in jüngster Zeit dazu veranlaßt, die Kernkompetenz bei der Sozial- und Gesundheitspoli- tik für die jeweiligen Nationalstaa- ten zu reklamieren.Freilich: Die wünschenswerte europäische Einigung wird nicht gelingen, ohne die tragenden Prin- zipien des Sozialstaates in den eu- ropäischen Ländern konsequent umzusetzen. Ein gemeinsamer eu- ropäischer Markt und eine ge- meinsame Währung können nicht geschaffen und von der Bevöl- kerung akzeptiert werden ohne jedwede soziale Vereinbarungen und Schutzrechte. So muß bei- spielsweise ein Mindeststandard an Gesundheitsschutz, sozialer Si- cherheit, Arbeitsschutz und glei- chen Rahmenbedingungen für die Berufsausübung innerhalb der EU geschaffen werden – neben ande- ren sozialen Schutzbedingungen etwa für Behinderte, Jugendliche, Mütter, Familien und sozial Schwache. Die konservativen Par- teien in Europa haben sich darüber verständigt, daß die europäische Sozial- und Gesundheitspolitik nur von der Sicherung eines Mindest- standards ausgehen kann. Nur die- ser kann einigermaßen verläßlich
finanziert und wirksam garantiert werden. Nicht gewollt hingegen ist das Einheits- und Nivellierungs- modell, das allen Mitgliedsstaaten übergestülpt wird. Wettbewerb der Systeme, eine Implementierung der sozialen Marktwirtschaft und die gemeinsame Lösung sozialer Probleme sind notwendig. Zudem muß beachtet werden, daß in je- dem Land der EU unterschiedli- che Leitbilder die gewachsenen nationalen Sicherungssysteme ge- prägt haben. Diese können schließ- lich nicht in einer Tabula-rasa- Politik über Bord geworfen, am Reißbrett neu entwickelt und den Nachbarländern oktroyiert wer- den. Dennoch: Soziale Trutzbur- gen der Nationalstaaten sind in der EU ebenso obsolet wie eine über- bordende zentralistische soziale Großbürokratie. Die Tätigkeit der Gemeinschaft muß deshalb auf Er- gänzung der nationalen Gesund- heitspolitiken angelegt sein, dür- fen aber diese nicht durch Zentra- lismus ersetzen. Dr. Harald Clade
Nivellierungstendenzen
Europapolitik
Gesundheitsreform Resteverwertung
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aß die Gesundheitsreform 2000 am Bundesrat schei- tern wird, scheint inzwi- schen auch für die SPD eine reali- stische Annahme zu sein. Mit Hochdruck basteln die Sozialde- mokraten derzeit an einem Paral- lelgesetz, um am Ende nicht mit leeren Händen dazustehen. Das Kind ist zwar noch nicht geboren, sein wohlklingender (und irre- führender) Name macht unterdes- sen schon die Runde: GKV-Inno- vationsförderungsgesetz.Die Eckpunkte dieses Geset- zes fußen auf der Koalitionsverein- barung für die „eigentliche“ Ge- sundheitsreform. Enthalten sind freilich nur jene Passagen, die auch
ohne die Zustimmung des Bundes- rates Gesetz werden können. Das heißt: Nahezu alle Regelungen, die das Krankenhaus betreffen, tau- chen in dem SPD-Papier nicht mehr auf. Auch sucht man das Reizwort „Globalbudget“ vergeb- lich. Statt dessen ist in den Eck- punkten zum GKV-Innovations- förderungsgesetz von der „strikten Durchsetzung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität im Jahr 2000“
die Rede.
Was die Gesundheitsreform 2000 für den ambulanten Sektor versprach, soll das Parallelgesetz nun doch noch halten: Kosten- dämpfung und Machtverlagerung auf die Krankenkassen – das alles
weiterhin unter sektoralen Bud- gets.
In dem SPD-Entwurf heißt es:
„Das Gesetz unternimmt erste we- sentliche Schritte zu einer umfas- senden Modernisierung des deut- schen Gesundheitswesens. Weitere Schritte werden in einem Folgege- setz im 2. Halbjahr 2000 ange- strebt.“ Mit anderen Worten: Die Koalition betreibt Resteverwer- tung, weil der große Wurf (zumin- dest) im ersten Anlauf nicht gelin- gen will. Viel mehr bleibt Rot- Grün auch nicht übrig, denn das derzeit geltende GKV-Solidaritäts- stärkungsgesetz ist auf Ende 1999 befristet. Eine Anschlußregelung muß auf jeden Fall her. Josef Maus