A826 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1618. April 2008
M E D I Z I N R E P O R T
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as flächendeckende Mam- mografie-Screening ist in Deutschland weitgehend verwirk- licht (siehe Aktuell). Als Mindest- standard zur Früherkennung von Brustkrebs findet das Verfahren zwar generell Zustimmung, doch es wird zunehmend kritisch beurteilt.Bestehende, hervorragend ausge- wiesene Versorgungsstrukturen im ambulanten und stationären Bereich würden zerschlagen, um die Brust- krebsfrüherkennung zu zentrali- sieren und auf die gesundheits- politisch gewünschten Scree- ning-Einheiten zu reduzieren, kritisiert Prof. Dr. med. Chris- tiane Kuhl (Radiologische Klinik der Universität Bonn).
Nach der Strahlenschutzver- ordnung dürfen Frauen ohne Symptome einer Röntgenuntersu- chung wie der Mammografie nicht ausgesetzt werden. Ausgenommen davon sind allein die 94 bundesweit installierten Screening-Einheiten.
Das bedeute, so Kuhl, dass allen an- deren radiologischen Einrichtungen automatisch die medizinische und apparative Qualität per Gesetz abge- sprochen und ihnen künftig unter Strafandrohung untersagt werde, ei- ne Mammografie zur Früherkennung bei symptomlosen Frauen anzubie- ten. Die Folge: „Ärzte, die seit Jahren eine nachweislich exzellente Qua- lität in der Diagnostik vorgehalten haben, werden nun kriminalisiert, wenn sie ihre Arbeit fortsetzen wol- len“, sagt Kuhl. Das komme einem Berufsverbot gleich.
Formaljuristische Faktoren
Auch die Auswahl der Zentren für das Screening-Programm sieht die international anerkannte Radiologin als fragwürdig an. Denn nicht die medizinisch-diagnostische Erfahrung im Bereich der Mammadiagnostik sei zugrunde gelegt worden, sondernallein wirtschaftliche und formaljuris- tische Faktoren hätten dabei eine Rolle gespielt. Nur niedergelassene Radiologen beziehungsweise Ärzte mit „Vertragsarztstatus“ konnten sich als Screening-Einheit bewerben. Die Teilnahme praktisch aller Kranken- häuser und Universitäten sowie vie- ler niedergelassener Radiologen und Gynäkologen, die sich seit vielen
Jahren auf die Brustkrebsfrüherken- nung spezialisiert haben, sei von An- fang an ausgeschlossen gewesen, moniert auch die Radiologin Dr.
med. Marie-Luise Otto (Sundern), die eine Spezialpraxis für Mamma- diagnostik betreibt.
Mit der Auslagerung aus den Universitäten werden den Kriti- kerinnen zufolge auch die Europä- ischen Leitlinien für die Brustkrebs- früherkennung nicht eingehalten, denn diese sollte in Brustzentren er- folgen, in denen Ärzte verschiede- ner Fachrichtungen auf diesem Ge- biet zusammenarbeiten.
Negative Auswirkungen auf die Forschung und ärztliche Ausbildung im Bereich der Mammadiagnostik befürchtet auch Prof. Dr. med. Ma- ximilian Reiser (München) vom Vorstand der Deutschen Röntgenge- sellschaft. So könnten die Univer- sitäten ihrem Ausbildungsauftrag in diesem Bereich nicht mehr nach-
kommen, weil die Früherkennung komplett aus der akademischen Me- dizin ausgelagert worden sei.
Nicht zuletzt konstatieren die Kri- tiker um die Radiologin Kuhl eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten der Screening-Einheiten. Insbeson- dere deshalb, weil beträchtliche ex- trabudgetäre Finanzmittel zulasten der übrigen vertragsärztlich tätigen 3 351 Radiologen in Deutschland in die Screening-Zentren umgelenkt würden. Dies sei eine staatlich sank- tionierte Kartellbildung, die medizi- nisch nicht begründbar sei.
Auch die Berufsgruppe der Gynä- kologen fühlt sich bei dem „abge- speckten Programm“ außen vorgelas- sen. So wertet es der Landesvorsit- zende des Berufsverbandes der Frau- enärzte, Dr. med. Wolfgang Cremer (Hamburg), als „massiven Affront“, dass die Einwände der Gynäkologen bei der Einführung des Screenings überhaupt nicht berücksichtigt wor- den seien. Die Mammografie sei nur eine der möglichen Früherken- nungsmaßnahmen. Der Stellenwert des Ultraschalls als möglicherweise bessere Technik für einen Teil der Frauen, werde erst gar nicht mehr un- ter Studienbedingungen untersucht.
Auch Reiser betont die Grenzen der Mammografie: Wichtige zusätzliche Verfahren wie Sonografie und Ma- gnetresonanztomografie würden in dem Früherkennungsprogramm kaum berücksichtigt.
Freie Arztwahl beschnitten
Harsche Kritik kommt auch von Pa- tientinnenseite: Ursula Goldmann- Posch, Gründerin von „mamazone e.V.“ (Augsburg), fordert, dass das an sich „gute und richtige“ flächen- deckende Programm nicht die einzi- ge Form sein dürfe, die in der Brust- krebsfrüherkennung nunmehr er- laubt sei. Damit würden das Selbst- bestimmungsrecht und die freie Arztwahl der Frauen zugunsten ei- ner Einheitsversorgung auf Mindest- niveau beschnitten. Es müsse für Frauen möglich sein, eine qualitäts- gesicherte Früherkennungs-Mam- mografie mit einer ärztlichen Unter- suchung, Beratung und gegebenen- falls weiterführenden Untersuchun-gen zu verbinden. I
Ingeborg Bördlein
MAMMOGRAFIE-SCREENING
Wettbewerbsverzerrung
Brustkrebsfrüherkennung in Screening-Einheiten erfolge zulasten bewährter Versorgungseinheiten im ambulanten und stationären Bereich, sagen Kritiker.
Foto:Novartis Pharma