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Archiv "ICD-10: Auf der Suche nach einer Lösung des Konflikts" (02.02.1996)

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P O L I T I K LEITARTIKEL

E

s kommt nicht allzu häufig vor, daß der Bundesgesundheitsmi- nister in von ihm selbst verfaß- ten und namentlich gezeichne- ten Zeitungsartikeln Stellung zu aktu- ellen gesundheitspolitischen Themen nimmt. Mit Blick auf die Diskussion um die umstrittene Diagnosenver- schlüsselung nach der ICD-10 hat er dies jetzt getan. In der Tageszeitung

„Die Welt“ drückte Horst Seehofer seine Verwunderung über die „Me- dienkarriere eines Themas“ aus, „von dem bis vor kurzem niemand geglaubt hätte, daß es auch nur eine Spur von Interesse wecken könnte“.

Tatsache ist jedoch, daß die Ver- pflichtung zur Diagnosenverschlüsse- lung nach der ICD-10 unter den nie- dergelassenen Ärzten so viel Ärger, Aufregung und helle Empörung aus- gelöst hat wie kaum ein anderes The- ma zuvor. Die Kritiker dieser gesetzli- chen Auflage beschweren sich massiv über die Unsinnigkeit der Codierung an sich, über den damit verbundenen zusätzlichen bürokratischen Ballast und die mögliche Gefährdung des Da- tenschutzes. An der Spitze der Pro- testbewegung steht die „Bundesweite Ärzteinitiative gegen den ICD“, die ihren Ausgang in Regensburg nahm.

Dr. Hans Peter Ferstl, Mitbe- gründer der Ärzteinitiative, sagte ge- genüber dem Deutschen Ärzteblatt:

„Mittlerweile haben mehr als 40 000 Vertragsärzte per Unterschrift ihre

klare und unmißverständliche Ableh- nung der Codierung von Diagnosen in der Praxis zum Ausdruck gebracht.“

Der Regensburger Allgemeinarzt verweist in diesem Zusammenhang auf eine Umfrage der Initiative, der zufolge sich lediglich 2,5 Prozent der Vertragsärzte für die ICD-10 ausge- sprochen haben, 81 Prozent hingegen eine ICD-Codierung in jeder Form ablehnen. „Jeder, der Demokratie auch nur ein bißchen ernst nimmt“, resümiert Ferstl, „wird an dieser ein- deutigen innerärztlichen Willensbil- dung nicht vorbeikommen.“

Seehofer: Kein

„gläserner Patient“

Die Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes sehen die ICD-Kriti- ker durch Äußerungen des Bundes- beauftragten für den Datenschutz, Joachim Jacob, bestätigt. Jacob sieht in einer weitgehenden, computerge- rechten Aufbereitung von Daten die Gefahr, daß Begehrlichkeiten ge- weckt werden. In einem Interview mit

„Die Tageszeitung“ sagte der oberste Datenschützer: „Das Risiko ist: Die Struktur wird immer gradliniger und einfacher für die Auswertung.“

Bundesgesundheitsminister See- hofer wiederum kann dem nicht fol- gen. Er verweist auf den Bericht von Alfred Einwag, dem Vorgänger von

Joachim Jacob. Der hatte am 27.

April 1993 in seinem Tätigkeitsbe- richt erklärt, daß es aufgrund der vom Gesundheitsstrukturgesetz vorge- schriebenen Datenübermittlung den

„gläsernen Patienten“ nicht geben werde. Die Übermittlung der Daten an die Krankenkassen erfolge nicht versichertenbezogen.

„Es werden nicht mehr oder an- dere Daten erfaßt als bisher“, sagt Seehofer in diesem Zusammenhang.

Auch sei die Behauptung falsch, daß die Diagnosenverschlüsselung Anga- ben zur persönlichen Lebensführung der Patienten verlange. Das seien kei- ne Diagnosen, und deshalb dürften diese Codes von den Ärzten auch nicht verwendet werden.

Unterdessen haben Bündnis 90/

Die Grünen die Einbringung eines Gesetzentwurfs für ein „Gesetz zur Sicherung und Vertraulichkeit von Patientendaten“ angekündigt. Beab- sichtigt wird damit die Streichung der Gesetzespassagen zur Diagnosenver- schlüsselung. Wenige Tage zuvor hat- te Minister Seehofer in einer Presse- mitteilung erklärt, es bleibe bei dem, was er im Dezember vor der Vertre- terversammlung der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung in Magde- burg ausgeführt habe. Ein fortschritt- liches Gesundheitswesen brauche ei- ne moderne Datenverarbeitung; dies sei ohne Überbürokratisierung in den Arztpraxen möglich, und einen „glä- A-223 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 5, 2. Februar 1996 (15)

ICD-10

Auf der Suche nach einer Lösung des Konflikts

Die Proteste gegen die Diagnosenverschlüsselung halten an.

Nach Darstellung der „Bundesweiten Ärzteinitiative gegen den ICD“ haben sich zwischenzeitlich mehr als 40 000 Ver- tragsärzte mit ihrer Unterschrift gegen die gesetzlich vor- gegebene Verpflichtung zur Codierung ausgesprochen.

Während Bündnis 90/Die Grünen mit einem Gesetzent-

wurf die Codierungspflicht insgesamt aus dem Sozialgesetz- buch V streichen lassen wollen, finden zur Zeit in Bonn inten- sive Beratungen über eine andere Lösung des Konflikts statt.

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung,

Dr. med. Winfried Schorre, drängt dabei auf die Berücksich-

tigung des realen Praxisalltags der niedergelassenen Ärzte.

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sernen Patienten“ werde es nicht ge- ben.

Seehofer hatte in Magdeburg aber auch die Bereitschaft zu einer zweijährigen Erprobungsphase der ICD-10-Codierung erkennen lassen.

Dabei solle herausgefunden werden,

„was wir von der ICD-10 alles ent- behren können, wie wir auf eine sinn- volle Art und Weise in Deutschland zu einer Codierung kommen kön- nen“. Außerdem müsse überlegt wer- den, was zu tun sei, um die Kompati- bilität mit dem stationären Sektor herzustellen.

Die Notwendigkeit, die ICD-10 zu überarbeiten, betont auch die Kas- senärztliche Bundesvereinigung. In einer Pressemitteilung vom 19. Janu- ar erklärte der KBV-Vorsitzende Dr.

Winfried Schorre: „Die ICD-10 schafft in der vorliegenden Form we- der eine Transparenz des Leistungs- geschehens, noch macht sie eine sinn- volle Gesundheitsberichterstattung möglich.“

Schorre fordert

praktikable Lösungen Schorre wies in diesem Zusam- menhang erneut darauf hin, daß es der KBV bereits gelungen sei, die Einführung um ein halbes Jahr zu verschieben. „Wir werden uns massiv dafür einsetzen“, sagt der Vorsitzen- de der Kassenärztlichen Bundesver- einigung, „daß die Verpflichtung zur Anwendung der ICD so lange ausge- setzt wird, bis wir eine sowohl für die Praxis als auch für das Krankenhaus praktikable Form der Diagnosenver- schlüsselung gefunden haben und der Datenschutz gewährleistet ist.“

Die Erfassung von Patientenda- ten müsse auf die praktische ärztliche Arbeit zugeschnitten sein, und die weitergereichten Daten der Patienten müßten auf das für die Abrechnung Notwendige beschränkt werden.

Wie aus dem Bundesgesund- heitsministerium zu erfahren war, fin- den zur Zeit intensive Gespräche über eine Beilegung des Konflikts über die Diagnosenverschlüsselung statt. Da- bei ist auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz einbezogen. Mit Er- gebnissen dürfte Anfang Februar ge- rechnet werden. Josef Maus

Unter Beteiligung der Bundes- ärztekammer, der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, der Allgemeinen Ortskrankenkassen und der Bayer AG wurde auf Initiative des ZDF eine Broschüre mit dem Titel

„Top im Kopf“ entwickelt, die am 24.

Januar im „Gesundheitsmagazin Pra- xis“ vorgestellt wurde und über die Apotheken an die Bevölkerung abge- geben wird. Unter anderem wird mit der Aktion das Ziel verfolgt, begin- nende Hirnleistungsstörungen früh- zeitig zu erkennen und zu behandeln.

Zu diesem Zweck wurde der Auf- klärungsbroschüre auch ein Spiel („Der knifflige Turm“) beigefügt.

Unter Leitung der Geromed, Witten, einer Organisation, die sich auf die Bearbeitung von geriatri- schen und psychometrischen Fra- gestellungen spezialisiert hat, wurde zusammen mit der Universität Erlan- gen und dem IFE (Institut für For- schung und Entwicklung) an der Uni- versität Witten/Herdecke das wissen- schaftliche Konzept dazu erarbeitet.

Als Grundlage für die Umsetzung psychometrischer Aspekte der Mes- sung zerebraler Leistungsdefizite wurde der heute schon vielfach we- gen seiner Praktikabilität in der ärzt-

lichen Praxis eingesetzte SKT verwendet. Der SKT ist ein international aner- kanntes Verfahren zur Be- stimmung von Gedächt- nis- und Aufmerksam- keitsstörungen. Es wird in klinischen Studien wegen seiner ho- hen Validität und Reliabilität zum Wirksamkeitsnachweis medikamen- töser Therapien bei der Indikation Demenz eingesetzt.

Analog zu diesem Verfahren wur- den die Tests im Spiel zur Messung des Kurzzeitgedächtnisses, der Gedächt- nisleistung nach Ablenkung und der Wiedererkennensleistung entwickelt.

Nach Ergänzung um einen Suchbild- test und eine 15 Fragen umfassende Symptomselbstbeurteilungsliste wur- den alle Tests an die Bedingungen der Selbsttestung und des Spiels ange- paßt. In dem Spiel als „Kniffelhür- den“ eins bis fünf bezeichnet, sind die- se fünf Tests in 16 weitere Aufgaben eingebettet, die den Spielspaß erhal- ten sollen und Elemente eines zere- bralen Trainings enthalten. Die an der Entwicklung beteiligten Partner ha- ben bereits zugesagt, die wissenschaft- liche Bearbeitung nach ersten Erfah- rungen im praktischen Einsatz fortzu- führen und so eine Weiterentwicklung sicherzustellen. Es ist davon auszuge- hen, daß auf Grund der ZDF-Aktion Patienten ihren Arzt aufsuchen, um mit ihm abzuklären, ob krankhafte Veränderungen der zerebralen Lei- stungsfähigkeit vorliegen.

Das Material der Aktion ist von den Autoren so aufgebaut worden, daß Verunsicherungen über ein wün- schenswertes Maß hinaus nicht zu- stande kommen sollten. Bei allen An- strengungen, die insbesondere bei der Konstruktion des auszuwertenden Testanteils in dem Spiel von seiten der Wissenschaftler vorgenommen wurden, muß jedoch stets berücksich- tigt werden, daß falsch positive wie falsch negative Ergebnisse nicht auszuschließen sind.

Es muß Aufgabe des Arztes sein, nach einer sorgfältigen Anamnese und differentialdiagnostischen Ab- klärung unter Hinzuziehung psycho- metrischer Tests festzustellen, ob den durch das Testspiel gegebenen Hin- weisen eine diagnostische Relevanz

zukommt. Brita Rentsch

A-224

P O L I T I K LEITARTIKEL/AKTUELL

(16) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 5, 2. Februar 1996

ZDF-Aktion

„Top im Kopf“

Mit dem Spiel „Der knifflige Turm“ (hier das Ziel) kann man seine Hirnleistung testen und trainieren.

Referenzen

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