• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Arztgeschichte: Mein lieber Schwan!" (25.06.2010)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Arztgeschichte: Mein lieber Schwan!" (25.06.2010)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

[92] Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 107

|

Heft 25

|

25. Juni 2010

B

ald 60 Jahre mag es schon her sein. Anfang der 50er Jahre bewegte sich langsamen Tempos ein damals zeitgemäßer alter Arztwagen vom Typ Opel P 4 auf der Landstraße zwischen einem Baggersee in Fuß- ballfeldgröße und einer ländlichen Kleinstadt im Thürin- gischen. Auf der Rückbank saßen zwei Männer (Bürger- meister und Stadtarbeiter). Beide hatten einen großen, schneeweißen Vogel der Gattung Anseriformis (Schwan) auf dem Schoß. Vorbeugend hielten sie die Hälse ihres Schoßtieres umklammert, eine Vorsichtsmaßnahme, die

völlig unnötig gewesen war, denn die beiden Großvögel waren in einen Tiefschlaf versunken, aus dem sie selbst das laute Rumpeln und Poltern ihres altersschwachen Transportgefährts nicht wecken konnte.

Die höchst ungewöhnliche Fuhre hatte eine ebenso außerordentliche, wie durchaus amüsante Vorgeschich- te: Dem Bürgermeister der Kleinstadt war bald nach seiner Wahl eingefallen, zur Zierde eines im Zentrum seiner Stadtgemeinde gelegenen, wunderschön gestal- teten Teichs ein Schwanenpärchen anzuschaffen. Für dieses relativ teure Ziergeflügel gab es damals nur we- nige Angebote. Als ihm ein solches auf den Schreib- tisch kam, wurde der Handel etwas überstürzt perfekt.

Erst danach, als der nicht geringe Kaufpreis aus dem Stadtsäckel entrichtet war, kamen dem wohlmeinend handelnden Stadtoberhaupt Skrupel, hatte der doch die gutgemeinte Anschaffung ohne die Zustimmung des Stadtparlaments vollzogen. Seine durchaus berechtig- ten Bedenken erreichten Panikcharakter, als er nach zwei Tagen feststellen musste, dass seine beiden kost- spieligen Neuanschaffungen entflogen und auf dem Baggersee gelandet waren. Der unglückliche Bürger- meister und eine Handvoll seiner hilfsbereiten Mitbür- ger hatten dort schon vergeblich versucht, der schnee- weißen Ausreißer habhaft zu werden.

Sicher als Ultima Ratio fiel dem leidgeprüften Bür- germeister schließlich der mit ihm befreundete Ortsarzt als geeigneter Nothelfer ein. Eine „Tatort“-Besichti- gung zeigte, dass sich ein kräftiger Wind entwickelt hatte, der der ärztlichen Idee, den Schwänen mit einem starken Schlafmittel beizukommen, nützlich sein konn- te. Eine Rückfrage beim ortsansässigen Tierarzt, wel- che Schlafmitteldosis einem ausgewachsenen Schwan zuzumuten sei, ohne sein Leben zu gefährden, ergab recht große, ungefährliche Toleranzen.

Die weiteren Schritte waren zwar nicht gerade Rou- tine, vollzogen sich aber wie im Zeitraffer: Zwölf Ta- bletten Luminal wurden im Mörser zu Pulver zerrieben, mit einem guten Esslöffel Margarine vermischt und zwischen zwei gerösteten Weißbrotschnitten bleistift- dick aufgetragen. Wenig später schaukelten daumen- endgliedgroße Brocken dieser raffinierten Zubereitung auf dem windbewegten Wasser des Baggersees und trieben auf die am jenseitigen Ufer ahnungslos schwim- menden Schwäne zu. Sobald sie die ausgehungerten Tiere erreicht hatten, schnappten diese begierig danach.

Nach weniger als 20 Minuten war aus den ins Gefieder versenkten Köpfen der Vögel zu schließen, dass sie der Schlaf übermannt hatte.

Kurz darauf traten die beiden prachtvollen Großvö- gel ihre kurze Reise ins nahe Städtchen an. Sie fanden auf der Strohschütte eines leer geräumten Pferdestalls eine komfortable Unterkunft. Noch etwas torkelig er- wachten sie sichtbar erstaunt, aber unbeschadet aus ihrem Tiefschlaf. Als ausgesprochene Lieblinge der Bevölkerung genossen sie die ihnen gewährte Gast-

freundschaft. ■

Helmut Ullrich

S C H L U S S P U N K T

ARZTGESCHICHTE

Mein lieber Schwan!

„Die beiden Großvögel waren in einen Tiefschlaf versunken, aus dem sie selbst das laute Rumpeln und Poltern ihres altersschwachen Transportgefährts nicht wecken konnte.“

Zeichnung: Elke R. Steiner

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Rund 25 Jahre später – im letzten Jahr meiner Praxis- tätigkeit – kam eine neue Patientin zu mir, eine Juristin nach dem ersten Staatsexamen. „Schöne Grüße von

Aber für meine Frau als Urberlinerin hatte ich Bedenken.. Umso erfreuter wa- ren wir, dass meiner Frau, der neuen jungen Ärztin, von Anfang an Sympathie und Akzeptanz entgegenwehten

Wegen einer schlimmen Geschichte: Der Romeo, der einzige Sohn, der sie damals zu mir gebracht hatte, ja: Für ihn selbst kam eines Tages jede Hilfe zu spät.. Er sei an einem

Noch am selben Tag wurde ein subdurales Hä- matom ausgeräumt, und eine Woche später wurde der Kranführer entlassen.. Sein „Schutzengel“ konnte das Krankenhaus eben- falls bald

Unser Chef hatte bei der Dienst- übergabe gerade mal wieder unmissverständlich klarge- macht, dass das „eigentlich nicht geht“.. Eines Nachts wurde ich geweckt, zum dritten oder

Ich führte Herrn Ypsilon zu ihr, ein Freudenschimmer glitt über ihr Gesicht, und auch ihm merkte man die Wiedersehensfreude an.. Ich schob einen Stuhl an ihr Bett, dann verließ ich

Diese Patientin sagte eines Sonntagsmorgens zur Hilfs- schwester, die im Zimmer gerade Ordnung machte:.. „Schwester, ich sterbe heute noch.“ Worauf diese Hilfs- schwester zwar

Plötzlich spürt sie eine warme Hand auf ihrer Schulter, und eine freundliche Stimme fragt: „Aber Frau Hoffmann, was ist denn mit Ihnen los?“.. „Ich will nicht