[104] Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 2629. Juni 2007
D
ie Geschichte mit dem Geschäftsführer ist so lange her, dass mir sein Name nicht mehr einfal- len will. Ich nenne ihn einfach Herrn Schmidt. Viel- leicht war er auch Personalsachbearbeiter beim Kreis, dem das Krankenhaus gehörte, und nicht Geschäftsfüh- rer. Damals waren Verwaltungsmenschen in der Hierar- chie noch spürbar unterhalb der Ärzte. Es war meine erste Stelle, weit weg von zu Hause, ich wusste nicht, dass man seine Rentenversicherungsbeiträge selbst überweisen muss, warum man einen Ortszuschlag be- kommt und was ein Oberkreisdirektor ist. Alles erklärte mir telefonisch freundlich und umsichtig Herr Schmidt.Ich konnte ihn jederzeit anrufen, nie verlor er die Geduld.
Ich hatte mir vorgenommen, die einfühlsamste aller Ärztinnen zu werden; vorerst war ich die unerfahrenste.
Die Bereitschaftsdienste waren fächerübergreifend und
jedes Mal eine Zitterpartie. Zum Schlafen kam man we- nig. Ein Grund war, dass viele Bürger vorschriftswidrig nachts ohne Einweisung ins Krankenhaus gingen, wenn sie Probleme hatten, statt ihren Hausarzt zu rufen oder den Notdienst der KV. Unser Chef hatte bei der Dienst- übergabe gerade mal wieder unmissverständlich klarge- macht, dass das „eigentlich nicht geht“.
Eines Nachts wurde ich geweckt, zum dritten oder vierten Mal. Ein Mann mit Hexenschuss. „Aber die sol- len doch zu ihrem Hausarzt!“ „Soll ich ihn jetzt wieder wegschicken?“, fragte die Nachtwache. Ich quälte mich aus dem Bett. Als erstes klärte ich den Patienten unmissverständlich über sein Fehlverhalten auf. Ich war müde und unfreundlich. Er wurde kleinlaut und sagte: „Aber ich hatte solche Schmerzen, und da dachte ich. . .“ Ich fuhr mit der Aufklärung fort. Dann tat ich, was zu tun war, Untersuchung, Spritze, knappe Verab- schiedung. Während ich schrieb, sagte der Pfleger: „Das war Herr Schmidt vom Kreis.“ Nicht nur den Rest die- ser, sondern auch die darauffolgenden Nächte schlief ich äußerst schlecht.
Bald darauf wechselte ich die Stelle und zog weg.
Vielleicht liest Herr Schmidt dies und begreift es als
verspätete Entschuldigung. n
Herta Beck
ARZTGESCHICHTE
Der Geschäftsführer
„Ich hatte mir vorgenommen, die einfühlsamste aller Ärztinnen zu werden; vorerst war ich die unerfahrenste.“
S C H L U S S P U N K T
Zeichnung:Elke Steiner