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Archiv "Was alles unter der IPPNW-Flagge segelt" (11.06.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

IPPNW

Was alles unter der IPPNW-Flagge segelt

V

om moralisch Anspruchsvol- len bis zum reinweg Primiti- ven reichte die Skala der Äu- ßerungen beim 6. Internationa- len Ärztekongreß „zur Verhü- tung eines Atomkrieges" in Köln.

Dies und die Fülle der parallel laufenden Veranstaltungen macht es so gut wie unmöglich, einen Gesamt-Überblick zu ge- ben; es muß bei einigen Schlag- lichtern bleiben. Dies entspricht wohl auch dem Selbstverständ- nis der IPPNW, die sich weniger als straffe Organisation denn als Bewegung begreift.

Anspruchsvoll gab sich der Psy- choanalytiker Professor Dr.

Horst-Eberhard Richter in sei- nem Festvortrag zur Eröffnung.

Er warnte vor der „Propaganda"

für jene „pseudomoralische Ar- gumentation": Das Risiko eines Atomkrieges ist schlimm — aber noch schlimmer ist das Risiko, die Werte, für die wir auf unserer Seite der Welt einstehen, kampf- los preiszugeben; dies bedeute

„Feigheit, moralische Korrup- tion, fehlende Selbstachtung oder gar Ideologieverrat".

Richter stellte (und bejahte) die Frage, ob es denn Sache der Ärzte sei, sich in ihren Völkern

„als Moralerzieher" zu betäti- gen: „Nicht wir Ärzte wollen Po- litiker werden, aber wir dringen darauf, daß die Politik sich ihrer medizinischen Verantwortung bewußt wird; denn sie muß mit ihren Mitteln die Prävention lei- sten, die allein die jetzt Leben- den und ihre Nachkommen vor Ausrottung bewahrt." Ob aller- dings die Mehrzahl der Sowjet- bürger und der sowjetischen Ärzte die Bereitschaft zur Vertei- digung ihres Landes ebenfalls als „Pseudomoral" ansehen würden — diese Frage untersuch- te Professor Richter nicht.

Weise, abgeklärt, zuweilen mit feinem Humor gab sich der be- rühmte amerikanische Volks- wirtschaftler und frühere Di- plomat Professor John Kenneth Galbraith. Er sah das militäri-

sche Establishment auf beiden Seiten als zu mächtig; es habe nun sogar schon die Abrü- stungsverhandlungen in der Hand und betreibe sie als „Scha- rade". Ohne seinen Einfluß könnten die USA und die Sowjet- union friedlich nebeneinander leben, wie sie es seit 70 Jahren getan haben. Einen Atomkrieg würden ohnehin beide nicht überleben. Und — dies der Schlußsatz von Galbraith, den keiner bestreiten wird —: „Nie- mand, auch nicht der talentierte- ste Ideologe, wird in der Lage sein, die Asche des Kapitalismus von der des Sozialismus zu un- terscheiden."

Fast merkwürdig naiv und von den bisherigen „Erfolgen" der Bewegung überzeugt: der ame- rikanische Kardiologe Bernard Lown mit seiner „medizinischen Verordnung" gegen die größte Bedrohung der menschlichen Gesundheit: Es besteht schlicht aus einem Moratorium für alle Atomtests.

Ex-Botschafter Falin:

Atomwaffen

sind „unmoralisch"

Kooperativ (wie wohl nicht an- ders zu erwarten) und ganz auf Freundschaft eingestellt: die so- wjetischen Sprecher wie Jewge- ni Tschasow und der frühere Botschafter in Bonn, Valentin Falin. Letzterer erinnerte daran, daß in neun Jahren der Nicht- Weiterverbreitungs-Vertrag für Kernwaffen auslaufen wird, be- zeichnete Atomwaffen als „un- moralisch" und erklärte, die So- wjetunion sei bereit, auf ihren Status als Supermacht zu ver- zichten. Wenn man heute von der Entspannung weiter entfernt

sei als vor zehn oder zwölf Jah- ren, dann liege die Schuld bei den USA ...

Auch ein „Geschenk" hatten die Russen mitgebracht. In einer Pressekonferenz wurde mitge- teilt, als Antwort auf Bemühun- gen einiger Ärzte der IPPNW hät- ten sich verantwortliche sowjeti- sche Stellen erneut mit dem

„Fall Dr. Brodski" befaßt und seien „zu einem günstigen Er- gebnis gelangt"; man könne sei- ne baldige Entlassung aus dem Gefängnis erwarten. — Der Arzt Dr. Wladimir Brodski wird ver- folgt wegen seiner Betätigung in der „Moskauer Gruppe zum Auf- bau von Vertrauen". Ein anderes Gründungsmitglied ist bereits freigelassen.

Bleibt zu konstatieren: der Arzt Tschasow bemüht sich um den Aufbau von Vertrauen und ist stellvertretender Gesundheitsmi- nister — der Arzt Brodski bemüht sich um das gleiche und sitzt da- für im Gefängnis. Mit diesem Wi- derspruch müssen IPPNW-An- hänger wohl leben.

Nordrhein-Westfalens Minister- präsident Johannes Rau gab dem Kongreß zur Eröffnung den Segen der Regierung des Kon- greßlandes (dessen die Bundes- regierung sich enthielt). Rau schien nichts gegen die Auffas- sung der IPPNW zu haben, daß man „die Verantwortung für den Frieden und das Überleben nicht mehr allein den politischen Füh- rungen überlassen" könne — da- bei bekannte er sich aber ein- deutig zu allen Forderungen der IPPNW.

Mit einer Ausnahme (zumindest was die westdeutsche Sektion der IPPNW betrifft): „Ich bin für 1750 (18) Heft 24 vom 11. Juni 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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Umwelt rauf, Gesundheit runter

In der praktischen Politik wird der neue Umweltminister, Wal- ter Wallmann, im noch verblei- benden Rest der Legislaturperio- de nicht mehr viel ausrichten können. Die Einrichtung eines Ministeriums für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit und dessen Besetzung mit ei- nem angesehenen Politiker, der seine Aufgaben bisher gemei- stert hat, bedeutet eher ein poli- tisches Signal.

Die Bundesregierung hat zudem im psychologischen Krieg um die Kernenergie einen geschick- ten Schachzug getan: Während nämlich die Oppositionsparteien den Auszug aus der Kernenergie klar (die „Grünen") oder andeu- tungsweise (die SPD) prokla- mieren und somit den radikalen Schritt zu mehr Sicherheit in Sa- chen Kernenergie fordern, fech- ten die Regierungsparteien für die Nutzung der Kernenergie. Da ist es gut, zugleich auf maximale

Sicherheit zu achten, und es ist noch besser, da nicht viel verbal zu beteuern, sondern sichtbar etwas zu tun. Die Ernennung ei- nes Umweltministers ist also die Antwort der Bundesregierung auf die radikale Forderung nach dem Ausstieg.

Rita Süssmuth hat aus ihrem Haus einige gesundheitspoli- tisch relevante Referate an das neue Umweltministerium abtre- ten müssen. Ihr ist statt dessen eine gewisse Kompetenz, deren Bedeutung heute noch nicht ge- nau ermessen werden kann, in Frauenfragen zugewachsen. Das wird ihren bisher an den Tag ge- legten Neigungen entsprechen.

Für die Gesundheitspolitik unter der christlich-liberalen Koalition sind aus der Umverteilung zwei Schlußfolgerungen zu ziehen:

1. Der Sektor Gesundheit des Blindesministeriums für Ju- gend, Familie und Gesundheit, dessen Name jetzt um den be- deutenden Zusatz „Frauen" er- weitert wird, verliert weiter an Bedeutung. Und 2. Träume von einem starken Gesundheitsmini- sterium, in dem alle gesundheits- relevanten Referate einschießlich Umweltschutz zusammenzufas- sen wären, können endgültig be- graben werden. NJ DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

IPPNW

zivilen Katastrophenschutz", er- klärte Rau wörtlich. Nur dürften zivile Katastrophenmedizin und militärmedizinische Überlegun- gen nicht vermischt werden, wie das zuweilen unter dem Stich- wort „Katastrophenmedizin" ge- tan werde, und zwar — so Rau —

„gewollt oder ungewollt".

Einen der wichtigsten Streit- punkte zwischen der „Sektion BRD" der IPPNW, die daraus die Verweigerung der Fortbildung in Katastrophenmedizin ableitet, und den sogenannten „Standes- organisationen'', die gerade auch angesichts von Tscherno- byl auf Zivilschutz bestehen (sie- he dazu auch das „Post scrip- tum" in diesem Heft auf Seite 1814), den hat also auch Johan- nes Rau nicht verstanden. Denn so „ungewollt" kommt die IPPNW ja nicht immer wieder mit dem Vorwurf von der „Kriegsme- dizin".

Die Fortsetzung dieses Streits betrieben Dr. Till Bastian (ge- schäftsführendes Vorstandsmit- glied der Sektion BRD) und ins- besondere Dr. Wilfried Beck von der Arbeitsgemeinschaft Demo- kratischer Ärzte (er ließ sich im Referentenverzeichnis als „Lan- desärztekammer Hessen" auf- führen, deren Delegiertenver- sammlung er ja auch angehört — als seien nicht sämtliche in Köln anwesenden westdeutschen Ärz- te Mitglieder ihrer jeweiligen Ärztekammer!).

Eigentlich dürfte auch nur von diesem Streit hier die Rede sein, denn alles andere ist doch wohl allgemeine Politik (oder Rü- stungs-, Abrüstungs-, Außen- und gar Parteipolitik), für die das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT kein Mandat hat. Aber hier zeigte sich eben, was alles unter der IPPNW-Flagge segelt: Unter dem Thema „Medizin und Obrigkeit"

wurde die angebliche Militarisie- rung der Bundesärztekammer

„nachgewiesen", die sich unter anderem daran ablesen lasse, daß der BÄK-Ausschuß für das

Sanitätswesen sogar einen der Vizepräsidenten als Vorsitzen- den hat und daß ein geschäfts- führender Arzt ein ehemaliger Sanitätsoffizier ist (!). Immer wie- der seien Anregungen für die Zu- sammenarbeit „mit dem Militär"

von der „Standesführung" aus- gegangen, und der Deutsche Ärztetag habe immer wieder Be- schlüsse zur Katastrophenmedi- zin und zum Zivilschutz gefaßt.

Natürlich wurde auf dem Kölner Kongreß auch das Thema „Medi-

zin im Nationalsozialismus" wie- der einmal „aufgearbeitet". Und bis hin zu den technischen Ein- zelheiten von SDI wurde über Nicht-Medizinisches referiert und diskutiert. Selbst die Kinder mußten zum Mißbrauch herhal- ten; der Berliner Privatdozent Dr.

Horst Petri berichtete über eine Befragung von 3500 Neun- bis Achtzehnjährigen: rund die Hälf- te der Befragten habe vor einem Krieg mehr Angst als vor allem

anderen

Friedensliebe? oder

Psychoterror? gb

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 24 vom 11. Juni 1986 (19) 1751

Referenzen

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