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Archiv "Schmerzensgeld: Kein Geld mehr für ein Schleudertrauma?" (12.10.2001)

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H

eimlich, still und leise hat das Bundeskabinett die Reform des Schadener- satzrechts beschlossen. Schon im Herbst soll das Gesetz den Bundestag und Bundesrat pas- sieren und am 1. Januar 2002 in Kraft treten. Demnach sol- len unter anderen die „Ba- gatell“-Schmerzensgelder in Höhe von wenigen Hundert DM wegfallen – wie zum Bei- spiel für Unfallopfer mit dia- gnostiziertem HWS-Syndrom.

Dafür sollen Geschädigte mit schweren und schwersten Ver- letzungen deutlich besser ge- stellt werden.

ADAC-Vorwürfe

Vor rund 30 Jahren war das so genannte Schleudertrauma (HWS-Syndrom) noch nahe- zu unbekannt. Heutzutage klagen viele Opfer nach ei- nem Autounfall auf Schmer- zensgeld wegen eines Schleu- dertraumas. Schlussfolgerung des ADAC: Wenn es in Deutschland um die Zahlung von Schmerzensgeld geht, stecken die Ärzte mit den Versicherungen unter einer Decke. Rechtsanwalt Hans Lindemann schreibt in der ADAC-Mitgliederzeitschrift Motorwelt: „Wer zahlt, schafft an.“ Die Honorare für die ärztlichen Bemühungen kä- men schließlich von der Ver- sicherung. Lindemann ver- tritt die Auffassung, dass die Ärzte bei der Bewertung von Unfallschäden nicht neutral sind. Aber: Wie kann eine Versicherung ein Schmerzens- geld zahlen, wenn sie nicht weiß, was der Hausarzt dia- gnostiziert hat?

6,5 Millionen DM Scha- denersatz sprach ein US-Ge- richt kürzlich einem aufgrund eines Verkehrsunfalls quer- schnittgelähmten Verletzten zu. Derart hohe Beträge ge- ben Anlass zu der Frage, ob deutsche Gerichte mit den zu- erkannten Schmerzensgeld- Beträgen zu kleinlich verfah- ren. Ein Vergleich mit der Ge- richtspraxis der USA hinkt je- doch: Amerikanische Gerich- te entscheiden je nach Fall und Bundesstaat. Bei den sen- sationellen Beträgen handelt

es sich fast immer um eine pauschale Abgeltung auch anderer Schäden. So umfas- sen diese Summen in den USA auch Arzthonorare, Ko- sten des Krankenhausauf- enthaltes, Verdienstausfälle der Verletzten während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit und die Anwaltskosten des Klägers. Auch ist zu beach- ten, dass amerikanische An- wälte bei normalem Arbeits- aufwand ein Drittel der er- strittenen Abfindung als Ho- norar verlangen. So bleiben dem Verletzten meist weniger als 70 Prozent des Schmer- zensgeldes. Trifft ihn am Un- fall ein Mitverschulden, so be- kommt er nach amerikani- schem Recht keinen Cent, nach deutschem Recht hinge- gen einen Teil des Schmer- zensgeldes und seiner An- waltskosten erstattet.

Verklagt werden bei Ver- kehrsunfällen neben dem schuldigen Fahrer/Halter si- cherheitshalber auch dessen Kfz-Haftpflichtversicherung.

Diese haftet allerdings nur beschränkt auf den gesetzli- chen oder höheren vereinbar-

ten Höchstbetrag (meist zwei Millionen DM). Der Schädi- ger selbst kann in unbegrenz- ter Höhe auch für Schmer- zensgeld in Anspruch genom- men werden. Allerdings wird auch hier „die Suppe nicht so heiß ausgelöffelt, wie sie ge- kocht wird“. Die Gerichte berücksichtigen bei der Fest- setzung des Schmerzensgel- des mehrere Faktoren:

❃ Art und Schwere der Verletzung und Intensität und Dauer der Schmerzen. Fer- ner: Umfang der notwendi- gen ärztlichen Eingriffe so- wie die Behandlungsdauer.

❃ Dauer- und Spätschä- den, bezogen auf die besonde- ren Verhältnisse des Verletz- ten (Alter, Dauer der Schmer- zen, psychische Beeinträchti- gungen, verminderte Berufs- tauglichkeit, eingeschränkte soziale Beziehungen).

Nach Auffassung des Ge- samtverbandes der Deut- schen Versicherungswirtschaft (GDV) und des Deutschen Verkehrsgerichtstages könn- ten Schmerzensgelder für Ba- gatellverletzungen entfallen.

Viele Juristen und mit ihnen

die Autoversicherungen sind der Meinung, dass es sinnvol- ler sei, die beim Wegfall der

„Minischmerzensgelder“ ein- gesparten Beträge zu einer Erhöhung der Entschädigung in schweren Fällen zu verwen- den. „Würden beispielsweise die heute gezahlten Schmer- zensgelder bis zu 500 DM wegfallen, so könnten bei schweren Verletzungen die Be- träge über 50 000 DM um gut die Hälfte erhöht werden, oh- ne dass sich der Gesamtauf- wand für Schmerzensgelder erhöhen würde“, sagt Siegfried Brockmann vom GDV.

„Ein Kirmesunfall“

Bei Auffahrunfällen mit nied- rigen Geschwindigkeiten sind Verletzungen der Halswirbel- säule (HWS) eher unwahr- scheinlich. Das geht aus einer Studie der Uni Münster her- vor. Unfallforscher Karl-Heinz Schimmelpfennig von der Uni Hannover setzt noch einen drauf: Auffahrunfälle mit ge- ringem Tempo wirkten ebenso auf die Wirbelsäule wie ein Zu- sammenstoß von Autoscooter- Fahrzeugen auf einer Kirmes.

Schmerzensgeld erhält nur der, der die Schmerzen erlit- ten hat. Dieser Anspruch gilt deshalb als ein höchstpersön- liches Recht. Während in eini- gen Ländern im Todesfall auch der Schmerz der Angehörigen entschädigt wird, gibt es in Deutschland nur eine Aus- nahme von der Höchstper- sönlichkeit, den so genannten Schockschaden, der durch die Nachricht vom Unfalltod oder durch das Miterleben eines Unfalls eines nahen Angehöri- gen ausgelöst wird. Seit 1. Juli 1990 ist der Schmerzensgeld- anspruch sogar übertragbar und vererblich, also auch pfänd- und verpfändbar.

Im Herbst soll das Gesetz über die Reform des Scha- denersatzrechts im Bundes- tag und Bundesrat verab- schiedet werden. Es könnte dann Anfang 2002 in Kraft treten. Danach wird es wohl keine Schmerzensgelder we- gen des HWS-Syndroms in Höhe von 500 bis 1 000 DM mehr geben. Rolf Combach

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 41½½12. Oktober 2001 [75]

V E R S I C H E R U N G E N

Schmerzensgeld

Kein Geld mehr für ein Schleudertrauma?

Die Bundesregierung will das Schadenersatzrecht reformieren.

Gegenwärtig gelten in Deutschland folgende Schmerzensgeldregelungen:

❃ bei Bagatell-Verletzungen zwischen 200 und 600 DM,

❃ bei leichteren bis mittelschweren Verletzungen bis 5 000 DM,

❃ bei erheblichen Verletzungen mit längerem Kranken- hausaufenthalt zwischen 5 000 und 20 000 DM,

❃ bei sehr schweren Verletzungen mit Dauerschäden bis zu 250 000 DM Abfindung und einer zusätzlichen mo- natlichen Rente von rund 700 DM. Selbstverständlich ist dabei der Verdienstausfall des Verletzten noch nicht berücksichtigt, da er einen gesondert zu ersetzenden

Schaden darstellt. rco

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