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Archiv "Früherkennung und Frühintervention bei psychischen Störungen: Ansätze zur Prävention und zur Vermeidung von Chronifizierungen" (25.08.2003)

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Academic year: 2022

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A

lle häufigen und zur Chronifizie- rung neigenden psychiatrischen Störungen haben einen langjähri- gen Vorlauf, das stellten prospektive und retrospektive epidemiologische Forschungen in den vergangenen Jah- ren fest. Jahre beziehungsweise Jahr- zehnte vor der ersten Diagnosestellung und ersten Behandlung treten noch wenig charakteristische erste klinische Symptome und unterschwellige Anzei- chen der kommenden Erkrankung auf, wie die folgenden Beispiele zeigen:

G Schizophrenien und andere psy- chotische Störungen weisen im Mittel fünf Jahre vor dem Beginn der ersten Vollmanifestation so genannte negati- ve und unspezifische Symptome wie et- wa depressive Verstimmung, Ängstlich- keit und Konzentrationsstörungen auf.

G Die Alzheimerkrankheit ent- wickelt sich meist auf der Grundla- ge von Gedächtnisstörungen, die zu- nächst als Altersvergesslichkeit im- ponieren können, aber dann ein bis zwei Jahre vor der ersten Diagnose- stellung kontinuierlich an Intensität zunehmen.

G Affektive Erkrankungen in Form von ausgeprägten depressiven Episo- den werden oft eingeleitet durch frühe- re Phasen so genannter unterschwelli- ger Depressionen, die zwar behand- lungsbedürftig sein können, ohne aber Diagnosekriterien für ausgeprägte af- fektive Störungen zu erfüllen.

G Angsterkrankungen, insbesondere ausgeprägte Phobien und Panikstö- rungen, treten meist bei Menschen auf, die schon früher in neuen, unerwarte- ten Situationen mit Verhaltenshemmung reagieren und/oder eine noch nicht

krankheitswertige verstärkte Ängstlich- keit (vor allem in sozialen Situationen) zeigen.

In den vergangenen Jahren haben sich Befunde und Erfahrungen gehäuft, die zeigen, dass die genannten Erkran- kungen einen ungünstigeren Verlauf und umso ausgeprägter eine Chronifi- zierung zeigen, je später sie erstmals spezifisch behandelt werden. Bei der Schizophrenie ist zum Beispiel von der

„Toxizität“ einer unbehandelten Psy- chose für das Gehirn die Rede. Frühzei- tige Behandlung ist also dringend indi- ziert, um die ungünstigen Folgewirkun- gen dieser Erkrankungen zu verhüten.

Eine frühe Behandlung setzt aber eine frühe Erkennung eines deutlich erhöh- ten Risikos voraus, in absehbarer Zeit eine der vorgenannten Erkrankungen zu entwickeln.

Für alle genannten Erkrankungen liegen inzwischen prospektive Untersu- chungen vor, die mit hinlänglicher Spe- zifität und Sensitivität die Prodromal- symptome und vorauslaufenden Anzei- chen der Erkrankung im Hinblick auf die spätere Krankheitsentwicklung wer- ten können. Entsprechende Früherken- nungsinventare wurden entwickelt und wurden kontinuierlich optimiert. Phar- makologische und psychotherapeuti- sche Behandlungsmethoden sind in Entwicklung beziehungsweise werden bereits auf ihre symptomreduzierende und präventive Wirkung geprüft. Die Früherkennungszentren an den psychi- atrischen Universitätskliniken in Bonn und Köln veranstalten unter dem Titel

„Früh erkennen, Früh behandeln“ jähr- lich ein Symposium, in dem die laufen- den Initiativen und Forschungsarbeiten

zur Früherkennung und Frühinterven- tion psychischer Erkrankungen vorge- stellt und diskutiert werden. Die zweite Veranstaltung dieser Reihe fand am 9.

und 10. September 2002 in Köln statt.

Auf diesem Symposium wurden die Früherkennungs- und Frühbehand- lungsmöglichkeiten bei schizophrenen Störungen (J. Klosterkötter, Köln), bei Alkoholabhängigkeit (K. Mann, Mann- heim), bei Drogenabhängigkeit (M.

Gastpar, Essen) bei demenziellen Pro- zessen (F. Jessen und W. Maier) Bonn, bei Angststörungen (J. Margraf, Basel), bei Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen (C. Wewetzer, Würzburg), bei affektiven Erkrankungen (I. Heuser, Berlin) und bei somatoformen Störun- gen (H.-P. Kapfhammer, München) dis- kutiert. Es wurde deutlich, dass die Bemühungen um sichere Früherken- nungs- und effiziente Frühbehandlungs- möglichkeiten bisher in der Schizophre- nie- und der Demenzforschung am wei- testen fortgeschritten sind.

In beiden Forschungsfeldern lassen sich bereits erste Aussagen zur differen- ziellen Prädiktionskraft von bestimm- ten neurobiologischen Risikofaktoren und Prodromalsymptomen treffen. Auf dieser Grundlage kann den Rat- und Hilfesuchenden in den Früherken- nungszentren und Gedächtnisambulan- zen die Teilnahme an Studien angebo- ten werden, die auf die Erprobung neuer pharmako- und psychotherapeu- tischer Frühinterventionen im Sinne ei- ner „indizierten Prävention“ bei Perso- nen mit erhöhtem Risiko für die Ent- wicklung einer schizophrenen oder ei- ner Alzheimerschen Erkrankung aus- gerichtet sind.

Kongressbericht

Früherkennung

und Frühintervention bei psychischen Störungen

Ansätze zur Prävention und zur Vermeidung von Chronifizierungen

Joachim Klosterkötter

Wolfgang Maier

(2)

Für die früher „neurotisch“ ge- nannten Erkrankungen, vor allem die Angststörungen, zeichnen sich ähnli- che Präventionsmöglichkeiten der späteren Vollmanifestation schon an- hand von Verhaltensmerkmalen im Kindes- und Jugendalter ab. Bei den affektiven Störungen wurde vor allem auf eine Reihe von verbreiteten soma- tischen Erkrankungen wie den Herz- infarkt aufmerksam gemacht, die alle das Risiko für die Entwicklung einer schweren Depression erhöhen und deshalb zu präventiven Maßnahmen Anlass geben sollten.

Bemerkenswerterweise erwies sich das Problemfeld der Alkohol- und Drogenabhängigkeit, in dem Forde- rungen nach einer Primärprävention schon in den 70er-Jahren in aller Mun- de waren, heute noch als am weitesten von dieser Zielsetzung entfernt. In diesem Forschungsfeld versprechen aber neue pharmakologische und psy- chotherapeutische Möglichkeiten zur rechtzeitigen Erkennung und Vermin- derung von Rückfallgefahren einen Er- folg.

Das Symposium wurde ergänzt durch die Darstellung laufender For- schungsarbeiten zur Entwicklung spe- zifischer Methoden der Früherken- nung psychischer Krisen und Störun- gen: Depressionen (V. Henkel, Mün- chen) und problematischer Alkoholge- brauch in der Allgemeinarztpraxis (F.

Rist und R. Demmel, Münster) Biomar- ker bei Demenzen (J. Kornhuber, Erlangen), neuropsychologische Früh- indikatoren der Schizophrenie (M.

Wagner, Bonn), erste Ergebnisse der Frühintervention bei Prodromalsta- dien der Schizophrenie (S. Ruhrmann, Köln) und Möglichkeiten der Früh- erkennung bei Essstörungen (B. Her- pertz-Dahlmann, Aachen).

Mit Ausnahme der Verlaufsuntersu- chungen zu den Essstörungen, die ebenfalls interessante Perspektiven für zukünftige Präventionsansätze eröff- neten, gehörten alle dargestellten Studien zur derzeit bundesweit oder regional betriebenen Kompetenznetz- Forschung in Deutschland. Die Ver- suche, neue Instrumente zur frühen Erfassung erster Anzeichen von De- pressivität und Suizidalität oder alko- holbezogenen Störungen in der Haus-

arztpraxis und der sonstigen Primär- versorgung zu etablieren, bedienen sich ähnlicher Methoden und weisen beide auch bereits erfolgversprechen- de Resultate auf, deren Umsetzung zur Früherkennung im praktisch-klini- schen Alltag auch bald möglich sein dürfte. Der entscheidende Fortschritt ist von präventiven Kurzzeitinterven- tionen zu erwarten, die für Depressio- nen und Alkoholprobleme in Entwick- lung sind.

Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. med. Joachim Klosterkötter Klinik und Poliklinik für

Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Köln Josepf-Stelzmann-Straße 9 50924 Köln

Prof. Dr. med. Wolfgang Maier Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Bonn Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn

Zu kleine Brillengläser

Aus der arbeitsmedizinischen Praxis möchte ich auf das Problem „Tunnel- blick“ hinweisen, das durch Korrektur von Fehlsichtigkeiten mittels modischer aber zu kleiner Brillengläser (vor allem nachts!) entstehen kann.

Außerdem sei an dieser Stelle auch auf die Irritation der Augen durch das unsinnige „Nachtdesign“ einiger Auto- hersteller hingewiesen, die bei der Ta- chobeleuchtung rote und blaue Licht- farbe kombinieren. Das fällt allerdings nicht unter „Anforderungen an das Sehvermögen“, sondern stellt eine falsche Gestaltung des Fahrer-Arbeits- platzes dar.

Dr. med. Brun Witkowski Braunsberger Straße 11 31141 Hildesheim

Form, Farbe und Bewegung

Die Gewichtung ausgewählter Qualitä- ten des Gesichtssinnes nach verkehrs- medizinischen Erkenntnissen stimmt weitgehend mit Ergebnissen aus der physiologischen Grundlagenforschung überein.

So mag es zunächst verblüffen, dass das Farbensehen für den Straßenver- kehr von untergeordneter Bedeutung sein soll. Doch steht diese Aussage sehr wohl im Einklang mit Ergebnissen der experimentellen Sinnesphysiologie.

Dazu schreibt der Sehphysiologe Hubel (Nobelpreis 1981 zusammen mit Wiesel und Sperry): „Ich vermute, dass Hell- Dunkel-Grenzen die wichtigste, wenn auch keineswegs die einzige Kompo- nente unserer Wahrnehmung darstel- len. Sicherlich hilft auch die Farbe von Objekten bei der Abgrenzung ihrer Konturen, jedoch deuten unsere neue- ren Untersuchungen darauf hin, dass die Bedeutung der Farbe für die Form- erkennung beschränkt ist. [. . .] Was an den Grenzlinien geschieht, ist das einzi- ge, was man zu wissen braucht: Das Innere ist langweilig“ (1).

Von Bedeutung ist demzufolge nicht überwiegend die Farbe an sich, sondern die durch den Kontrast konstituierte Form oder Kontur – eine nützliche Er- kenntnis für Verkehrstechnik und Ver- kehrsmedizin.

Die dem Aufsatz zu Grunde liegen- de „Empfehlung der Deutschen Opht- halmologischen Gesellschaft zur Fahr- eignungsbegutachtung für den Stra- ßenverkehr“ (2) enthält einen gut be- gründeten Kanon augenärztlicher Un- tersuchungsverfahren. Dennoch ist – zu dem Beitrag

Anforderungen an das Sehvermögen des Kraftfahrers

von

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat.

Bernhard Lachenmayr in Heft 10/2003

DISKUSSION

(3)

aus physiologischer Sicht des Disku- tanten – eine Qualität des Gesichtssin- nes, die gerade beim Steuern eines Fahrzeuges von besonderer Bedeutung ist, nur unzureichend berücksichtigt worden: das Bewegungssehen. Zwar sind die zur Untersuchung empfohle- nen Sehfunktionen auch notwendig für das Bewegungssehen; hinreichend dafür sind sie aber nicht. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass es Menschen gibt, die die statischen und quasi-statischen Tests recht gut bestehen, deren Bewe- gungssehen aber nicht ausreicht, ein schnelles Fahrzeug sicher zu führen.

Die Computertechnik bietet gute Mög- lichkeiten, auch diese komplexe Qua- lität des Gesichtssinnes zu untersu- chen. Jedoch mögen der Etablierung und Bewährung eines solchen Tests in der Praxis große Schwierigkeiten ent- gegenstehen.

Literatur

1. Hubel D H: Auge und Gehirn. Heidelberg: Spektrum der Wissenchaften 1990; 97.

2. Empfehlung der Deutschen Ophthalmologischen Ge- sellschaft zur Fahreignungsbegutachtung für den Straßenverkehr. Zweite Auflage. http://www.dog.org/

literatur/traffic_1999.html

Dr. med. Helmut Nocke Institut für Physiologie Otto-von-Guericke-Universität Leipziger Straße 44 39120 Magdeburg

Norm keine Rechtfertigung

Der Autor erweckt mit seinem Artikel den Eindruck, dass die konsequente Erfüllung der ISO 8596/8597 als aktu- eller Stand der ärztlichen Kunst eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr gewährleist. Die gültigen Normen rechtfertigen dies jedoch keineswegs.

So erfüllt von den in der Praxis übli- chen Einblickgeräten keines alle Punkte der ISO 8596/8597 vollständig:

Entweder sind beispielsweise stets Reihen für alle Visustufen sichtbar (Rodatest, Binoptometer) oder die Leuchtdichten von Sehzeichen bezie- hungsweise Hintergrund entsprechen nicht der ISO (siehe zum Beispiel [2]).

Unter einer solchen Voraussetzung ist zwar eine objektive, gerätespezifische Visusbestimmung möglich, aber eben nicht eine objektive Visusbestimmung

mit verschiedenen Geräten (zum Bei- spiel [1]). Dies wurde in der Ver- gangenheit schon mehrfach belegt. So ist es verwunderlich, dass der Verfasser insbesondere bei der Visusbestim- mung auf der Basis harter Zahlen argumentiert, was jedoch bei bio- logischen Größen problematisch ist, da sie typischen intraindividuellen Streuungen unterliegen. Wie soll denn die Tagesform bei einem Visustest berücksichtigt werden? Weder die Fahrerlaubnisverordnung, noch die ISO gibt über diesen ärztlich rele- vanten und in Grenzfällen lebens- qualitätsentscheidenden Sachverhalt Auskunft.

Der Autor zeigt weiterhin anhand ei- ner Bildserie, wie sich die Sehschärfe mit abnehmendem Visus verschlech- tert. Er vergleicht hier ein technisches System (defokussierte Optik), welches nur geringen Toleranzen unterliegt, mit einem biologischen System. Eine einfa- che Defokussierung ist meiner Mei- nung nach zur Verdeutlichung der Seh- schärfte im Alltag nicht zulässig, da ein fehlsichtiger Mensch sich über Jahre an diesen Zustand adaptieren und dabei Kompensationsmechanismen entwick- len kann.

Abbildung 1 b des Beitrags zeigt eine Defokussierung auf Visus 0,7. Hat er dabei bedacht, dass es bei Standard- messverfahren nach ISO-Norm (siehe oben) einen Bezug zu Visus 0,7 gar nicht gibt? Entsprechende Sehtafeln bauen letzlich auf einer arithmetischen Mittelung auf, die jedoch aufgrund der logarithmischen Basis nicht zulässig ist und der ISO-Norm nicht entspricht. Pa- radoxerweise tauchen solche Werte bei Führerscheinprüfungen immer wieder auf. Dies zeigt letztlich die Uneinheit- lichkeit des Richtlinienwesens.

Es wäre zu wünschen, dass eine Me- thodendiskussion zu diesem Thema in Gang kommt. Es kann nicht sein, dass Ansätze zur Methodenverbesserung (zum Beispiel automatische Sehschär- febestimmung) seit Jahren nicht voran- kommen und dies auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen wird.

Literatur

1. Heer B, Nikolov G: Vergleich der Visusergebnisse ver- schiedener Sehtestgeräte mit dem Visus nach DIN, Stand 16. 4. 2003, http://www.opthometrie.ch/shfa/

sem_heer/sem_heer.pdf

2. Menozzi M, Stuedeli T: Arbeitsmedizinische Vorsorge- untersuchungen in der Praxis – am Beispiel der Sehschärfebestimmung der Optiker in der Stadt Zü- rich, Stand 16. 4. 2003, http://www.iha.bepr.ethz.ch/

pages/leute/stuedeli/Publi/Test_GfA_2002-Seh- Screening-CH.pdf

Torsten Schmitt Kaiserstraße 27 55116 Mainz

E-Mail: mail@schmitt-torsten.de

Dynamisches Sehen vergessen

Herr Kollege Lachenmayr zeichnet ein Unfallszenario durch altersbedingte Defizite des Sehvermögens, so als ob es nicht gerade die jungen Führerschein- inhaber sind, die trotz eines viel besse- ren Sehvermögens eine deutlich höhe- re Unfallquote aufweisen. Deren man- gelnde Erfahrung spiegelt sich in mas- siv erhöhten Versicherungsprämien wi- der. Eventuell dann im Alter wieder an- steigende Unfallquoten müssen nicht zwangsläufig mit altersbedingten Defi- ziten des Sehvermögens – auch bei nachgewiesener statistischer Signifi- kanz – ursächlich zusammenhängen: es gibt noch weitere, altersbedingte Defi- zite. Diese Banalitäten zeigen, wie un- zureichend die statistische Basis des Wissens des Autors ist.

Aber auch aus arbeitsphysiologischer Sicht seien Bedenken angemeldet: Herr Lachmayer stützt sich ausschließlich auf statische Sehfunktionen, die er mit sei- nen Kollegen in einer abstrakten Situati- on testet. Entscheidend ist jedoch das funktionelle (beziehungsweise dynami- sche) Sehen (zum Beispiel: http://www.

uni-mainz.de/FB/Sport/physio/pdffiles/

nuernb99.pdf). Dabei geht die Erfahrung im Umgang mit der speziellen Aufgabe maßgeblich ein. Dies gilt auch für Kom- pensationsmechanismen, die vom Autor nur einmal gestreift werden. Ist ihm denn entgangen, dass gerade in den Vorbemer- kungen der Anlage 4 zur Fahrerlaub- nisverordnung (FeV) ein Dreizeiler zu Kompensationsmechanismen enthalten ist? Da wäre es in einem Übersichtsarti- kel doch angebracht gewesen, Empfeh- lungen darüber abzugeben, wer und vor allem wie in Grenzfällen über vorhande- ne Kompensationsmechanismen zu ent- scheiden wäre: Aus arbeitsphysiologi- scher Sicht kommt angesichts der Kom- plexität der Tätigkeit nur eine Prüfung

(4)

beim Umgang mit der zu bewältigenden Aufgabe (gegebenenfalls auch in einem sehr realitätsnahen Simulator) in Frage, keineswegs aber ein Test im Untersu- chungsraum durch Augenärzte oder Psy- chologen.

Die neue FeV entstand unter maß- geblicher Beteiligung der oben ge- nannten Verkehrskommission mit Überbewertung statischer Sehtests.

Da wundert es nicht, dass nach kurzer Zeit eine „Reparaturverordnung“ fäl- lig war, unter anderem auch wegen der ursprünglichen Überbewertung des Schielens. Wenn der Autor „sterosko- pisches Sehen (querdisparates Tiefen- sehen)“ als allein maßgeblich für das Tiefensehen darstellt, sei ihm der Blick in ein Physiologiebuch geraten.

Ist ihm denn bisher noch nie aufgefal- len, über welch erstaunliche Kompen- sationsmechanismen Einäugige beim Tiefensehen verfügen können?

So bleibt zu hoffen, dass durch den Übersichtsbeitrag von Herrn Lachen- mayr die überfällige Diskussion um den Stellenwert statischer Sehtests und über Kompensationsmechanis- men zum Wohle vieler Betroffener in Gang kommt.

Prof. Dr. med. Hans-Volkert Ulmer Sportphysiologische Abteilung, FB 26 Universität

55099 Mainz

http://www.uni-mainz.de/FB/Sport/

physio/pdffiles/arbmed22.pdf

Dynamisches Sehen vermisst

Der ansonsten ausführliche und aus- gewogene Übersichtsartikel von La- chenmayr blendet merkwürdigerweise das dynamische Sehen ganz aus. Darin folgt er der bisherigen Praxis, die nur statische Tests für die Sehprüfung nach dem berufsgenossenschaftlichen Grundsatz G 25 sowie der Fahrerlaub- nisverordnung vorsieht.

Die Kontrolle eines Fahrzeuges ist aber ein dynamischer Vorgang, bei dem die Wahrnehmung von bewegten Objekten kritisch ist. Das Ausgrenzen dynamischer Prüfverfahren ist sicher kaum darauf zurückzuführen, dass die Bedeutung des Bewegungssehens für die visuelle Leistungsfähigkeit im Ver- kehr strittig wäre, sondern ist (genau

genommen: war) vor allem in metho- dischen Schwierigkeiten begründet.

Die bisherigen Messmethoden waren zu aufwändig und umständlich, um Eingang in die Routinediagnostik zu finden.

Um diesen Mangel zu beheben wur- de in den letzten Jahren mit dem Düs- seldorfer Test für Dynamisches Sehen (DTDS) ein leicht handhabbares, PC- gestütztes Prüfverfahren entwickelt (1–4). Der Prüfreiz, ein Landoldtring, wird durch kurzfristige Reizbewegung gegenüber dem Hintergrund sichtbar, hebt sich also durch Bewegungskon- trast vom Hintergrund ab. Grundidee bei der Entwicklung dieses Reizmu- sters war es, gezielt die bewegungs- empfindlichen Einheiten des Sehsy- stems zu reizen und zugleich die auf Leuchtdichte reagierenden Einheiten neutral zu halten.

Durch zahlreiche neuroanatomisch funktionelle Untersuchungen ist es in- zwischen erwiesen, dass die Verarbei- tung von Bewegungs- und Helligkeits- informationen in getrennten Sehbah- nen und Sehrindenbereichen erfolgt (3). Mit dem DTDS wurden bisher ins- gesamt mehr als 2 000 Personen im Al- ter von 4 bis 84 Jahren untersucht (2, 4). Die Gruppe der 20- bis 24-Jährigen zeigte die beste Leistung. Ihre mittle- re Trefferrate lag für die höchste Kon- traststufe bei 85 Prozent mit einem allmählichen Abfall bei niedrigeren Kontraststufen. Es zeigte sich außer- dem ein markanter Abfall der Seh- leistung bei den über 60-Jährigen (4).

Zwischen der DTDS-Leistung und der statisch bestimmten Sehschärfe zeigten sich keine signifikanten Korre- lationen.

Die herkömmliche Sehdiagnostik liefert zwar grundlegende, jedoch höchst einseitige Informationen über die im Alltag bei Fahr- und Steuer- tätigkeiten (und nicht nur dort) tat- sächlich einsetzbaren beziehungswei- se geforderten Sehfunktionen. Ohne die inzwischen leicht mögliche Prü- fung des dynamischen Sehens bleibt unsere Kenntnis der verfügbaren Sehleistung und damit gegebenen- falls verbundenen Sicherheitsrisiken lückenhaft. Es gilt also vorrangig dy- namische Sehtests zu entwickeln, im Routineeinsatz zu erproben und zu

validieren (erste Ansätze in [1]), mit dem Ziel, sie langfristig den etablier- ten Sehtests gleichwertig an die Seite zu stellen.

Literatur

1. Ehrenstein WH, Wist ER, Cavonius CR: Visual acuity bases on motion contrast: evaluation with professional drivers. In: Mital A, Krueger H, Kumar S, Menozzi M, Fernandez JE, eds.: Advances in Occupational Ergo- nomics and Safety. Cincinnati, OH: /ISOES 1996; 1:

215–220.

2. Schrauf M, Wist ER, Ehrenstein WH: Development of dynamic vision based on motion contrast. Experimen- tal Brain Research 1999; 124: 469–473.

3. Wist ER, Ehrenstein WH, Schrauf M: A computer- assisted test for the electrophysiological and psycho- physical measurement of dynamic visual function.

Journal of Neuroscience Methods 1998; 80: 41–47.

4. Wist ER, Schrauf M, Ehrenstein WH: Dynamic Vision based on motion-contrast. Changes with age in adults.

Experimental Brain Research 2000; 134: 295–300.

Dr. rer. nat. Walter H. Ehrenstein Institut für Arbeitsphysiologie Ardeystraße 67

44139 Dortmund ehrenst@ifado.de

Prof. Eugene R. Wist PhD Institut für Experimentelle Psychologie II Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Universitätsstraße 1

44225 Düsseldorf wist@uni-duesseldorf.de

Schlusswort

Herr Dr. Witkowski weist darauf hin, dass bei ungünstiger Gestaltung von Brillengläsern und Brillenfassungen Gesichtsfeldeinschränkungen resultie- ren können. Dies war vor allem in früheren Jahrzehnten ein Problem, als noch dickrandige Fassungen mit brei- ten Bügeln verwendet wurden und zu- dem die optische Qualität der Gläser deutlich schlechter war als heute. In der heutigen Zeit ergeben sich hier nur noch selten Probleme, abgesehen von Fällen mit starker Weitsichtig- keit (zum Beispiel Aphakie oder hohe Hyperopie).

Auch weist der Kollege darauf hin, dass es nicht sinnvoll ist, die Beleuch- tung von Armaturenbrettern in Rot und Blau zu gestalten. Sinnvoll ist aus- schließlich eine rote oder rötliche Farb- gebung, da dadurch das Stäbchensehen, das der Fahrer gelegentlich bei Fahrt in Dämmerung und Nacht benötigt, nicht zu stark gestört wird.

(5)

Mehrere Diskussionsredner weisen auf die Notwendigkeit hin, das Bewe- gungssehen, das speziell in der Peri- pherie der Netzhaut von besonderer Bedeutung ist, in die Fahreignungsbe- gutachtung zu integrieren. Der Verfas- ser selbst hat vor Jahren umfangreiche Untersuchungen über das zeitliche Übertragungsverhalten der periphe- ren Netzhaut durchgeführt und sich insbesondere mit der Flimmerperime- trie beschäftigt.

Ohne Zweifel spielt das Bewegungs- sehen, vor allem der peripheren Netz- haut eine immense Bedeutung für die Wahrnehmung im Straßenverkehr. Ein augenfälliges, drastisches Beispiel hier- für ist die exzellente Wahrnehmbarkeit der seit einigen Jahren obligaten Spei- chenreflektoren von Fahrrädern, die auf größere Distanz im Lichtkegel ei- nes Fahrzeuges ein extrem auffälliges bewegtes Muster erzeugen. Das Pro- blem liegt jedoch darin, dass es bislang nicht gelungen ist, standardisierte Messverfahren, die für eine gutachter- liche Bewertung geeignet sind, für die Prüfung des dynamischen Sehens und der zeitlichen Übertragung der Netz- hautperipherie zu etablieren. Es bleibt zu hoffen, dass vielleicht das von Dr.

Ehrenstein und Prof. Wist entwickel- te Verfahren, das den Namen „Düssel- dorfer Test für dynamisches Sehen (DTDS)“ trägt, für die Praxis tauglich wird.

Ein wesentliches Problem bei allen computergestützten Testverfahren be- steht darin, dass es nur mit einem er- heblichen apparativen und methodi- schen Aufwand möglich ist, derartige Systeme exakt zu kalibrieren und zwar in absoluten photometrischen Einhei- ten, zum Beispiel cd/m2.

Die Diskussionsbemerkungen von Herrn Schmitt darf ich wie folgt kom- mentieren: Es erstaunt den Autor nicht unerheblich, welche Behauptun- gen dem Verfasser eines Artikels un- tergeschoben werden. So schreibt Herr Schmitt, dass „der Autor mit sei- nem Artikel den Eindruck erweckt, dass die konsequente Erfüllung der ISO 8596/8597 als aktueller Stand der ärztlichen Kunst eine sichere Teilnah- me am Straßenverkehr gewährleiste“.

Diese Behauptung wurde an keiner Stelle von mir im Text des Artikels for-

muliert. Es dürfte klar sein, dass eine gutachterliche Bewertung, an der er- hebliche materielle und juristische Konsequenzen hängen, auf einem ex- akt definierten und standardisierten Messverfahren beruhen muss! Daher wurde vor Jahren als (wenngleich schlechter) Kompromiss eine DIN- Vorschrift zur Prüfung der Sehschärfe mit Landoltringen festgelegt. Damit war zumindest eine gewisse Standardi- sierung (nicht nur national, sondern auch international) möglich.

Wenn Herr Schmitt schreibt, dass diverse Prüfgeräte den DIN- bezie- hungsweise ISO-Vorschriften nicht entsprechen würden, so kann dies nicht der aktuelle Stand sein: die mo- dernen Geräte, die von den Herstel- lern in Deutschland auf den Markt gebracht werden, erfüllen selbstver- ständlich die Vorschriften der Norm.

Wenn Herr Schmitt schreibt, „die Tagesform“ des Probanden müsse berücksichtigt werden, so ist dies eini- germaßen weltfremd: Wie soll denn die „Tagesform“ des Kraftfahrers im realen Verkehr berücksichtigt wer- den? Und wenn schließlich Herr Schmitt meint, die Simulationsbilder zur Sehschärfe würden nicht der Rea- lität entsprechen, so kann ein Griff in den Gläserkasten des Augenarztes vom Gegenteil überzeugen. Vielleicht nimmt sich Herr Schmitt einige Plus- gläser beispielsweise von +0,5, +1 und +2 dpt sphärisch und setzt sie sich vor das Auge: schon sind die Simulations- bilder Realität geworden. Selbstver- ständlich entsprechen die Simulati- onsbilder dem Wahrnehmungsein- druck eines defokussierten Auges, bei- spielsweise bei falscher oder nicht vor- handener Brillenkorrektur. Nicht ver- gleichbar sind natürlich andere Ursa- chen der Sehschärfeminderung, bei- spielsweise durch eine Makuladegene- ration oder durch einen Sehnerven- prozess. Darauf wurde aber im Text ausdrücklich hingewiesen. Und wenn Herr Schmitt schließlich meint, er müsse darauf hinweisen, dass die Stufe 0,7 in der Norm nicht enthalten sei, so ist dies leider ein Trugschluss seiner- seits. Natürlich gehört die Stufe 0,7 nicht zur bekannten logarithmischen Visusstufung, sie wurde aber seiner- zeit explizit in die DIN 58220 aufge-

nommen, da in der alten Straßenver- kehrszulassungsordnung der Grenz- wert 0,7 gültig war.

Zu dem unsachlichen Diskussions- beitrag von Herrn Prof. Ulmer ledig- lich zwei Anmerkungen:

1. In meinem Artikel wurde auf die Kompensationsmechanismen hinge- wiesen. Es ist hinlänglich bekannt und ausreichend publiziert worden, dass es für die kardinalen Sehfunktionen im Straßenverkehr, nämlich Sehschärfe, Gesichtsfeld und Dämmerungssehver- mögen, sowie Blendempfindlichkeit keine Kompensationmechanismen gibt.

Die einzige „relative“ Kompensation für einen Fahrer mit schlechter Seh- schärfe besteht darin, langsamer zu fah- ren. Wenn Defekte im binokularen zen- tralen Gesichtsfeld bestehen und/oder das Dämmerungssehvermögen patho- logisch ist, so kann hier durch nichts in der Welt kompensiert werden, außer dadurch, dass auf das Fahren verzichtet wird!

2. Der Autor äußert, die Verkehrs- kommission der DOG sei an der ur- sprünglichen Fassung der FeV „maß- geblich beteiligt gewesen“. Diese Be- hauptung ist eine schlichte Unver- schämtheit. Die Vorschläge der Ver- kehrskommission der DOG zur Um- setzung der Eurorichtlinie wurden vom zuständigen Bundesministerium für Verkehr über Jahre hinweg konse- quent ignoriert. Die Folge war, dass ei- ne FeV zustande kam, die von vorne bis hinten voller Fehler war, die so gra- vierend waren, dass eine komplette Überarbeitung des Gesetzeswerkes in Form der Reparaturverordnung zur FeV erforderlich wurde.

Erst im zweiten Schritt wurden dann wenigstens einige der Vorschläge der Verkehrskommission umgesetzt, beispielsweise die sinnvollere Formu- lierung zum Strabismus und eine Rei- he anderer Dinge, die gutachterlich nicht tragbar waren.

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat.

Bernhard Lachenmayr Neuhauser Straße 23 80331 München

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