• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Früherkennung und Frühintervention schizophrener Störungen" (01.11.2002)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Früherkennung und Frühintervention schizophrener Störungen" (01.11.2002)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

M E D I Z I N

A

A2936 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 441. November 2002

S

chizophrene Psychosen sind mit einer Inzidenz von 15 bis 20 Neu- erkrankungen pro 100 000 Einwoh- ner pro Jahr und mit einer Lebenszeit- prävalenz von circa einem Prozent auf den ersten Blick keine sehr häufigen Erkrankungen. Diese Krankheitsfor- men werden jedoch aufgrund des frü- hen Ersterkrankungsalters (in der Re- gel 18 bis 35 Jahre) und aufgrund eines chronischen Verlaufs bei mindestens ei- nem Drittel der Erkrankten besonders bedeutsam. Die „Kosten“ für Patient und Familie sind beträchtlich: Etwa zehn Prozent der Betroffenen suizidie- ren sich in den ersten Jahren der Er- krankung. Mindestens ein Drittel der Betroffenen kann nicht für den eigenen Unterhalt sorgen, und zwei Drittel der betreuenden Angehörigen sind selbst psychisch stark beeinträchtigt. Die finanziellen Aufwendungen durch die Solidargemeinschaft sind ebenfalls er- heblich. Jährlich werden in Deutsch- land über drei Milliarden Euro für die Versorgung von Menschen mit Schizo- phrenie aufgebracht.

Angesichts des oftmals ungünstigen, chronischen Verlaufs der Erkrankung und ihren gravierenden Folgen werden zunehmend Präventionsmöglichkeiten für schizophrene Störungen diskutiert (11). Die Psychiatrie vollzieht damit Entwicklungen nach, wie sie beispiels- weise in der Inneren Medizin für die Früherkennung von bösartigen Neubil- dungen oder den Bluthochdruck schon vor Jahren etabliert wurden.

Möchte man Prävention planen, soll- te man selbstverständlich auf den Be- ginn der Erkrankung blicken. Eine aus- gezeichnete phänomenologische Be- schreibung des Krankheitsbeginns lie-

ferte Klaus Conrad in seiner Monogra- phie „Die beginnende Schizophrenie“.

Aus der Untersuchung junger Soldaten leitete Conrad ein Stadienmodell der beginnenden Erkrankung ab. Nachdem zunächst ein „Lampenfieber“ (Trema) mit initialer Depressivität, Ängsten und Schulderleben in einer Wahnstimmung mit dem Eindruck der existenziell be- drohlichen Umweltveränderung kulmi- niert, schließt sich in der „Apophänie“

das wahnhafte Bewusstwerden der Be- deutung dieser Veränderungserlebnisse an, welches schließlich in der „Apoka- lypse“ in psychotisches Verhalten, etwa in Form katatoner Symptome, mündet.

Aufgrund der spezifischen Zeitumstän- de und der Tatsache, dass Conrad nur Männer untersuchte, können seine Er- gebnisse allerdings nicht ohne Weiteres generalisiert werden.

Ein systematisch methodisches Vor- gehen kennzeichnete die „ABC-Schi- zophrenie-Studie“ von Häfner und Mit- arbeitern vom Zentralinstitut für Seeli- sche Gesundheit in Mannheim (3–5).

Bei dieser umfassendsten retrospekti- ven Studie zum Frühverlauf schizo- phrener Erkrankungen wurde ein In- strument zur reliablen Erfassung des zeitlichen Ablaufs von Beginn und Frühverlauf der Erkrankung entwickelt (IRAOS) und zur repräsentativen Er- hebung einer großen bevölkerungsbe- zogenen Stichprobe erster schizophre- ner Episoden eingesetzt.

In Übereinstimmung mit zwischen- zeitlich einem halben Dutzend weiterer internationaler Studien zum Frühverlauf von Schizophrenie gelang der Nach- weis, dass dem ersten Behandlungskon- takt unter den gegenwärtigen Versor- gungsbedingungen mindestens ein Jahr psychotische Symptome und im Mittel fünf Jahre nichtpsychotische Prodromal- symptome vorausgehen (Grafik).

Der soziale Abstieg vieler an Schizo- phrenie erkrankter Patienten beginnt

Früherkennung und Frühintervention schizophrener Störungen

Martin Hambrecht

1

, Joachim Klosterkötter

1

, Heinz Häfner

2

Zusammenfassung

Früher Beginn und häufige Chronizität machen schizophrene Störungen zu Erkrankungen mit erheblicher individueller und sozialmedizini- scher Tragweite. Der Nachweis mehrjähriger unerkannter Frühverläufe führte weltweit zu Früherkennungs- und Frühbehandlungsinitiati- ven. Neben psychosenahen Prodromalsympto- men sind vom Betroffenen selbst erkennbare Defizite in Denken und Wahrnehmen beson- ders psychoseprädiktiv. Durch die Kombination von Psychopathologie und neurobiologischen Verfahren wird eine Verbesserung der Vorher- sagequalität angestrebt. Im psychosefernen und im psychosenahen Frühverlauf sind unter- schiedliche Interventionsstrategien indiziert (Psychotherapie beziehungsweise Pharmako- therapie). Die falschpositive Zuweisung zu ei- ner Behandlung und andere ethische Bedenken sind den Risiken einer verzögerten Behandlung gegenüberzustellen.

Schlüsselwörter: Schizophrenie, Krankheits- früherkennung, Prävention, psychische Stö- rung, Diagnosestellung

Summary

Early Detection and Intervention of Schi- zophrenic Disorders

Onset early in life and high rates of chronicity result in severe individual and economic conse- quences of schizophrenic disorders. The empiri- cal evidence of the long undetected early course of the illness triggered early detection and early intervention activities world-wide.

Beside (pre-)psychotic prodromal symptoms deficits of thinking and perception recognized by the subject himself were found to be highly predictive of psychosis. The combination of psychopathology and neurobiological methods is expected to improve predictive validity. Dif- ferent strategies of intervention are indicated in early and in late prodromal stages (psycho- therapy and/or pharmacotherapy). False posi- tives and other ethical concerns must be set against the risks of delayed intervention.

Key words: schizophrenia, early diagnosis, prevention, psychiatric disorder, diagnosis

1Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Direktor: Prof.

Dr. med. Joachim Klosterkötter) der Universität zu Köln

2Arbeitsgruppe Schizophrenieforschung (Leiter: Prof.

Dr. med. Dr. phil. Dres. h. c. Heinz Häfner), Zentralinstitut für Seelische Gesundheit , Mannheim

(2)

nicht erst als Folge der ersten psychoti- schen Episode, sondern beginnt bereits vor dem ersten psychotischen Sym- ptom. Zum Zeitpunkt der ersten Früh- symptome unterscheiden sich schizo- phren Erkrankte noch nicht von gesun- den Kontrollen aus der Bevölkerung.

Zum Zeitpunkt der Erstaufnahme sind sie jedoch in den meisten sozialen Rol- len deutlich zurückgefallen, haben sel- tener eigenes Einkommen, eine Part- nerschaft, eigene Wohnung, Schul- oder Berufsausbildung (14).

Die Dauer der unbehandelten Psy- chose erwies sich in mehreren Studien als Prädiktor eines ungünstigen weite- ren Verlaufs der Krankheit. Diese Kor- relation erfordert eine Verkürzung der Leidensstrecken. Ob die Verkürzung der unbehandelten Erkrankung durch Frühintervention nicht nur die erste psychotische Episode mildern oder ver- kürzen sondern auch den weiteren Ver- lauf günstig beeinflussen kann, wird in- zwischen in kontrollierten Studien un- tersucht.

Vor dem Hintergrund der hohen sozialmedizinischen Bedeutung schi- zophrener Erkrankungen, ihrer lan- gen unbehandelten Frühverlaufsstrecke und der Assoziation der Frühverlaufs- dauer mit den Folgen der Erkrankung haben sich seit Anfang der 90er-Jahre weltweit Zentren zur Früherkennung und Frühbehandlung von Psychosen etabliert.

Diese Zentren realisieren folgende Schritte:

> Schulung der lokalen Fachöffent- lichkeit über Seminare, Newsletter und Früherkennungsnetzwerke mit Ner- ven-, Psychotherapie- und Hausarzt- praxen, Beratungsstellen, Ambulanzen et cetera

> Aufklärung und Sensibilisierung für Frühsymptome bei Risikopersonen und deren Umgebung (Infomaterial über die Netzwerkpartner und durch die Medien)

> Screening-Verfahren (Checklisten für Ratsuchende)

> Systematische Diagnostik zur Ri- sikoabschätzung

>Frühintervention (sofern indiziert)

Früherkennung

Der Übergang in eine schizophrene Psychose kann heute nur mit einer ge- wissen Wahrscheinlichkeit vorherge- sagt werden: Die häufigsten Prodromal- symptome sind unspezifisch oder schon psychosenah. Die spezifischeren Pro- dromalsymptome sind dagegen ver- gleichsweise seltener.

Als früheste Krankheitsanzeichen erinnern schizophren Erkrankte am häufigsten Nervosität, Depressivität, Ängste, Energielosigkeit, Selbstzweifel, Leistungseinbruch und sozialen Rück- zug. Diese Symptomliste deckt sich

weitgehend mit den Ergebnissen einer Repräsentativbefragung unter Studie- renden in Deutschland. Dort äußerten 27 Prozent der Studierenden psychische Probleme und dabei am häufigsten jene Symptome, die Schizophreniekranke als früheste Anzeichen nennen. Die er- sten Symptome für eine psychotische Entwicklung sind also häufig unspezi- fisch und können deshalb nicht zu einer Vorhersage herangezogen werden.

Auch die im weitverbreiteten Dia- gnosemanual DSM-III-R genannten Prodromalsymptome für Schizophrenie (unter anderem absonderliches Verhal- ten, Denken oder Erscheinungsbild, ab- gestumpfter, verflachter oder inadäqua- ter Affekt) besitzen eine so geringe dia- gnostische Spezifität und Sensitivität, dass sie in bis zu 30 Prozent der Fälle zu falschpositiven und in bis zu 23 Prozent der Fälle zu falschnegativen diagnosti- schen Zuordnungen führen (7).

Ein alternativer Ansatz besteht dar- in, Zustände eines erhöhten Risikos für den Übergang in eine Psychose zu defi- nieren (16): Bei einer ersten Risiko- gruppe ist bei einem erstgradigen An- gehörigen bereits eine Psychose be- kannt. Familienstudien haben sehr gut belegt, dass mit zunehmender geneti- scher Übereinstimmung von Familien- angehörigen auch die Konkordanzrate für Schizophrenie steigt – bei eineiigen Zwillingen bis auf 50 Prozent. Bei ande- ren Verwandten ersten Grades liegen die Konkordanzraten allerdings unter zehn Prozent, sodass für die Feststel- lung eines Psychoserisikos als zusätzli- che Bedingung ein deutlicher Lei- stungsknick zu beobachten sein muss.

Eine zweite Risikogruppe bilden Personen mit milden psychotischen Symptomen, beispielsweise wiederkeh- rende Beziehungsideen und Misstrauen ohne Wahncharakter. Eine dritte Risi- kogruppe weist selbstständig remittier- te psychotische Symptome von kurzer Dauer auf, beispielsweise für wenige Stunden akustische Halluzinationen oder Verfolgungswahn, die aber nicht durch Drogenkonsum hervorgerufen wurden.

Bei diesen drei Risikogruppen kam es in 40 Prozent der Fälle innerhalb von sechs Monaten zum Übergang in eine manifeste Psychose (16). Demnach lässt sich – selbst wenn bereits sehr psycho- M E D I Z I N

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 441. November 2002 AA2937

Früher Verlauf einer schizophrenen Psychose nach der ABC-Studie. (Aus Häfner H, Gattaz WF [eds.]: Search for the causes of schizophrenia. Berlin, Heidelberg, New York: Springer 1995.

Vol. III: 53. Mit freundlicher Genehmigung des Springer Verlags).

Grafik

(3)

senahe Symptome ausgewählt werden – keine 100-prozentige Treffsicherheit er- reichen.

In der ersten längerfristigen pro- spektiven Studie zum Frühverlauf, dem „CER-Schizophrenie-Projekt“ (10), wurden Patienten, die man überwie- gend aus Facharztpraxen zur Ab- klärung eines Psychoseverdachts Uni- versitätspolikliniken zugewiesen hatte, durchschnittlich 9,6 Jahre nach der initialen Erfassung der Prodromalsym- ptomatik nachuntersucht. Dabei stell- ten sich auch unter Verwendung der be- sonders subtil differenzierenden Basis- symptomenskala (2) die 66 dort berück- sichtigten Prodromalsymptome in ihrer Gesamtheit wieder als zu unspezifisch heraus. Bei der Auswertung auf der Ebene der Subsyndrome und Einzel- symptome fand sich dann aber doch eine Gruppe mit überraschend hoher psychoseprädiktiver Treffsicherheit von 70 bis 90 Prozent. Für diese selbst erleb- ten kognitiven Defizite (unter anderem Gedankeninterferenzen, Perseverieren von Gedanken, Gedankendrängen, ge- störte Diskrimination von Vorstellung und Wahrnehmung, Störungen der

rezeptiven Sprache, Derealisationserle- ben, optische und akustische Wahrneh- mungsstörungen) lagen auch die einzel- nen Raten an falschpositiven Vorher- sagen niedriger (< 10 Prozent) als für die Prodromalsymptomatik generell (21 Prozent). Allerdings schlossen sie mit falschnegativen Vorhersagen zwi- schen 26 und 37 Prozent die spätere Psychoseentwicklung nicht so gut aus, wie dies der Fall war, wenn man das Vorliegen von mindestens einem aller 66 Prodromalsymptome zur Berech-

nungsgrundlage machte und dann auf nur circa ein Prozent falschnegativer Vorhersagen kam. Außerdem waren die hochprädiktiven kognitiven Einzel- symptome jeweils nur von knapp einem Drittel der Patienten schon zu Beginn der Verlaufsbeobachtung geboten wor- den. Alleine hierauf lässt sich also eine breit angelegte Früherkennung nicht stützen, sonst würden zu viele Schizo- phrenieentwicklungen übersehen.

Früherkennungsprogramm

Auf zwei Ebenen wird die frühe Erken- nung (Diagnose) und Vorhersage der Psychose (Stadium des Frühverlaufs) angestrebt: mittels eines 17-Item-Scree- ning-Instruments, der aus den Ergeb- nissen der Mannheimer und Kölner Studien entwickelten „Checkliste“, und eines 110 Items umfassenden Inter- views (ERIRAOS) zur weiteren Risi- koabklärung. Da die häufigsten psycho- pathologischen Symptome im Früh- stadium aber zu unspezifisch und die prädiktiven entweder relativ selten oder schon sehr psychosenah sind, emp- fiehlt sich eine Bewertung in Kombina- tion mit anderen Informationsquellen.

Von einer genetischen Belastung oder von Geburtskomplikationen sind aller- dings weniger als zehn Prozent der an einer Schizophrenie Erkrankten betrof- fen. Auch bildgebende Verfahren (zum Beispiel kraniales CT oder MRT) sind für sich allein nicht ausreichend aus- sagekräftig.

Neurophysiologische und neuro- psychologische Verfahren zeigten bei Menschen mit manifester Schizophre- nie Störungen der Informationsverar- beitung von der Reizaufnahme bis hin zu komplexen kognitiven Leistungen.

Diese Ergebnisse führen gemeinsam mit der Kenntnis des subjektiven Erle- bens präpsychotischer Zustände betrof- fener Personen, die sich als „reizoffen“,

„überflutet“ oder „überstimuliert“ er- leben, zum Konzept der Schizophrenie als einer „Filterstörung“ beziehungs- weise Störung der Informationsverar- beitung.

Von der Kombination mehrerer Un- tersuchungsebenen (Textkasten) kann eine Optimierung der Prädiktion er- wartet werden.

Frühintervention

Die Frühintervention bei Risikoperso- nen stützt sich auf das Vulnerabilitäts- Stress-Bewältigungs-Modell der Schi- zophrenie, nach dem aus einer Interak- tion zwischen protektiven und pathoge- nen Faktoren Symptome schizophrener Erkrankungen entstehen. Demnach sollte Prävention durch die Erhöhung der Vulnerabilitätsschwelle, durch Re- duktion von Stress und Stressreaktivität und durch den Aufbau protektiver Res- sourcen möglich sein. Dafür stehen aus der Rezidivprophylaxe schizophrener Störungen wirksame Verfahren zur Ver- fügung:

>auf der biologischen Ebene: Neu- roleptika, dazu gegebenenfalls Antide- pressiva und Anxiolytika; Vermeidung psychotroper Substanzen;

> auf der psychologischen Ebene:

psychoedukative und kognitiv verhal- tenstherapeutische Verfahren, Stress- management, Problemlösetraining;

> auf der sozialen Ebene: familien- bezogene Interventionen.

Verfahren der Frühintervention lei- ten sich im Grunde von der Rezidivpro- phylaxe ab. Sie sind wirksam und soll- ten miteinander kombiniert werden.

Allerdings hat sich auch schon bei der Rezidivprophylaxe das Problem man- gelnder Mitarbeit bei den Patienten ge- zeigt. Außerdem fehlen bisher Studien zum Vergleich von Ersterkrankungen und Rezidiven, sodass trotz der Analo- gie ein eigenständiger Wirkungsnach- weis der Frühintervention zu fordern ist. Frühinterventionsmaßnahmen müs- sen sich an die Höhe des Erkrankungs- risikos anpassen (zum Beispiel aktiver- es Vorgehen bei bekannter schizophre- ner Erkrankung in der Familie). Sie müssen aber auch das Stadium der Er- krankung berücksichtigen und zum Beispiel aktiver vorgehen, wenn bereits einmal psychotische Symptome aufge- treten sind. Sie müssen die Erwartun- gen, Präferenzen und aktuelle Sympto- me des Patienten berücksichtigen – nicht zuletzt, um so auch dessen Mit- arbeit in der Behandlung zu sichern.

Aktuell werden weltweit Frühinter- ventionsstrategien evaluiert. Eine aus- tralische Pilotstudie konnte die Über- gangswahrscheinlichkeit in eine schizo- phrene Psychose durch eine Kombinati- M E D I Z I N

A

A2938 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 441. November 2002

Untersuchungsebenen für die Früherkennung

>Psychopathologie: bes. Basissymptome, Verlaufsdynamik

>Familienanamnese

>Geburtskomplikationen

>Lebensereignisse, psychosoziales Umfeld, Leistungsniveau

>Bildgebende Verfahren: Gehirnvolumetrie, evtl. funktionelles MRT

>Neurophysiologie: zum Beispiel evozierte Potenziale

>Neuropsychologie: Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeitsleistung

Textkasten

(4)

on von Psycho-, Sozio- und Pharmako- therapie (atypisches Neuroleptikum in niedriger Dosis) binnen zwölf Monaten von 40 Prozent auf zehn Prozent redu- zieren, sofern die beteiligten Patienten alle therapeutischen Schritte konse- quent anwendeten (13).

Deutsche Früherkennungszentren, die im Kompetenznetz Schizophrenie zusammengeschlossen sind, gehen sym- ptomorientiert vor und formulieren ei- ne positive Zielsetzung. So heißt das Therapieprogramm „Selbstvertrauen und Kontakt“, weil sich diese Themen als zentrale und häufig wiederkehrende Probleme prodromaler Patienten her- ausgestellt haben. In einem pragmati- schen Vorgehen werden gemeinsam mit dem Patienten die Module einer psy- chologischen Intervention ausgewählt und Medikamente nur nach strenger In- dikation gegeben.

Aus klinischen, insbesondere aber auch aus ethischen Gesichtspunkten, wurden zwei Stadien des Frühverlaufs beziehungsweise zwei Risikogruppen definiert. Für ein frühes Prodromalsta- dium sprechen prädiktive Basissympto- me oder ein Leistungseinbruch bei vor- handenem genetischem oder perinata- lem Risiko. Diese Patienten nehmen an einer psychologischen Frühinterventi- on teil . Für ein spätes Prodromalstadi- um sprechen psychosenahe Symptome, das heißt kurzdauernde spontan remit- tierte oder abgeschwächte psychotische Symptome. Davon betroffenen Patien- ten wird eine pharmakologische Inter- vention angeboten.

Das psychologische Behandlungspro- gramm für das psychoseferne Stadium (6) kombiniert Einzeltherapie, in deren Mittelpunkt Psychoedukation und indi- viduelle Problembereiche stehen (25 Stunden), manualisierte Kleingruppen- therapie (16 Sitzungen), bei dem ange- nehme Aktivitäten aufgebaut und soziale Kompetenz- und Problemlösefertigkei- ten trainiert werden sowie ein kognitives Training am Computer (16 Sitzungen) und Familienberatung (3 Sitzungen). Bei psychosenahen Patienten kommen nied- rig dosierte atypische Neuroleptika zum Einsatz. Wichtig ist, nicht nur die positi- ven Wirkungen auf die Symptomatik und den präventiven Effekt, sondern auch die möglichen Nebenwirkungen der Sub- stanzen zu beachten.

Resümee

Die Aussichten für präventive Maßnah- men sind günstig. Hierfür spricht das lange Prodromalstadium schizophrener Erkrankungen, in dem ausreichend Zeit für eine Intervention bleibt. Außerdem lässt die Kombination von Untersu- chungsebenen erwarten, dass sich die Vorhersagequalität verbessern wird.

Ferner ist aus der Rezidivprophylaxe bekannt, welche Verfahren effektiv und wie anzuwenden sind (pharmakolo- gisch, psychologisch, sozial). Nicht zu- letzt müsste das Interesse bei Öffent- lichkeit und Kostenträgern hoch sein, wenn man erwartet, dass durch effektive Prävention die erheblichen gesellschaft- lichen Belastungen durch dieses Krank- heitsbild gemindert werden können.

Allerdings stellen sich eine Reihe von ethischen Fragen bei der Früherkennung einer gegenwärtig noch vorurteilsbela- denen und im Einzelfall gravierenden Erkrankung wie einer schizophrenen Psychose. Häufig werden Fragen nach der Stigmatisierung durch Früherken- nungsmaßnahmen gestellt oder es wird das Problem aufgeworfen, dass man durch eine frühzeitige Diagnostik die Betroffenen erst zu Patienten mache.

Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die gegenwärtigen Prädiktionsinstrumente noch immer eine Reihe falschpositiver Vorhersagen liefern und dass die einge- setzten Therapieformen, insbesondere Medikamente, unerwünschte Nebenwir- kungen haben könnten, die den positi- ven Effekt der Behandlung gegebenen- falls ins Negative umkehren.

In der Diskussion ethischer Implika- tionen ist allerdings auch darauf hinzu- weisen, dass Patienten und Angehörige die Hilfe eines Früherkennungszen- trums selbst aufsuchen, da sie unter ei- nem hohen Leidensdruck stehen bezie- hungsweise tatsächlich schwerwiegende und belastende Symptome haben. Bei Diagnostik, Aufklärung und Therapie wird ein adäquater, ruhiger Rahmen ge- schaffen, in dem gegenwärtig aufgrund der Finanzierung durch Forschungsmit- tel auch genügend Zeit für Gespräche bleibt. Die Behandlungsvorschläge wer- den immer auf die individuellen Be- schwerden zugeschnitten. Im Vorder- grund stehen übende, supportive psy- chologische Interventionen, die letztlich

auch dann günstig wirken, wenn in der Folge keine Psychose auftritt. Medika- mente werden nur nach strenger Indika- tionsstellung gegeben, wobei grundsätz- lich atypische Neuroleptika in niedriger Dosierung eingesetzt werden, die in aller Regel vergleichsweise nebenwir- kungsarm sind und insbesondere keine gefährlichen oder subjektiv belastenden Begleiterscheinungen aufweisen.

Fazit für die Praxis

Diese ethischen Bedenken mahnen zur Vorsicht. Eine differenzierte Früherken- nungsdiagnostik wird spezialisierten Zentren vorbehalten bleiben. Hausärz- te, Pädiater und andere Nicht-Psychiater sollten immer dann hellhörig werden, wenn Jugendliche und junge Erwachse- ne sich unerwartet und ohne erkennbare Ursache zurückziehen oder einen Lei- stungseinbruch erleiden. Auffällig sind in jedem Fall Klagen über bis dahin un- bekannte Denk- und Konzentrations- störungen ohne äußeren Anlass. Besteht zudem eine positive Familienanamnese, sollten nicht erst psychotische Sympto- me abgewartet werden, bevor eine Zu- weisung zum Facharzt erfolgt. Anderer- seits sollte dessen Diagnostik nicht schon vorher durch voreilige Gabe von Neuroleptika erschwert werden.

Diese Publikation wurde im Rahmen des Kompetenznet- zes Schizophrenie mit Förderung durch das Bundesmini- sterium für Bildung und Forschung erstellt (Kennzeichen:

01 GI 993x). Die ABC-Schizophrenie-Studie wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft seit 1987 im SFB 258 und wird seither im Einzelverfahren gefördert.

Die CER-Schizophrenie-Studie wurde vom Bundes- ministerium für Forschung und Technologie (BMFT) von 1989–1990, von der Norwegischen Saugstad Foun- dation von 1993–1995 und durch die Deutsche For- schungsgemeinschaft von 1995–1995 gefördert.

Manuskript eingereicht: 12. 2. 2002, revidierte Fassung angenommen: 19. 6. 2002

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2936–2940 [Heft 44]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr.med. Dr.phil. Martin Hambrecht Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Evang. Krankenhaus Elisabethenstift gGmbH Landgraf-Georg-Straße 100, 64287 Darmstadt E-Mail:

hambrecht.martin@krankenhaus-elisabethenstift.de M E D I Z I N

A

A2940 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 441. November 2002

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Abstract Im Projekt wurden Klassenführungskonzepte und Portfolios von 17 Studieren- den analysiert, die in den Studienjahren 2009/10 und 2010/11 eine einjährige Spezialisierung

Wolfgang de Boor — der über Erfahrungen mit Tau- senden von Kriminellen ver- fügt, die er mit der Frage psy- chischer Störungen zu unter- suchen und zu begutachten hatte —

Das EE-Konzept heute So vorteilhaft sich das EE-Kon- zept auf die Arbeit mit Angehörigen auswirkte, war es doch mit einem wichtigen Nachteil verbunden: Ange- hörige mit

Da sich in einigen Untersuchungen jedoch gezeigt hat, dass die Dauer der unbehandel- ten Psychose auch ungünstige Auswirkungen auf den Langzeitoutcome der Schizophrenie hat, ist

Eine Lüge liegt vor, wenn jemand ab- sichtlich etwas sagt, was er für falsch hält, und damit den Anderen täu- schen will.. Wenn sich jemand also bloß irrt, ist es keine Lüge; sagt

Von Bedeutung ist demzufolge nicht überwiegend die Farbe an sich, sondern die durch den Kontrast konstituierte Form oder Kontur – eine nützliche Er- kenntnis für Verkehrstechnik

Clarkson PM, Brandt PWT, Barrat-Boyes BG, Ruther- ford JD, Kerr AR, Neutze JM: Prosthetic repair of coarctation of the aorta with particular reference to dacron onlay patch grafts

Und außerdem beginnt unser Kochduo Regner/Regner in dieser Ausgabe mit einer wunderbaren neuen Serie, an der Sie sich auch beteiligen dürfen: Es geht um Gerichte aus der Kindheit,