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Archiv "Psychiatrische Genetik: Fortschritte in der Ursachenforschung affektiver und schizophrener Störungen" (03.12.2004)

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ffektive und schizophrene Stö- rungen zählen weltweit zu den Hauptursachen krankheitsbe- dingter Beeinträchtigung (16). Ihr Ver- lauf ist überwiegend chronisch oder rezidivierend und mit erhöhter Mor- talität verbunden. Bei den affektiven Störungen werden unipolar depressive von bipolaren Störungen unterschie- den, wobei Patienten mit einer bipola- ren Störung neben depressiven auch manische Phasen aufweisen. Mit einer Lebenszeitprävalenz von bis zu 20 Pro- zent sind unipolar depressive Störun- gen weitaus häufiger als bipolar affek- tive und schizophrene Störungen, die jeweils eine Lebenszeitprävalenz von etwa einem Prozent haben.

Die für die Diagnostik entwickelten internationalen Klassifizierungssyste- me psychischer Störungen (zum Bei- spiel DSM-IV oder ICD-10) (2, 9) sind operationalisiert; sie basieren allein auf psychischen Symptomen mit Kriterien der Beeinträchtigung und der Dauer so- wie Schwellenwerten. Die Anwendung

dieser Kriterien ist mit hoher Reliabi- lität möglich. Die Auswahl der Diagno- sekriterien ist aber nicht ohne Beliebig- keit, die Grenzen der Störungen sind unscharf. Die resultierende mangelnde Spezifität der definierenden Symptome hat eine häufige Feststellung von Ko- morbidität psychischer Störungen zur Folge. Trotzdem haben sich diese dia- gnostischen Definitionen in der Klink gut bewährt. Im Unterschied zu somati- schen Erkrankungen ist aber die Kennt- nis der Pathophysiologie sehr begrenzt, und es stehen bisher keine biologischen Marker, die diagnostisch verwertbar sind, zur Verfügung. Eine Berücksichti-

gung der Ätiologien in der Systematik psychiatrischer Krankheiten, wie sie in vielen Gebieten der Medizin praktiziert wird, ist eine Aufgabe der Zukunft.

Dass genetische Faktoren zur Ent- wicklung von affektiven und schizophre- nen Störungen beitragen, wird seit lan- gem vermutet (13, 17, 18). Familienstudi- en zeigen eine familiäre Häufung der Er- krankungen (Tabelle), Zwillings- und Adoptionsstudien weisen auf genetische Faktoren als Ursache des familiären Auftretens hin. Die Zwillingsstudien un- terstützen aber auch die Bedeutung nicht genetischer Faktoren, da die Kon- kordanzraten bei eineiigen Zwillingen deutlich unter 100 Prozent liegen (Tabel- le). Die Familienstudien zeigen auch, dass bei den betroffenen Familienmit- gliedern das Krankheitsbild unter- schiedlich ausgeprägt sein kann und dass in den Familien auch andere psychische Störungen gehäuft auftreten (15).

Die genetische Forschung bei psy- chiatrischen Krankheiten hatte in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg für

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 493. Dezember 2004 AA3343

Psychiatrische Genetik

Fortschritte in der

Ursachenforschung affektiver und schizophrener Störungen

Markus M. Nöthen1, Marcella Rietschel2, Peter Propping3, Wolfgang Maier4

Zusammenfassung

Affektive und schizophrene Störungen sind häu- fige psychische Störungen, zu deren Entwick- lung genetische Faktoren maßgeblich beitragen.

Die Identifizierung der krankheitsassozierten Gene beziehungsweise Mutationen hat begon- nen. Die aufwendigen Untersuchungen sind nur in enger Kooperation zwischen klinischer For- schung, Humangenetik und genetischer Epide- miologie möglich. Wie auch bei anderen gene- tisch komplexen Krankheiten dürfte affektiven und schizophrenen Störungen ein Muster von Genotypen zugrunde liegen, das für eine Krank- heitsdisposition verantwortlich ist. Ein einzelner Genotyp wird nur in sehr begrenztem Maße zur Ätiologie der Störung beitragen. Die Identifikati- on der relevanten Gene wird ein tief greifendes Verständnis für die biologischen Grundlagen die-

ser oft langfristig beeinträchtigenden Krankhei- ten erlauben. Dies wird auch für die Erforschung der umweltbedingten Einflüsse an der Pathoge- nese große Chancen eröffnen.

Schlüsselwörter: Psychiatrische Genetik, Schizo- phrenie, affektive Störung, manische Depres- sion, Genidentifizierung

Summary

Psychiatric Genetics: Progress Towards an Understanding of Causality in Affective Disorders and Schizophrenia

Genetic factors are known to contribute to the development of affective disorders and schizo- phrenia, two common forms of psychiatric ill- ness. The identification of illness associated

genes or mutations has begun. These complex investigations are only possible through close collaboration between clinicians, human gene- ticists, and genetic epidemiologists. As with other complex genetic illnesses, affective dis- orders and schizophrenia may have an underly- ing pattern of disposition genes that are re- sponsible for the illness. An individual genotype would account for the etiology of an illness only to a very limited extent. The identification of the relevant genes will permit a profound understanding of the biological basis of these often chronic and disabling illnesses. Research of the effect of environmental factors will also profit from these discoveries.

Key words: psychiatric genetic, schizophrenia, affective disorder, manic depression, gene identification

1Department of Genomics (Direktor: Prof. Dr. med. Mar- kus M. Nöthen), Life & Brain Center, Universität Bonn

2Abteilung Genetische Epidemiologie in der Psychiatrie, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (Direktor: Prof.

Dr. med. Dr. phil. Fritz Henn), Mannheim

3Institut für Humangenetik (Direktor: Prof. Dr. med. Peter Propping), Universitätsklinikum Bonn

4Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Direktor: Prof. Dr. med. Wolfgang Maier), Universitätskli- nikum Bonn

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mehrere Jahrzehnte einen schweren Stand. Die Zwangssterilisation und die systematische Tötung psychiatrischer Patienten im Nazi-Deutschland, durch- geführt unter Mitwirkung von Ärzten und unter anderem begründet mit gene- tischen Argumenten, hatte die psychia- trische Genetik als Forschungsgebiet in Verruf gebracht.

Die genetische Forschung bei Krank- heiten ist Ursachenforschung. Bei den monogen erblichen Krankheiten war die Identifikation der ursächlichen Ge- ne und ihrer Mutationen

außerordentlich erfolgreich.

Etwa 1 800 verschiedene mo- nogene Krankheiten können heute auf Mutationen in je- weils einem Gen zurückge- führt werden. Durch dieses Wissen konnten auch die Genprodukte identifiziert und die Pathophysiologie der be- treffenden Krankheiten auf- geklärt werden. Die affekti- ven und schizophrenen Stö- rungen gehören zu den gene- tisch komplexen (multifak- toriellen) Krankheiten. Diese Krankheiten kommen sehr wahrscheinlich dadurch zu-

stande, dass bei einer Person Mutatio- nen in mehreren Genen nebeneinander vorliegen. Es resultiert eine Krank- heitsdisposition, die unter dem Einfluss exogener Faktoren in eine manifeste Krankheit umschlagen kann. Die Iden- tifikation von Dispositionsgenen (häu- fig auch Suszeptibilitäts- beziehungs- weiseVulnerabilitätsgene genannt) für genetisch komplexe Krankheiten ist ei- ne außerordentliche methodische und logistische Herausforderung. Wenn Dispositionsgene identifiziert worden sind, dann lassen sich davon ausgehend relevante biologische Grundlagen der Erkrankung aufschlüsseln. Noch vor wenigen Jahren wurden die Chancen, Krankheitsgene für psychische Störun- gen auf molekularer Ebene identifizie- ren zu können, bei Klinikern und Gene- tikern skeptisch gesehen.

In der jüngsten Vergangenheit hat sich die Situation grundlegend geändert. Die ersten Krankheitsgene, die wahrschein- lich an der Ätiologie schizophrener und affektiver Störungen beteiligt sind, sind identifiziert.Von weiteren Krankheitsge-

nen ist die chromosomale Lage bekannt, und es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis hier ebenfalls die verantwortlichen Gene identifiziert sein werden. Ermög- licht wurden diese Erkenntnisse durch den allgemeinen Fortschritt der Human- genetik: die Sequenzierung des mensch- lichen Genoms, die Entwicklung neuer Techniken zur effizienten Untersuchung der Variabilität im menschlichen Genom sowie die Entwicklung neuer statisti- scher Verfahren in der genetischen Epi- demiologie (8, 10, 28).

Für die Genidentifizierung bei psy- chischen Störungen stehen folgende Strategien im Vordergrund:

>Untersuchung so genannter Kandi- datengene: Als Kandidatengene wer- den Erbanlagen bezeichnet, von denen man aufgrund funktioneller Überle- gungen oder Hypothesen vermutet, dass sie in der Pathophysiologie der be- treffenden Krankheit eine Rolle spie- len, zum Beispiel Gene für bestimmte Rezeptoren, Enzyme, Transporter. Na- turgemäß bewegt man sich mit „Kandi- datengenen“ immer im Rahmen vor- handenen Wissens oder konventionel- ler Hypothesen. Meist werden die Un- tersuchungen als Fall-Kontroll-Studien durchgeführt, indem die Häufigkeit von Genvarianten eines Kandidatengens in beiden Kollektiven verglichen wird.

>Genidentifizierung nach Feststel- lung des Genortes (chromosomale Lo- kalisation) durch Kopplungsuntersu- chungen in mehrfach betroffenen Fami- lien: Ein Vorteil von Kopplungsuntersu- chungen ist, dass sie genomweit durch- geführt werden können und völlig un-

abhängig von pathophysiologischen Hypothesen sind. Da der Phänotyp – im Unterschied zu einer monogen erbli- chen Krankheit – bei einer genetisch komplexen Krankheit Resultat eines komplizierten genetischen Bedingungs- gefüges ist, sind die Kopplungsbefunde allerdings nicht so eindeutig wie bei monogenen Krankheiten.

Die Untersuchungsstrategien sind im praktischen Vorgehen miteinander verwoben. So kommt zum Beispiel ei- nem Kandidatengen, welches in einer chromosomalen Region mit positiven Kopplungshinweisen lokalisiert ist, eine hohe Plausibilität zu.

Untersuchungen von Kandidatengenen

Die Zahl der veröffentlichten Kandida- tengenuntersuchungen ist außerordent- lich groß und eine einfache Interpretati- on der Befunde schwierig. Viele Kandi- datengenuntersuchungen haben den Nachteil kleiner Untersuchungskollek- tive und einer mangelnden Systematik bei der Untersuchung eines bestimmten Kandidatengens (geringe Zahl von un- tersuchten Polymorphismen, ungenü- gende Kenntnis der Haplotypstruktur in der chromosomalen Region). Darü- ber hinaus hat man es mit einer großen Zahl potenzieller Kandidatengene zu tun, da theoretisch eine Vielzahl biolo- gischer Mechanismen für die Krank- heitsentstehung verantwortlich sein kann. Die größte Aufmerksamkeit er- reichte das Serotonintransporter-Gen als Kandidatengen für affektive Stö- rungen. Eine Variante im Serotonin- transporter-Gen, die die Genexpression beeinflusst, wurde unter anderem mit unipolaren und bipolaren Störungen, mit dem Auftreten depressiver Symp- tome nach traumatischen Erlebnissen in zurückliegenden Lebensabschnit- ten und dem Ansprechen auf medika- mentöse Therapie assoziiert beschrie- ben (1, 6, 13). Trotz großer Anstrengun- gen ist noch keine eindeutige Bewer- tung der Befunde möglich, da – wie auch bei anderen Kandidatengenunter- suchungen – die Befunde widersprüch- lich sind.

In der Vergangenheit wurden Kandi- datengene häufig auf der Basis bekann- A

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ter medikamentöser Wirkmechanismen ausgewählt. In Zukunft werden syste- matische Analysen von Genexpression und Proteinbildung (so genannte Pro- teomics) sowie die Genidentifizierung in Tiermodellen eine funktionsnähere Abgrenzung von Kandidatengenen möglich machen.

Kopplungsuntersuchungen

Seit Mitte der 1980er Jahre werden mit- hilfe genetischer Marker bei affektiven und schizophrenen Störungen Kopp- lungsuntersuchungen durchgeführt. Der Wert der ersten Studien lag weniger in ihren Resultaten als mehr in der Er- kenntnis methodischer und konzeptuel- ler Schwächen bei der Anwendung klas- sischer, für die Untersuchung monoge- ner Merkmale bestimmter Methoden auf genetisch komplexe Erkrankungen.

Mithilfe neu entwickelter Methoden ist es in den letzten Jahren jedoch gelun- gen, chromosomale Regionen einzu- grenzen, in denen sich mit hoher Wahr- scheinlichkeit Dispositionsgene befin- den. Allerdings gibt es keine Region, die konsistent in allen Studien nachge- wiesen werden konnte. Dies dürfte ei- nerseits die große Zahl der beteiligten Gene widerspiegeln (Locus-Heteroge- nität), andererseits die Variabilität der einzelnen Studien hinsichtlich der Phä- notypdefinition, Stichprobengröße und Dichte und Art der verwendeten geneti- schen Marker.

Für die schizophrenen und bipolaren Störungen sind Metaanalysen veröf- fentlicht worden, die alle bis dahin durchgeführten systematischen Kopp- lungsuntersuchungen (Genom-Scans) zusammenfassen (3, 14, 21). Die Meta- analysen schlagen eine Reihe von chro- mosomalen Regionen vor, in denen sehr wahrscheinlich Krankheitsgene liegen (Grafik). Interessanterweise gibt es zwischen den Regionen für schizo- phrene und bipolar affektive Störungen gewisse Überlappungen. Dies könnte darauf hindeuten, dass es Gene gibt, die einen Beitrag zu beiden Störungen leisten. Bei unipolar depressiven Stö- rungen ist wegen der kleinen Zahl be- richteter Kopplungsuntersuchungen bis- lang noch keine Metaanalyse durchge- führt worden.

Identifizierung von Genen

Einen großen Fortschritt in der Auf- klärung der schizophrenen Störungen stellt die Identifizierung des auf Chromo- som 6 (Region 6p22.3) gelegenen Dys- bindin-Gens und des auf Chromosom 8 (Region 8p12-p21) gelegenen Neuregu- lin-1-Gens dar. Die Gene wurden in chromosomalen Regionen identifiziert, die zunächst mithilfe von Kopplungsun- tersuchungen festgestellt worden waren.

Die Untersuchung eines großen Kol- lektivs irischer Familien führte zur Identifizierung des Dysbindin-Gens (24). Dysbindin ist im Gehirn in prä- synaptischen Nervenendungen lokali- siert. Mögliche Funktionen schließen eine Rolle in der Synapsenbildung so- wie der Signaltransduktion ein (4, 24).

Basierend auf einer systematischen Erfassung großer Teile der isländischen Population, gelang der Firma deCODE genetics in Zusammenarbeit mit islän- dischen Psychiatern die Identifizierung des Neuregulin-1-Gens (22). Neuregu- lin beeinflusst die glutamaterge Neuro- transmission, spielt eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Glia- und Ner- venzellen und trägt wahrscheinlich zur synaptischen Plastizität bei (5, 22). Ge- netisch veränderte Mäuse, die vermin- dert Neuregulin bilden, zeigen Verhal- tensänderungen, die teilweise durch Gabe des atypischen Antipsychotikums Clozapin reversibel sind (22).

Im Unterschied zu den widersprüchli- chen Ergebnissen der erwähnten Kandi- datengenuntersuchungen konnte die Bedeutung der Dysbindin- und Neure- gulin-1-Gene in unabhängigen Studien weitgehend bestätigt werden (20, 23, 25–27). Die genauen Varianten in der DNA-Sequenz, die über eine veränderte Proteinfunktion oder Genexpression die Disposition zur Erkrankung bewirken, sind allerdings noch nicht gefunden.

Auf Chromosom 13 (Region 13q33) konnte der Locus DAOA/G30 sowohl mit schizophrenen als auch mit bipola- ren Störungen assoziiert werden (7,19).

Das an diesem Locus kodierte Gen ist allerdings noch nicht zweifelsfrei fest- gestellt.

Ausblick

Mit der Identifizierung der ersten krank- heitsassoziierten Gene ist der psychiatri- schen Genetik ein wichtiger Schritt ge- lungen.Was kann man in der Zukunft er- warten? Bei allen genetisch komplexen Krankheiten werden einzelne Genvari- anten immer nur eine sehr begrenzte Er- klärung für einen Phänotyp liefern kön- nen. Anders als bei den monogen erbli-

chen Krankheiten, deren Phänotyp na- hezu ganz durch die Mutation in einem Gen erklärt werden kann, liegt genetisch komplexen Krankheiten ein Muster dis- ponierender Genotypen zugrunde. Dies gilt sicher auch für psychiatrische Störun- gen. Trotz der großen Probleme bei der Umsetzung des theoretischen Konzepts in die wissenschaftliche Praxis wird der allgemeine Fortschritt in der molekula- ren Humangenetik zu einer Beschleuni- gung der weiteren Entwicklung führen.

Bei Genen mit moderaten Effekten hängt der Erfolg der Bemühungen zur Genidentifizierung ganz entscheidend von der Größe der Untersuchungskol- lektive ab. Weltweit gibt es vielfältige Bemühungen, durch kollaborative An- sätze Zugang zu größeren Kollektiven zu bekommen: sowohl retrospektiv ange- legte Metaanalysen, die allerdings den Nachteil eines erheblichen Informations- verlustes wegen der nicht immer vorhan- denen Vergleichbarkeit der Studien in Bezug auf Phänotypdefinition, Auswahl der genetischen Marker et cetera haben, als auch prospektive multizentrische Stu- A

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´ TabelleCC´

Wiederholungsrisiko für Verwandte von Patienten*

Wiederholungsrisko für Kozwilling Kozwilling Verwandter Allgemein-

Eineiig Zweieiig 1. Grades bevölkerung

Schizophrenie 40–65 0–30 5–10 0,5–1,0

Bipolare Störung 40–70 0–10 5–10 0,5–1,5

* mit einer bipolaren oder schizophrenen Störung im Vergleich zu dem Risiko in der Allgemeinbevölkerung; Angaben in Prozent

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dien, die bei hinlänglichem Umfang in der Lage sein werden, auch Gene mit kleinem Beitrag zu identifizieren.

Bei genetisch komplexen Krankhei- ten gibt es eine Reihe von Beispielen, in denen klinische Merkmale hilfreich ge- wesen sind, ätiologisch homogenere Krankheitssubgruppen zu definieren (zum Beispiel frühes Erkrankungsalter bei den monogenen Formen der Alzhei- mer-Krankheit oder des erblichen Brust- /Eierstockkrebses). Ähnliche Bemühun- gen gibt es auch bei den affektiven und schizophrenen Störungen, wobei die sy- stematische Berücksichtigung dieser kli- nischen Parameter erst in den Anfängen steckt. Eine ätiologische Homogenisie- rung erhofft man sich auch von der Un- tersuchung von Endophänotypen. Diese stellen den klinischen Symptomen unter- liegende Prozesse dar, von denen ein en- gerer, unmittelbarerer Zusammenhang mit Genfunktionen erwartet wird. Be- sonders für die schizophrenen Störungen ist eine Reihe von möglichen Endophä- notypen vorgeschlagen worden, unter anderem anatomische, neurophysiologi- sche und kognitive Störungskorrelate, die sich auch bei gesunden Angehörigen gehäuft finden (11).

Bislang basieren die psychiatrischen Diagnosen weitgehend auf der Feststel- lung klinischer Symptome. Durch die Kenntnis der beitragenden Gene wer- den möglicherweise ätiologische Me- chanismen in diagnostischen Konzepten berücksichtigt werden können. Die dia- gnostische Aussagekraft einer einzelnen Genvariante wird allerdings immer be- grenzt sein, und auch bei Kenntnis aller beitragenden Gene wird die diagnosti- sche Aussagekraft nie über den gesamt- genetischen Beitrag an der Entstehung der Erkrankung hinausgehen. Die Höhe der Konkordanzrate eineiiger Zwillinge ist ein anschauliches Maß für diesen Beitrag. Sollten krankheitsassoziierte Gene auch zum individuellen Anspre- chen auf Medikamente und dem Auftre- ten von Nebenwirkungen beitragen (Pharmakogenetik), könnte sich hieraus eine sinnvolle Anwendung in der Praxis ergeben.

Mit der Identifizierung der Krank- heitsgene wird auch die Grundlage für ein besseres Verständnis für Genotyp- Umwelt-Interaktionen gelegt werden.

Welcher Art diese Interaktionen sein

werden, ist noch unbekannt. Möglicher- weise beruhen viele Genotyp-Umwelt- Interaktionen auf additiven Effekten, komplexere Interaktionen sind aber ebenfalls denkbar. So ist es möglich, dass genetische Faktoren die Empfindlichkeit gegenüber Umwelteinflüssen sowie das Expositionsverhalten beeinflussen kön- nen.

Der wichtigste Beitrag der molekula- ren Genetik psychischer Störungen wird in den Erkenntnissen über die biologi- schen Grundlagen der Erkrankungen liegen. Das Verständnis der pathophy- siologischen Mechanismen wird die Ba- sis für die Entwicklung neuer medika- mentöser Behandlungsstrategien mit neuartigen Wirkmechanismen sein. Die- se Perspektive ist besonders bedeutsam, da die bisherigen Therapieansätze bei psychischen Störungen nur unzulängli- che Wirksamkeit zeigen. Repräsentative Befragungen in Deutschland belegen, dass die Betroffenen und die allgemeine Öffentlichkeit große Erwartungen mit der molekularen Erforschung psychia- trischer Störungen verbinden. Gleichzei-

tig mahnen sie zum vorsichtigen Um- gang mit genetischen Daten (12). Die Befragungen zeigen allerdings auch, dass häufig sowohl Chancen als auch Ri- siken überschätzt werden, und weisen damit auf die Notwendigkeit einer sach- gerechten Aufklärung hin.

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskript eingereicht: 2. 4. 2004, revidierte Fassung angenommen: 19. 5. 2004

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2004; 101: A 3343–3347 [Heft 49]

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 493. Dezember 2004 AA3347

Schematische Darstellung der chromosomalen Regionen mit positiven Kopplungshinweisen für bipolar affektive und schizophrene Störungen (nach 3, 14, 21). Die Lage des Dysbindin-Gens

Œ

Œ, des Neuregulin 1-Gens und des DAOA/G30 Lokus ŽŽsind eingezeichnet.

Grafik

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit4904 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Markus M. Nöthen Department of Genomics

Life & Brain Center Universitätsklinikum Bonn Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn

E-Mail: markus.noethen@uni-bonn.de

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Literaturverzeichnis Heft 49/2004:

Psychiatrische Genetik

Fortschritte in der

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Referenzen

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