Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 44|
2. November 2012 757M E D I Z I N
DISKUSSION
Keine Standardbiopsie
Es gibt immer wieder Berichte von zuvor „fast gesun- den Patienten“, die einer Endomyokardbiopsie – aus welchen Überlegungen auch immer – unterzogen wur- den und danach an einer Perikardtamponade mit Kom- plikationen starben. Das Risiko eines tödlichen Zwi- schenfalls beträgt etwa 0,1 (1) bis 0,03 % (2), das einer Perikardtamponade 0,42 %. Bestimmte Erkrankun- gen sind in der Regel keine Indikation für eine Myo- kardbiopsie: zum Beispiel Vorhofflimmern ohne An- halt für eine entzündliche Herzerkrankung sowie blan- de Rhythmusstörungen (Extrasystolie bei uneinge- schränkter Herzfunktion) beziehungsweise Reentry- Tachykardien, die ihre Ursache in einer zusätzlichen Leitungsbahn haben und nie entzündlich bedingt sind. Bei Verdacht auf Myokarditis mit uneinge- schränkter Herzfunktion ist die Myokardbiopsie nur mit größter Zurückhaltung indiziert. Der Artikel bleibt in den klinischen Kernaussagen auch deshalb zu eu- phorisch, weil letztlich nur einige wenige Entzündun- gen ursächlich behandelbar sind (zum Beispiel die Rie- senzellmyokarditis), viele Myokarditiden heilen in der Regel spontan aus. Patienten mit uncharakteristischen Beschwerden und blanden Erkrankungen sollten nicht standardmäßig biopsiert werden, da diese Patienten un- nötigen Risiken ausgesetzt und zudem unnötige Kosten verursacht werden. Für eine Übersichtsarbeit, die ei- nem breiten Ärztespektrum zugänglich ist, würde ich mir eine kritischere Bewertung der Methode wünschen.
DOI: 10.3238/arztebl.2012.0757a
LITERATUR
1. Murphey JG, et al.: Endomyocardial biopsy in myocarditis Chapter 15. http://myocarditisfoundation.org/pdfs/From-Bench-to- Bedside-chapter-15.pdf
2. Cooper LT: Endomyocardial biopsy. www.uptodate.com/contents/
endomyocardial-biopsy?source=search_result&search=endomyo- cardial+biopsy&selectedTitle=1~9. Last accessed on 22.October 2012.
3. Kühl U, Schultheiss HP: Myocarditis—elderly biopsy allows for tailored regenerative treatment. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(20):
361–8.
Dr. med. Mathias Brinschwitz Facharzt für Innere Medizin, Marburg privat@praxis-dr-brinschwitz.de
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Therapieempfehlungen unspezifisch
Weil das Problem der Differenzialdiagnostik und -thera- pie einer Myokarditis zu den anspruchsvollsten internisti- schen Aufgaben gehört, wird der Wert der Myokardbiop- sie häufig unterschätzt. Neben der vollen Unterstützung der Autoren in diesem Punkt sind aus klinisch-immunolo- gischer Sicht aber noch einige Anmerkungen notwendig:
Um das im Beitrag benannte Ziel einer eindeutigen Erkrankungszuordnung zu erreichen, muss bereits jeder Verdacht auf eine nicht primär infektiös oder toxisch bedingte Myokarditis zwingend auch die spezifische Diagnostik einer immunologisch-rheumatologischen Er- krankung nach sich ziehen.
Sollte eine systemisch-immunologische Erkrankung statt einer reinen Myokarditis vorliegen, ändert sich das Therapieregime sofort entsprechend der für diese Erkran- kungen geltenden Empfehlungen, da dann dieser syste- mische Aspekt therapeutisch in den Vordergrund rückt.
Es ist auch zu erwarten, dass nach der hier vorgeschlage- nen (Mindest-)Therapiedauer von sechs Monaten bei au- toimmunen Myokarditiden umgehend wieder ein mögli- cherweise (vermeidbarer) Schub der zugrunde liegenden Erkrankung erfolgen kann. Erfreulicherweise steht für diese oligosymptomatischen, aber in ihrer Grundanlage systemischen immunologischen Erkrankungen dann ein deutlich größeres Therapierepertoire zur Verfügung.
Die in den Tabellen aufgeführten Hinweise können auch für die tägliche Praxis konkreter benannt werden, entsprechend der TIMIC-Studie sollte deshalb nicht
„Kortison“ oder „Methylprednisolon“ angegeben werden sondern eine definierte Dosis an Prednisolonäquivalent (wofür im Übrigen nicht automatisch eine Gastroprotek- tion mit PPIs notwendig ist und Kalzium inzwischen als obsolet gilt). Eine Erhaltungsdosis von > 5 mg Predniso- lonäquivalent zeichnet in der Regel auch für ein nicht ausreichendes Ausschöpfen der immunsuppressiven Möglichkeiten. Auch sollte darauf hingewiesen werden, dass einige in den Tabellen nicht genannte Risikofakto- ren ebenfalls beachtet werden sollten, zum Beispiel Me- salazin als Auslöser einer Myokarditis, aber auch Routi- neimpfungen gegen Windpocken und Diphterie/Tetanus.
DOI: 10.3238/arztebl.2012.0757b
LITERATUR
1. Peter HH, Pichler W, Müller-Ladner U (eds.): Klinische Immunologie.
München: Elsevier Verlag 2012.
2. Kindermann I, Barth C, Mahfoud F, et al.: Update on myocarditis.
J Am Coll Cardiol 2012; 59: 779–92.
3. Sagar S, Liu PP, Cooper LT Jr: Myocarditis. Lancet 2012; 379:
738–47.
4. Kühl U, Schultheiss HP: Myocarditis—elderly biopsy allows for tail - ored regenerative treatment. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(20): 361–8.
Prof. Dr. med. Ulf Müller-Ladner
Justus-Liebig-Universität Gießen, u.mueller-ladner@kerckhoff-klinik.de
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
zu dem Beitrag
Myokarditis – Frühzeitige Biopsie ermöglicht differenzierte regenerative Therapie
von Dr. rer. nat. Uwe Kühl, Prof. Dr. med. Heinz-Peter Schultheiss in Heft 20/2012