Zur Frage der Spirantisation der Verschlußlaute
in den semitischen Sprachen
Von Konstantin Tsereteli, Tiflis
1. In den klassischen nordsemitischen Sprachen (Hebräisch, Aramä¬
isch) wirkte ein phonetisches Gesetz, nach dem die labialen, dentalen
und velaren Verschlußlaute (bgdkpt) nach Vokalen spirantisiert wur¬
den und sich in die entsprechenden Reibelaute (v g d h f t) verwandel¬
ten. Diesem Gesetz wurden andere im Hebräischen und Aramäischen
existierende Verschlußlaute nicht unterworfen, nämhch Sonore (r Imn),
Glottale und Pharyngale ('') und die sogenannten glottalisierten und
pharyngahsierten Verschlußlaute (t qp). Es ist erwähnenswert, daß die
obengenannten Spiranten nur in diesem FaUe (d.h. in postvokahscher
Position) statt der Verschlußlaute vorkommen und also keinen pho¬
nemischen Wert wie etwa im Arabischen besaßen, wo alle genarmten
Reibelaute (g d hf t) mit Ausnahme von v Phoneme sind. Folghch sind
diese Spiranten in der hebräischen und aramäischen Sprache die stel-
lungsbcdingten Varianten der Verschlußlaute, ihre Allophone. Deshalb
konnte ein und dieselbe konsonantische Wurzel wegen der verschiedenen
Vokahsation, die durch die Flexion des Wortes verinsacht war, bald
einen Verschlußlaut und bald anstelle dessen den entsprechenden Rei¬
belaut aufweisen. Vgl. hebr. meleh „König", aber malki „mein König"
> ]/mZfc (k'^h = jkj), syr. k^tav „er hat geschrieben", aber kdtbat „sie
hat geschrieben" > ^ktb (6 = /6/) u. dgl.
2. In den modernen nordsemitischen Sprachen ist die Wirkung des
Spirantisationsgesetzes eingeschränkt: im Aramäischen wirkt es nicht
mehr; im modernen Hebräisch existiert diese Lautverschiebung zwar
noch, betrifft aber nur noch drei von sechs Verschlußlauten : ö ~ w =
/6/, k ^h = jkj, pr-'i = IpI (s.u.). Die Spirantisierung eines anlau¬
tenden Verschlußlautes infolge des vokahschen Auslautes des vorher¬
gehenden Wortes, wie sie im Althebräischen übhch war, findet dabei
jedoch lücht mehr statt. Dennoch sind die Spuren der Spirantisation
auch im modernen Aramäisch zu erkennen: in bestimmten Wurzeln
(oder Wörtern) stehen statt der Verschlußlaute Reibelaute, die sich
jedoch nicht mehr imter dem Einfluß ihrer SteUung in Verschlußlaute
16 ZDMG 130/2
208 Konstantin Tsebbteli
verwandeln. Ein Reibelaut, der einst durch die Stellung des Verschlu߬
lautes verursacht wurde, ist jetzt stabil geworden und wird den Stel¬
lungsänderungen nicht mehr untergeordnet. So z.B. zvini „er hat ge¬
kauft" < zbin-lih (urm.), aber „gesetzmäßig" zävin „erkauft" < zäbin.
Daneben haben wir zähm (mit dem Verschlußlaut 6!), das eine andere
Bedeutung hat: „er verkauft".
3. Aus dem Gesagten ist klar, daß im Hebräischen und Aramäischen
der klassischen Zeit infolge des phonetischen Gesetzes der Spirantisation
zwei allophonische Systeme bestimmter Phoneme existierten: Ver¬
schluß- und Reibelaute. Die Erforschung der Entwicklung und Wechsel¬
beziehung dieser Systeme unter geschichthchem Aspekt ist ein wichtiger
Teü der diachronischen Betrachtung der nordsemitischen Sprachen. Da¬
für ist erforderhch : 1) Untersuchung der Texte einer gegebenen Sprache ;
Feststellung, wie sich diese sprachhche Erscheinung in hebräisch und
aramäisch geschriebenen Texten wiederspiegelt; 2) Was zeigen uns alte
fremdsprachige Transkriptionen hebräischer und aramäischer Wörter;
3) Wie spiegelt sich die Spirantisation der Verschlußlaute beim Lesen
der altsemitischen (hebr., syrischen) Texte heute wieder. Wie sieht die
bis in unsere Gegenwart erhaltene Lesetradition aus. Diese Überliefe¬
rungen haben für das Erlernen der heutigen hebräischen Aussprache be¬
sondere Bedeutung, weh die hebräische Sprache jahrhundertelang keine
lebende Sprache war und die lebende und gesprochene Sprache erst
auf Grund dieser Überheferung gebildet wurde.
Das Ziel des vorhegenden Artikels ist nicht die Klärung der obenge¬
nannten Probleme (das überlassen wir einer späteren Arbeit) sondern
che Untersuchung der Frage, zu welchen Ergebnissen die Spiranti¬
sierung der Verschlußlaute im modernen Hebräischen und Aramäischen
geführt hat, und welche Wechselbeziehung zwischen den Verschluß-
und Reibelautsystemen bestehen.
4. Im Hebräischen vor der Entstehung des sog. Israelischen He¬
bräisch, unterschied man zwei Aussprachen, oder besser gesagt zwei
Haupttraditionen beim Lesen des hebräischen Textes : die aschkenasische
(Aussprache der europäischen Hebräer) und die sephardische (Ausspra¬
che der im Osten und in den Mittelmeerländem lebenden Hebräer). Im
,, offizieUen" modernen Hebräischen (d.h. in der Sprache Israels), das
auf der sephardischen Aussprache beruht, finden wir von den sechs
spirantischen Varianten der Verschlußlaute (bgdkpt) nur drei. Es
sind dies die labialen Reibelaute, stimmhaftes v und stimmloses /, die
che Allophone der entsprechenden Verschlußlaute, stimmhaftes b und
stimmloses p, darstellen, femer der stimmlose velare Reibelaut h, der
Spirantisation der Versolilußlaute im Semitischen 209
aus k entstanden ist^. Auf diese Weise sind im modernen Hebräisch
jbj IpI jkl so repräsentiert: /&/: [b] und [v], /p/: [p] und [f], /Ä;/: [k] und [h]. So z.B. &eb b'baqaSd I1I3HB 6e-BaKaillä! (russische Umschreibung)
„bitte setzt dich!"^, aber 6aKamä (baqaSd) „Bitte".
Es ist interessant, daß die Hebräer auch heute noch für den Ver¬
schlußlaut und seine stellungsbedüigte Variante einen Buchstaben ver¬
wenden, den sie beim zweierlei Lesen durch das zusätzliche Zeichen
,, Dagesch" unterscheiden: 3 (Buchstahe mit dem Pünktchen) = b,
und ohne dieses Pünktchen 3 = v ; 3 = k, aber 3 = A ; B = p, und
D = /. Die übrigen drei Verschlußlaute, dentales d und t sowie velares
g bleiben in aUen Stellungen Verschlußlaute*, obwohl sie in der alt¬
hehräischen Aussprache gleichfalls die spirantischen Varianten d, t
und g haben. Deshalb wird Dagesch bei den genannten Buchstaben d, t,
und g nicht mehr gebraucht: 1, D, i (während im Althehräischen die
letzteren als Reibelaute gelesen wurden, mit Dagesch — 1, 3 — je¬
doch als Verschlußlaute).
Beachtenswert ist, daß die Lesetradition der georgischen Hebräer
auch eine spirantische Aussprache von g (= georg. g) unterscheidet
und deshalb der althehräischen Aussprache näher steht, wenngleich die
alten spirantisierten Labiale hier Verschlußlaute bleiben.
Die heutige Aussprache der Aschkenasen fällt mit der sephardischen
zusammen (b und v, p und /, k und h) ; zusätzhch wird hier t in postvo¬
kahscher Stellung als Reibelaut s gesprochen (statt des althehräischen
Konsonanten t).
Wenn wir die Aussprache aller Hebräer (einschheßlich der Aschkena¬
sen und der georgischen Hebräer) berücksichtigen, würde die Reah-
sierung der Verschlußlaute der Gruppe „B^gadk^pat" so aussehen:
b r^v, p f, g r-^g, < ~ 5, k r~-^h. Ein spirantisches Allophon von d
(althebr. d) kommt nicht mehr vor, der Verschlußlaut d ist in allen
Stellungen fest geworden. Wenn wir nach dem Gesagten die Konso-
nantenallophone (Verschluß- und Reibelaute) der Gruppe „B^gadk^fat"
für das moderne Hebräisch in ein einziges System einordnen, sieht dies
so aus:
Verschlußlaute Reibelaute
hp V f
dt - «
g k g b
(Die Leerstelle bei den Reibelauten wird m der Sprache durch den Ver¬
schlußlaut d ergänzt).
1 H. Simon : Lehrhitch der modemen hebräischen Sprache. Leipzig 1970, S. 18.
2 o'''7j?n .3"'3N-'?n i963, s. 2.
' R. Meyeb: Hebräische Orammatik. 1. Berlin 1966, S. 45.
18»
-itafea
210 Konstantin TsEBBTBiii
Wenn wir aber die Konsonantenlage nach den einzehien hebräischen
Traditionen beobachten, so ergibt sich folgendes BUd:
Aschkenasisch
Verschlußlaute Reibelaute
bp V f
dt - s
g k - b
Sephardisch
Verschlußlaute Reibelaute
bp V f
dt - -
9 ^ - b
Georg. Hebr.
Verschlußlaute Reibelaute
bp - -
dt - -
9 k ^ h
So ist heute das System der Verschlußlaute im Hebräischen stabil
und für alle Traditionen identisch. Für das uns interessierende Reibe¬
lautsystem aber unterscheiden sich diese Traditionen. Am vollstän¬
digsten ist das aschkenasische System, in dem nur die dentalen und
velaren Stimmhaften {d und g) fehlen; fast dasselbe wiederholt sich
hei der sephardischen Aussprache (hier fehlt auch der stimmlose den¬
tale Reibelaut). In diesen beiden Traditionen haben sich die labialen
Reibelaute (v und /) und der velare stimmlose Reibelaut h als ,, stark"
erwiesen. In der Aussprache der georgischen Hebräer haben sich nur
die Velare als stabU erwiesen, hierzu gehört auch der stimmhafte ve¬
lare Reibelaut (g). Alle anderen Reibelaute sind verlorengegangen (im
Sprechen haben die entsprechenden Verschlußlaute ihre Stelle einge¬
nommen).
5. Im modernen Aramäisch gibt es, wie oben schon bemerkt, im
Gegensatz zum modernen Hebräisch die stellungsbedingten Varianten
(Verschluß- und Reibelaute) der Konsonanten b d g k pt nicht mehr.
Abgesehen davon aber finden wir im modernen Aramäischen (im allge¬
meinen, wenn wir alle Mundarten berücksichtigen), neben den Verschlu߬
lauten (bgdkpt) alle entsprechenden Reibelaute ■ v g d h f t. Aber
nicht alle diese Konsonanten kommen in jeder aramäischen Mundart
vor. Dadurch unterscheiden sich die Mundarten voneinander, und wir
können von dem jeweihgen Verschluß- oder Reibelautsystem sprechen,
das eine beliebige aramäische Mundart kennzeichnet. Wir wollen im
folgenden die Dialekte unter diesem für uns interessanten Gesichts¬
punkt betrachten.
5.1. Im Türöyö (Tür-'Abdin-Mundart) sind aUe Reibelaute der Reihe
,,B3gadk3pat" zu finden: vfdtgh, die hier nicht die Verschlußlaut-
Spirantisation der Versolilußlaute im Semitisehen 211
allophone, sondern Phoneme repräsentieren*. Natürhch smd auch die
Verschlußlaute der erwähnten Gruppe als Phoneme erhalten, von denen
in dieser Mundart fünf vorkommen : h d t g k. Daß die obengenannten
Reibelaute bis zum heutigen Tage in postvokahscher Stellung, in der
im Altaramäischen spirantisierte Konsonanten standen, in den nomi¬
nalen Stämmen erhalten geblieben sind, muß man als die Spuren der
alten Verschlußlautspirantisierung betrachten: hritq „Welt", sövo „alt", raglo ,,Fuß", rakiho ,, weich" (< rakkikä) usw. Bei den Verben ist dies
schwerer zu erkennen, weil die Wurzelkonsonanten ungeachtet der
Stellung in allen Formen ohne Veränderung bleiben.
Von den Vei-schlußlauten kommt hier der stimmlose Labial p mcht
vor, da er überall durch den Reibelaut / ersetzt ist. Auf diese Weise
haben wir folgende Systeme der Verschluß- und Reibelaute:
Verschlußlaute Reibelaute
h - V f
dt dt
g k g h
Man sieht, daß das ganze System der Reibelaute gut erhalten ist.
Hier smd die Reihen sowohl der stimmhaften als auch der stimmlosen
Konsonanten vollständig, wälirend das System der Verschlußlaute un¬
vollständig ist (p > /).
5.2. Im Ostaramäischen finden wir folgende Dreiergruppe der Ver¬
schlußlaute (stimmhafte, stimmlos-aspirierte, stimmlos-ejektive) :
b p p
d t t
g k k
Von diesen Verschlußlauten wurden aber nur die stimmhaften und
die aspuierten Konsonanten spirantisiert. Insofern wird hier nur von
diesen beiden Reihen die Rede seüi:
b p
d t
9 k
Dieses ganze System der Verschlußlaute ist in aUen östhchen Dialek¬
ten (Sürt, Urmia, Mosul, Tiari usw.) vollständig erhalten. Im Hinblick
auf das System der entsprechenden Reibelaute sieht es allerdings anders
aus, man bemerkt zwischen den Dialekten gewisse Differenzen:
* O. Jastrow: Laid- und Formenlehre dea neuaramäisehen Dialekts von
Midin im Tür 'Abdin. (Diss.) Bamberg 1967, S. 1.
212 Konstantin Tsebbteli
Sürt Tiari, Mosul Zacho Urmia
V - V - V V
- h
d t
9 b
z
9 b
s
9 b
Am vollständigsten ist das Reibelautsystem in den Bergdialekten
(Tiari, Mosul) und in der Mimdart der Hebräer von Zacho erhalten (in
beiden Fällen fehlt nur der labio-dentale stimmlose Reibelaut /, was
für alle ostaramäischen Mundarten kennzeichnend ist), aus anderen
Mundarten (Urmia, Sürt) verschwinden zusätzlich auch die dentalen
Reibelaute, und in der siirtischen Mundart fällt sogar der stimmhafte
velare Reibelaut g aus. Im Sprechen treten an die Stelle der verschwun¬
denen Reibelaute die entsprechenden Verschlußlaute.
5.3. Im Westaramäischen (Ma'lüla) haben im Verschluß- und Rei¬
belautsystem im Vergleich zum Altaramäischen große Veränderungen
stattgefunden. Sie bestehen im Stimmloswerden der stimmhaften Ver¬
schlußlaute (mit Ausnahme von 6) und im Verschwinden der stimmlosen
Verschlußlaute (mit Ausnahme von k). Die stimmhaften Verschlußlaute
d (dental) und g (velar) finden sich nur in nicht aramäisierten Lehn¬
wörtern; ansonsten sind sie entweder durch die entsprechenden stimm¬
haften Reibelaute d und g (im Anlaut) oder durch die entsprechenden
stimmlosen Verschlußlaute f, k ersetzt werden, z.B.:
d: deba ,,Wolf" (< debä), aber
gelta „Leder" (< gelda);
g: ganna ,, Garten" (< gannä), aber
telka ,, Schnee" (< telgä).
Dasselbe geschieht mit verdoppelten Stimmhaften: akköra „flaches
Dach" < 'eggörä (vgl. urm. gari). Unter den stimmhaften Verschlu߬
lauten bildet der Labial b eine Ausnahme, da er am Anfang des Wortes
als Verschlußlaut erhalten geblieben ist {besra ,, Fleisch"), obwohl er
im In- und Auslaut genauso wie die anderen stimmhaften Verschlu߬
laute stimmlos geworden ist (> p: kalpa ,,Hund" < kalbä; ebenso
verdoppeltes bb > pp: leppa ,,Herz" < lebbä).
Es wurde schon gesagt, daß von den alten stimmlosen Verschlu߬
lauten nur k in Ma'lüla erhalten ist, t und p hingegen sind zu 6 und /
verschoben worden: malka ,, König" < malkä; aber tarii „zwei" <
tarten (tt > 66: haiia „neu" < hattä), qelfa „Schale" < qilpä (pp > ff:
affeq ,, hinausführen, herausnehmen" < appeq, '^npq).
Auf diese Weise würde das Verschlußlautsystem von Ma'lüla so aus¬
sehen:
Spirantisation der Verschilußlaute im Semitischen 213
- t
- k
b p Hb p'
d t
jg k
Was das Reibelautsystem betrüft, so ist zu bemerken, daß spiranti-
siertes b (v) hier nicht vorkommt, statt dessen tritt der Verschlußlaut
b auf (debSa ,, Honig" <debSä). In Ma'lüla ist also hauptsächhch das
alte System der spirantischen Allophone erhalten, aus dem sich das
folgende phonemische Reibelautsystem entwickelt hat:
igofna ,, Weintraube", ahhad ,,ein8", mita „tot", falleg ,, teilen", behya ,, Weinen").
Wie wir sehen, ist im Westaramäischen auch das Reibelautsystem
unvollständig (es fehlt der stimmhafte Labiodental v), aber dieses Sy¬
stem ist voUzähhger als das Verschlußlautsystem (im Gegensatz zum
Ostaramäischen). Es ist beachtenswert, daß sich in diesem Dialekt die
Stimmhaften d g v ,, schwach" gezeigt haben, deren Platz ün Sprechen
ihre stimmlosen Korrelate (t k f), die „stärkeren" Konsonanten einge¬
nommen haben; die Reihe der letzteren ist sowohl im Verschluß- als
auch im Reibelautsystem voUzähhg. Dies ist für das phonologische
System des Westaramäischen kennzeichnend und ein wesentliches Struk¬
turmerkmal im Unterschied zum Ost aramäischen.
6. Eine phonologische Untersuchung der modernen aramäischen Dia¬
lekte zeigt, daß in den Ostdialekten das aramäische Verschlußlautsy¬
stem gut erhalten ist, während das Reibelautsystem, das nach der Pho¬
nemisierung der alten Allophone entstanden ist, unvollzähhg ist. Am
schwächsten hat sich hier der stimmlose labiale Reibelaut / gezeigt, der
nicht Phonem sein kann; am „stärksten" ist der stimmlose Velar A/A
(in aUen Mundarten zu finden!); der stimmhafte Velar g ist gut erhalten
(außer Sürt in allen Dialekten, obwohl er teilweise nur sporadisch vor¬
kommt). Weniger standhaft sind d und t, die in einem Teil der Ostdia¬
lekte manchmal als z und s erhalten smd (Zacho). Stark unterscheidet
sich von den Ostdialekten Ma'lüla, wo gerade das Verschlußlautsystem
besonders unvollständig ist, wie wir oben gesehen haben. Im Hinbhck
auf die Vollzähhgkeit dieser Systeme hat, wie zu erwarten war, Türöyö
eine mittlere Position zwischen West- imd Ostdialekten eingenommen.
Auch in diesem Punkt bestätigt sich also die Klassifikation der neu-
- /
d t
g k
*Vb p'
d t
J k_
214 KONSTANTIK TSEBETBLI
aramäischen Dialekte, die wir bei einer früheren Gelegenheit vorge¬
stellt haben^.
7. Das Verlorengehen des Spirantisationsgesetzes im Neuaramäisehen
bewhkte den Übergang der Reibelautallophone zu Phonemen. Der
Wechsel zwischen Verschluß- und Reibelauten hat aufgehört: die Stel¬
lung kann einen Verschlußlaut nicht zum Reibelaut machen und um¬
gekehrt. Es haben sich Dubletten mit verschiedenen Bedeutungen her¬
ausgebildet, in denen die Verschlußlaute und die entsprechenden Rei¬
belaute der Reihe ,,B8gadk3pat" distinktive Funktion haben: urm.
zävin „er kauft" und zäbin „er verkauft" (< ]/z6«), bärik ,,er kniet"
und bärih ,,er segnet" (< '\/brk).
Bis jetzt können wir dies nicht über das Hebräische sagen, wo dieser
Prozeß (die Phonemisierung der Allophone infolge des Verlusts des
Spirantisationsgesetzes), offenbar wegen der unterbrochenen Entwick¬
lung der hebräischen Sprache selbst, verhindert war. Die Konsonanten
der Reihe ,,B9gadk3pat" kormten hier nicht zwei Phonemsysteme —
Verschluß- und Reibelautsphoneme — büden. Vielmehr haben wir es
hier mit den Allophonsystemen zu tun, die sich als Folge von zwei
verschiedenen Realisienmgen der Glieder eines Phonemsystems er¬
gaben: dem AUophonsystem der Verschlußlaute und dem AUophonsy-
stem der Reibelaute.
Das Vorangegangene läßt sich mit Hilfe von Tabellen wie folgt zu¬
sammenfassen :
I.
Alte nordwestsemitische Sprachen (Hebr.-Aram.)
Orale Verschlußlaute (Phoneme) In postvokal. Position (Allophone)
stimmhaft stimmlos stimmhaft stimmlos
Labiale Dentale Velare
6 p
d t
£ k_
b iv) p if)
d (z) t (s)
g ig) k (h)
Wir haben es also hier mit zwei Systemen von AUophonen zu tun,
die aus der Realisation der gegebenen Phoneme im Rahmen eines pho¬
nemischen Systems resultieren. Später, als das Gesetz der Verschluß-
lautsphantisation wirkungslos geworden war, haben sich im Aramäischen
aus zwei allophorüschen Systemen zwei phonenüsche Systeme entwickelt ;
im Hebräischen dagegen haben wir wieder mit allophonischen Sy¬
stemen zu tun, obwohl auch sie sich verändert haben.
' K. Tsereteli: Zur Frage der Klassifikation der neuaramäisehen Dia¬
lekte. In: ZDMG 127 (1977), S. 244—253.
Spirantisation der Verschlul31aute im Semitischen 215
n.
Moderne nordwestsemitische Sprachen (Aramäisch)
Verschlußlautphoneme Reibelautphoneme
stimmhaft stimmlos stimmhaft stimmlos
Labiale bp v f
Dentale dt dt
Velare g k 9 b
(Dabei sind alle aramäischen Mundarten berücksichtigt).
8. Fälle von Verschlußlautspirantisation kommen auch in anderen
modernen semitischen Sprachen vor, z.B. in äthiopischen Mundarten,
daranter auch im Amharisehen, beispielsweise b > b > w. nbr > amh.
nöra ,,er stand", *s6' > saiv ,,Mann".' 6 > w ist auch in neuarabischen Dialekten belegt: südarab. lün ,,weiß" < Ibn''; in maghrebinischen Mund¬
arten haben wir außer b > w auch k > h^, aber dieser Wechsel hat
hier überall spontanen Charakter; die Herkunft dieser Erscheinungen
ist verschieden. Aber wo auch immer in den senütischen Sprachen diese
Spirantisation zu beobachten ist und aus welchem Grund auch immer
sie geschieht, eines ist vollkommen klar: nicht jeder Verschlußlaut
nimmt an der Spirantisierang teil — weder Sonore (r l m n) noch glottale
und pharyngale Verschlußlaute (' '), noch glottasüicrte oder pharynga-
hsierte (d.h. ejektive und emphatische) Verschlußlaute (dtqp), ob¬
gleich solche Konsonanten im Neuaramäisehen belegt sind: emphat.
d im Türöyö, emphat. t in Ma'lüla und im Türöyö, ejektives p und t
im Ostaramäischen®. (0. Jastrow weist für das Madwöyo, eine Türöyo-
Mundart, auf die Existenz von zwei AUophonen von stimmhaftem
emphatischem d hin: Verschlußlaut [d] und Reibelaut [^], die frei
varüeren)'". Wenn ein Verschlußlautkonsonant pharyngalisert oder glot-
talisiert war, so trat auch früher im Hebräisch-Aramäischen kerne Spi¬
rantisation auf. Solche Konsonanten sind im Althebräisch-Aramäischen
q und t, im Syrischen außerdem p der griechischen Lehnwörter (für
' An Introduction to the Comparative Orammar of the Semitic Languagea.
Ed. by S. Moscati. Wiesbaden 1904, S. 26.
' Ibid.
^ Jrr. V. Zavdovskij : Arabakie dialekty Magriba. Moskau 1962, S.S. 39
und 42.
° Aber in kuschitischen Sprachen ist die Ersetzung der glottalisierten Konsonanten in der nach vokalischen Stellung auch bestätigt: k > h, p > j (neben k > h und p > f) A. B. Dolgopolskij : Sravnitelno-istoriöeskaja
fonetika kusitskich jazykov. Moskau 1973, §§ 77, 71.
" O. Jastbow, Op.cit., S. 4.
216 Konstantin Tsebbteli, Spirantisation der Verschlußlaute
griech. 7t), während in demselben System griechisches 9 als p oder /
(nach Vokal) wiedergegeben wurde'i.
9. Aus dem Obengesagten ergibt sich die Feststellung, daß das im
Nordsemitischen infolge des Spirantisationsgesetzes entstandene Rei¬
belautsystem, ebenso wie das bereits vorhandene System der Verschlu߬
laute, im Grunde genommen die universale phonologische Regel im
Hinbhck auf die Markierung der Phoneme nicht übertritt (stimmhafte
Labiale und stimmlose Velare smd nicht markiert)^^: unter den Ver¬
schlußlauten sind am schwächsten das stimmhafte velare g und das
stimmlose labiale unter den Reibelauten das stimmlose labio-dentale
/ und das stimmhafte velare g; schwach sind auch die interdentalen
Reibelaute d und t. Der Fall Ma'lüla (b statt v) zeigt, daß hier der Ver¬
schlußlaut stärker war als der entsprechende Reibelaut. Insofem kann
diese Tatsache die obenerwähnte Universalregel nicht stören, derzufolge
stimmhafte Labiale stärker sind und schwer verloren gehen.
"1 Vgl. C. Bbockelmann: Syrische Orammatik. 9. Aufl. Leipzig 1962,
S. 21, § 30, Anm. 3.
13 T Y Gamkbblidze : On the Correlation of Stops and Fricatives in a
Phonological System. In: Lingua 35 (1975), S. 231—61.
Verfasser und Titel des dem Gäbiz zugeschriebenen
sog. Kitäb at-Tä§
Von Geegob Schobleb, Gießen
I.
Das dem 'Amr b. Bahr al-öähiz (st. 255/868) zugesclu-iebene sog.
K. at-Tä^ bzw. K.{at-Tä^ fi) ahläq al-mulük („Buch der Krone bezüghch
der Etikette der Körüge")' ist einer der ältesten arabischen Fürsten¬
spiegel. Von den früheren Vertretem dieser verhältnismäßig alten Gat¬
tung der arabischen hterarischen Prosa haben nur noch Ibn al-Muqaf¬
fa's (st. 140/757) K. al-Adab al-kabir (von dem freihch nur der erste Teil
ein ausgesprochener Fürstenspiegel ist) und seine Kalila wa-Dimna-
Bearbeitimg überlebt^.
Bei der hier zur Rede stehenden Schrift handelt es sich, genauer ge¬
sagt, um ein „Brevier für Fürsten und Höflinge"', um ein „didaktisches
Handbuch über die Etikette und das Leben am Hof, eine Abhandlung
über Lebenskunst, che sich ebensowohl an den Herrscher wie an seine
Höfhnge richtet"*, ja, um die Darstellung der „Gesamtheit der Belange
der fürsthchen Lebenskultiu*"*.
Der Herausgeber des arabischen Textes, Ahmad ZakI Pasa, hielt das
„K. at-Tä^" für ein Werk des öähiz. Das ist verständlich, deim die zwei
von ihm in der Hauptsache benutzten Istanbuler Hss. Ayasofya 2827
(undatiert) imd Top Kapi 2417 (adab 133) (ebenfalls undatiert) so¬
wie eine weitere, aus einer Istanbuler Privatbibliothek (IJäh§ Bey)
1 Der arabische Text liegt in einer guten Edition gedruckt vor: al-öähiz:
K. at-Tä§ fi ahläq al-mvlük. [Hrsg.:] Ahmad Zaki Pa§a. Kairo 1322 H. =
1914. (Zaki's ausführliche Einleitung, S. 23—83, wird im folgenden als
„Zaki", das Werk selbst als ,,Pseudo-öähiz" zitiert.) — Übersetzung:
Le livre de la couronne ... Ouvrage attribuö ä öähiz. Traduit par Chables
Pellat. Paris 1954. (Die Einleitung des Übersetzers, S. 7—23, wird im
folgenden als ,, Pellat" zitiert.)
^ Vgl. Gustav Richteb: Studien zur Geschichte der älteren arabischen
Fürstenspiegel. Leipzig 1932. (Leipziger Semitistisehe Studien. N.F. Bd. 3.), S. 4fif.
' Oskae Rescheb : Exeerpte und Übersetzungen aus den Schriften des ...
Öähiz. Teü 1. Stuttgart 1931, S. 266.
« Pellat, S. 8—9. ' Richteb, S. 57.