Die Grundform des hebräischen Artikels.
Von A. Ungnad.
in seinen „Sprachwissenschaftlichen Untersuchungen zum Semi¬
tischen' (Leipzig 1907), S. 49^ verwirft J. Barth die von mir
in der Orient. Litt.-Ztg. 1907, S. 210 ff. gegebene Erklärung des
hebräiscben Artikels, den ich auf ein älteres *han zurückführte,
5 ein Element, das sich im babylonischen Demonstrativadjektiv annü
aus *Äan-»iyM wiederfindet. Diesem Protest hat sich auch Brockel-
mann (Grundriß S. 317^) angeschlossen. Barth erklärt meine
Behauptung — die Verkürzung des hä, das er und Brockelmann
als Grundform annehmen, zu ha + Dagesch bleibe unerklärt — für
10 „fälschlich", da ich das parallele W-na nicht beachte. Das Frage¬
pronomen des Hebräischen ist auch mir nicht unbekannt; indes
sehe ich mich genötigt, aus dem von mir für den Artikel geltend
gemachten Grunde Barth's Erklärung des fiT'na aus *mä-zä als
ebenso falsch zurückzuweisen, wie seine Erklärung des Artikels
15 aus hä.
Auch habe ich niemals nu aus mä entstanden erklärt, wozu
ich bisher auch keine Veranlassung hatte ; vielmehr leite ich nT"nn
aus *man-za ab; jede andere Erklärungi) widerspricht den hebrä¬
ischen Lautgesetzen.
20 Die Ansetzung eines n im Fragepronomen bietet mm in der
Tat nicbts derartig auffälliges, daß man, um es zu eliminieren, neue
Lautgesetze aufstellen muß. Wie Brockelmann (Grundriß S. 326 f.)
ebenfalls anerkennt, muß man als Hauptgrundformen mi und wa
ansetzen , die vielfach durch ein zugefügtes demonstratives n zu
26 min und män erweitert wurden. Durch Verkürzung der langen
Vokale in der nunmehr geschlossenen Silbe entstehen die Formen
min und man, die sich noch zahlreich belegen lassen. Eine ur¬
sprünglich schon beschränkte Bedeutung (so daß etwa mi nur
persönlich, mä nur unpersönlich war) läßt sich nicht feststellen, da
1) Ich bemerke, daß die Erklärung der Verkürzung als durch schnellere Aussprache o. ä. bewirkt, keine Erklärung ist. Dann müßte man erst sichere Fälle nachweisen, in denen eine solche Verkürzung wirklicb auf gedachten Grund zurückgefübrt werden muß.
Ungnad, Die Grundform des hebräischen Artikels. 81
sowohl für die Formen mit i, als auch für die mit a beide Be¬
deutuugeu nachweisbar sind.
Ein n für das unpersönliche Fragepronomen besitzt aucb das
Babylonische {minü) , Amharische (meri), Äthiopische (ment). Daß
dieses min in anderen Dialekten (z. Beisp. im Syrisch-Arabischen 5
und Ägyptisch-Arabischen) persönlicb gebraucht wird, zeigt, daß
die Bedeutungsverschiedenheit des i- und a-Stammes etwas Sekun¬
däres ist. JUeswegen ist es nicht wunderbar, wenn dem hebr. *man
in anderen Sprachen ein man in persönlicher Bedeutung gegenüber¬
steht'). Ebensowenig wie man etwa bei •^z (Präp.) noch einen lo
zweiten Stamm ohne n ansetzen kann, tveil das n meist nicht mehr
erscheint , kann man für ütt eine Form obne n ansetzen , weil n
nicht mehr erkenntlich ist^). Alle Formen, in denen TOO proklitisch erschemt, erklären sich aber aufs beste, wenn mari sie als ursprüng¬
liches *man erklärt. i5
Daß man diese Erklärung bisher nicht beachtet hat, liegt wobl
zum Teil an der Schreibung des ntt mit Tt. Diese ist eigentlich
nur in Pausalformen berechtigt, drang aber auch in proklitische
Formet!■^) ein, da sie eine bequeme und willkommene Möglichkeit
bot, dieses Frage-tt von anderen tt-Präformativen zu unterscheiden. 20
Demnach bietet das Fragewort ntt nicht das geringste Hindernis,
den hebräischen Artikel aus *kan herzuleiten , im Gegenteil : es
fällt die einzige Stütze für die Ableitung des Artikels aus kä. Der
Gleichklang mit dem arabischen hä- in hädä u. a. ist also zufällig
und darf bei der Erklärung der Form nicht täuschen. Unser han 25
ist selbstverständlich mit hä verwandt und dürfte ebenso auf dieses
zurückgehen, wie man auf mä, d. h. an hä ist zunächst das demon¬
strative n getreten, worauf hän*) zu *han verkürzt wurde. Zwei
Formen für dasselbe Pronomen demonstrativum im Semitischen an¬
zunehmen, bietet keine Schwierigkeiten : finden sich ja in denselben so
Dialekten oft zwei Formen nebeneinander, wie Barth (S. 52) selbst
angibt. Auch arabisches al versieht ja die gleiche Punktion wie
hebräisches n, ohne daß beide identisch sind. Leitet man hebr. n
aus han ab, so erklären sich alle Formen aufs beste , während bei
einer Ableitung aus hä Schwierigkeiten nicht zu vermeiden sind. 35
Will man arab. kä mit hebr. n gleichsetzen, so muß man auf
die Aufstellung fester Lautgesetze im Hebräischen überhaupt ver¬
zichten. Denn ein Grund, weshalb einerseits *kä-'amdra zu UpN-nb*),
1) Doch vgl. syr. män(ä), das man wohl kaum erst aus *md,d^ä abzu¬
leiten braucht, ebensowenig wie hän(ä) aus häd^nä.
2) Trotzdem wäre es denkbar, daß die hebräischen Formen mä und ma
bei trennendem Akzent auf mä und mt zurückgehen, wie Brockelmann an¬
nimmt. Das Nebeneinanderbestehen zweier Fonnen bietet keine Schwierigkeit.
Indes könnten jene Formen auch auf Übertragtmg proklitischer Formen beruhen.
3) Vgl. aber aucb DS^tt u. a. 4) Zu syr. hdn{d) vgl. oben Anm. 1.
5) Hier stebt das proklitische kd im Inlaut. Im ursprünglich unbetonten Auslaut bleibt d erhalten: käkä aus "kdrkä (wörtlich „entsprechend so').
Zeitachrift der D. M. G. Bd. LXH. 6
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andererseits aber *hä-^addmu zu O^NIi geworden sein sollte, ist
nicht zu erkennen. Wo im Hebräischen im Inlaut ein Qames einem
ursemitischen ä entspricht, genügt es daher nicht zu erklären, daß
hier einmal ä durch Qames wiedergegeben sei, sondern man muß
5 sich bemühen. Gründe für die unregelmäßige Entsprechung zu
suchen. So dürfte die Beibehaltung von Qames in niba = syr.
jLclV^ fmf Dissimilation beruhen : man wollte das unangenehme
*g6lüt vermeiden'^). In anderen Fällen liegt Ausgleichung ver¬
schiedener Formen vor ^) : so in D]5 statt *q6m nach qamtä für
10 *qämtd; ^j'i (assyr. dajänu) statt *dajjonu nach dem Stat. constr.
dajjan, der in geschlossener Silbe ä ix\. a verkürzte.
Jedoch ist es hier nicht unsere Aufgabe zu beweisen, daß
Abweichungen von den gewöhnlichen Lautgesetzen im Hebräischen
einen bestimmten Grund haben müssen.
1) Yf?'. fiir
2) Ähnliche Ausgleichungen sind aucb im Indogermanischen häufig und gelten in der Orammatik als anerkannte Faktoren; vgl. dor. noif, noSos mit lat. pes, pedis, beide aus pbs, pedös.
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Über die einheimischen Sprachen von Ostturkestan
im frühem Mittelalter.
Von Ernst Lenmann.
Zweiter Teil.
Von der arischen Textsprache.
Abschnitt I. Einblick in die Literatur.
Im einleitenden Teil — Band 61 p. 648—658 — sind die Spraehen,
von denen zu handeln ist, klassifiziert und numeriert worden. Es 5
geziemt sich nun wohl, daß diese Kinder der Forschung bestimmte
Namen bekommen, wenn auch vielleicht die gegenwärtig zulässige
Benennungsweise später einer andem wird weichen müssen. Ver¬
suchsweise also heiße ich die Sprache II von jetzt an die arische,
die Sprache I die un aris che. Im einen wie im andern Falle 10
würde es sich um eine indogermanische Sprache handeln ; denn
wenn sich die erstgenannte schon früher als eine solche bezeichnen
ließ, so sollen vor kurzem Sieg und Siegling dazu gelangt sein,
auch die zweitgenannte ans Indogermanische anzuschließen, ohne
daß dabei aber eine nähere Verwandtschaft mit dem Arischen zu 15
Tage getreten wäre '). Die beiden Arten der früher fixierten
Sprache, bisher IIa nnd IIb geheißen, mögen in der Weise von¬
einander unterschieden werden, daß ich die eine, die in Texten
begegnet (IIa), die Textsprache, die andere, die in ürkunden
erscheint (IIb), die Urkundensprache nenne. Es ist also das «o
Idiom IIa gemeint und zugleich diese Bezifferung verabschiedet,
wenn der Titel des hier beginnenden Teiles meiner Untersuchung
ankündigt, daß von der arischen Textsprache die Rede sein soll.
Der Ausdruck „arische Textsprache ' bedarf aber noch einer
weitern Rechtfertigung. Wenn in den vorläufigen Bemerkungen, die 25
ich der fraglichen Sprache a. a. 0. widmen konnte, das Vorhandensein
indischer und persischer Lehnworte festgestellt und außerdem ein
Deklinationsparadigma, dessen Endungen gleichmäßig ans Indische
wie ans Iranische erinnerten, geboten wurde, so darf jetzt ausge-
1) Vgl. den letzten Absatz in F. W. K. Miiller's neuester Veröffentlichung:
Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1907 p. 958—960.
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