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697

Zur Erklärung des Avesta.

Von Fr, Spiegel.

Als ich jüngst in dieser Zeitschrift eine Erwiederung auf Roth's

Beiträge zur Erklärung des Avesta veröffentlichte, waren mir hlos

die beiden ersten dieser Beiträge bekannt geworden, und ich glaubte

meine Bemerkungen auf den ersten derselben einschränken zu sollen.

Der zweite behandelt einen der schwierigsten Abschnitte der Avesta- literatur, von dem es genau so viele verschiedene üebersetzungen giebt, als derselbe bis jetzt Erklärer gefunden hat, ich dachte mich

einer erneuten Besprechung dieses Textes überheben zu dürfen,

weil es mehr meine Absicht war, die verschiedenen Methoden an

das Licht zu ziehen als Beiträge zur Texterklärung zu geben. Erst

als mir das betreffende Heft unserer Zeitschrift zu Gesicht kam,

sah ich, dass dasselbe noch einen dritten Beitrag Rotb's enthielt,

den ich keinenfalls übergangen hätte, wenn er mir hekannt gewesen

wäre, weil er mehrere wichtige Frageu anregt, die ich nicht un¬

besprochen lassen durfte. Wie nun aber die Sache einmal lag,

habe ich lange geschwankt, ob ich nochmals auf den Gegenstand

zurückkommen, solle und mich zuletzt zu einem kurzen Nachtrag

entschlossen , den die Wichtigkeit der Sache entschuldigen mag.

Mehr und mehr wird es sich herausstellen, dass wir hier eine

Lebensfrage für die dränische Philologie behandeln.

Zwei Punkte sind es namentlich gewesen, die wir in unserer

frühern Abhandlung besprechen zu müssen glaubten. Der erste

derselhen betraf die Stellung der Tradition, worüber unsere Ansicht

von der von Rofh vertretenen abwich. Wir geben zwar zu , dass

es eine ganz genaue Tradition nicht giebt, dass es daher die Pflicht

der Philologie sei, dieselbe zn prüfen und zu sichten; wir vernei¬

nen aher, dass die Philologie das Recht habe, tabula rasa zu ma¬

chen, und zu thun, als ob sie gar nicht vorhanden sei. Die Tra¬

dition muss immer die Grundlage nnserer Kenntniss ausmachen,

so ist es im Hebräischen, so in den classischen Sprachen, so war

es hisher auch im Altbaktrischen. Wäre die Tradition zu unzu¬

verlässig, um eine solche Grundlage bilden zu können — was

natürlich erst .erwiesen werden müsste — so wäre eben unsero

(2)

698 Spiegel , zur Erklärung des Avesta,'

Kenntniss des Avesta verloren und alle Sprachvergleichung wäre

schwerlich im Stande, diesen Mangel zu ersetzen. Hiermit werden

wir auf den zweiten Punkt unserer Ahweichung von Roth's Methode

geführt. Man hat in den letzten Jahren der Sprachvergleichung

auf dem Gebiete der Avestaexegese nicht nur eine Macht einge¬

räumt, welche ihr nicht gebührt, man hat sie auch nicht auf die

richtige Art geübt. Man hat ganz vergessen, was Burnouf sehr

wohl wusste, dass es ein Unterschied ist, ob man eine abgeleitete

Sprache mit ihrer Muttersprache, oder ob man zwei Schwester¬

sprachen vergleicht. Im ersten Falle kann man ziemlich sicher

annehmen, dass die Grundform der einzelnen Wörter sich in der

Muttersprache vorfinden werde, im zweiten Fall kann man diess

nicht annehmen. Nicht selten zwar haben auch Schwestersprachen

dieselben Wörter gemeinsam, weil sie diese von der gemeinsamen

Mutter beide geerbt haben, aber selbst in diesem Fall kann man

nicht darauf zählen, dass auch die Bedeutung eine gemeinschaftliche sein werde, rechnen kann man höchstens auf Wurzelgemeinschaft.

Nun hat man sich in letzter Zeit gewöhnt, das Altbaktrische ganz

so zu behandeln, als sei es eine Tochter des vedischen Sanskrit.

Die wichtigen Consequenzen, welche sich aus diesem Verfahren er¬

geben, liegen auf der Hand. Lässt sich das Altbaktrische (und

somit das Alttranische überhaupt) aus dem vedischen Sanskrit er¬

klären, dann ist es Unrecht, vou einem eränischen Sprachstamme

zu sprechen, das ^Iranische gehört dem indischen Sprachstamme an

und erhält seinen Platz etwa neben dem epischen Sanskrit, vor

dem Päli und Präkrit. Wie mit den Sprachen, so verhält es sich

auch mit den Sachen. Der Parsismus ist in dem genannten Falle

keine selbständige eränische Entwickelung, welche parallel mit der

indischen verläuft, hat vielmehr seine Stellung hinter den Vedas,

neben dem Buddhismus. Weder das Eine noch das Andere habe

ich die geringste Lust zuzugeben.

Zu diesen beiden Differenzpunkten tritt nun, wie ich nament¬

lich aus Rotb's drittem Beitrage ersehe, eine erhebliche Verschieden¬

heit in der Behandlung des Textes. Die beiden Herausgeber des

Avestatextes haben sich das gleiche Ziel gesetzt, nämlich den Text

so herzustellen wie er sich nach den besten Handschriften ergab.

Die grosse Gleichartigkeit der Handschriften nöthigte schon dazu,

ich erinnere hier an die Sätze, welche Westergaard (pref. p. 15)

ausspricht und denen ich vollkommen beistimme. All copies of the

Zendavesta, whatever their age or birthplace, present the same

text. They differ extremely, it is true, in the way of spelling the

words ; bnt however great the variance, the word is the same , even

though we are unable to detect its real and true form. Apart

from accidental repetitions, omissions and other corruptions, caused

by a want of care in some transcribers, we find everywhere that

word follows word in exactly the same order, as clause does clause,

passage passage, and chapter chapter. Hinzufügen muss ich noch,

(3)

Spiegel, zur Erklärung des Avesta. 699

dass das Avesta mit einer Uebersetzung versehen ist, welche dem

Texte Wort für Wort folgt und somit dessen Authentie hestätigt.

Ich glaube, wenn die ersten Herausgeber des Avesta unter diesen

Umständen sich nicht genau an den überlieferten Text gehalten

hätten, so hätten sie den schärfsten Tadel erfahren, und sie würden

ihn auch verdient haben. Auch jetzt wird man gut thun, sich

vorzugsweise an den üherlieferten Text zu halten nnd Conjectural¬

kritik möglichst zu beschränken. Wie vor zwanzig Jahren, so stehen

wir auch jetzt noch an den Anfängen unsrer altbaktrischen Kennt¬

nisse, noch können wir zu wenig die Gränze ziehen zwischen dem,

was unverständlich und blos unverstanden ist, wir laufen daher

immer Gefahr nicht das Unrichtige, sondern das Unbequeme zu

streichen. Sollen aber Conjecturen gemacht werden, so müssen die¬

selben wenigstens mit wirklich in der altbaktrischen Sprache vor¬

kommenden Wörtern gemacht werden, und wir erklären uns mit

aller Schärfe gegen die Sitte, Sanskritwörter nach den Laufgosefzcu

auf Altbaktrisch zuzustutzen, unter der Voraussetzung, der Wort¬

schatz des Altindiscben und Alteränischen sei wesentlich derselbe.

Man hat neuerdings gesucht, vermittelst der Metrik über den

uns überlieferten Avestatext hinauszudringen, dieses Ziel hat sich

namentlich Koth in seinem dritten Beitrage gesetzt, ich fühle mich

deshalb verpflichtet, hier zu erklären, wie ich mich bei Constitui¬

rung meines Textes der Metrik gegenüber verhalten habe. Vor

Allem muss ich bemerken, dass ich für nöthig hielt, den gesamm¬

ten Avestatext mit der traditionellen Ahtheilung zu geben, wo eine

solche vorhanden war. Uic Metrik kam für die Gäthäs in Betracht,

und ihretwegen brauchte ich von meinem Grundsatze nicht abzu¬

weichen. Die traditionelle Versabtheilung liess sich aus dem alten

copenhagener Codex A entnehmen, dazu konnte man aus den Ven¬

didäd sädes die Strophenabtheilung fügen, dasselbe Verlähren hat

auch Westergaard beobachtet. Weiter zu gehen und an den ein¬

zelnen Wörtern der Verse zu rütteln hielt ich mich um so weniger

berufen, als diese Schritt vor Schritt durch die Uebersetzung ge¬

währleistet sind, auch handelt es sich nicht etwa um die Anwen¬

dung, sondern vielmehr um die Auftindung der metrischen Gesetze.

Dass man anch in anderen Theilen des Avesta metrische Abschnitte

gefunden haben wolle, war nur wenigstens geraume Zeit früher

bekannt, als ich den Yagna veröflentlichte. Von befreundeter Seite

war mir mitgetheilt worden, dass Westphal im 9. Capitel des Yagna

metrische Bestandtheile gefunden hahc, man hatte sich auch erbo¬

ten, falls ich es wünschte, dahin zu wirken, dass ich Einsicht von

dieser Arbeit nehmen könne. Nach reiflicher Ueberlegung glaubte

ich das Anerbieten ablehnen zu sollen, ich bemerkte schou (himals,

d.ass ich auf Wcsfphal's Entdeckungen, auch wenn ich sie billigte,

keine Ilücksic.ht nehmen könne, weil ich durch den Plan meiner

.\usgahc .au die fraditioncllc Eintheilung des Textes gebunden sci.

(4)

<^QQ Spiegel, xur Erklärung de» Avetta,

Jetzt, WO Westphal's Arbeit vorliegti), glaube ich meinen damali¬

gen Entschluss nicht bereuen zu müssen. Vergleicht man die me¬

trische Abtheilnng , welche Westphal (a. a. 0. p. 446 flg.) vorschlägt,

mit dem betreffenden Abschnitte meiner Ausgabe (Yg. 9, 5—35)

so wird man finden, dass sie durchaus übereinstimmen. Nur einige

Male (vgl. §§. 21. 23) verbindet die Tradition mehrere Sätze zu

einem Ganzen, aber anch da widerspricht sie nicht durch unnatür¬

liches Zerreissen der Sätze. Was die Auslassungen anbetrifft,

vfelche Westphal vorschlägt, so bemerke ich, dass die beanstandeten

Wörter und Sätze nicht nur durch die Handschriften, sondern

auch durch die Huzväresch-Uebersetzung geschützt sind, ich hätte

sie also nach meinem Plane durchaus nicht auslassen dürfen, über

einige kleinere Aenderungen würden wir uns wahrscheinlich leicht

verständigt haben. Vom metrischen Gesichtspunkte aus sind die

vorgeschlagenen Auslassungen allerdings nothwendig, aber hier

erhebt sich für den Kritiker die Frage: soll denn dieser Avesta-

abschnitt selbst metrisch sein, oder ist nur die für denselben be¬

nutzte Quelle eine metrische gewesen? Bestand nicht vielleicht die

Aufgabe des Redactors gerade darin, solche Zusätze zu machen,

die aus liturgischen und andern Gründen geboten sein mochten?

Bejaht man diese Frage, dann wäre mit der Herstelinng des Me¬

trums die Quelle des Avestatextes hergestellt, nicht aber dieser

selbst. Uebrigens verkenne ich durchaus nicht, dass die Einsicht

in die Gesetze der altbaktrischen Metrik von grosser Wichtigkeit

ist und eingreifende Textverbesserungen im Gefolge haben kann.

Es wird sich eben nun darum handeln, die Gesetze der altbaktri¬

schen Metrik zu entwickeln und ein System derselben aufzustellen,

eine Aufgabe, zu der ich mich nicht berufen fühle. Bis dies ge¬

schehen ist, werde ich mich aller metrischer Untersuchungen ent¬

halten und in den folgenden Bemerkungen wieder vorzüglich die

lexikalischen Fragen hervorheben, die nach meiner Ansicht die

wichtigsten sind.

Ehe ich nun aber zu den Einzelheiten Ubergehe, will ich noch

mit einigen Worten darlegen, auf welche Weise meine Uebersetzung

der Gäthäs gemacht worden ist. Dass ich an die Erklärung der

im Gäthädialekte geschriebenen Stücke zuletzt ging, habe ich schon

in meinem frühern Artikel bemerkt. Nach mehrfacher Durchlesung

aller prosaischen Stücke habe ich meine Studien über die Gäthäs

damit begonnen, mir ein eigenes Glossar über dieselben auszuarbei¬

ten in dem ich auf besondern Zetteln die Wortformen zusammen¬

stellte, welche nach der Grammatik zusa iimengehören mussten,

oder auch in einigen Fällen, welche nach den traditionellen An¬

gaben zusammengehören sollten. Allen einzelnen Wortformen habe

ich stets die traditionelle Bedeutung nach der Huzväresch-Ueber¬

setzung und nach der Sanskrit-Uebersetzung Neriosenghs beigefügt.

1) Kuhn, ZeiUchrift für Sprachwissensch. 9, 437 fg.

(5)

Spiegel, mr Erklärung des Avesta. 701

Nachdem diess geschehen war, verglich ich den also gewonnenen

Wortschatz mit dem des gewöhnlichen Dialektes, nm zn sehen, oh

bei den beiden Dialekten gemeinsamen Wörtern auch die Bedeu¬

tung zusammenstimme, wie sie angegeben wurde. Die grösste

Anzahl dieser gemeinschaftlichen Wörter wiesen sich als identisch

aus, nur bei einigen wenigen zeigten sich Unterschiede in der Be¬

deutung. Was nun von Wörtern als dem Gäthädialekte eigenthüm¬

lich znrückblieb, unterwarf ich wieder einer mehrfachen Unter¬

suchung. Kam ein Wort öfter vor, so musste zugesehen werden,

ob die Bedentung an allen Stellen gleich angegeben wurde, wo

diess der Fall war, da schien mir die Angabe ziemlich zuverlässig

zu sein. Hatte ich nun auf diese Weise die Wortformen und ihre

traditionellen Bedeutungen ermittelt, so blieb nun noch zuzusehen,

ob sich die letztern auch wissenschaftlich begründen liessen; ich

zerlegte also jedes Wort in seine Bestandtheile , suchte die Wurzel

festzustellen, und prüfte dann, ob die traditionelle Bedeutung mit

der Bedeutung der Wurzel und des Suffixes in Einklang zu bringen

sei, und machte von dem Ergebnisse dieser Untersuchung die An¬

nahme oder Verwerfung der traditionellen Ansicht abhängig. Ge¬

lang es nicht, ein Wort an eine schon vorhandene altbaktrische

Wurzel anzuschliessen, so musste für dasselbe natürlich eine eigene

Wurzel angenommen werden. Nachdem ich auf diese Weise jedem

einzelnen Worte seine Stellung innerhalb des engeren Sprachkreises

angewiesen hatte, trat ich aus diesem heraus und untersuchte das

Verhältniss der Wörter zu dem Wortschatze der übrigen iräniscben

Sprachen. Eine kurze Prüfung zeigte, ob sich das Wort — wenig¬

stens die Wnrzel und parallele Ableitungen — im Altpersischen

wiederfinde. Von grosser Bedeutung war mir aber auch die Ver¬

gleichung der neuern iranischen Sprachen, das Armenische mit

eingeschlossen. Diese Sprachen sind es, welche direet von den

alten abstammen, in ihnen dürfen wir nicht nur hoffen, Reste der

Wörter zu finden, welche uns im Avesta begegnet sind, wir können

selbst, ohne unwissenschaftlich zu werden, annehmen, dass auch die

Bedeutung der neuern Wörter, wo nicht die gleiche, doch wenig¬

stens eine ähnliche sei wie in den alteränischen Sprachen. Die Ver¬

gleichung der Gäthäwörter mit dem Sanskrit und den übrigen indo¬

germanischen Sprachen habe ich auch nicht unterlassen, selbst¬

verständlich bildete aber diese Vergleichung den letzten Theil mei¬

ner lexikalischen Arbeit, auch berücksichtigte ich vorzüglich die

Wurzeln und gestattete den fremden Sprachen keinen erheblichen

Einfluss auf die Bestimmung der Bedeutung. In ähnlicher Weise

habe ich mir auch das Verhältniss der Grammatik des Gäthä-

dialektes zum Altbaktrischen und den übrigen Sprachen klar zu

machen gesucht.

Mit diesen Vorarbeiten ausgerüstet, glaubte ich nun an die

üebersetzung der Gäthäs gehen zu können. Man sieht, dass ich

bereits mit einem festgestellten Lexikou meine Arbeit begann; da

(6)

702 Spiegel, zur UrhUimng de« Avesta.

ich mir die Bedeutung der Wörter objectiv zu ermitteln gesucht

hatte, konute ich ohne Noth nicht von meinem Lexikon abweichen,

meine Uehersetzung war also von allem Anfange an in bestimmte

Schranken gewiesen. Mein erstes Ziel war: möglichst getreu und

wahr zu übersetzen, die Deutlichkeit konnte erst iu zweiter Linie

berücksichtigt werden, denn was hilft uns eine noch so deutliche

Uebersetzung, wenn sie nicht wahr ist? Mein nächstes Bestreben

war nun, eine Uebersetzung der Gäthäs nach der Huzväresch-

Uebersetzung anzufertigen. Diese Arbeit ist mir oft recht schwer

geworden, denn obwohl dieselbe von Anfang an nur für meinen

eigenen Gebrauch bestimmt war, so hat sich doch öfter beim Nie¬

derschreiben die Feder in raeiner Hand gesträubt, so sehr ging

diese Uebersetzung bisweilen gegen mein grammatisches Gefühl.

Gleichwohl hielt ich es für nöthig, diese Arbeit durchzuführen,

weil ich hoffte dadurch einen Ueberblick über die Gesammtauffas¬

sung der Gäthäs durch die Tradition zu gewinnen, und erwartete,

dass ich der Gesammtansicht vielleicht eher beistimmen könne als

den Einzelnheiten. Was raeine eigene Uebersetzung der Gäthäs

betraf, so war mir klar, dass ich der traditionellen Uebersetzung nur so weit folgen dürfe, als dieselbe philologisch zu rechtfertigen

sei, meine Uebersetzung der Gäthäs weicht darura von der traditio¬

nellen oft erheblich ab, trotzdem dass für beide so ziemlich die¬

selben Wortbedeutungen gebraucht werden. Man wird es bei uus

in Europa nur billigen, dass ich nach meinem besten Wissen über¬

setzte, ohne lange nach der Tradition zu fragen, ich meinerseits

gestehe, dass ich ein gewisses banges Gefühl nicht los zu werden

vermag. Es fragt sich ebeu, ob unsere Kenntniss der Gäthäs über

oder unter dem Niveau der alten Uebersetzer steht, ob wir uns

nicht bei fortgeschritteuer Kenntniss von der Richtigkeit solcher

Uebersetzuugen überzeugen, welche wir jetzt beanstanden zu müssen

glauhen. Dieser Fall ist wenigstens rair in meiner langjährigen

Beschäftigung mit dem Avesta oft genug vorgekommen, und dess¬

halb möchte ich auch Anderen dringend rathen, die alten Ueber¬

setzungen nicht als etwas bereits Abgethanes zu betrachten, viel¬

mehr zuzusehen, ob sie nicht mit ihrer Hülfe weiter kommen können,

als ich gelangt bin.

Nach diesen Vorbemerkungen wende ich mich nun zur Be¬

sprechung von Einzelnbeiten. Ich wiederhole, dass die Ilaupt-

differenz der beiden sich widerstreitenden Methoden in der ver¬

schiedeneu Construction des Lexikons liegt, an die Besprechung

einzelner Wörter werde ich daher meine Untersuchungen am besten

anknüpfen. Von der Metrik werde ich, wie gesagt, ganz absehen,

ihr muss natürlich ihr Recht werden, da sie aber nicht verlangen

kann, dass man ibretwegen Sprachgesetze oder Wortbedeutungeu

äudert, so kommt sie hier nicht iu Betracht.

(7)

Spiegel, mir Erklärung des Avesta. 703

1. vig.

Es trifft sich glücklich, dass Roth als das erste der von ihm

zu besprechenden Beispiele die Stelle Yt. 13, 1—3 gewählt hat.

Der Text ist also den Yashts entnommen, und da, so sollte man

denken, kann die Tradition an den abweichenden Ansichten nicht

die Schuld tragen, denn meines Wissens giebt es für die grösseren

Yashts keine traditionelle Uebersetznng, wenigstens ist mir keine

bekannt geworden. Wenn nichts desto weniger die Gegensätze in

gewohnter Schärfe fortbestehen, so trägt daran die Schuld, dass

ich mich bei meiner Uebersetzung wo möglich an die sonst aus

dem Avesta ermittelten Wortbedeutungen anscbliesse, während Roth

auf das Sanskrit zurückgeht. In den ersten beiden der von Roth

hergestellten Strophen findet sich indess kaum eine erhebliche Ver¬

schiedenheit, denn als eine solche möchte ich es nicht bezeichnen,

wenn Roth in 1. die Lesart framrava festhält. Wir sind beide der

Ueberzeugung, dass der Sinn eine 1. ps. sg. praes. gebieterisch er¬

fordert, nur glaubt Roth framrava könne selbst die geforderte Form

sein. Dagegen erwiedere ich , dass mir 1. ps. praes. auf a im ge¬

wöhnlichen Avestadialecte nicht bekannt sind, dann aber auch wei¬

ter, dass framrava wirklich vorkommt und zwar als 2. ps. sg. im¬

perat., es kann aber doch dieselbe Form nicht gut als 1 ps. sg.

praes. und als 2 ps. sg. imperat. gebraucht werden, ich würde

daher lieber zu einer Conjectur — etwa framraomi — meine Zu¬

flucht nehmen. Auch in der dritten Strophe sind die Abweichun¬

gen noch unerheblich. Roth übersetzt vidhäraem „ich ordnete",

während ich das Präsens „ich ordne, ich erhalte" wähle. Die

Stelle ist mit Yq. 23, 2 identisch, nnd meine Ansicht die der ein¬

heimischen Erklärer, welche uns genauer sagen, worin die Thätig¬

keit der Fravashis besteht. Sie ordnen den Himmel, indem sie die

Gestirne im richtigen Umlauf erhalten, sie ordnen das Wasser, indem

sie dasselbe vermehren u. s. w. Ich hin bei dieser Erklärung nicht

blos deswegen geblieben, weil sie die traditionelle ist, sondern auch weil sie den Anschauungen des Parsismus entspricht (vgl. Yt. 13,53 f.).

Ahura Mazda ist der alleinige Schöpfer aller Dinge, auch der

Genien , erst nachdem die letztern geschaffen sind, vertraut er ihnen

die Obhut über andere Geschöpfe. Vidhäraem ist also ein Imper¬

fectum der Dauer und bezeichnet eine unvollendete Handlung, die

aus der Vergangenheit noch die Gegenwart hindurch fortdauert,

andere Beispiele dieses Gebrauchs des Imperf findet man in meiner

altb. Grammatik § 303. Auch gegen die Uebersetzung der Worte

aom agmanera yö ugca raokhshnö mit „diesen Himmel oben, der

strahlend u. s. w." muss ich mich erklären. Es muss heissen .Jenen

Himmel", dann ist aber ugca mit raokhshnö zu verbinden. Ugca

raokhshnö heisst „nach oben glänzend"; über die Bedeutung des

Ausdruckes vgl. man die Note zu Vd. 2, 131 in meiner Ueber¬

setznng, wo man das Richtige mit Roth's eigenen Worten finden

wird. Die h.anptsächlichste Abweichnng betrifft aber das Wort vis

(8)

704 Spiegel, zur Erlclärung des Avesta.

in der vierten Strophe. Dieses Wort übersetzt Roth mit Bau-

werlc", Vfährend ich selbst, v? ie auch Windischmann , die Bedeutung

„Vogel" gewählt habe. Wie mir scheint, stehen uns in Beziehung

auf dieses Wort zwei Wege offen. Entweder, man urgirt die Länge

des Vocals in vis und sieht an nnserer Stelle ein än. )ity., für

welches man aus der Etymologie eine Erklärung suchen muss.

Diess ist der Weg, den Justi eingeschlagen hat, der das Wort mit

„Kleid" übersetzen will. Oder, man nimmt vis fttr dasselbe wie

vis, nnd hält die Verlängerung des Vocals für eine verschiedene

Orthographie, wie denn solche Fälle, zumal bei einsilbigen Wörtern,

im Altbaktrischen öfter vorkommen (vgl. meine altb. Gr. § 16).

Wir haben dann die Wahl zwischen drei verschiedenen Wörtern.

Es giebt im Altb. ein vis, verwandt mit skr. visha, lat. virus, wel¬

ches Feuchtigkeit, Gift hedeutet, aber an dieses Wort hier zu

denken verbietet der Zusammenhang. Es giebt dann noch ein

zweites vis, der Nominativ von vi, Vogel, dieses Wort ist es, wel¬

ches Windischmann und ich gewählt haben. Der Vergleich des

Himmels mit einem Vogel ist zwar einigermassen auffallend, aber

dnrchans nicht unglaublich. Nichts ist häufiger bei den firäniern,

als dass von dem drehenden Himmel gesprochen wird, welcher,

wie sie glauben, beständig seinen Umschwung um die Erde voll¬

zieht; dieser sich drehende Himmel lässt sich nun allerdings mit

einem Vogel vergleichen. Die weitere Fortsetzung yo histaiti etc.

bezieht sich natürlich nicht mehr auf den Vogel, sondern auf den

Himmel. Eine dritte Möglichkeit wäre es nun, vis als nom. sg.

von vig zu fassen, und diess ist die Erklärung, welche Roth vor¬

zieht. Die Gründe, welche mich abhalten, dieser Erklärung bei¬

zutreten, liegen zum Theil in der verschiedenen Bedeutung, welche

ich dem Worte gebe, Roth übersetzt dasselbe mit „Bauwerk", ich

selbst aber mit „Clan", man wird zugeben, dass das Wort hier

nicht stehen kann, wenn die letztere Bedeutung die richtige ist.

Ueber die Bedeutung wollen wir zuerst Burnouf hören, der das

Wort (fitudes p. 368) ausführlich besprochen hat: Anquetil traduit

ce mot vig par rue, etN6riosengh ordinairement par maison. An

commencement du chapitre XlV^e du Yagna, vig est d6fini par

N6riosengh de cette maniöre: paficadaganara näriyugman

visam „un vig formi de quinze couples d'homme et femme".

A ce compte , le vig riponderait ä peu pres ä un hameau ou ä un

village, mais, alors, d'oü vient que Neriosengh lui-meme remplace

d'ordinaire ce mot par celui de maison? Hierzu einige Bemer¬

kungen. Wenn man von Yg. 31, 18 absieht, wo unentschieden

bleiben muss, wie Neriosengh übersetzt, so finde ich drei Stellen,

wo er das Wort mit vegman Ubersetzt (Yg. 9, 24. 10, 17. 13, 12),

an einer Stelle Yt. 13, 49 steht dafür griheshu. In der alten

Uebersetznng hat Neriosengh für diese Uebertragung keinen Anhalt,

denn diese umschreibt das Wort aller Orten gleichmässig durch Ci.

In dieser Sitte der Umschreibung folgt aucb Neriosengh seinem

(9)

Spiegel, zur Erklärung des Avesta. 705

Vorbilde an allen Stellen, wo die einzelnen Unterabtheilungen des

Stammes genauer unterschieden werden (wie Yg. 9, 83. 86. 56,

6. 4.). Die Texte selbst zeigen unwiderleglich, dass vig kein Haus, sondern eine grössere Stammesabtheilung ist und mithin die Definition

des Neriosengh als die richtige angenommen werden muss. Abge¬

sehen hiervon ist der Himmel (agman) überhaupt kein Haus, son¬

dern blos eine Mauer, die die bösen Geister vom Eindringen in die

Geisterwelt abhalten soll, er gehört überhaupt nicht zu den himm¬

lischen, sondern zu den irdischen Schöpfungen (vgl. Vsp. 8, 20); er

ist darum auch kein passender Wohnplatz für Ahura Mazda, dessen

Wohnung viel weiter oben ist, im Garö-Neraäna oder ewigen Lichte,

wie diess oft genug gesagt wird.

Was ich sonst noch über die genannte Yashtstelle zu sagen

hätte, ist nur wenig. Handarakhtö muss von daraj =draj griech.

SqÜttü) herkommen, und muss das Zusammengehaltene, Compacte,

vielleicht auch das Umzäunte bedeuten. Verwandt ist neupers.

c>3-^.>, wo aber in der Bedeutung „Baum" das Ursprüngliche nicht (estgehalten ist, hesser im armenischen darkht Garten, Paradies, vgl.

auch litt, darzas, Garten. Die Worte yim ahurö mazdäo vagte

vaghanem habe ich übersetzt : „welchen (den Himmel) Ahura Mazda

m i t einem Kleide bekleidet", dagegen Roth : „welchen Ahura Mazda als Kleid anzieht". So schon Justi, und es ist schwierig zu sagen,

was das Richtige ist. Zur Vergleichung kann man Yg. 30, 5 her¬

beiziehen, wo es von Ahura Mazda heisst y6 khraozhdistefig agenö

vagte, wo die Tradition (Nerios. yo gädhatarar~ äkägam dadan) für

meine Fassung spricht; aber auch dort zieht Jnsti eine der Roth'¬

schen analoge Fassung vor. Eine Stelle, welche die Fassung end¬

gültig entschiede, ist mir nicht bekannt.

2. zevistaya.

In der Stelle Yg. 50, 7 (49, 7. m.A.), welche Roth zunächst bespricht,

dürfte das in der Ueberschrift genannte Wort das wichtige sein. Die

Uebersetzung, welche Roth gewinnt, trifft überraschend mit dem Veda

zusammen, und er hält dieselbe für unanfechtbar. Diess mag nach

seiner Methode der Fall sein, meine Leser wird es nicht überra¬

schen, wenn ich sage, dass ich dieselbe in keiner Weise zu billigen

vermag. Von einer Widerlegung kann natürlich nicht die Rede

sein, ich kann blos meine Fassung neben die Roth'sche stellen und

angeben, warum ich gerade so und nicht anders übersetzt habe.

Man wird nicht sagen können, dass ich mich allzu sehr an die

traditionelle Uebersetzung gehalten habe; wenn man sich die Mühe

giebt, dieselbe durchzulesen, so wird man finden, dass ich mehrfach

die Sätze anders verbinde; allerdings aber halte ich mich zumeist

an die traditionellen Wortbedeutungen, die nach meiner Ansicht

ganz vortrefflich überliefert sind. Was zuerst yaojä betrifft, so ist es ohne Zweifel die 1 ps. sg. praes. von yuj, und dass diese Wurzel in allen indogermanischen Sprachen „anschirren, verbinden" bedeute,

Bd. XXVI. 45

(10)

706 Spiegel, zur Erklärung deji Avesta.

auch im Altbaktrischen, darüber ist wohl nirgends ein Zweifel. Es

fragt sich aber, ob wir unter allen Umständen bei dieser Grund¬

bedeutung bleiben müsseii, ob nicht das altbaktrische yuj , ebenso wie

gr. ^svyvvnt und lat. jüngere, weitere, ihm eigenthümliche Bedeu¬

tungen entwickelt habe. Die Sache der altbaktrischen Philologen

wird es sein diess zu ermitteln. Wirklich zeigt sich yuj in den

Gäthäs mehrfach in ühertragener Bedeutung gebraucht, hier ist es

nach der neuem Tradition soviel als: ich wende mich zu euch

(ygl. pairi jagäi in V. 8). Es folgt nun zevistayifig , und das Wort

zevistaya wird hier und Y. 28, 9, wo es wieder vorkommt, durch

"jfflin *) gegeben, Neriosengh übersetzt es mit abhiläshnka. Nahe

zusammenhängend mit unserm Worte ist zevistim (Yg. 45, 9), huzv.

pcon, Ner. prito, wofür vielleicht pritau zu lesen ist; ich halte

dieses letztere Wort für einen acc. sg. von einem Thema zevisti,

Justi leitet es von einem Thema zevistya ab , grammatisch ist bei¬

des möglich. In derselhen Weise wie zevistl gieht die II.-U. und

Ner. auch zaosha wieder, so Y. 46, 5 für zaoshät pcianT oder sami-

hita, Y. 47, 4. für zaoshing pTSTöTi oder mitratvan . Mithin würde

zevistaya von der Wurzel zevish == zush skr. jush stammen, welche

im Altpersischen dus lautet, es müsste eine Form zevista gegeben

hahen, welche im altpers. dttusta, Freund, nenpers. seine

nächsten Verwandten hätte; vön zevista mUsste dann das adj. zevi¬

staya abgeleitet werden, wie kavaya von kava. Es wird sich nun

darum handeln, ob wir berechtigt sind, eine erweiterte Wurzel

zevish anzunehmen, und diess sind wir allerdings. Es ist nicht so

selten im Avesta, dass Wurzeln mit u durch Einsetzung eines 1

erweitert werden. Hieher gehört die Form khshnvishä (Y. 28, 1)

von khshnush, zufriedenstellen, femer khshvida Milch, von dersel¬

beu Wurzel wie khshudra (skr. xodas), daun khrvish i. c. khrush,

^jyoijjC- lärmen. So wäre also das Wort der Form und Bedeu¬

tuug uach gesichert Die Bestimmuug dieses Wortes wirkt nun

auch auf das folgende ein, wenn zevistaya freuudlich heisst und

nicht schnell, wird mau auch die Genossen mehr, angezeigt tiudcn

als die Kenner. Urvatö kaun nun die Freuude, die Genossen

heissen, ich glaube, wir könueu bei dieser Lesart bleiben, deun

dass das vorgeschlagene u in urvuüt unter allen Umständen stumm

gewesen sci, bczwcitle ich vor der Iland. Aber auch weun mau

aurvatö vorzieht, so darf dicss nicht mit Ucnncr übersetzt werden,

sonderu die Hohen, Grossen, ähnlich wie cs Y. 10, 26. 27 gc-

1) i)aas S4) aucli au uiu^^crer Stelle zu lesen sei , lial>c ioli bereit.» in den Noten uiciiici- Ausgabe des Ncrio.si'Mgli (zu 49, 7) bemerkt.

2) Das Herali.>iinken <lcs s , sli in ^ ist in den iicucrii Sjirnchcn Knius sehr gewöhnlich, vgl. , parsi l'rehci;t altb. friiesta, also Suiniiin. Umgekehrt wird V durch Kinlluss eines vorhergulicuden r zu sh , vgl. korei;ni;pa und,

wftxlvi , ariifkü luid u^mU.^ . j

(11)

Spiegel, zur Erklärung des Avesta. 707

braucht ist. — Im zweiten Verse der Strophe ist jyäitis ein schwie¬

riges Wort. Es wäre dasselbe ganz in der Ordnung, wenn wir es

von jyä = jiv ableiten könnten, aber die Bedeutung passt nicht,

auch übersetzt die Tradition ganz anders. Es bleibeu nun zwei

Möglichkeiten: entweder wir können suchen aus den Varianten der

Handschriften den Text zu verbessern, oder wir können auf diese

Varianten eine Conjectur begründen. Die Handschriften schwanken,

während die Codices mit Uebersetzung jyäitis oder jayäitis bieten,

findet man in C und den Vendidädsädes dagegen jayäis oder jyäis

Ich würde am liebsten jagäi lesen, auch jagäitis würde ich mir zur

Noth gefallen lassen; näher noch liegt es, an jaya Bewältigung,

Gewinn zu denken, welches Vd. 18, 12. vorkommt. Roth's Erklä¬

rung kann ich durchaus nicht billigen; er sagt: „Ich bin geneigt,

^väis für die ursprüngliche Schreibung des Textes anzusehen , weil

die Form mit Vocal wohl nicht gaväis, sondern zaväis geschrieben

worden wäre. Dass das Wort nichts anderes ist als skr. ^ava

und mit diesem gleichbedeutend, ist ersichtlich." Ich wüsste nicht,

warum man nicht ebensogut zväis schreiben könnte als zaväis, da

die Verbindung zv im Altbaktrischen nicht ungewöhnlich ist (vgl.

hizva, erezvö). Gegen die Herbeiziehung des skr. java in der von

Roth verlangten Weise muss ich mich unter allen Umständen er¬

klären, auf diese Art mag man Präkritformen aus sanskritischen

erschliessen, nimmermehr aber altbaktrische. Es ist durchans un¬

statthaft, Sanskritwörter mit Haut und Haar ohne alle Bestätignng

herüber zu nehmen, als ob beide Sprachen dieselben Wörter haben

müssten. Will man wissen, ob z. B. java im Altbaktrischen vor¬

handen sei, so wird man zuerst zusehen müssen, in welcher Form

die Wurzel ju erscheint, von welcher es abgeleitet ist. Das alt¬

baktrische Lexikon zeigt, dass die Form zu ist; dasselbe erweist

auch neupers. Oj* schnell, wir müssten also zum wenigsten darauf

bestehen, dass das Wort zava lautete, wenn es überhaupt vorkam,

wofür aber der leiseste Beweis nicht erbracht ist ^). Roth's Con¬

jectur, vom Standpunkte der eränischen Philologie hetrachtet, ist

eine Unmöglichkeit. Ueber azäthä sagt Roth: „Endlich das ver¬

meintlich so schwierige azäthä ist eine regelmässige Bildung aus

Wz. az = skr. agathe". Wenn die Sache so einfach wäre — das

wäre ich wohl auch zu sehen im Stande gewesen. Wenn man aber

die Formen auf thä, welche nicht so selten im Gäthädialecte vor¬

kommen, gemeinschaftlich betrachtet, so überzeugt man sich leicht,

dass die wenigsten von ihnen 2. Ps. pl. sein können, namentlich hier

wäre eine solche Form ganz unpassend. — Wir sollten nun, nach

1) Ueber den Cod. C habe ich eine andere Meinung als Roth , ich führe diese sehr incorrecte Handschrift durch Mittelglieder auf A zurück. Vgl. meine Textausgabe 2, 6. Vorrede.

2) Das in den Yashts hier nnd da vorkommende java ist gewiss ein altar Fehler für jaca.

45*

(12)

708 Spiegel, zur Erklärung des Aceala.

Besprechung der einzelnen Wörter, noch ein paar Worte über den

Gesammtsinn der Strophe sagen; da wir aher noch eine Strophe

desselhen Liedes zu besprechen haben, wollen wir diess bis zum

Schluss versparen.

3. varesh.

Das Verhältniss meiner Uebersetzung von Y. 49, 10 zur tra¬

ditionellen ist ein ganz ähnliches wie oben in str. 7. Ich billige

nicht in allen Fällen die Satzverbindung, wohl aber die lexikalische

Wiedergabe der Wörter. Wie man die Uebersetzung von vareshä

ich thue, irgendwie beanstanden kann, ist mir rein unbegreiflich.

Die Wurzelform varesh ist in den Gäthäs häufig genug, überall

lehrt uns die Tradition das Wort mit „thun" wiederzugeben, zum

Ueberfluss hat Roth 29, 4. die Bedeutung selbst gebilligt, auch

bringt er nicht einen Schatten von Grund bei, warum man das

Wort hier anders fassen soll. Dasselbe gilt von äisskyaothnä, ein

Wort, das Roth erst macht, das in keiner Sprache vorkommt und

Berggipfel bedeuten soll; doch auf dieses Wort werden wir unten

nochmals zurückkommen. Die Wurzel varesh als Nebenform von

varez ist ganz unbedenklich, sie steht da wie ereshva neben erezvaiit

(vgl. meine altb. Gr. Anhang § 10) oder daresh, darshi neben

darez, derezi. In der zweiten Strophe kann cashmarim kaum etwas

anderes sein als cashmann d. i. acc. plur. wie ich es gefasst habe.

Arejat wird mit dem Yt. 21, 5. 6. vorkommenden arejaiti, dann

mit arejagh und neupers. ji^i , ,J-^J> in Verbindung gesetzt werden,

auch an jj^f Begier, liesse sich denken. Mit Rücksicht auf skr.

arj, arjuna mag man die Bedeutung „erleuchtet" (n^sisn sagt die

II.-U.) als die ursprüngliche annehmen.

Was nun den ganzen Abschnitt Yg. 49, 6—11 betrifft, so ist

derselbe dem allgemeinen Sinne nach so deutlich wie nicht viele

in den Gäthäs. Die Parsen fassen ihn so auf, als sei er eine Bitte

des Zarathustra um Verstand, ich würde mich dieser Ansicht gern

ansehliessen, wenn mich nicht die 3. p. gähit (er lehre) in 6, d., für

die sich hlos Zarathustra als Subject denken lässt, dazu nöthigte,

eine andere Person vorauszusetzen. Genug, der Sänger wünscht

sich Verstand, uud zwar solchen, der auf dem Wege der Zunge ist,

d. h. also die Gabe der Rede. Danu (so sagt v. 7) will er sich

an die Amescha (^'pentas, besonders Mazda, Asha und Vohumanö

wenden, um zu gelangen zu den Brücken ihres Ruhmes, d. h. , wie

dio Tradition wohl richtig erklärt, ura an den Ort zu kommen, wo

er sie recht preisen kanu, sic fleht er um Hülfe an. Da will er

Sic (v. 8) mit gebundener Rede und mit aufgehobenen Händen ver¬

ehren, er will ihnen (v. 9) Opfer darbringen. Aber nicht blos mit

Worten will er seine Verehrung bezeigen, in v. 10 sagt er weiter:

was ich thue — es soll aber nur das sein, was auch andere Fromme

gethau haben, was sich vor den Augeu und beim Tageslichte sehen

(13)

Spiegel, zur Erklärung dee Atiesta. 709

lassen darf — das soll zu eureu (der genannten Genien) Preise

geschehen. In der letzten Strophe betheuert er nochmals, sie prei¬

sen zu wollen, so viel und so lange es ihm nur möglich ist. Das

Ganze passt zu einander und zu den sonst in den Gäthäs ausge¬

sprochenen Ideen, unter denen Vedaverse sich wie ein Misston

ausnehmen würden.

4. skata.

üeber die Form dieses in der Ueberschrift genannten schwie¬

rigen Wortes lassen sich verschiedene Ansichten aufstellen. Nur

dreimal findet sich dasselbe in unseren Texten, und an jeder der

drei Stellen ist eine andere Lesart überwiegend beglaubigt. An

einer Stelle Yg. 10, 29 haben die Handschriften skata, nur eine

unabhängige aus Persien stammende liest skyata. An der zweiten

Stelle Yt. 10, 14 schwanken die Handschriften zwischen äiskatem

und äi.katem, an der dritten Yt. 19, 3 theilen sie sich zwischen

iskata und uga kata. Roth will, wie er sagt, der Lesart äiskata

zu ihrem Rechte verhelfen, worin aber dieses Recht besteht, vermag

ich nicht zu ergründen. Die Handschriften, welche äiskatem lesen,

sind nicht besonders preiswürdig; dass die Lesart von Seiten der

Etymologie sich besonders empfehle, wird nicht gesagt und ist

auch nicht ersichtlich. Was mich betrifft, so würde ich, wie We¬

stergaard, eigentlich der Lesart skyata den Vorzug vor allen an¬

dern geben, weil sie ein wichtiges Erforderniss hat, welches allen

fehlt. Wo wir sonst sk im Altbaktrischen angewendet finden, da

folgt fast immer ein i oder y nach (vgl m. altb. Gr. § 48. A. 2), nur

in unserm Worte ist dies nicht der Fall. Die Erwägung jedoch,

dass an den anderen Stellen dieses y beharrlich fehlt, hat mich

die Lesart skata vorziehen lassen; an sie schliesst sich iskata an,

in welchem Worte i blosser Vorschlag zu sein scheint '). Was

äiskatem anbelangt, so hat schon Windischmann vorgeschlagen,

ä.iskatem zu lesen, was auch der Zusammenhang zu verlangen

scheint. In der Stelle Yg. 10, 29 sind die Textesworte alle durch die Uebersetzung garantirt, der Text lautet : meregha vizhvanca vibaren

avi skata upairigaena und die H.-U. naani Naa n^is niu ^aNTna

■jiDINB inBDüJ IIN was Ncrioscngh seinerseits wiedergiebt:

vihagaih vibhinnam praxipto 'si upari vicitre päräsikasya. Hier

entspricht nN DN?2 oder upari dem avi des Textes, überhaupt stim-

1) Wie in dem ins Aramäische übergegangenen

zgad, dahineilen. Hierzu gehört auch neup. ü)-v.l d. h. equus, quo cursor publicus iter facit, 2) cursor publicus. Dieses li^l verhält sich zu zgad wie neup. ^ii^^^O zu allb. dughdherc, d. h. der Dialekt, dem dio neup. Form entnommen ist, hat die ursprünglichen Lautverbältnisse bewahrt. Zgad ist demnach aus skad erweicht, wie ghzliar aus xar, uud stimmt zu skr. skaud, scandere.

(14)

710 Spiegel, zur Erklärung des Avesta.

men beide Uebersetzungen vollkommen zusammen; indessen habe

ich naann saa, als für vibaren stehend >), mit der 3 ps. plur.

wiedergegeben, während es Neriosengh als part. pass, fasst, was

auch möglich ist (vgl. meine Huzv.-Gr. § 113. A. 2). Nur das

seltene skata macht Schwierigkeiten, Neriosengh übersetzt noDiB

mit vicitra, wunderbar, d. h. er sieht darin das neup. ,ü.^aiLii.

Nun lässt sich aber weder an unserer nocb an andern Stellen mit

dieser Bedeutung ein erträglicher Sinn verbinden, bei Vergleichung

anderer Stellen sieht man, dass neben nssia auch nsNsiB d. i.

jjüLjCii und nsiaffl d. i. iOs^^ sich geschrieben findet; letzteres

Wort ist wohl ursprünglich nur Verdunklung aus der ersten Form,

und auf diese Uebersetzung gestützt hat Justi die Bedeutung

„Schlucht" angenommen. Ich selbst habe, wie aus meinem Com¬

mentare zu ersehen ist, einen etwas verschiedenen Weg eingeschla¬

gen. Vd. 3, 147 steht nämlich nD=na für derezäna, ib. 149 für

derezi, Vsp. 8, 19 für daresha, V. 3, 61 und sonst ist darshi-dru mit pnnB3i23 übersetzt. An allen diesen Stellen behält Neriosengh

die Bedeutung des Wunderbaren bei, man wird aber eher die des

Harten, Festen wählen müssen, daran dürfte sich die des Berges

oder Felsens ansehliessen. Skata scheint mir nicht viel verschieden

von kata, welches für die Stockwerke eines Hauses, üherhaupt für

etwas Hohes steht. Ich stütze mich dabei auf skyaothna, welches

doch wohl dem skr. cyautna entspricht; demnach wäre sk der Ver¬

treter eines harten Gutturalen oder Palatalen

Die drei Stellen, welche das Wort iskata oder skata enthalten,

fordern — die beiden andern noch weit mehr als die oben ange¬

führte — dass entweder iskata oder das danebenstehende Beiwort

ein Eigenname sei. In Yt. 10, 14, wo iskata allein steht, würde

sich das Wort zur Noth in der allgemeinen Bedeutung Berg oder

Schlucht fassen lassen, Yt. 19, 3 erhält iskata den Beisatz upairi¬

gaena, welches Wort von upairi-gaena in unserer Stelle nicht ver¬

schieden ist. Ich übersetze dieses Wort gewöhnlich „oberhalb der

Adler" oder „oberhalb der Qaenas", Der letztere Ausdruck ist

besser, denn gaena ist kaum jeder Adler, sondern ein fabelhaftes

Thier; das Wort ist im neup. g^j.**« (pärsi ginamrft) und wohl

auch in in^.s-J^Xj^ erhalten. Dass das Wort ein Eigenname, der

Name des Gebirgszuges sein soll, der bei spätern Schriftstellern

den Namen Arpärgin führt, geht aus der oben mitgetheilten Ueber¬

setzung hervor ; die Uebersetzung dieses Eigennamens mit „oberhalb

der Adler" gehört nicht der Tradition, sondern mir. Roth's Ein-

1) Ich habe vizhvanca, vielleicht vorschnell, als eine Erweichung aus vi^pa angesehen. Vielleicht aber ist vizhvaiic eine Weiterbildung aus vi , ähn¬

lich wie bizhvat aus bi. Dies würde der Tradition noch mehr entsprechen.

2) Aus dem Neupersischen vergleiche ich olX:s. und liLiCw , welche beide cacumen montis bedeuten.

(15)

Spiegel, zur Erklärung des Avesta. 711

wände gegen diese meine üebersetzung scheinen mir nicht erheblich

zu sein. Er behauptet, es führe zu einem doppelten Widersinn,

wenn man sagt, dass es Berge gebe, die hoher sind, als die Adler

fliegen, und doch Vögel auf den Bergen den Haoma verbreiten.

Das wäre nur dann richtig, wenn wir annehmen müssten, die Vögel,

welche den Haoma verbreiten, seien gewöhnliche Vögel gewesen;

dazu ist aber kein Grund vorhanden. Wie man aus Y. 10, 26—28

sieht, wird der Haoma von einem Gotte auf dem Götterberge, der

hohen Haraiti, geschafi'en; von dort trugen ihn dann fabelhafte

Vögel herab auf geringere Bergspitzen, zu denen auch Upairigaena

gehört. Doch, nehmen wir auch an, es seien gewöhnliche "Vögel

gewesen, ein Widerspruch existirte nur dann, wenn die Schreiber

dieses Textes auch dem Berge Upairigaena den Namen gegeben

hatten. War aber der Name bereits ein Eigenname geworden, so

dachte man kaum mehr an die Bedeutung, welche die Etymologie

dem Worte zu geben hatte. Uebrigens weiss ich sehr wohl, dass

die Erklärung des Wortes upairi-gaena, welche ich annehme, nicht

die einzige ist, welche man geben kann. Upairi bedeutet nicht blos

über, sondern auch auf, letztere Bedeutung ist sogar die häufi¬

gere. Es ist auch nicht unumgänglich nöthig das Compositum als

Determinativum aufzufassen, man kann auch ein comp, possess.

darin sehen. Dann würde das Wort bedeuten : „(Berggipfel) welche

die (jJaenas auf sich haben". Was mich abhält diese Erklärung

anzunehmen, ist der ümstand, einmal, dass das Wort dann ein

Adjectivum wäre, dem immer noch ein Substantivum beigefügt wer¬

den muss, besonders aber, dass die gewonnene Bedeutung eine sehr

farblose ist und sich zu einem Eigennamen sehr wenig eignet. Ein

„Ueberadler" hingegen kann sich ganz gut mit einem „Hochvogel"

oder „Himmelschroffen" messen, mit welchen Namen man auch in

unseren Alpen nicht allzu hohe Berge zu bezeichnen pflegt.

5. mada und madha.

Es würde mir Vergnügen machen, auch die von Roth nnter

4 besprochenen Strophen aus Yg. 48 (47 m. A.) in ähnlicher Weise

durchzugehen wie die vorhergehenden. An Stoff zu Gegenbemer¬

kungen würde es mir keineswegs fehlen, das Resultat aher schliess¬

lich ein ganz ähnliches sein wie früher, und darum wage ich nicht,

den Raum dieser Zeitschrift für diese Angelegenheit weiter in An¬

spruch zu nehmen, denn die Leser werden bereits bemerkt haben,

dass eine nur halbwegs eingehende Besprechung von Gäthästellen

eine grosse Ausführlichkeit erfordert. Ich begnüge mich daher mit

der Besprechung des in der Ueberschrift genannten Wortes , weil

gerade bei ihm die Verschiedenheit der beiderseitigen Ansichten in

aller Schroffheit zu Tage tritt. „Wie sollen wir, sagt Roth, jemals

zu einem Verständniss dieser Texte gelangen, wenn so zwingende

Erklärungen sich nicht Eingang verschaffen könuen?" Ich meiner¬

seits verhehle aber durchaus nicht, dass ich es für eine meiner

(16)

712 Spiegel, zur Erklärung de» Avesta.

Hauptaufgaben ansehe, Erklärungen dieses Schlages den Eingang zu

verwehren, oder sie wieder zu beseitigen, wenn sie bereits Eingang

gefunden haben. Roth sagt weiter: „dass mada, sonst madha = skr.

mada ist, sollte sich von selbst verstehen, vollends wenn man von

haomahe madhäoghö (somasya madäsah) liest in Y. 8, 10. von den

Räuschen oder Rauschtränken des Soma". Das kann man nur be¬

weisend finden, wenn man fest glaubt, dass der Veda der Schlüssel

des Avesta war, ist und bleibt. Was würde wohl ein alttestament¬

licher Exeget sagen, wenn man ihm mittheilte, das hebräische ünb

0 <

sei das arabische f^i, Fleisch, und er müsse es ohne Widerrede

mit „Fleisch" übersetzen, wenn es sich in den hebräischen Texten

vorfindet? Was würde Roth selbst sagen, wenn ich den Spiess

umkehrte und sagte : da das indische mada das altbaktrische madha

ist, so verlange ich, dass es überall mit „Wissenschaft" übersetzt

werde, wenn es in den vedischen Texten vorkommt? Hier heisst

es: principiis obsta; wenn solche Grundsätze gelten, dann ist eine

iranische Philologie weder möglich noch nöthig, das Sanskrit ge¬

beut einfach, was da stehen soll, und dagegen gilt keine Widerrede.

Wie ganz anders verfährt Burnouf, dem wir die Begriffsbestimmung

von madha verdanken; es wird sich verlohnen, seine Worte anzu¬

führen (Stüdes p. 243 flg.): N6riosengh traduit par seience, con¬

naissance, le seul mot qui reste ä interpreter au commencement

de notre paragraphe; Anquetil l'omet tout ä fait. Guid6 par la

version de N6riosengh et par I'analogie ext6rieure du zend madha,

theme de madhem, avec le sanserif medhä et le radical grec

fia&, je n'h6site pas ä traduire madha par prudence, intel¬

ligence; 11 est meme probable que la racine zende madh, d'oü

derive madha, se präsente ici sous une forme plus ancienne que

le radical Sanscrit midh, d'oü l'on tire medhä. II serait ce¬

pendant possible que madhem füt simplement le madam vedique,

et qu'il signifiät la joie ou l'ivresse que donne le Söma; ce sens

physi(iue , si fröquemment rappele dans les Vedas , aurait 6t6 depuis

longtemps oublie des Parses. Je n'ai cependant pas ose le sub-

stituer ä celui de Neriosengh, parce que je n'ai pas de preuve

süffisante que la joie produite par le Homa soit c616br6e dans les

trois fragments considdrables du Yagna, oü il est question de cette

plante sacr6e. Wir fügen hinzu, dass nirgends von einem Soma-

rausche im Avesta die Rede ist , der auch nur ein Misston in allen

iränischen Anschauungen wäre. Burnouf hat richtig gesehen, dass

es das Avesta selbst ist, aus dem man die Bedeutung eines Wortes

vor Allen ermitteln müsse ; es ist ja doch dieses Denkmal des Alter¬

thums nicht ein Aggregat von Buchstaben, denen wir eine beliebige

Bedeutung geben können, vielmehr haben wir es als den Träger

gewisser Ideen anzusehen, die wir ermitteln müssen. Diese rein

historische Aufgabe des iränischen Philologen wird von den Sans¬

kritisten nur zu oft ganz übersehen. Das Avesta selbst zeigt nun

4 8

(17)

Spiegel, zur Erklärung des Avesta. 713

die Wurzel madh noch weiter in den beiden Wörtern vimädhagh

und vimädhay (Vd. 7, 99. 100), die von der ärztlichen Behandlung

gebraucht werden. Y. 13, 3 erscheint vohftmad, viele Weisheit

habend, als Beiwort des Ahura. Die traditionelle Bedeutung vidyä

für madha möchte ich um so weniger bezweifeln, als die Ueber¬

setzer bei der Wahl dieses Wortes gewiss nicht an skr. midh oder

gr. fia& gedacht, für ihre Uebersetzung also andere Gründe ge¬

habt haben als wir. Wenn wir auch die Bedeutung Wissenschaft

für madha fallen lassen wollten, es würde wenig helfen, die Wissen¬

schaft des Haoma würden wir doch nicht los, denn Y. 9, 83 heisst

er vaedyäpaiti, und hier werden wohl auch die Sanskritisten gegen

die traditionelle Erklärung neONDN oder vettritäyäh patih nichts

einzuwenden haben. Wenn ich nun auch nicht zu sagen wüsste, was

diese Haomawissenschaft sein soll, so würde ich darum doch zu¬

gehen, dass im Avesta von ihr die Kede sei. Es scheint mir in¬

dessen nicht so schwer zu sagen, was diese Wissenschaft eigentlich

sei. Man braucht nur das Gebet Yg. 9, 64—70 zu lesen und zu

erwägen, welche Gaben von Haoma verlangt werden, oder die Stelle

Yg. 10, 17. 18. 22. und man wird kaum in Zweifel sein, dass die

Heilkunst die Wissenschaft des Haoma ist. Als Heilmittel wird

Haoma öfter genannt und, weit entfernt zu berauschen, setzt er die

Kräfte in das gehörige Ebenmass. An der schwierigen Stelle Yg.

47, 10 ist gewiss dasselbe Wort madha Wissenschaft anzunehmen,

wenn man nicht mit der H.-U. maga, Grösse, lesen will.

Aus diesen Bemerkungen wird hervorgehen, dass ich durch

Rotb's Beiträge zur Erklärung des Avesta in meinen Ueberzeuguu¬

gen keineswegs erschüttert worden bin; hoffentlich wird man aber

auch gesehen haben, dass das Festhalten an meinen Ansichten nicht

durch Rechthaberei bedingt, sondern eine Folge der durchaus ver¬

schiedenen Methode ist, welche ich für die Erklärung eränischer

Texte anwende und die keine andere ist als die Burnoufs. Es ist

meine feste Ueberzeugung, dass nicht ich meine Methode aufzuge¬

ben habe, sondern die Gegenpartei, die Vedaforscher müssen es

unterlassen, die Gäthäs oder andere altbaktrische Texte wie Prä-

krittexte zu behandeln. Für mich handelt es sich um mehr als

die blosse Vertheidigung meiner Uebersetzung: es gilt, dem iräni¬

schen Sprachstamm seine gebührende Stellung zu wahren. Der

eränischen Philologie gebührt ihre Stelle neben und nicht unter

der indischen. Die Exegese des Avesta hat so grosse Aehnlichkeit

mit der Exegese des A. T., dass der Erklärer dieses Buches meist

nichts Besseres thun kann, als sich nach dem Muster der bibli¬

schen Exegese zu richten, und darum dient vielleicht folgendes Bei¬

spiel dazu, die Sache klarer zu machen. Für die alttestamentliche

Exegese steht das Arabische in einer ähnlichen Stellung, wie das

Sanskrit zur Erklärung des Avesta; man betrachtet es als eine dem

Hebräischen nahe verwandte Sprache und leugnet nicht, dass die

Vergleichung dieser Sprache grossen Nutzen bringen könne. Was

(18)

714 Spiegel, zur Erklärung des Avesta.f

würde ein biblisclier Exeget wohl sagen, wenn mau behauptete, das

Arabische sei der Schlüssel des A. T., und dieses dürfe nur aus

dem Arabischen erklärt werden? Hieraus würde dann folgen, dass

alle Vergleichung der alten Uebersetzungen, von der Septuaginta

angefangen, blosse Zeitverschwendung ist. Die Tradition hat über¬

haupt wenig zu bedeuten, und dass die Uebersetzer des A. T. den

Sinn des Buches verloren hatten, zeigen sie ganz deutlich. Da soll

z. B. wissen hedeuten, da es doch offenbar arabisch ver¬

abschieden, ist, rnn schwanger sein, die Vergleichung des arabischen

zeigt, dass das Verbum percussit baculo bedeuten muss. onb

soll Brot heissen, schon die Worte Dnb;, rjwnb?: hätten belehren

müssen, dass das Wort Fleisch heisst. Natürlich können die auf die

Tradition begründeten Wörterbücher keinen Werth haben, man wird

gut thun, den Text des A. T. ins Arabische zurück zn übersetzen

und jedes Wort im arabischen Lexikon nachzuschlagen. Selbstver¬

ständlich ist, dass man am Texte die nöthigen Aenderungen vor¬

nimmt, ohne sich dabei an die Handschriften zu kehren. — Setzt

man statt Arabisch Sanskrit, statt Hebräisch Altbaktrisch, für das

A. T. aber Avesta, so hat man hier ein getreues Bild der Exegese

welche von mir verlangt wird.

Nachschrift. Eben indem ich diese Abhandlung sehliessen

will, erhalte ich Weher's Anzeige des ersten Bandes meiner Alter¬

thumskunde (vgl. d. Z. 25, 509 flg) und füge hier noch einige

Worte über dieselbe bei , aus keinem andern Grunde , als weil sie

mir eine erwünschte Ergänzung zu dem zu machen erlaubt, was

ich oben gesagt habe. Es zeigt sich eben auch bei Betrachtung

der Alterthumskunde derselbe tiefe Unterschied des Verfahrens, wie

auf dem Gebiete des Lexikous uud der Grammatik : auch hier halte

ich es für die mir zufallende Aufgabe, dem eränischen Alterthume

zu seinem Rechte zu verhelfen, und dasselbe neben und nicht

unter das indische zu stellen. Vor Allem wird es nöthig sein, den

eränischen Quellen zum Worte zu verhelfen, und aus ihnen zu er¬

schliessen, was zu erschliessen ist, ohne sich durch vorgefasste Mei¬

nungen beirren zu lassen. Doch zur Sache. Weber hat besonders

au dem geschichtlichen Theile des Buches Ausstellungen gemacht.

Den ersten Abschnitt, welcher die arische Urzeit behandelt, findet

er viel zu kurz ausgefallen, als dass ich der Sache hätte gerecht

werden können. Ich glaube ira Gegentheil, eben weil ich der Sache

gerecht geworden bin, ist der Abschnitt so kurz ausgefallen. Schou

in der Einleitung zum 3. Bande meiner Avesta-Uebersetzung (S.

LXXIX flg.) habe ich auf eine reinliche Scheidung zwischen verglei¬

chender und eränischer Mythologie gedrungen, während dieselben sonst

so gemischt werden, dass die Gestalten zu eränisch sind um indo¬

germanisch, und zu indogermanisch um eränisch sein zu können.

Hier habe ich nun meine Ansicht durchgeführt und nach gewissen¬

hafter Prüfung uur Thatsächliches aufgenommen, Dinge, welche sich.

(19)

Spiegel, xur Eirklärung des Avesta. 715

aus dem Veda einerseits und aus dem Avesta andererseits beglau¬

bigen liessen. Weggefallen sind Hypothesen und offenbare Unrich¬

tigkeiten, wie die Vergleichung von skr. agvin mit altb. agpin,

welche nur aufrecht erhalten werden kann, wenn man sich ent¬

scbliesst, alle Regeln gesunder Interpretation aber auch alle —

ins Angesicht zu schlagen. Es ist wahr, durch diese Beschränkung

auf das Thatsächliche erhält die Darstellung dieser Periode einen

lückenhaften, unfertigen Charakter, aber jeder Vernünftige wird sich

sagen müssen, dass der Grund davon in der Entfernung jener

Periode liegt, und die Sache nicht im Geringsten gebessert wird,

wenn wir die Thatsachen durch Hypothesen vermehren.

Aus den Ergebnissen über die arische Periode habe ich den

Schluss gezogen, es sei diese Periode schon abgelaufen gewesen,

ehe der erste vedische Hymnus gedichtet wurde. Dass Weber eine

andere Ansicht hat, ist mir nicht unbekannt, auffallend aber war es

mir, dass mir vorgeworfen wird, ich hätte rair unbequeme That¬

sachen geradezu übergangen, so namentlich die Erwähnung der

Kambojas durch Yäska, der damit wahrscheinlich die Baktrer be¬

zeichnete. Es würde in der That eben so rücksichtslos wie gewis¬

senlos von mir gewesen sein, hätte ich diese Sache, auf die mich

Weber schon öfter aufmerksam gemaclit hat, so ganz übergangen.

Diess habe ich indess nicht gethan, wio man aus S. 442 meines

Buches ersehen kann; was ich hier gebe, mag als weitere Ausfüh¬

rung des dort Gesagten gelten. Yäska im Nirukta (2, 2) äussert

sich folgendermassen: gavatir gatikarmä kambojeshveva bhäshyate

vikäram asya äryeshu bhäshante gava iti. Es ist hier von einer

Wurzel gu, gavali die Rede, welche bei den Kambojas als Verbum

in der Bedeutung „gehen" gebraucht wird, während bei den Äryas

blos Ableitungen der Wurzel wie gavah vorkommen. Dieses gu,

gavati soll uun, nach Weber, das altbaktrische shu sein. Offenbar

will Yäska an der angeführteu Stelle nicht von einer fremden

Sprache, sondern von einem indischen Dialekte sprechen, es liegt

weit näher an das indische gavati zu denken, welches die Nighanta¬

vas in der Bedeutung „gehen" aufführen, als an das altbaktrische shu , denn erstlich entspricht das sanskritische g dem altbaktrischen

g und nicht dem sh, zweitens wird shu, das bekanntlich im Alt¬

persischen siyu heisst, besser mit skr. cyu verglichen. Ueberhaupt

sehe ich in den Kambojas nur Inder, wie Lassen und Rothund

betrachte sie als die wahrscheinlichen Vorfahren der heutigen Käfirs.

Dafür spricht, dass sie von Manu (10, 44) in der Nähe der Dara¬

das erwähnt werden, dass es heisst, sie besässen Elephanten, end¬

lich, dass nach Elphinstone's Angaben ein Starara der Käfir sich

noch jetzt Kamoze nennen soll. Die Käfirs haben sich als ein rein

indisches Volk herausgestellt, und es ist Thatsache, dass sie erst

1) Vgl. Lassen, ind. Altcrlhumsk. 1, 439. 534. 1. Ausg. lioth, zur (ie¬

schichte und Lit. des Veda p. 67.

(20)

716 Spiegel, mr Erklänmg des Avesta.

spät gegen Norden zurückgedrängt wurden (ra. Alterthumsk. p. 399).

Die Baktrer können die Kambojas schon darum nicht gnt sein, weil

sie Mahäbh. 3, 12840 gerade neben diesen, den Vählikas oder

Bählikas ') genannt werden. Die Kambojas waren mithin nicht blos

nach der indischen Auffassung, sondern auch der Wirklichkeit nach

Inder, und können als solche für eine indisch-iranische Gemein¬

schaft nicht sprechen. Doch nun kommen wir an die Stelle , wo die

Sanskritisten sterblich sind. Auch die ilränier kennen Kambojas.

Der Name Kambujiya, Kambyses, kann kaum etwas Anderes heissen

als der aus Kam buja stammende, folglich muss den foäniern ein

Land bekannt gewesen sein, welches Kambuja hiess , und dieses muss

mit Kamboja identisch sein. Wenn man nnn nach der gewöhnlichen

Manier das Altiränische als Präkritsprache behandelt, so sagt man,

raan habe die Kambojas bei den firäniern als Kambuja wiederge¬

funden, und die Identität ist fertig. Eine solche Behandlung müssen

wir uns indessen im Interesse der iränischen Philologie verbitten.

Wir haben oben untersucht, wo die Inder ihre Kambojas zu finden

glauben, nach indischen Quellen, ohne die tränier einzumischen;

hier verlangen wir für die tränier das gleiche Recht, ohne Ein¬

mischung der Inder. Am natürlichsten freilich wird man Kambuja

in derselben Richtung suchen wie die indischen Kamboja, aber man

wird eben nichts finden, dagegen giebt es einen Fluss Kambyses,

welcher die heutige Yora ist, und in der Nähe dieses Flusses eine

Landschaft Kambysene. Unser Ergebniss ist deranach, dass die

foänier ihr Kambuja ebenso im Nordwesten ihres Landes suchten,

wie die Inder die Kambojas im Nordwesten des ihrigen. Welches

der beiden Völker hat nun Recht? Sind die firänier vom Indus¬

lande gegen Westen gewandert, so mögen sie den Namen Kamboja

mit sich genommen haben, ähnlich wie die nach Süden wandernden

Inder es mit den Namen Gaiigä, Kogala u. s. w. gemacht haben.

Der umgekehrte Weg ist freilich wahrscheinlicher, und dann würde

die Priorität auf Seiten der firänier sein. Aber besser ist es, wenn

man den dritten Weg einschlägt, den Namen zwar als eine Erinne¬

rung aus der Urzeit betrachtet, aber dabei annimmt, dass jedes der

beiden arischen Völker denselben in seinem Gesichtskreis anders

localisirt habe.

Weniger hat ein zweiter Vorwurf zu bedeuten, dass ich auf

die in den Brähmanas so häufige Legende von dem Zwiespalte der

1) Ich halte es nicht für richtig, dass die Herausgeber des petersburger Wörterbuchs den Formen bälhi , balhilca den Vorzug vor den allgemein be¬

zeugten babli, bählika der Handschrifteu geben. OfTenbar hat sie die RUcksieht auf das neuere Balkh irre geleitet. Die richtigere Form ist "inNla , welche die Huzv.-Uebers. Vd, 1, 22 giebt, dazu stimmt das armenische Bahl (z. B. Moses Khor. 2, 68 — p. 304,6. ed. Vcn.), welches nach Ausstossung des t regelrecht aus altp. Bäkhtris entstanden ist, Balkh ist spätere Umsetzung. Die Form giebt einen interessanten Fingerzeig Uber die Zeit der Entstehung der epischen Namensform.

(21)

Spiegel, zur Erklärung des Avesta. 717

Adityas und Angiras keine Rücksicht genommen habe, mit Ver¬

weisung auf Indische Studien I, 292. 293. 174. Erstaunt habe ich

mich gefragt, was mir das soll, denn da weder von Adityas noch

vou Angiras im Avesta die Rede ist, kann man ihnen doch nicht

gut einen Platz in der vergleichenden Mythologie anweisen. Ich

schlage nach und finde, dass nach den Qatapatha-hrähmana „die

Angiras einst schwach wurden, weil sie blos von Milch lebten, sie

kurirten sich durch einen Gürtel, den sie um den Leib wanden;

aus diesem Gürtel ist nun die heilige Schnur geworden, die als

Zeichen der drei oberen Kasten gilt". Dazu meint nun Weber:

„wir haben also in jenen Sagen von der einstigen Schwäche der

Angiras vielleicht (von W. seihst durchschossen gedruckt) noch

die Erinnerung an Kämpfe aus der gemeinsamen persa- und indo-

arischen Vorzeit, jedenfalls das Bewusstsein vor uns, dass vor der

engen Vereinigung durch die brahmanischeu Gebräuche die Kraft

der indischen Arier eine gebrochene war." Wie gesagt, für die

Darstellung der arischen Periode wüsste ich diese Notiz nicht zu

verwerthen, es sei denn, dass ich sie — oder vielmehr die Aus¬

deutung derselben — als eine historische Notiz angesehen hätte.

Dazu schien sie mir aber nicht angethan, darum habe ich mich

(S. 438 meines Buches) auf die einfache Mittheilung beschränkt,

dass sowohl die Inder wie die tränier eine heilige Schnur anwen¬

deu und dieser Gebrauch mithin bis in die arische Zeit zurück¬

reichen dürfte.

Auf die Darstellung der arischen Periode hahe ich einen Ab¬

schnitt folgen lassen mit dem Titel: Beginn der iränischen Selbst¬

ständigkeit. Wir wollen über diesen Titel nicht rechten, vielleicht

hätte ich zweckmässiger gesagt : die ältesten Nachrichten von der

iränischen Selbstständigkeit. Sonst wüsste ich nicht, wie ich die

Sache hätte anders einrichten sollen. Die arische Periode kann

natürlich nur als Vorgeschichte gelten, in ihr existirte das iräni¬

sche Volk als Volk noch nicht. Unsere sichere Geschichte der

^>änier heginnt erst mit dem Aufblühen des medischen Reiches,

eigentlich erst mit dem Beginn der Achämenidenherrschaft. Es

handelt sich nun um sichere Zeugnisse, welche uns erlauben, die

Spuren der iränischen Selbstständigkeit höher hinauf zu verfolgen.

Wo können wir aber solche Zeugnisse zu finden hoffen ? Im Osten

bei den Indern gewiss nicht, sie haben einmal keine Geschichte,

dann hat sich aber die indische Entwicklung immer mehr gegen

Osten in das Stromgebiet des Yamunä und Gangä zurückgezogen,

sie war also allzu entfernt von den iränischen Gränzen. Im Nor¬

den von firän werden sich solche Spuren nicht entdecken lassen,

denn da ist nie Bildung gewesen, im Süden auch nicht, denn da

ist das Meer. Es bleibt also nur der Westen ttbrig, und dort

haben seit langer Zeit Staaten bestanden, deren Alter über die

iränische Geschichte hinaufgeht. Bis jetzt freilich ist es noch nicht

gelungen, die verwickelten babylonischen uud assyrischen Keilin-

(22)

718 Spiegel, zur Erklärung den Aveeta.

Schriften vollständig zu entziffern, auch scheinen dieselhen nur wenig über firän zu enthalten, doch beweist die Einführung der Keilschrift in dem letztern Lande, dass wenigstens Westerän seit alter Zeit mit

der westlichen Bildung verbunden war. Wichtiger noch für die

Existenz der tränier in ihrem Lande in vormedischer Zeit sind die

Spuren in den ersten Capitehi der Genesis. Mit Unrecht behauptet

Weber, ich spreche in dem ganzen Abschnitte nur von den Semiten,

ich spreche ebensogut von den Eraniern , aber nach semitischen

Quellen. Ich sage ausdrücklich (S. 449), dass die Berührungen der

Semiten und firänier doppelter Art sind, theils Entlehnungen der

Aränier von den Semiten, theils umgekehrt Entlehnungen der Se¬

miten von den firäniern; mit den letzteren wollen wir beginnen.

Dass gerade diese Art von Entlehnung sehr drastisch ist, erkennt

auch Weber an; in der That, enthielte das zweite Capitel der Ge¬

nesis nichts weiter als den Namen rriB Frät, so würde es dadurch

allein für den Iranisten eine kostbare Urkunde sein, denn wir

sehen hier einen unzweifelhaft eränischen Namen und unzweifelhaft

eränische Lautgesetze. Es enthält aber das genannte Capitel die

noch weit kostbarere Nachricht über den Baum des Lebens , über

dessen Verwandtschaft mit dem eränischen Haoma es überflüssig ist

zu reden, weil schon seit 80 Jahren Niemand daran zweifelt. We¬

gen der Abfassungszeit dieser Stücke verweise ich Weber auf die

Beraerkungen von Merx in der neuen Ausgabe des Tuch'schen Cora-

mentars S. CXIV. Er wird dort sehen, dass das Zeitalter des so¬

genannten Jahvisten, dera diese Stücke angehören, gewöhnlich in

die Mitte des 9. Jahrhunderts verlegt wird, während Andere bis

zur ersten Hälfte des 8. Jahrh. herabgehen. In dem einen wie in

dem andern Falle ist das Stück älter als irgend etwas in der

eränischen Literatur Bezeugtes, und da die Nachricht über den

Lebensbaum nicht blos eine indogermanische, sondern eine speciell

eränische ist, so leuchtet ihr Werth für den Iranisten jedem Un¬

befangenen ein.

Doch ich habe nicht blos von solchen Entlehnungen gespro¬

chen, welche die Semiten von den Äräniern gemacht haben, sondern

auch von solchen, welche die firänier den Semiten entnommen ha¬

ben, und zwar habe ich behauptet, die tränier möchten ihre Ent¬

lehnungen zu gleicher Zeit mit den Semiten gemacht haben, also

noch vor Beginn der Achämenidenherrschaft. Das flndet nun Weber

bedenklich, die Entlehnungen könnten, so meint er, ja weit später

gemacht worden sein. Weiter flndet es Weber bedenklich, das

Avesta selbst in nachachämenidische Zeit zu verlegen (wie ich thue)

und dabei doch nicht nur anzunehmen , dass die Achämeniden so

ziemlich das glaubten, was ira Avesta steht, sondern selbst auch,

dass einzelne Theile des Buches in noch frühere Zeit zurückgehen,

wenn es nämlich Thatsachen giebt, welche dafür sprechen. Solche

Blaucowechsel , meint Weber, seien etwas gefährlich. Nach diesen

Bemerkungen zu urtheilen, scheint Weber den Stand der eränischen

(23)

Spiegel, zur Eirklärung (Im Avesta. 719

Forschungen nicht genau zu kennen, Sonst hätte er wissen müssen,

dass sich in Windischmann's zoroastrischen Studien (S. 121 flg. )

eine längere Ahhandlung befindet mit der Ueberschrift: Alter des

Systems und der Texte. Das erste Capitel derselben behandelt die

äussern Zeugnisse, und enthält eine eingehende Vergleichung der

altpersischen Keilinschriften mit dem Avesta. Ueber den Zweck

und die Tragweite der Untersuchung sagt Windischmann gleich am

Eingange: „Wenn es sich nämlich nachweisen lässt, dass diese

Denkmäler die genannte Religion (nämlich die zarathustrische) vor¬

aussetzen , ja Reminiscenzen an die uns vorliegenden Texte der

heiligen Bücher enthalten, so ist damit einstweilen so viel erwie¬

sen, dass das zarathustrische System nach 510 v. Chr., wohin un¬

gefähr die Inschrift von Bisutün zu setzen ist, nicht entstehen

konnte." Wie ich meine, hat Windischmann diesen Beweis voll¬

gültig geführt, weitere Folgerungen bat er selbst gezogen, wenn er

(S. 125) sagt: „So gewiss es nun ist, dass die Keilinschriften

überall die zarathustrische Religion beurkunden, ebenso sehr lässt

sich aus denselben entnehmen, dass weder Darius noch sein Vater

Hystaspes, welchen die Neuern mit dem Vistagpa der Zendtexte

identificirt haben, und zwar lediglich auf die Gleichnamigkeit ge¬

stützt, Einführer und Beschützer dieser Reform sein konnten. Denn

nicht nur zeigt die Art, wie von Auramazda die Rede ist, dass es

ein längst in das Volk übergegangener Glaube war, nicht nur ist

mit keiner Silbe von der Einführung eines neuen Cultus die Rede,

sondern im Gegentheil versichert Darius, er habe seine Familie, das

Heer und den Staat ganz auf den alten Fuss der Achämeniden

hergestellt, wie er vor der magischen Revolution bestand, und den

Cultus, an welchem Pseudosmerdis gerüttelt hatte, zu alten Ehren

gebracht." Wir werden nicht fehl gehen, wenn wir auch dem Kyros

denselben Glauben zuschreiben, wie mau ja längst in der Aehnlich¬

keit des Glaubens den Grund seiner Sympathie für die Juden gefun¬

den hat, und wenn man Lehren wie die vom Lebensbaume in noch

frühere Zeit verfolgen kann, so sehe ich gar nicht ein, warum man

nicht vermuthen darf, es könne das zarathustrische System noch

höher hinaufgehen. Wohl gemerkt, das zarathustrische System,

darum aber nicht das Avesta. Wollen wir auch dieses so weit

rückwärts versetzen, so sind wir parsiseher als die Parsen selbst,

welche das Buch erst nach Alexander niedergeschrieben sein lassen.

Allerdings mag Manches darin sehr alt sein. Einiges dem Wort¬

laute, Anderes dem Sinne nach. Manches ist aber gewiss auch spät

verfasst, ohne dass wir darum anzunehmen brauchten, die Lehren

der jüngern Theile müssten denen der älteren widersprechen.

Unter den Punkten nun, in denen ich ein« Beeinflussung des

zarathustrischen Systemes durch den Semitismus sehe, habe ich die

Schöpfungslehre hervorgehoben. Es ist unrichtig, wenn Weber die

Sache so darstellt, als habe ich nur auf die 6 Schöpfungsperioden

den Nachdruck gelegt, dieser ist vielmehr auf Ahura als deu all-

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