• Keine Ergebnisse gefunden

Subjektives Erleben von Prekarität in der transnationalen 24h-Betreuung in Österreich

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Subjektives Erleben von Prekarität in der transnationalen 24h-Betreuung in Österreich"

Copied!
107
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Institut für Psychologie

Subjektives Erleben von Prekarität in der transnationalen 24h-Betreuung in Österreich

Franziska Sprenger 01318922

Masterthesis

Zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science (M. Sc.) im Fach Psychologie

Betreuerin: Lisa Hopfgartner, MSc., PhD Innsbruck, September 2021

(2)

Inhalt

Abstract ... 1

1. Einleitung ... 2

2. Theoretische Grundlage ... 3

2.1 Zur Notwendigkeit adaptierter Arbeitsgestaltungsmodelle ... 3

2.1.1 Kriterien humaner Arbeitsgestaltungsmerkmale nach Hacker und Richter (1980) ... 4

2.1.2 Das Job Demands-Resources Model (JD-R) von Demerouti & Bakker (2001) ... 5

2.1.3 Berücksichtigung atypischer Beschäftigung ... 6

2.1.4 Integration von Beschäftigungsmerkmalen ... 7

2.2 Die 24h-Betreuung in Österreich ... 7

2.2.1 Transnationale Migration & Pflege ... 8

2.2.2 Transnationale Migration und Gender ... 9

2.2.3 Die Entstehung der 24-h Betreuung in Österreich ... 10

2.3 Prekäre Beschäftigung ... 13

2.3.1 Konzepte prekärer Beschäftigung ... 15

2.3.2 Die fünf Dimensionen nach Brinkmann et al. (2006) im Kontext der 24h- Betreuung in Österreich ... 22

2.4 Forschungsfrage... 29

3. Methodik ... 30

3.1 Qualitative Forschung ... 30

3.1.1 Das episodische Interview ... 31

3.1.2. Qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) ... 32

3.2 Zugang zur Zielgruppe ... 34

3.3 Durchführung der Interviews ... 35

3.4 Stichprobe ... 38

(3)

3.5 Auswertung der Interviews ... 40

4. Ergebnisse ... 41

4.1 Reproduktiv-materielle Dimension ... 41

4.1.1 Lebensunterhalt ... 42

4.1.2 Arbeitsplatzunsicherheit ... 44

4.1.3 Existenzsorgen im Zuge der Covid-19 Pandemie ... 45

4.2 Sozial-Kommunikative Dimension ... 46

4.2.1 Nähe zu KlientInnen ... 47

4.2.2 Rolle der Familien der KlientInnen ... 49

4.2.3 Soziales Netz ... 51

4.2.4 Sprachbarriere ... 52

4.3 Rechtlich-Institutionelle Dimension ... 53

3.3.1 Vermittlungsagenturen ... 55

3.3.2 Kritik am Modell der Selbstständigkeit ... 56

3.3.3 Interessensvertretung ... 57

3.3.4 Qualifikation ... 57

4.3.5 Soziale Sicherungssysteme ... 58

4.4 Status-Anerkennungsdimension ... 59

4.4.1 Anerkennung auf Gesellschaftsebene ... 60

4.4.2 Anerkennung am Arbeitsplatz ... 62

4.5 Sinnhaft-Subjektbezogene Dimension ... 63

4.5.1 Identifikation ... 64

4.5.2 Bedeutsamkeit ... 65

4.6 Physische Belastung ... 66

5. Diskussion ... 67

5.1. Reproduktiv-Materielle Dimension ... 67

(4)

5.2 Sozial-Kommunikative Dimension ... 69

5.3 Rechtlich-institutionelle Dimension ... 70

5.4 Status- und Anerkennungsdimension ... 71

5.5 Sinnhaft-Subjektbezogene Dimension ... 73

5.6 Physisches Wohlbefinden ... 74

5.7 Fazit ... 75

5.8 Limitationen der Studie ... 77

5.9 Ausblick ... 78

Literaturverzeichnis ... 80

Anhang... 99

(5)

1

Abstract

Die vorliegende Arbeit analysiert das subjektive Erleben von arbeitsbezogener Prekarität in der transnationalen 24h-Betreuung in Österreich. Hierfür wurden sieben rumänische 24h- BetreuerInnen im Rahmen von qualitativen Interviews befragt. Der semistrukturierte Interviewleitfaden basiert auf der Adaption eines soziologischen Konzepts zu prekärer Beschäftigung und umfasst die folgenden Dimensionen: (1) reproduktiv-materiell, (2) sozial- kommunikativ, (3) Partizipation, (4) Status und Anerkennung, (5) sinnhaft – subjektbezogen.

Positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Interviewten zeigten sich vor allem durch die als bereichernd empfundene Beziehungsarbeit zu KlientInnen und den durch die Tätigkeit erreichten Statusgewinn. Darüber hinaus konnten verschiedene negative Auswirkungen der Beschäftigung auf das Wohlbefinden und die Gesundheit festgestellt werden. Hierzu zählen vor allem der Stress durch die hohe Arbeitsplatzunsicherheit und die damit verbundene Abhängigkeit von Angehörigen der KlientInnen und Vermittlungsagenturen, sowie das Burnoutrisiko durch große räumliche und emotionale Nähe zu KlientInnen. Die Ergebnisse stützen die Forderung an die österreichische Politik, die 24h-Betreuung in ein festes Anstellungsverhältnis zu überführen.

(6)

2

1. Einleitung

Mit der Corona-Pandemie ist das Bewusstsein für die Abhängigkeit der österreichischen Gesellschaft von osteuropäischen Arbeitskräften gestiegen. Als im Frühjahr 2020 aufgrund der Pandemie zahlreiche PflegerInnen und ErntehelferInnen aus dem Ausland durch die eingeschränkte Reisefreiheit an ihrem Einsatz in Österreich gehindert war, titelte die Zeitung Kurier: „Coronavirus: 5.000 Erntehelfer fehlen, Versorgung gefährdet. Tausende Hilfskräfte dürften nicht nach Österreich einreisen. Die Landwirtschaftskammer hofft auf heimische Kräfte“ (Möchel & Seiser, 2020). In der Zeitung Standard beschrieb folgende Schlagzeile aus dem gleichen Zeitraum die Brisanz, welche mit dem Ausfall von osteuropäischen 24h- Betreuungskräften entstand: „In drei Wochen droht die 24-Stunden-Betreuung zu kippen.

Corona hindert Pflegerinnen an der Arbeit in Österreich. Bisher verhandelt die Regierung ergebnislos um eine Lösung – und Zivildiener sind nur bedingt Ersatz.“ (Kainrath & John, 2020).

An diese Situation anknüpfend betont das Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) die Notwendigkeit der Erhaltung einer koordinierten Reisefreiheit, welche sich durch die Abhängigkeit der systemrelevanten Sektoren in Österreich von Arbeitskräften aus dem Ausland ergibt (Grübler & Bykova, 2020, S.5). So stellten beispielsweise im Jahr 2020 60% der unselbstständig Beschäftigten in der Landwirtschaft Arbeitskräfte aus dem Ausland dar, wovon die Visegrad-Staaten (Tschechien, Ungarn, Polen, Slowakei) 43% ausmachten (WIIW, 2020). Im Jahr 2019 stammten 18% der in Österreich tätigen PflegerInnen aus dem Ausland, wobei darunter nicht die selbstständig arbeitenden 24h-BetreuuerInnen gezählt wurden (Mara, 2020). Diese machten Ende 2019 knapp an die 62.000 Personen aus und waren aufgrund ihres wechselnden Aufenthaltes zwischen dem Heimatland und Österreich besonders von den Reisebeschränkungen im Zuge der Corona- Pandemie betroffen. Für das Jahr 2018 bezogen 24.692 der 462.17 PflegegeldbezieherInnen (5%) eine Förderung für die 24h-Betreuung - genaue Angaben dazu, wie viele Personen darüber hinaus eine 24h-Betreuung in Anspruch nehmen, können nicht gemacht werden. Im Zuge des Ausfalls der 24h-BetreuerInnen zu Beginn der Corona-Pandemie rückten auch die Verschärfungen der Beschäftigungsbedingungen in den Fokus der Aufmerksamkeit, was beispielsweise eine Bonuszahlung der Regierung an ausländische BetreuerInnen, welche ihren Betreuungsturnus verlängerten, zur Folge hatte (Leiblfinger et al., 2020). Aus Sicht der BetreuerInnen habe sich jedoch nichts nachhaltig an ihren prekären

(7)

3 Beschäftigungsbedingungen verändert (Miedl, 2020). 2021 schlossen sich deswegen 24h- BetreuerInnen unterschiedlicher Nationen zu einer Interessensgemeinschaft zusammen (IG24), um für eine Veränderung ihrer Beschäftigungsbedingen einzutreten (Beck, 2021). Um eine nachhaltige Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen in der 24h-Betreuung zu erreichen, sollten diesbezügliche Überlegungen die Erfahrungen der 24h-BetreuerInnen berücksichtigen. Forschungsarbeiten zu den Beschäftigungsbedingungen in der 24h- Betreuung sollten demnach um eine Erfassung der subjektiven Sicht der BetreuerInnen ergänzt werden. Die vorliegende Arbeit verfolgt dieses Anliegen und analysiert das subjektive Erleben von arbeitsbezogener Prekarität in der 24h-Betreuung. Hierfür wurden rumänische 24h-BetreuerInnen im Rahmen von qualitativen Interviews zu verschiedenen Dimensionen befragt. Die Auswertung dieser Interviews soll dabei helfen zu verstehen, wie die BetreuerInnen verschiedene Aspekte ihrer Arbeit bewerten und wie diese Aspekte miteinander in Verbindung gebracht werden können. Das folgende Kapitel schildert den theoretischen Hintergrund zu den Konzepten prekärer Beschäftigung sowie 24h-Betreuung, gibt einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand und findet den Abschluss in der Vorstellung der dieser Untersuchung zugrunde liegenden konkreten Forschungsfragen. Das darauffolgende Kapitel zur Methodik geht auf die Wahl der Untersuchungsmethode, die Durchführung der Interviews und die Vorstellung der Stichprobe ein. Anschließend werden die Ergebnisse dargelegt und im Hinblick auf die eingangs gestellten Forschungsfragen sowie in Bezug auf Limitationen und weiterführende Forschung diskutiert.

2. Theoretische Grundlage

2.1 Zur Notwendigkeit adaptierter Arbeitsgestaltungsmodelle

Modelle der Arbeitsgestaltung (Volpert & Dunkel 1997) untersuchen, wie Arbeitsbedingungen gestaltet werden müssen, damit sie den Leistungsvoraussetzungen des Menschen angepasst sind und der Persönlichkeitsentwicklung sowie der Gesundheit des Menschen dienen.

Beispiele solcher Arbeitsgestaltungsmodelle sind die Kriterien humaner Arbeitsgestaltungsmerkmale (Hacker &Richter, 1980) und das Job Demands-Resources Model (JD-R) von Demerouti und Bakker (2001). Beide Modelle sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. Gleichzeitig soll die Darstellung dieser beiden tätigkeitsbeschreibenden Modelle auch die Grenzen ihrer Anwendbarkeit aufzeigen. Denn zur Beschreibung der an Bedeutung

(8)

4 gewinnenden atypischen Beschäftigungsverhältnisse braucht es Arbeitsgestaltungsmodelle, die über die Tätigkeitsbeschreibung hinausgehen und zusätzlich Beschäftigungsmerkmale in den Fokus nehmen.

2.1.1 Kriterien humaner Arbeitsgestaltungsmerkmale nach Hacker und Richter (1980)

Das Modell zielt darauf ab, ein exakt definiertes Bewertungsmaß für die sozialen Gestaltungsauswirkungen von Arbeit zu schaffen. Folgende hierarchisch geordneten Dimensionen stellen die Kriterien humaner Arbeitsgestaltungsmerkmale dar: Ausführbarkeit, Schädigungslosigkeit, Beeinträchtigungslosigkeit und Persönlichkeitsförderlichkeit.

Ausführbarkeit liegt dann vor, wenn eine Tätigkeit zuverlässig, forderungsgerecht und langfristig ausgeführt werden kann. Die Ausführbarkeit im Pflegeberuf steht in engem Zusammenhang mit der Einhaltung des Arbeit- und Gesundheitsschutzes. Dieser sieht unter anderem vor, den vielfältigen Gefährdungspotentialen wie Stich- und Schnittverletzungen, Infektionen, Allergien sowie Risiken bei Hebe- und Tragetätigkeiten vorzubeugen (Büssing et al., 2006). Mangelhafte Ausführbarkeit besteht auch dann, wenn Fehlhaltungen zwingend auftreten oder wenn die aufbringbaren Maximalkräfte der PflegerInnen nicht bedacht wurden. Beispielsweise, wenn PflegerInnen dazu angewiesen sind PatientInnen aus dem Krankenbett zu heben, jedoch nicht über die notwendige Kraft verfügen.

Schädigungslosigkeit ist bei einer Ausführbarkeit ohne gesundheitliche Schädigungen gegeben (Glaser & Seubert, 2018). Bei der Bewertung des Kriteriums wird einerseits auf Gesundheitsgefährdungen durch Umweltfaktoren wie Lärm oder toxische Stoffe eingegangen.

Zentraler für den Pflegesektor ist die Einschätzung der Gesundheitsgefährdungen durch körperliche und psychische Belastungen. Für den Bereich des Pflegebereichs verzeichnet der

„Pflege-Report 2019“ (Schmucker, 2019) vergleichsweise hohe Belastungen: Ein hohes Stresslevel (z.B. durch Arbeit unter Zeitdruck), ausgeprägte emotionale Belastungen (z.B.

durch Unterdrückung unangepasster und das Zeigen gewünschter Emotionen) und hohe körperliche Anforderungen (z.B. langanhaltendes Arbeiten im Stehen). Als drittes Kriterium wird die Beeinträchtigungslosigkeit angeführt, worunter die Ausführbarkeit ohne Befindensbeeinträchtigung und Leistungsminderung zu verstehen ist (Glaser & Seubert, 2018). Beispiel für eine Beeinträchtigung ist die Ermüdung, welche als Folge der zuvor genannten psychischen und physischen Belastungen entstehen kann. Insbesondere Arbeitskräfte in helfenden Berufen, welche ein hohes Maß an sozialer Interaktion sowie

(9)

5 Auseinandersetzung mit Leid und Stress erfahren, sind von Burnout betroffen (van der Schoot et al., 2005). Das vierte Kriterium ist die Persönlichkeitsförderlichkeit. Das erklärte Ziel hierbei ist der Erhalt und die Weiterentwicklung von Einstellungen und Fähigkeiten durch Lernvorgänge. Persönlichkeitsförderlichkeit wird beispielsweise dadurch erreicht, dass Personen über einen Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum verfügen und vielfältige Aufgaben ausführen (Ulich & Nido, 2014).

2.1.2 Das Job Demands-Resources Model (JD-R) von Demerouti & Bakker (2001)

Pflegekräfte stellen aufgrund ihrer Arbeitssituation eine besondere Risikogruppe für psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen dar (Dyrbye et al., 2017; Rohwer et al., 2021;

Schmucker, 2019). So konnte bei rund 40 % von insgesamt 1980 befragten Pflegekräften aus deutschen Rehabilitationskliniken ein hohes Burnout-Ausmaß beobachtet werden (Ehresmann et al, 2015). Grund hierfür sind verschiedene Faktoren: Der Stress durch die organisationalen Abläufe, die Anstrengungen der Krankenpflege und die emotionale Erschöpfung (Bazmi et al., 2019). Ein Arbeitsgestaltungsmodell, welches Prozesse darstellt, die zu Burnout führen, ist das Job Demands-Resources Model. Dem Modell liegen die zwei Prozesse Job demands und Job resources zu Grunde: Unter Job demands werden die physischen, sozialen oder organisationalen Anforderungen einer Arbeitstätigkeit an die arbeitende Person verstanden. Job resources beschreiben die Aspekte von Arbeit, welche es einem Individuum ermöglichen, trotz hoher Arbeitsbelastung gesund zu bleiben. Besteht eine hohe Arbeitsanforderung, welche eine anhaltende Überforderung der arbeitenden Person bewirkt, kann es letztendlich zur Erschöpfung kommen. Die geringen vorhandenen Ressourcen können den Anforderungen nicht gerecht werden, was ein Rückzugsverhalten der arbeitenden Person zur Folge hat. In diesem Fall spricht man von Burnout. Als zentrale Bewältigungsstrategie von Burnout im Bereich der Humandienstleistungen hat sich der Ansatz des „detached concern“ entwickelt (Lief & Fox, 1963; Maslach, 1982). Lampert und Glaser (2018) verstehen unter concern die empathische Anteilnahme an KlientInnen, die sich durch das Erleben von Mitgefühl und Sympathie kennzeichnet und die Emotionsregulation der KlientInnen zum Ziel hat. Ergänzend dazu beschreibt detachment die Emotionsregulation der fürsorgenden Personen selbst, welche durch Abgrenzung und emotionale Distanz zu KlientInnen erreicht wird und somit der emotionalen Erschöpfung entgegen wirkt. Den Ansichten der AutorInnen nach zeigt die Strategie des detached concern den größten Erfolg,

(10)

6 wenn eine Balance aus hohem Maß an empathischer Anteilnahme und hohem Maß an Abgrenzung besteht. Rohwer et al. (2021) legen Ressourcen dar, welche den Belastungen von Pflegekräften entgegenwirken können und nennen Vorschläge für deren Umsetzung: Durch Veränderungen im Führungsstil kann den Pflegekräften mehr Partizipation, Autonomie und Kontrolle ermöglicht werden. Strukturierte Austauschgruppen unter Pflegekräften können Raum für soziale Unterstützung schaffen. Trainings zur Resilienz können die Fähigkeit zur Selbstfürsorge fördern.

2.1.3 Berücksichtigung atypischer Beschäftigung

Sowohl die Humankriterien als auch das JD-R Modell unterstreichen die Bedeutung von Arbeitsgestaltungsmodellen für gesundheits- und persönlichkeitsfördernde Arbeitsbedingungen. Dennoch können Mängel festgestellt werden, welche eine notwendige Adaption bestehender Modelle deutlich machen: Arbeitsgestaltungsmodelle, wie die zuvor vorgestellten, werden hauptsächlich für klassische „top-down“ Analysen verwendet (Bredehöft et al. 2015; Schaufeli, 2017). Damit sind Untersuchungen gemeint, welche Veränderungsprozesse von Seiten des Managements für die Arbeitsgestaltung und Arbeitsbedingungen ihrer Angestellten fokussieren. Derartige Modelle sind aber bei selbstständigen Tätigkeiten, im Rahmen derer die Personen für ihr „Management“ selbst verantwortlich schwer anwendbar. Klassischerweise werden mittels Arbeitsgestaltungsmodellen zudem eher Tätigkeiten untersucht, welche unter die Kategorie von Normalarbeit (im Sinne von in die sozialen Sicherungssysteme eingebettete Vollzeitarbeit) einzuordnen sind (Schulz-Dadaczynski & Junghanns, 2014; Bredehöft et al., 2015). Mit der Flexibilisierung der Arbeitswelt (Höge, 2016), also dem tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt seit den 1980ern, steigen jedoch die Zahlen von atypischen Arbeitsverhältnissen (Höge, 2016;

Allmendinger, 2013). Beschäftigungsverhältnisse sind atypisch, wenn sie vom Normalarbeitsverhältnis im Sinne einer in die sozialen Sicherungssysteme eingebetteten Vollzeitarbeit abweichen. Dazu gehört beispielsweise Leiharbeit, geringfügige oder befristete Beschäftigung (BAuA), sowie die in der 24h-Betreuung gängige Scheinselbstständigkeit, worunter ein „de facto abhängiges Beschäftigungsverhältnis in formaler Gestalt freien UnternehmerInnentums“ zu verstehen ist (Kretschmann, 2018, S.142). Eingeführt wurden die atypischen Beschäftigungsformen mit Beginn der 1980er Jahre hauptsächlich, um flexible Unternehmensstrukturen zu schaffen. Das war aus folgenden Gründen notwendig: Zum einen

(11)

7 wurden hochstandardisierte Massenproduktionen durch kundenorientierte Produktionsformen und Dienstleistungen ersetzt (Höge, 2016; nach Rousseau, 1997), was eine flexiblere Organisationsstruktur notwendig machte, um besser auf Auftragsschwankungen reagieren zu können. Zum anderen versuchte man durch eine höhere Flexibilität der Beschäftigungsverhältnisse und einer Deregulierung des Arbeitsmarktes den steigenden Arbeitslosenzahlen entgegenzuwirken. Zur Folge hatte diese Deregulierung eine Lockerung der Tarifbindungen, des Kündigungsschutzes und weiterer arbeitsrechtlicher Bestimmungen (Höge, 2016). Im Jahr 2018 waren nach Angaben von „Statistik Austria“ bereits ein Drittel der unselbstständig Erwerbstätigen atypisch beschäftigt (Wölfl, 2020). Auffällig ist hierbei der klare Geschlechterunterschied: 53% der Frauen - jedoch lediglich 16% der Männer- gingen im Jahr 2019 einer atypischen Beschäftigung nach (Statistik Austria, 2020a).

2.1.4 Integration von Beschäftigungsmerkmalen

Der Wandel der Arbeitswelt macht Arbeitsgestaltungsmodelle notwendig, welche auch für atypische Beschäftigungsformen anwendbar sind. Damit einhergehen sollte eine Weiterentwicklung von tätigkeitsbeschreibenden Modellen, hin zu Konzepten, die Beschäftigungsmerkmale mit in den Fokus nehmen. In der konkreten Anwendung bedeutet das: Die Beschreibung von Tätigkeitsmerkmalen in der Pflege, wie beispielsweise Arbeitsunterbrechungen, parallele Ausführung von Arbeiten und Arbeitsverdichtung (Rohwer et al., 2021) sollten um Merkmale der Beschäftigung, wie die Beschäftigungsform (abhängiges Arbeitsverhältnis vs. freier Dienstvertrag), das Beschäftigungsausmaß (Teilzeit, Vollzeit usw.), die Beschäftigungsdauer (befristet vs. unbefristet), die Höhe des Einkommens, sowie die Anwendbarkeit von arbeits- uns sozialrechtlichen Standards ergänzt werden.

2.2 Die 24h-Betreuung in Österreich

Österreichs Fürsorgesystem kann dem Bismarck-System zugeordnet werden (Rohwer, 2008) und funktioniert nach folgender Interaktion zwischen Familie und Staat: Die Familie trägt die primäre Betreuungsverantwortung in besonderen Lebensumständen (beispielsweise bei Geburt oder Altenpflege). Erst wenn die familiäre Fürsorge nicht funktioniert, wird vom Staat eine Unterstützung gewährt. Zusammengefasst werden kann der Bismarksche Typ als „Modell der familiären Versorgung mit staatlicher Unterstützung plus Schwarzarbeit“ (Kniejska, 2015, S. 34). Lange Zeit wurde diese primäre Betreuungsverantwortung von den weiblichen

(12)

8 Familienangehörigen getragen. Mit dem starken Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen, besonders gegen Ende des 20. Jahrhunderts (Prenner & Scheibelhofer, 2001) hat sich dieses Bild jedoch verändert (Raitelhuber, 2015). „Andere [Hervorherung durch die Autorin]

(migrantisierte) Frauen übernehmen die Hausarbeit unter zu einem großen Teil prekären […]

Bedingungen und ersetzen die unbezahlte Arbeitskraft der vormaligen ‚Hausfrauen‘ die einst die unbezahlte Arbeit übernahmen und durch den Familienlohn abgesichert waren“

(Bachinger, 2016, S.41). Die Entstehung dieses neuen „Sorgesystems“ wurde durch die privatisierenden Tendenzen innerhalb des Pflegesystems begünstigt, welche die Zunahme von gewinnorientierten Dienstleistungsanbietern im Pflegesektor zu Folge hatten (Leiblfinger &

Prieler, 2018). Ende 2019 hatten an die 62.000 Personen in Österreich ein Gewerbe der

„Personenbetreuung“ angemeldet, nicht einmal zwei Prozent davon waren Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft (WKO, persönliche Kommunikation, 05.11.2020). Bei diesen Personen handelt es sich um sogenannte transnationale 24h-BetreuerInnen. Für ein Verständnis dieses Konzepts soll in Folge zunächst der Begriff der transnationalen Migration erklärt und im Anschluss daran in Bezug zur Entstehung der 24h-Betreuung gesetzt werden.

2.2.1 Transnationale Migration & Pflege

Von Seiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (Siegrist et al., 2016) werden den migrantischen ArbeiterInnen im Rahmen atypischer Beschäftigung und der damit einhergehenden Nachteile die größte Vulnerabilität zugeschrieben. Laut Salt (2002) werden die Migrationsbewegungen immer komplexer und treten in unterschiedlichsten Formen auf:

Saisonarbeit, langfristiger Wechsel des Landes ebenso wie zwischen zwei Ländern pendelnde Migrationsfamilien oder langfristiger Nachzug. Ursachen für diese Entwicklung komplexer Migrationsbewegungen sieht der Autor unter anderem in der Globalisierung, dem Fall des Eisernen Vorhangs, der Beteiligung illegaler Schleppernetzwerke und nationalen sowie Migrations- und Integrationsregelungen (Salt, 2002; de la Hoz, 2004). Bei der 24h-Betreuung handelt es sich um die sogenannte transnationale Migration: Glick-Schiller und Kolleginnen (1997) definieren Transnationalität als einen Prozess, in welchem ImmigrantInnen das Land ihrer Herkunft und das Land ihrer Niederlassung durch die Unterhaltung vielfältiger grenzüberschreitender familiärer, ökonomischer, sozialer, organisatorischer, religiöser und politischer Beziehungen miteinander verbinden. Transnationale MigrantInnen wandern also regelmäßig zwischen zwei oder mehreren Orten, wobei es sich aber um eine spezielle Form

(13)

9 der Lebensführung und nicht um eine Übergangssituation handelt (Karakayali, 2009). Antrieb für transnationale Migration schaffen die neuen Transport- und Kommunikationstechnologien, welche Kommunikation über weite Entfernungen und den schnellen und billigen Transport über weite Distanzen ermöglichen (de la Hoz, 2004).

Transnationale Migrationsprozesse sind zwar keine neuen Phänomene, haben aber durch die Globalisierung an Bedeutung und Intensität gewonnen und hängen für Portes (1998) somit eng mit der Logik der Marktwirtschaft zusammen. Denn Menschen haben Gemeinschaften kreiert, „welche […] in einem sehr realen Sinne, weder hier noch dort sind, sondern simultan an beiden Plätzen gleichzeitig sind“ (Portes, 1998, S.3). Im Bereich der Pflegearbeit gewinnt die transnationale Migration, vor allem in reichen Ländern, immer mehr an Bedeutung (Lutz, 2015; Holten et al., 2013). Lutz (2015) sieht hierfür verschiedene Ursachen: Erstens den demographischen Wandel hin zu einer alternden Gesellschaft, zweitens sozioökonomische Faktoren, wie beispielsweise die Zunahme erwerbstätiger Frauen und einfachere Mobilität und drittens den Rückzug des Wohlfahrtstaats aus Lebensbereichen wie beispielsweise auch der Pflege älterer Menschen.

2.2.2 Transnationale Migration und Gender

Für die zunehmende wissenschaftliche Betrachtung des Verhältnisses von Gender und transnationaler Migration spielt die Feminisierung von Migration eine entscheidende Rolle.

Darunter ist eine Perspektive auf migrantische Frauen zu verstehen, welche sie nicht „nur“ als Ehefrauen migrantischer Männer sieht. Vielmehr werden sie „als eigenständige Biografinnen von Migration, als Arbeiterinnen, als Initiatorinnen von Familienwanderungen, als Protagonistinnen der Wanderungen“ verstanden (Spindler, 2011). Besonderer Stellenwert kommt dabei den Arbeiten von Helma Lutz zu, welche in zahlreichen Arbeiten (bsp. Benazha

& Lutz, 2019; Lutz, 2018a; Lutz, H. & Amelina, A., 2017; Lutz, H. & Pallenga-Möllenbeck, E., 2015) die Schnittstelle aus Gender, Migration und Pflege beleuchtet. Dazu zählt beispielsweise das Phänomen der transnationalen Mutterschaft (Lutz, 2018b): Häufig entscheiden sich Mütter, in die transnationale 24-h Betreuung einzusteigen, um ihren Kindern bessere Zukunftsperspektiven bieten zu können. Diese Entscheidung zur transnationalen 24-h Betreuung geht mit einem Wandel im Familiensystem der Betreuerin einher und macht die Intersektionalität von Gender, Migration und Pflege deutlich: Werden Mütter dafür stigmatisiert ihre Kinder zurückzulassen? Inwiefern übernimmt der Ehemann während der

(14)

10 Abwesenheit die Rolle der Mutter? Versucht die Mutter während ihrer Heimatbesuche die vorherige Abwesenheit durch Haushaltsarbeit und emotionale Zuwendung „gutzumachen“?

2.2.3 Die Entstehung der 24-h Betreuung in Österreich

Einführung des Pflegegelds 1993 und die EU-Erweiterung 2004

Laut Bachinger (2009) entstanden in Österreich, beginnend mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 die ersten Organisationen zur Vermittlung von Pflegekräften - vorrangig aus der Tschechischen Republik und später aus der Slowakei. Zu den ersten und größten Vermittlungsagenturen in Österreich zählt die „Stiftung Südböhmische Volkspflege“, neben welcher es eine steigende Anzahl an eher kleinen und informellen Netzwerken (Bachinger, 2009) gab. Typisch waren eher Vermittlungsaktivitäten von Vereinen mit Sitz im In- oder Ausland, welche einen wohltätigen Zweck in den Vordergrund stellten, jedoch kommerziell wirtschafteten. Einige Autoren sehen in der Einführung des Pflegegelds 1993 und der damit einhergehenden Priorisierung häuslicher Pflege den Grundstein für die irregulären, migrantischen Betreuungstätigkeiten in Österreich (Raitelhuber, 2015; Österle & Bauer, 2012). Vor der Einführung des Pflegegeldes fokussierte sich die Versorgung pflegebedürftiger Menschen auf stationäre Einrichtungen, die Finanz- und Sachdienstleistungen waren sehr uneinheitlich geregelt, hingen beispielsweise vom Alter und der Art der Behinderung ab und unterlagen der regionalen Verantwortung (Österle & Bauer, 2012). Im Rahmen des 1993 eingeführten Pflegegesetzes sollte, so die Autoren weiter, eine umfassende, vereinheitlichende Versorgung in Kraft treten, die den betreffenden Menschen zu mehr Autonomie verhelfen sollte. Zentral dabei war die Einführung des cash-for-care Systems:

Anstelle von direkten Pflegesachleistungen wurden pflegebedürftigen Menschen ein ihren Einschränkungen angepasstes Pflegegeld zugewiesen. Als Konsequenz der cash-for-care Politik verschob sich die Pflege in das häusliche Umfeld, was wiederum die Entstehung eines Sorgemarktes vorantrieb (Leiblfinger & Prieler, 2018).

Weitere Faktoren, welche das Angebot irregulärer Pflege stark ansteigen ließen, waren die verbesserten Kommunikationsmittel und der einfachere Grenzübertritt seit der EU- Erweiterung 2004 (Bachinger, 2009). Irregulär in diesem Kontext bedeutet die Pflegetätigkeit migrantischer Arbeitskräfte ohne gültige Arbeitserlaubnis (Karakayali, 2010). Im Zuge der EU- Osterweiterung konnten sich Personen aus den neuen Mitgliedsstaaten nun legal in

(15)

11 Österreich aufhalten, verfügten dennoch aber nicht über einen legalen Arbeitsmarktzugang (Österle et al., 2013).

Legalisierung der 24-Stunden Betreuung durch das Hausbetreuungsgesetz 2006/07

Mit der Einführung des Hausbetreuungsgesetzes 2006/07 wurde die Legalisierung der 24h- Betreuung vorangetrieben. Eine reguläre Anstellung wäre zwar schon zuvor möglich gewesen - allerdings waren die arbeitsrechtlichen Vorschriften, vor allem die Arbeitszeit betreffend, nicht mit dem gängigen 24h-Betreuungsalltag kompatibel. In der Öffentlichkeit wurden die regulären Beschäftigungsmöglichkeiten deshalb als unpraktikabel und zu teuer diskutiert (Bachinger, 2009). In der Praxis legitimierte man vor der Einführung des Hausbetreuungsgesetzes die Betreuungstätigkeit über eine Anmeldung des Gewerbes und der Sozialversicherung im Heimatland der BetreuerInnen. Die damit als selbstständige Tätigkeit dargestellte Betreuungsarbeit wies aber einige Merkmale einer Scheinselbstständigkeit aus:

Weder Weisungsfreiheit noch das Vorhandensein mehrerer ArbeitgeberInnen war gegeben (Österle et al., 2013). Auch die Vermittlungsagenturen agierten bis 2006/07 illegal, da sie über keine Gewerbeberechtigungen verfügten, welche für die Ausübung der Arbeitsvermittlung notwendig gewesen wären (Bachinger, 2009). Wie Bachinger (2009) ausführt, wurde dem Thema der Legalisierung der 24-h Pflege während des Wahlkampfes zu den Nationalratswahlen 2006 verstärkt mediale Aufmerksamkeit zuteil, denn zuvor war über mehrere Anzeigen gegen Personen berichtet worden, welche ausländische PflegerInnen in ihren Privathaushalten beschäftigt hatten. Am 1. Oktober 2006 wurde eine Ausnahmeregelung für 24-h BetreuerInnen geschaffen, wonach die 24-h Betreuung entkriminalisiert wurde und die BetreuerInnen offiziell nicht mehr gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz verstießen. Die Einführung des Hausbetreuungsgesetzes im März 2007 hatte das Ziel, den BetreuerInnen eine reguläre selbstständige oder unselbstständige Arbeit zu ermöglichen. Entweder unselbstständig durch das Arbeitsverhältnis zu einem Privathaushalt beziehungsweise einer Trägerorganisation oder selbstständig durch das Gewerbe der Personenbetreuung.

Die offizielle Berufsbezeichnung der 24-h BetreuerInnen würde also Personenbetreuerin lauten. Allerdings hat sich die Bezeichnung der 24h-BetreuerIn oder 24h-PflegerIn stärker durchgesetzt, da es die durchgängige Verfügbarkeit der betreuenden Person betont (Leiblfinger & Prieler, 2018). Die Legalisierung der 24-h Betreuung 2006/07 hat keine wirkliche

(16)

12 Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse geschaffen (Steiner et al., 2019; Kretschmann, 2010). Laut Kretschmann (2018) wurden durch die Gesetzänderungen „die Bedingungen aus der Irregularität im Wesentlichen auf die regulären Verhältnisse übertragen.“ Das Angestelltenmodell in Form einer unselbstständigen Tätigkeit fand kaum Anwendung, stattdessen etablierte sich die selbstständige Beschäftigung auf Basis des freien Gewerbes.

Mit der selbstständigen Beschäftigung jedoch gehen mehrere Probleme einher: „Als Selbstständige sind Betreuungskräfte größtenteils, jedoch nicht vollständig sozialversicherungsrechtlich abgesichert; Arbeitszeitregelungen gelten für sie jedoch ebenso wenig wie beispielsweise kollektivvertragliche Mindestlöhne oder bezahlter Urlaub“

(Haidinger, 2016, S.103).

Die Vermittlungstätigkeit von Agenturen zählte vom Zeitpunkt der Gesetzesänderung an auch zum Personenbetreuungsgewerbe und war somit seit der Neuregelung 2007 legalisiert (Bachinger, 2009). Steiner et al. (2019) führen aus, dass im Jahr 2015 zudem mit der Einführung des Gewerbes der Organisation von Personenbetreuung ein eigener rechtlicher Rahmen für die Vermittlungsagenturen geschaffen wurde. Ziel der Einführung eines eigenen Gewerbes war es mehr Transparenz in die Branche zu bringen und auf diesem Weg der medialen Kritik entgegenzuwirken (Steiner et al., 2019).

Die mediale Kritik an den Vermittlungsagenturen ist nicht verschwunden und so finden sich nach wie vor Zeitungsartikel mit den Überschriften „24-Stunden-Betreuung: Lukratives Geschäft mit Knebelverträgen“ (Scherndl, 2020) oder „Wie abhängig 24-Stunden- Betreuerinnen von ihren Agenturen sind“ (Pallinger, 2018). Bachinger (2010) fasst zusammen, dass durch die Regulierung der 24h-Betreuung „die Rechtslage der gängigen Praxis der 24- Stunden-Pflege angepasst“ wurde, was zu einem Weiterbestehen von prekären Arbeitsbedingungen geführt hat.

Zahlen zur rumänischen 24h-Betreuung in Österreich

Im Jahr 2020 arbeiteten 32.471 24-h BetreuerInnen in Haushalten, welche eine Förderung für die 24h-Betreuung in Anspruch nahmen, wovon 99,8% aus dem Ausland stammten (BMSGPK, persönliche Auskunft, 05.11.2020) und 99,94% selbstständig arbeiteten. Im September 2019 hatten in Österreich insgesamt 61.922 Personen das Gewerbe als „selbständige PersonenbetreuerIn“ mit einem sozialversicherungspflichtigen Einkommen angemeldet, wobei die große Mehrheit der BetreuerInnen aus Rumänien (28.820) und der Slowakei

(17)

13 (20.422) stammte (WKO, persönliche Kommunikation, 05.11.2020). Mehr als zwei Drittel der in Österreich aktiven 24h-BetreuerInnen sind zwischen 41 und 60 Jahren alt (Aulenbacher et al., 2018), wovon 5 Prozent männlich sind (WKO, persönliche Kommunikation, 05.11.2020).

Das folgende Kapitel führt den theoretischen Hintergrund zum Thema arbeitsbezogene Prekarität aus und stellt Verbindungen zum spezifischen Arbeitsbereich der 24h-Betreuung her.

2.3 Prekäre Beschäftigung

Bei der arbeitsbezogenen Prekarität handelt es sich um ein hochaktuelles und viel beforschtes Thema. Ihren Ursprung hatte die Forschung dazu in den Sozialwissenschaften (Bourdieu, 1998; Castel, 2000) und fand von dort aus den Weg in unterschiedliche Disziplinen. Vor allem in anwendungsorientierten Fächern findet das Thema immer mehr Aufmerksamkeit (Kreshpaj, 2020). Im Folgenden werden die Suche nach einer einheitlichen Definition und der Zusammenhang mit Gesundheit und Wohlbefinden als aktuelle Themenschwerpunkte der Forschung vorgestellt:

Die Suche nach einer einheitlichen Definition

Trotz der breiten wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema der arbeitsbezogenen Prekarität mangelt es nach wie vor an einer einheitlichen, fächerübergreifenden Definition.

Dieser Umstand wirkt sich laut Kreshpaj und Kollegen (2020) negativ auf die Vergleichbarkeit und Anwendbarkeit von Studienergebnissen aus. Mittels einer systematischen Übersichtsarbeit zu den Definitionen von Prekarität aus unterschiedlichen Fachrichtungen tragen sie zur Entwicklung einer einheitlichen Definition bei. In der systematischen Übersichtsarbeit konnten drei übergreifende Themen gefunden werden:

Arbeitsplatzunsicherheit, unangemessenes Einkommen und ein Mangel an Schutz beziehungsweise Rechten. Auch bei dem Vorschlag von Bodin und Kollegen (2020) für ein multidimensionales Konzept zu Prekarität stellen die Aspekte Instabilität, Mangel an Schutz/Rechten und mangelhafte Arbeitsbedingungen den Kern der prekären Beschäftigungsverhältnisse dar. Besondere Bedeutung kommt in diesem Konzept auch dem subjektiven Erleben von Prekarität zu, welches als Mediator zwischen den prekären Beschäftigungsverhältnissen und der Gesundheit gilt. Dieses Konzept schließt sich an die bisherige Entwicklung an, arbeitsbezogene Prekarität durch eine Kombination an objektiven

(18)

14 und subjektiven Kriterien zu beschreiben (Brinkmann, 2006; Dörre, 2005; Seubert et al., 2019;

Tompa et al., 2007).

Der Zusammenhang mit Gesundheit und Wohlbefinden

Eines der zentralen Themen in der aktuellen Forschung zu arbeitsbezogener Prekarität ist der Zusammenhang mit Wohlbefinden und Gesundheit. Das Konzept von Wohlbefinden stellt eine Kombination aus hedonistischer und eudiamonischer Perspektive dar, wobei die hedonistische Perspektive das Wohlbefinden im Hinblick auf positiven Affekt, wie beispielsweise Glücksempfinden definiert und die eudaimonische Perspektive das Funktionieren im individuellen und sozialen Leben betont (Winefield et al., 2012). Huppert fasst demnach Wohlbefinden als „Kombination, sich gut zu fühlen und wirksam zu funktionieren“ zusammen (Huppert, 2009, S. 137). Die WHO definiert Gesundheit als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen“ (Lippke & Renneberg, 2006, S.8).

Ziel der Forschungsgruppe „Employment Conditions Network“ (EMCONET) ist es Wirkweisen aufzudecken, die dem Zusammenhang von prekärer Beschäftigung und Wohlbefinden beziehungsweise Gesundheit zugrunde liegen (Julia et al., 2017). Dabei, so schildern die AutorInnen, wird von drei Wirkweisen ausgegangen: (1) Dem psychosozialem Erleben von Gefühlen wie beispielsweise Unsicherheit oder Machtlosigkeit. (2) Der stärkeren Konfrontation bei prekärer Beschäftigung mit schädlichen Arbeitsbedingungen, geringem Arbeitsschutz und die mangelhaften sozialen Beziehungen im Arbeitskontext (3) Den gesundheitlichen Konsequenzen von materieller Entbehrung, beispielsweise bei geringem Einkommen, Arbeitslosigkeit und Rente (Julia, 2017). Bosman und Kollegen (2016) führten eine qualitative Befragung von belgischen ZeitarbeiterInnen durch, um mehr über den Zusammenhang von prekärer Beschäftigung und mentaler Gesundheit zu erfahren. Ihren Ergebnissen nach spielen bei der Bewältigung von stressreichen Beschäftigungsverhältnissen folgende Coping-Ressourcen eine entscheidende Rolle: Das Erleben von Kontrolle, sozialer Unterstützung, Vertrauen und Fairness. Als Primärfaktor für die negativen Konsequenzen nennen sie den Stress, welcher durch die prekäre Beschäftigung erlebt wird und berufen sich dabei auf Forschungsergebnisse von Tompa (2007). Auch die Ergebnisse einer qualitativen Befragung von migrantischem Personal in Kanada (Premji, 2018) betonen das Stresspotential der prekären Beschäftigung, welches sich neben dem Erleben von Unsicherheit und

(19)

15 mangelnder Planbarkeit auch durch arbeitsbezogene Risiken, umständliches Pendeln und Schwierigkeiten in der Kinderbetreuung ergibt. Einige Befragten gaben an ihre prekäre Beschäftigung aufgrund der damit verbundenen psychischen und physischen Beschwerden gekündigt zu haben, was den Teufelskreis aus prekärer Beschäftigung und Gesundheit deutlich macht.

2.3.1 Konzepte prekärer Beschäftigung

In Folge sollen die drei Konzepte der prekären Beschäftigung nach Rodgers (1989), Castel (2000) und Brinkmann et al. (2006) vorgestellt werden, welche die theoretische Grundlage für die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Interviews bilden.

Das Konzept prekärer Beschäftigung nach Gerry Rodgers (1989)

Rodgers (1989) plädiert dafür, atypische Beschäftigungsformen nicht vorschnell als prekär einzustufen, sondern sie einer differenzierten Betrachtung zu unterziehen. Seiner Auffassung nach zeichnet sich Prekarität durch verschiedene Dimensionen aus: Erstens das Maß an Sicherheit und Beständigkeit der Arbeitstätigkeit. Prekär sind die Tätigkeiten dann, wenn sie nur von kurzer Dauer sind und zudem ein hohes Kündigungsrisiko aufweisen. Zweitens die verfügbare Kontrolle über die Arbeit. Je weniger die Arbeitsbedingungen, der Lohn oder die Arbeitsgeschwindigkeit von Beschäftigtenseite aus gesteuert werden können, desto unsicherer ist die Arbeit. Drittens der Beschäftigtenschutz vor Diskriminierung, unfairen Entlassungen und inakzeptablen Arbeitstätigkeiten, sowie Schutz im Sinne von Sozialversicherung. Viertens das geringe Einkommen, sofern es zu Armut und geringerer sozialen Einbindung führt. Zusammenfassend handelt es sich bei dem Konzept von Prekarität um gewisse Kombinationen aus den Faktoren Instabilität, mangelnder Schutz, Unsicherheit und soziale oder finanzielle Verwundbarkeit. Der Autor räumt ein, dass die Grenzen des Konzepts sehr willkürlich zu ziehen sind.

Das 3-Zonen Modell nach Robert Castel (2000)

Castel entwickelte das 3-Zonen Modell, welches aus der Zone der Integration, Zone der Verwundbarkeit (Prekarität) und Zone der Entkopplung besteht. Die Grenzen zwischen den Zonen sind abhängig von der betrieblichen, beruflichen und rechtlichen Sicherheit der Arbeitstätigen und deren Einbindung in soziale Netzwerke. Die Zone der Integration geht einher mit stabilen Beschäftigungsbedingungen und einem Eingebundensein in soziale Netzwerke, welches klassisch durch Normalarbeitsverhältnisse, aber auch durch

(20)

16 arbeitsrechtlich gesicherte atypische Beschäftigungen geboten wird. Die Zone der Entkopplung steht der Zone der Integration gegenüber und beschreibt den Zustand Arbeitsloser oder Personen ohne wirkliche Chance auf Aufnahme in den Arbeitsmarkt und sozialer Integration. Die Zone der Verwundbarkeit (Prekarität) steht zwischen den beiden Zonen und stellt die prekären Beschäftigungsverhältnisse dar.

Die 3 Typen von Prekarität nach Dörre (2006)

Im Rahmen einer Studie leitete Dörre (2006) aus zahlreichen Interviews, Expertengesprächen und Gruppenbefragungen eine Typologie über neun „typische Verarbeitungsformen der Unsicherheit am Arbeitsplatz“ ab. Die neun Typen lassen sich den von Castel (2000) beschriebenen Zone der Integration, der Zone der Prekarität und der Zone der Entkoppelung zuordnen. Für die Zone der Prekarität arbeitete Dörre drei Typen heraus: „Die Hoffenden“, welche die prekäre Beschäftigung als Chance sehen. „Die Realistischen“, welche von der prekären Beschäftigung als dauerhaftes Arrangement ausgehen und „die Zufriedenen“, welche die eigene Prekarität subjektiv entschärfen. Als Strategie, um mit ihrer Situation zurecht zu kommen, haben die Realistischen und Zufriedenen das Ziel aufgegeben, ihre Prekarität zu überwinden und versuchen, in ihrer aktuellen Situation möglichst viel Handlungsspielraum zu behalten. Baldauf (2016; nach Dörre 2009) betont den subjektiven Charakter von Prekarität. Demnach kann im Rahmen der entschärften Prekarität die

„Zufriedenheit“ durch eine Veränderung der Lebenssituation schnell ins Wanken gebracht werden.

Prekäre Beschäftigung nach Brinkmann et al. (2006)

Als prekär bezeichnen Brinkmann und Kollegen (2006, S. 17) eine Beschäftigung dann, „wenn die Beschäftigten aufgrund ihrer Tätigkeit deutlich unter ein Einkommens-, Schutz- und soziales Integrationsniveau sinken, das in der Gegenwartsgesellschaft als Standard definiert und mehrheitlich anerkannt wird“. Darüber hinaus ergänzen sie ihre Definition um die Kriterien subjektiver Verarbeitungsformen unsicherer Beschäftigung. Denn, so argumentieren die Autoren, müssen prekäre strukturelle Kriterien nicht zwingend auch als solche von der beschäftigten Person wahrgenommen werden. Eine Beschäftigung kann ein prekäres Potential tragen, obwohl die Form der Tätigkeit den Wünschen der beschäftigten Person entspricht. Die Auseinandersetzung mit der nach strukturellen Merkmalen prekären Beschäftigung sowie deren Bewertung kann beispielsweise durch „individuelle

(21)

17 Qualifikationen und Kompetenzen, Konstruktionen von Geschlecht, Nationalität und Ethnie sowie das Lebensalter“ (Dörre, 2014, S. 5-6) beeinflusst werden. Brinkmann und Kollegen (2006) schlagen für die Definition prekärer Beschäftigung folgende fünf Dimensionen vor: 1.

reproduktiv-materielle Dimension, 2. sozial-kommunikative Dimension, 3. rechtlich- institutionelle Dimension, 4. Status- und Anerkennungsdimension, 5. Arbeitsinhaltliche Dimension. Nach Ausführung der Autoren verfügen die Dimensionen jeweils über eigene Desintegrationspotentiale, worunter separierende Auswirkungen auf Gesellschaften zu verstehen sind, welche durch soziale Unsicherheit und damit einhergehenden Prekarisierungsprozessen „zur wechselseitigen Abschottung unterschiedlicher Arbeits- und Lebenswelten führen“ (Dörre, 2006, S. 190).

Subjektives Erleben von arbeitsbezogener Prekarität

Sowohl Castel wie auch Dörre und Brinkmann und Kollegen betonen in ihren Konzepten zu arbeitsbezogener Prekarität den subjektiven Charakter. Dennoch, so argumentiert Hense (2018, S.80), seien „Arbeiten, welche die subjektive Prekaritätswahrnehmung theoretisch zu erklären suchen, sowie empirische Studien zu Ursachen und Folgen derselben“ in der deutschsprachigen Forschung kaum zu finden. Die Verwendung subjektiver Indikatoren sei für die Beantwortung der Frage, „ob die Gefährdung der Erwerbsteilhabe von der Bevölkerung auch subjektiv wahrgenommen wird, ob diese Wahrnehmung zu veränderten Verhaltensweisen führt, und wodurch die Prekaritätswahrnehmung hervorgerufen wird“

(Hense, 2018; S.111-112) essentiell. Die nähere Betrachtung des subjektiven Erlebens fällt klassischerweise in das Forschungsgebiet der Psychologie, deren erklärtes Ziel die Beobachtung und Beschreibung menschlichen Handelns und Erlebens ist. In der psychologischen Forschung fand das Thema des subjektiven Erlebens arbeitsbezogener Prekarität bislang jedoch wenig Beachtung. Das von Brinkmann und Kollegen ursprünglich soziologische Konzept wurde von Hopfgartner und Seubert (Hopfgartner, 2019, Seubert et al., 2019) für den Bereich der Arbeits- und Organisationpsychologie nutzbar gemacht: In das Konzept der fünf Dimensionen wurden (arbeits-)psychologische Konzepte integriert und mit (arbeits-)psychologischen Befunden angereichert. Für die Adaption einer psychologischen Perspektive wurde ein auf Selbstauskunft basierender quantitativer Fragebogen zum Erleben arbeitsbezogener Prekarität (SEWP) erstellt (Seubert et al.,2019). Die dabei implementierten Dimensionen wurden von Brinkmann und Kollegen (2006) übernommen. In Anlehnung an

(22)

18 weitere AutorInnen (z.B. Dörre et al., 2004) benannten Seubert und Kollegen die arbeitsinhaltliche Dimension als „sinnhaft-subjektbezogen“, da diese Bezeichnung die Dimension besser greifbar machen würde. In den folgenden Ausführungen soll die Bezeichnung so beibehalten werden. Im Folgenden werden die Dimensionen nach Brinkmann und Kollegen (2006) näher beschrieben und in den Zusammenhang mit den Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden gebracht.

a) Die reproduktiv-materielle Dimension:

Ist es einer arbeitenden Person nicht möglich mit ihrer Haupterwerbsarbeit die eigene Existenz zu sichern oder ein gesellschaftlich anerkanntes kulturelles Minimum nach oben zu überschreiten, handelt es sich laut Brinkmann und Kollegen (2006) um eine prekäre Erwerbsarbeit. Gemäß Dörres (2005) stellt die reproduktiv-materielle Dimension den Kern prekärer Beschäftigung dar. Entscheidende Faktoren für diese Dimension sind Höhe des Einkommens und die Arbeitsplatzsicherheit (Seubert, 2019). Als objektives Maß für den Grad der Existenzsicherung wird häufig die Armutsgefährdungsschwelle herangezogen. Diese Schwelle liegt bei 60% des nationalen Medians für eine Vollzeitbeschäftigung (Eurostat, 2018).

und lag 2019 bei einem monatlichen Einkommen von 1.286 Euro, der Äquivalenzwert für Rumänien lag im selben Jahr 193 Euro (Statistik Austria, 2020b). Unter den externalen Faktoren, welche die Arbeitszufriedenheit bedingen, kommt dem Einkommen eine Schlüsselrolle zu (Mehrad & Fallahi, 2015), ebenso bei der Untersuchung von Burnout (Yektatalab et al., 2019). Was den Zusammenhang von Einkommen und Wohlbefinden angeht wurden in der Vergangenheit in der Wissenschaft kontroverse Debatten geführt. Lange nahm man an, dass ab einer gewissen Einkommenshöhe nur noch die allgemeine Lebenszufriedenheit, nicht aber das emotionale Wohlbefinden steigen würde (Kahnemann &

Deaton, 2010). Studienergebnissen von Killingsworth (2021) nach erreicht das emotionale Wohlbefinden jedoch kein Plateau, sondern steigt weiter linear an. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass das Wohlbefinden sowohl vom absoluten wie auch relativen Einkommen beeinflusst werden kann, wobei sich letzteres durch den Vergleich zur Peergroup oder vorherigen Positionen auszeichnet (Wang et al., 2019). Studienergebnissen zufolge spielt das relative Einkommen für die Lebenszufriedenheit eine größere Rolle als das absolute Einkommen (Wolbring et al., 2011; Rickardsson et al., 2017). Beim Einfluss auf das Wohlbefinden wird von einem größeren Einfluss des absoluten Einkommens ausgegangen

(23)

19 (Kollamparambil, 2020). Bei dem Konzept der Arbeitsplatzunsicherheit wird in qualitative und quantitative Form unterschieden (Lübke, 2018), wobei Sorgen über Lohnkürzungen oder Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu qualitativer Arbeitsplatzunsicherheit gehören.

Quantitative Arbeitsplatzunsicherheit hingegen beschreibt, inwiefern eine Person die Möglichkeit zur Fortsetzung der Beschäftigung wahrnimmt. Die Metaanalyse von Rönnblad und Kollegen (2019) stellt einen negativen Einfluss von Arbeitsplatzunsicherheit auf die psychische Gesundheit fest. Auch erste Studien zum negativen Einfluss der durch die Covid- 19 Pandemie bedingten steigenden Arbeitsplatzunsicherheit auf die psychische Gesundheit wurde nachgewiesen (Wilson et al., 2020; Alcover et al., 2020). Darüber hinaus konnten in der Vergangenheit auch Auswirkungen von Arbeitsplatzunsicherheit auf die körperliche Gesundheit gefunden werden (Caroli &Godard, 2016). Laut der Studie von Jiang und Probst (2017) kommt der nationalen Einkommensungleichheit im Zusammenhang zwischen Arbeitsplatzunsicherheit und Burnout eine moderierende Rolle zu.

b) Die sozial-kommunikative Dimension

Der Definition von Brinkmann und Kollegen (2006) nach trifft Prekarität dann zu, wenn sich die arbeitende Person nicht in soziale Netze integrieren kann, welche sich am Arbeitsplatz und darüber hinaus ausbilden. Ebenso umfasst die Dimension die arbeitsbezogene Kommunikation, also die Weitergabe oder eben Vorenthaltung wichtiger, die Tätigkeit betreffenden Informationen (Seubert, 2019). Nach Argumentation der Philosophin Judith Butler ist der Mensch generell aufgrund seiner Vulnerabilität und letztlich aufgrund seiner Sterblichkeit, von Prekarität betroffen und versucht sich durch Familie, soziale Bindungen und den Wohlfahrtsstaat gegen diese Prekarität zu „immunisieren“ (vgl. Alberti, 2018; nach Butler, 2009). Studienergebnisse nennen die Beziehung unter MitarbeiterInnen als einen der zentralsten Faktoren für das Arbeitsengagement (z.B. Shahidan, 2016; Kahn, 1990). Eine aktuelle Studie von Alcover und Kollegen (2020) zum Thema Arbeitsplatzunsicherheit stellt den positiven Einfluss von sozialer Unterstützung für die psychische Gesundheit dar und unterstützt damit bisherige Ergebnisse (z.B. Näswall, 2005; Lim, 1996).

c) Die rechtlich-institutionelle Dimension

Prekarität auf dieser Ebene trifft zu, wenn arbeitende Personen im Rahmen ihrer Erwerbsarbeit tendenziell von sozialen Rechten und Partizipationschancen ausgeschlossen sind. Dazu gehören u.a. Arbeits- und Gesundheitsschutz, Mitbestimmungsmöglichkeiten,

(24)

20 sowie soziale Absicherung (z.B. Kranken- und Pensionsversicherung). Darüber hinaus beschreibt die Dimension Möglichkeiten zur Weiterbildung oder Beförderung. Laut Keller und Seifert (2008, S. 238) entsteht für individuelle Sicherungssysteme eine Problematik, da sie

„sich […] nach wie vor an der Erwerbsarbeit und speziell am Normalarbeitsverhältnis und dem hierauf basierenden Finanzierungsmodus orientieren, obwohl die Beschäftigungsformen sich wandeln.“ Aus diesem Umstand resultiert: Je größer die Entfernung vom Normalarbeitsverhältnis desto geringer das individuelle Sicherungssystem (Eurofund, 2015, 2018)

d) Die Status- und Anerkennungsdimension

Status beschreibt das Ansehen und die Rechte, welche mit einer bestimmten Position in einer Gruppe verbunden sind (Kessler et al., 2018). Anerkennung ist als eine Art nichtmonetärer Belohnung zu verstehen und zeigt sich beispielsweise in Form von Interesse, Zustimmung und Anerkennung (Montani et al., 2017). Prekäre Arbeit liegt dann vor, wenn die arbeitende Person keine anerkannte gesellschaftliche Positionierung erreichen kann und die Arbeit mit sozialer Missachtung verbunden ist. Mit dieser Dimension reihen sich Brinkmann und Kollegen (2006) neben weitere KollegInnen aus der Arbeitssoziologie beziehungsweise Philosophie ein, welche die Anerkennungsdimension als zentral für das Verständnis von Prekarität verstehen:

Wimbauer und Motafek (2020) beziehen sich auf Honneth (1992, 2003, 2011) wonach sich der Mensch in den Anerkennungsverhältnissen konstituiert, welche zwischen Menschen bestehen. „Gesellschaft [wird] als institutionalisierte Anerkennungsordnung [aufgefasst], wobei historisch veränderbare kulturelle Normen bestimmen, wer und was jeweils als anerkennbar gilt.“ (Wimbauer & Motafek, 2020, S. 57). Wimbauer & Motafek (2020) spinnen Honneths Theorie für das Feld prekärer Beschäftigung weiter und argumentieren, dass prekäre Beschäftigung mit Anerkennungsdefiziten einhergehen könne. Weiter führen die Autoren aus, könnten Betroffene darüber resignieren und an Handlungsfähigkeit einbüßen oder diese Erfahrung als Ungerechtigkeit wahrnehmen und dadurch einen Kampf um Anerkennung aufnehmen. Dem Konzept der „Effort-Reward-Imbalance“ (Gratifikationskrise) nach Siegrist (2002) liegt die Annahme zugrunde, dass alle Abkommen im Sozialleben, Arbeitsverträge eingeschlossen, auf dem Reziprozitätsprinzip basieren, worunter das wahrgenommene Verhältnis aus Aufwand (Effort) und Belohnung (Reward) zu verstehen ist.

Unter Belohnung wird nicht nur die Höhe des Gehalts, sondern auch beispielsweise

(25)

21 Karrierechancen oder Anerkennung verstanden. Der Autor folgert, dass sich ein wahrgenommenes Ungleichgewicht aus getätigtem Aufwand und Belohnung negativ auf Gesundheit und Wohlbefinden auswirkt. Diese Annahme konnte auch für MitarbeiterInnen im Pflegebereich bestätigt werden (Ge et al., 2021): Die Effort-Reward-Imbalance stand dabei in negativem Zusammenhang mit der Selbstauskunft über den eigenen Gesundheitszustand, wobei die Arbeitszufriedenheit einen Mediator in diesem Zusammenhang darstellte. Maslach und Leiter (2001) definieren, neben weiteren Aspekten des Arbeitsumfeldes, die unzureichende Belohnung als Burnout verursachenden Faktor. Weilguny-Schöfl (2020) betont, dass in der aktuellen Covid-19 Pandemie medizinisches Personal von der Bevölkerung zwar vermehrt Anerkennung erfährt, wichtiger aber die Anerkennung von Personen bleibt, die man selbst wertschätzt.

e) Die sinnhaft-subjektbezogene Dimension

Prekär ist die Arbeit auch dann, wenn sie von dauerhaftem Sinnverlust begleitet ist oder auf der anderen Seite zu einer krankhaften Überidentifikation mit der Arbeit führt. Sinnerfüllung manifestiert sich laut Schnell (2018) in der Stimmigkeit von verschiedenen Lebensbereichen (Kohärenz): Dem Erleben von Wirksamkeit und Resonanz des eigenen Handelns (Bedeutsamkeit), Orientierung und Zugehörigkeit. Orientierung beschreibt, inwiefern sich mit den Werten und Zielen der Tätigkeit identifiziert werden kann: „Die Tätigkeit selbst und/oder die „Mission“ des Unternehmens oder der Organisation werden mehr oder weniger Teil der eigenen Identität und geben dem eigenen Leben eine Richtung bzw. weisen sogar über das Eigene hinaus („Selbsttranszendenz“)“ (Höge & Weber, 2018, S.3). Zugehörigkeit beschreibt den Autoren nach die Befriedigung des Bedürfnisses nach positiven sozialen Beziehungen und zeigt sich beispielsweise, indem man sich einem Team zugehörig fühlt oder eine kollektive Handlungsfähigkeit wahrnimmt.

Die allgemeine Sinnerfüllung steht in engem Zusammenhang mit beruflicher Sinnerfüllung (Steger et al, 2012), welche wiederum positiv mit Wohlbefinden (Arnold et al., 2007; Höge &

Weber, 2018) zusammenhängt. Schnell und Kollegen (2003) postulieren zudem einen positiven Zusammenhang zwischen Sinnerfüllung und den auf Hackman und Oldham (1975) beruhenden Tätigkeitsmerkmalen „Vielfalt“, „Ganzheitlichkeit“ und „Bedeutsamkeit“ der Aufgabe. Als weitere Aspekte, die im positiven Zusammenhang mit Sinnerfüllung auf der Arbeit stehen gelten beispielsweise eine Übereinstimmung von Selbstkonzept und

(26)

22 Arbeitsrolle (May et al., 2004), sowie als positiv wahrgenommene Beziehungen am Arbeitsplatz (Bailey & Madden, 2016).

2.3.2 Die fünf Dimensionen nach Brinkmann et al. (2006) im Kontext der 24h-Betreuung in Österreich

a) Materiell-reproduktive Dimension

Einkommen: Bei den 24h- BetreuerInnen ist das Gehalt „letztendlich eine Frage der

´Marktsituation` und der Verhandlungsposition von BetreuerInnen und pflegebedürftigen Personen bzw. deren Familien“ (Österle & Weicht, 2016). Mindestlöhne gelten demnach nur für das unselbstständig angestellte Betreuungspersonal. Da das Gehalt des selbstständigen Betreuungspersonals auf Verhandlungsbasis beruht oder von stark schwankenden vorgegebenen Tarifen von Seiten der Vermittlungsagenturen abhängt, können darüber nur schwer Angaben gemacht werden. Für einen zweiwöchigen Turnus geben Leiblfinger und Prieler (2018) ein monatliches Gehalt zwischen 600 und 1000 Euro an, wobei Kost und Logis sowie Fahrtkosten mehrheitlich nicht inkludiert sind. Bei der Analyse der Webseiten von 133 Vermittlungsagenturen durch Österle et al. (2013) wurde ein tägliches Honorar für Betreuungskräfte ohne Diplomausbildung zwischen 30 und 60 Euro verzeichnet.

Arbeitsplatzunsicherheit in der 24h-Betreuung: Die stetig steigende Nachfrage nach 24h BetreuerInnen über die letzten Jahre hinweg (Leiblfinger & Prieler, 2018) und die Zunahme von alten Menschen in der österreichischen Bevölkerung (Statistik Austria, 2020c) sprechen für die Annahme, dass die quantitative Arbeitsplatzunsicherheit von 24h-BetreuerInnen allgemein eher gering ausfallen dürfte. Höher hingegen sollte die qualitative Arbeitsplatzunsicherheit ausfallen, das heißt die Sorge vor Veränderungen von Aspekten der Beschäftigung, welche den ArbeitnehmerInnen wichtig sind (Gallie et al., 2017). Dies ist vor allem damit zu begründen, dass für das Arbeitssetting der BetreuerInnen die Familien der KlientInnen und die Vermittlungsagenturen eine entscheidende Rolle spielen. Das kann für die Arbeitsbedingungen der BetreuerInnen zum Teil negative Konsequenzen haben (z.B.

Raitelhuber, 2015; Steiner et al., 2019; Lutz, 2018b; Kniejska, 2015), worauf an späterer Stelle näher eingegangen werden soll.

(27)

23 b) sozial-kommunikative Dimension

KlientInnenbeziehung in der 24h- Betreuung: Für die sozial-kommunikative Dimension in der 24-h Betreuung ist vor allem der Aspekt der KlientInnenbeziehung zentral. Denn für eine erfolgreiche Betreuungsarbeit ist die vertrauensvolle Beziehung zwischen BetreuerIn und KlientIn entscheidend, welche durch Empathie und besondere Kommunikationsfähigkeiten von Seiten der Betreuungskraft aufgebaut werden kann (Moudatsou et al., 2020). Dutton und Kollegen (2014) legen zahlreiche Studienergebnisse dar, welche die Auswirkung von Mitgefühl im Arbeitsleben untersuchen. Empfängt eine Person Mitgefühl, kann sich das unter anderem auf folgende Aspekte positiv auswirken: Körperliche Genesung, Trauerbewältigung, Reduktion negativer Emotionen wie Angst, Steigerung positiver Emotionen wie Dankbarkeit, das Erleben von Wertschätzung und die Entstehung von Vertrauen. Daraus folgt für das Betreuungsverhältnis, dass die empathische Anteilnahme von Seiten der Betreuungspersonen ein kooperatives, positives Verhalten der KlientInnen zur Folge (Côté, 2005) hat. Zeigt die betreuende Person über längere Zeit hinweg jedoch starkes Mitgefühl, ohne selbst welches zu empfangen, hat dies negative Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der betreuenden Person (z.B. Dutton et al., 2014; Cocker & Joss, 2016; Figley, 1995; Yoder, 2010). BetreuerInnen stehen demnach vor der Herausforderung eine „Balance zwischen fachlicher Expertise und empathischem Pflegehandeln“ (Bauer & Mayer, 2016) oder, im Sinne des zuvor dargestellten detached concern Ansatzes (Lampert & Glaser, 2018) formuliert, eine Balance zwischen Abgrenzung und empathischer Anteilnahme zu finden.

Kulturelle Herausforderungen: Eine weitere Herausforderung für 24h-BetreuerInnen stellt das Arbeiten in einem neuen kulturellen Setting dar. Migrierende Personen erfahren auf psychischer und soziokultureller Ebene eine Reihe an Veränderungen, was das Erleben von Stress nach sich ziehen kann. Der Stress entsteht aber nicht durch den Migrationsprozess an sich, sondern ist abhängig davon, wie die Bedingungen dieses Prozesses erlebt werden (Berry, 2005). Begegnen sich zwei unterschiedliche Kulturen, kann es laut Berry zu unterschiedlichen Formen von Akkulturation, das heißt eines wechselseitigen Anpassungsprozesses kommen:

Integration, Assimilation, Segregation und Marginalisierung. Die systematische Review von Choy und Kollegen (2021) zeigte die größte positive Auswirkung auf die psychische Gesundheit bei dem Anpassungsprozess der Integration. Darunter ist eine große wechselseitige Anpassungsleistung der Kulturen zu verstehen, wobei die eigene kulturelle Identität, ebenso

(28)

24 wie der Wille eine andere Kultur anzunehmen, groß ist. Als Akkulturationsstrategie mit größter negativer Auswirkung auf die psychische Gesundheit zeigte sich die Marginalisierung.

Bei dieser Strategie ist die eigene kulturelle Identität, ebenso wie der Wille eine andere Kultur anzunehmen, gering. Soziale Stressoren, wie Diskriminierung treffen dabei besonders bei MigrantInnen zu, die einer schlecht akkulturierten Gruppierung angehören (Hoppe, 2020). Als eine der Ursachen des Stresserlebens im Rahmen der Akkulturation und der damit verbundenen negativen Auswirkungen für die psychische Gesundheit sehen Choy und Kollegen (2021) die in der neuen Kultur anzueignenden Sprachkenntnisse, welche unter anderem für die Ausübung einer Arbeitstätigkeit in der neuen Gesellschaft notwendig sind.

Kommunikation am Arbeitsplatz: Auch am Arbeitsplatz können die Sprachkenntnisse Auswirkungen haben. Die Zufriedenheit mit der Kommunikation am Arbeitsplatz steht im Zusammenhang mit der allgemeinen Arbeitszufriedenheit (Pongton & Suntrayuth, 2019;

Sharma et al, 2015; Fu & Mount, 2002). Dabei kann die Zufriedenheit mit der Kommunikationsqualität im Sinne des JD-R Modells als Ressource verstanden werden: Eine spezifische und akkurate Kommunikation zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen puffert den Effekt von job demands, also den Anforderungen einer Arbeitstätigkeit auf die Entstehung von Burnout (Bakker et al., 2005). Sprechen beide Seiten unterschiedliche Sprachen, stellt das eine Herausforderung an die Kommunikation dar. In diesem Fall zeigen sich ArbeitgeberInnen besorgt, dass Instruktionen nicht richtig verstanden werden und sind häufig von der Übersetzung anderer ArbeitnehmerInnen abhängig (Dawson et al., 2012).

Weiter kommen die Autoren zu dem Schluss, dass sich die durch die Sprachbarrieren entstehenden Missverständnisse negativ auf die Arbeitsmoral von ArbeitnehmerInnen auswirken können. Studien zu multinationalen Arbeitsteams betonen darüber hinaus die Rolle von Sprachbarrieren bei der Bildung von Vertrauen (Tenzer et al., 2014; Kassis-Henderson, 2005).

c) rechtlich-institutionelle Dimension

Rahmen der 24h- Betreuung: Laut Leiblfinger und Prieler (2018) sind 99% aller in Österreich tätigen 24h-Betreuungskräfte selbstständig über das freie Gewerbe der Personenbetreuung tätig - obwohl theoretisch auch eine Anstellung im Privathaushalt oder bei einem gemeinnützigen Wohlfahrtsträger möglich wäre. Diese starke Tendenz in Richtung Selbstständigkeit erklären die Autoren durch die geringere Flexibilität und höhere Kosten,

(29)

25 welche für den Arbeitgeber im Falle einer unselbstständigen Anstellung gelten würden. Hat eine Betreuungsperson ein Gewerbe in Österreich angemeldet, ist sie zu einer Anmeldung bei der Sozialversicherung verpflichtet. Damit einher geht die Pflichtversicherung in die Kranken- , Pensions- und Unfallversicherung. Somit ist die gewerbebetreibende Person selbst für die monatliche Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern verantwortlich (WKO, 2015). Das arbeitsrechtliche Modell der 24-h Betreuung steht immer wieder in der Kritik BetreuerInnen in die „Scheinselbstständigkeit“ zu drängen (Ivansits & Weissensteiner, 2009;

Österle et al., 2013). Die „selbstständige“ Person ist dabei mehrheitlich oder ausschließlich bei nur einem Auftraggeber tätig und dadurch von diesem abhängig. ArbeitgeberInnen genießen dadurch die Vorteile keine Sozialabgaben zahlen zu müssen und gewisse Arbeitsrechtregelungen, wie beispielsweise den Kündigungsschutz, ausklammern zu können (Stock et al., 2016). Bei der Personenbetreuung handelt es sich um einen Laienberuf, das heißt es wird für die Ausübung keine Berufsqualifikation benötigt (Bauer & Mayer, 2016). Das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GUKG) legt die Grenze der Laientätigkeit dort fest

„wo medizinisches bzw. pflegerisches Fachwissen Voraussetzung für die fachgerechte Durchführung der Tätigkeit ist“ (Bauer & Mayer, 2016, S.72). Der pflegerische Kompetenzbereich der BetreuerInnen wurde 2008 jedoch durch die „Möglichkeit der Übertragung von Pflege- und (einfachen) ärztlichen Tätigkeiten erweitert.“ (Steiner, 2019.

S.6). Qualifikationsnachweise für das Gewerbe sind nur dann notwendig, wenn die betreute Person staatliche Förderung erhält. Ein solcher Nachweis ist aber beispielsweise mit der Bestätigung über eine sechsmonatige Praxiserfahrung gegeben. Verbindliche, regelmäßige Hausbesuche zur Überprüfung der Qualität der 24-h Betreuung finden nur in staatlich geförderten Haushalten zur Überprüfung der Erfahrung von BetreuerInnen ohne Ausbildung statt (Leiblfinger & Prieler, 2018). Im Jahr 2019 wurde ein auf Freiwilligkeit beruhendes Qualitätszertifikat für Vermittlungsagenturen mit Sitz in Österreich eingeführt. Zur Erlangung dieses Zertifikats müssen sich Agenturen beispielsweise dazu verpflichten, mindestens einmal pro Quartal eine Qualitätssicherung durch Hausbesuche diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger zu veranlassen und einen Notfallplan sowohl für KlientInnen wie auch BetreuerInnen zur Verfügung zu stellen (BMASGK, 2019).

Die Rolle der Vermittlungsagenturen: Die Agenturen nehmen „als Bindeglied zwischen Angebots- und Nachfrageseite eine Schlüsselposition auf den sich etablierenden Home-Care-

(30)

26 Märkten“ ein (Steiner et al., 2019, S.2). Zu den Tätigkeiten der Agenturen gehört neben der Rekrutierung von BetreuerInnen auch die Organisation des Transports zwischen Herkunfts- und Zielland. Darüber hinaus geben die Agenturen die Rahmenbedingungen für die Beschäftigung und Bezahlung vor. (Österle & Weicht, 2016) Auch für die Vermittlungstätigkeit werden keine fachspezifischen Kenntnisse vorausgesetzt. Im Rahmen ihrer systemischen Internetrecherche fanden Österle et al. (2013) insgesamt 133 in Österreich tätige Vermittlungsorganisationen. Diese Zahl stieg bis Februar 2017 bereits auf 660 weiter an (Leiblfinger & Prieler, 2018). Im September des Jahres 2020 waren 886 aktive Gewerbe zur Organisation von Personenbetreuung gemeldet (WKO, persönliche Kommunikation, 05.11.2020). Im Fazit ihrer Internetrecherche bezeichnen Österle et al. (2013, S. 171) das Marktangebot der Vermittlungsagenturen als „vielfach undurchsichtig und schwer vergleichbar“ und plädieren für mehr Qualifikations-, Qualitäts- und Transparenzkriterien.

Trotz der selbstständigen Beschäftigung und den damit eigentlich verbundenen eigenständigen Entgeltvereinbarungen, gibt es Fälle von Agenturen, welche das Honorar an die BetreuerInnen weitergeben und dabei oft Abschläge oder Gebühren zurückhalten.

(Steiner et al., 2019). Allerdings ist unklar inwiefern diese in den Medien kritisierten Agenturen als repräsentativ gelten können. Für die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Interviews ist es daher von großem Interesse,fh im Rahmen der rechtlich-institutionellen Dimension die BetreuerInnen nach ihren persönlichen Einschätzungen zu den Agenturen zu befragen. Steiner et al. (2019) untersuchten die Legalitätsnarrative, das heißt die Bezugnahme auf gesetzliche Grundlagen, von Vermittlungsagenturen aus der 24-h Betreuung und analysierten hierfür Webseiten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Analyse zeigt, dass strukturelle Prekarität und Machtungleichheiten nicht thematisiert werden und allenfalls zum Problem einzelner dubioser Agenturen gemacht wird. In Österreich wird die Legalität der Vermittlungstätigkeiten durch Aufzeigen des Gewerbes von PersonenbetreuerInnen und der damit einhergehenden Integration in das Sozialversicherungssystem erklärt. Betont wird zudem die pflegerische Expertise auf Seiten der Agenturen. Verweise auf Gesetze und Verträge rücken dabei jedoch die geltenden Arbeitsbedingungen in den Hintergrund. Timm et al. (2018) analysierten den deutschen und österreichischen Markt von Vermittlungsagenturen in der 24-h Betreuung und stellen fest: Der österreichische Vermittlungsmarkt zeichnet sich durch kleine Agenturen, welche ihre Dienstleistung größtenteils nicht auf eine Region beschränkt anbieten, aus. Die Autoren stellen deshalb in Frage inwiefern für die Agenturen

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die einen argumentieren, dass im Falle Ostmitteleuropas die Zeit für eine transnationale Geschichte noch gar nicht gekommen sei, diese Gesellschaften bedürften zunächst der

Vielmehr zeigen die Literaturübersichten von Wordelmann (2010) und Krichewsky-Wegener (2020) deutlich, dass auch jenseits der deutschen Grenzen in den letzten Jahren

Und bei den transnationalen Erinnerungskulturen stellt sich wiederum die Frage, ob diese im europäischen Kontext für eine Öffent- lichkeit, die darin repräsentiert und durch

Petition: Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass das Finanzministerium die Aufgabe übertragen bekommt, die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten bei T-Mobile US zu

Genau wie Interviewpartnerin A, die sagt, dass sie bei der Suche nach einem Job nicht aufgibt, auch wenn sie bisher nicht erfolgreich war, hat

Auch in dieser Hinsicht spiegelt sich der Begriff des Normativen im Begriff des Institutionellen, und vor diesem Hintergrund kann der Sinn des Institutionellen so verstanden

Das Forschungsprojekt hat gezeigt, inwieweit es den INTERREG-Programmen derzeit gelingt, private Akteure in transnationale Projekte (INTERREG B) einzubeziehen, welche Vorteile

Hinsichtlich der Intensität der Kooperations- beziehungen zeigen sich in den INTERREG IIIB-Räumen mit deutscher Beteiligung noch Ungleichgewichte zwischen den Staaten.