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2. Theoretische Grundlage

2.2 Die 24h-Betreuung in Österreich

2.2.3 Die Entstehung der 24-h Betreuung in Österreich

Einführung des Pflegegelds 1993 und die EU-Erweiterung 2004

Laut Bachinger (2009) entstanden in Österreich, beginnend mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 die ersten Organisationen zur Vermittlung von Pflegekräften - vorrangig aus der Tschechischen Republik und später aus der Slowakei. Zu den ersten und größten Vermittlungsagenturen in Österreich zählt die „Stiftung Südböhmische Volkspflege“, neben welcher es eine steigende Anzahl an eher kleinen und informellen Netzwerken (Bachinger, 2009) gab. Typisch waren eher Vermittlungsaktivitäten von Vereinen mit Sitz im In- oder Ausland, welche einen wohltätigen Zweck in den Vordergrund stellten, jedoch kommerziell wirtschafteten. Einige Autoren sehen in der Einführung des Pflegegelds 1993 und der damit einhergehenden Priorisierung häuslicher Pflege den Grundstein für die irregulären, migrantischen Betreuungstätigkeiten in Österreich (Raitelhuber, 2015; Österle & Bauer, 2012). Vor der Einführung des Pflegegeldes fokussierte sich die Versorgung pflegebedürftiger Menschen auf stationäre Einrichtungen, die Finanz- und Sachdienstleistungen waren sehr uneinheitlich geregelt, hingen beispielsweise vom Alter und der Art der Behinderung ab und unterlagen der regionalen Verantwortung (Österle & Bauer, 2012). Im Rahmen des 1993 eingeführten Pflegegesetzes sollte, so die Autoren weiter, eine umfassende, vereinheitlichende Versorgung in Kraft treten, die den betreffenden Menschen zu mehr Autonomie verhelfen sollte. Zentral dabei war die Einführung des cash-for-care Systems:

Anstelle von direkten Pflegesachleistungen wurden pflegebedürftigen Menschen ein ihren Einschränkungen angepasstes Pflegegeld zugewiesen. Als Konsequenz der cash-for-care Politik verschob sich die Pflege in das häusliche Umfeld, was wiederum die Entstehung eines Sorgemarktes vorantrieb (Leiblfinger & Prieler, 2018).

Weitere Faktoren, welche das Angebot irregulärer Pflege stark ansteigen ließen, waren die verbesserten Kommunikationsmittel und der einfachere Grenzübertritt seit der EU-Erweiterung 2004 (Bachinger, 2009). Irregulär in diesem Kontext bedeutet die Pflegetätigkeit migrantischer Arbeitskräfte ohne gültige Arbeitserlaubnis (Karakayali, 2010). Im Zuge der EU-Osterweiterung konnten sich Personen aus den neuen Mitgliedsstaaten nun legal in

11 Österreich aufhalten, verfügten dennoch aber nicht über einen legalen Arbeitsmarktzugang (Österle et al., 2013).

Legalisierung der 24-Stunden Betreuung durch das Hausbetreuungsgesetz 2006/07

Mit der Einführung des Hausbetreuungsgesetzes 2006/07 wurde die Legalisierung der 24h-Betreuung vorangetrieben. Eine reguläre Anstellung wäre zwar schon zuvor möglich gewesen - allerdings waren die arbeitsrechtlichen Vorschriften, vor allem die Arbeitszeit betreffend, nicht mit dem gängigen 24h-Betreuungsalltag kompatibel. In der Öffentlichkeit wurden die regulären Beschäftigungsmöglichkeiten deshalb als unpraktikabel und zu teuer diskutiert (Bachinger, 2009). In der Praxis legitimierte man vor der Einführung des Hausbetreuungsgesetzes die Betreuungstätigkeit über eine Anmeldung des Gewerbes und der Sozialversicherung im Heimatland der BetreuerInnen. Die damit als selbstständige Tätigkeit dargestellte Betreuungsarbeit wies aber einige Merkmale einer Scheinselbstständigkeit aus:

Weder Weisungsfreiheit noch das Vorhandensein mehrerer ArbeitgeberInnen war gegeben (Österle et al., 2013). Auch die Vermittlungsagenturen agierten bis 2006/07 illegal, da sie über keine Gewerbeberechtigungen verfügten, welche für die Ausübung der Arbeitsvermittlung notwendig gewesen wären (Bachinger, 2009). Wie Bachinger (2009) ausführt, wurde dem Thema der Legalisierung der 24-h Pflege während des Wahlkampfes zu den Nationalratswahlen 2006 verstärkt mediale Aufmerksamkeit zuteil, denn zuvor war über mehrere Anzeigen gegen Personen berichtet worden, welche ausländische PflegerInnen in ihren Privathaushalten beschäftigt hatten. Am 1. Oktober 2006 wurde eine Ausnahmeregelung für 24-h BetreuerInnen geschaffen, wonach die 24-h Betreuung entkriminalisiert wurde und die BetreuerInnen offiziell nicht mehr gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz verstießen. Die Einführung des Hausbetreuungsgesetzes im März 2007 hatte das Ziel, den BetreuerInnen eine reguläre selbstständige oder unselbstständige Arbeit zu ermöglichen. Entweder unselbstständig durch das Arbeitsverhältnis zu einem Privathaushalt beziehungsweise einer Trägerorganisation oder selbstständig durch das Gewerbe der Personenbetreuung.

Die offizielle Berufsbezeichnung der 24-h BetreuerInnen würde also Personenbetreuerin lauten. Allerdings hat sich die Bezeichnung der 24h-BetreuerIn oder 24h-PflegerIn stärker durchgesetzt, da es die durchgängige Verfügbarkeit der betreuenden Person betont (Leiblfinger & Prieler, 2018). Die Legalisierung der 24-h Betreuung 2006/07 hat keine wirkliche

12 Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse geschaffen (Steiner et al., 2019; Kretschmann, 2010). Laut Kretschmann (2018) wurden durch die Gesetzänderungen „die Bedingungen aus der Irregularität im Wesentlichen auf die regulären Verhältnisse übertragen.“ Das Angestelltenmodell in Form einer unselbstständigen Tätigkeit fand kaum Anwendung, stattdessen etablierte sich die selbstständige Beschäftigung auf Basis des freien Gewerbes.

Mit der selbstständigen Beschäftigung jedoch gehen mehrere Probleme einher: „Als Selbstständige sind Betreuungskräfte größtenteils, jedoch nicht vollständig sozialversicherungsrechtlich abgesichert; Arbeitszeitregelungen gelten für sie jedoch ebenso wenig wie beispielsweise kollektivvertragliche Mindestlöhne oder bezahlter Urlaub“

(Haidinger, 2016, S.103).

Die Vermittlungstätigkeit von Agenturen zählte vom Zeitpunkt der Gesetzesänderung an auch zum Personenbetreuungsgewerbe und war somit seit der Neuregelung 2007 legalisiert (Bachinger, 2009). Steiner et al. (2019) führen aus, dass im Jahr 2015 zudem mit der Einführung des Gewerbes der Organisation von Personenbetreuung ein eigener rechtlicher Rahmen für die Vermittlungsagenturen geschaffen wurde. Ziel der Einführung eines eigenen Gewerbes war es mehr Transparenz in die Branche zu bringen und auf diesem Weg der medialen Kritik entgegenzuwirken (Steiner et al., 2019).

Die mediale Kritik an den Vermittlungsagenturen ist nicht verschwunden und so finden sich nach wie vor Zeitungsartikel mit den Überschriften „24-Stunden-Betreuung: Lukratives Geschäft mit Knebelverträgen“ (Scherndl, 2020) oder „Wie abhängig 24-Stunden-Betreuerinnen von ihren Agenturen sind“ (Pallinger, 2018). Bachinger (2010) fasst zusammen, dass durch die Regulierung der 24h-Betreuung „die Rechtslage der gängigen Praxis der 24-Stunden-Pflege angepasst“ wurde, was zu einem Weiterbestehen von prekären Arbeitsbedingungen geführt hat.

Zahlen zur rumänischen 24h-Betreuung in Österreich

Im Jahr 2020 arbeiteten 32.471 24-h BetreuerInnen in Haushalten, welche eine Förderung für die 24h-Betreuung in Anspruch nahmen, wovon 99,8% aus dem Ausland stammten (BMSGPK, persönliche Auskunft, 05.11.2020) und 99,94% selbstständig arbeiteten. Im September 2019 hatten in Österreich insgesamt 61.922 Personen das Gewerbe als „selbständige PersonenbetreuerIn“ mit einem sozialversicherungspflichtigen Einkommen angemeldet, wobei die große Mehrheit der BetreuerInnen aus Rumänien (28.820) und der Slowakei

13 (20.422) stammte (WKO, persönliche Kommunikation, 05.11.2020). Mehr als zwei Drittel der in Österreich aktiven 24h-BetreuerInnen sind zwischen 41 und 60 Jahren alt (Aulenbacher et al., 2018), wovon 5 Prozent männlich sind (WKO, persönliche Kommunikation, 05.11.2020).

Das folgende Kapitel führt den theoretischen Hintergrund zum Thema arbeitsbezogene Prekarität aus und stellt Verbindungen zum spezifischen Arbeitsbereich der 24h-Betreuung her.