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3. Methodik

3.1 Qualitative Forschung

Während die objektbezogene, quantitative Forschung versucht, Ursache-Wirkungszusammenhänge darzustellen, steht bei der qualitativen Forschung das subjektbezogene Verstehen im Fokus (Lamnek, 2010). Sie hat „den Anspruch, Lebenswelten ,von innen heraus’ aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben“ (Kardorff &

Steinke, 2013, S. 14). Durch die Abbildung individueller Sichtweisen wird versucht „soziale Erscheinungen in ihrem Kontext, in ihrer Komplexität und in ihrer Individualität zu erfassen, zu beschreiben und zu verstehen“ (Lamnek, 1993, S.223). Theoretisch fußt der qualitative Ansatz auf der sozial-psychologischen Annahme, dass sich „individuelles Verhalten und Bewusstsein aus dem sozialen Prozess heraus erklärt“ (Fuchs et al., 1978, S.310). Laut Lamnek (1993) geht es in der qualitativen Forschung nicht darum anhand theoretischer Konzepte Hypothesen zu überprüfen, sondern vielmehr darum durch Exploration neue Hypothesen zu generieren, beziehungsweise „theoretische Vorstellungen ständig vom realen Untersuchungsfeld prüfen zu lassen“ (Lamnek, 2010, S.36). Als eines der Grundprinzipien qualitativer Forschung gilt das Prinzip der Offenheit, worunter eine Vorgehensweise zu verstehen ist, die im Gegensatz zur standardisierten quantitativen Erhebung keine festen Antwortkategorien vorgibt. Ziel ist es „den Wahrnehmungstrichter…so weit wie möglich offen

31 zu halten, um auch unerwartete…Informationen zu erhalten“ (Lamnek, 2010, S.20). Mayring (2020) betont jedoch, diese Offenheit nicht mit Beliebigkeit gleichzusetzen. In der qualitativen Erhebung sind zwar „Spielräume für Nachfragen, Vertiefungen, Umformulierungen, um die Validität zu erhöhen“ (Mayring, 2020, S. 4) vorhanden, allerdings werden die gewonnenen Daten methodisch kontrolliert ausgewertet. Trotz zunehmender Anwendung des qualitativen Forschungsdesigns in der psychologischen Forschung, dominiert weiterhin die quantitative Methodik (Scholtz et al., 2020). Auch im Bereich der Arbeits- und Organisationsforschung wird die qualitative Methodik deutlich weniger angewendet als in den Nachbardisziplinen der Management- und Wirtschaftswissenschaften sowie der Industrie- und Organisationssoziologie (Dick et al., 2020; Scandura & Williams, 2000). Dick und Kollegen (2020, S.16) betonen die Möglichkeit der qualitativen Forschung im Rahmen der Arbeits- und Organisationpsychologie „ein Phänomen vergleichend aus verschiedenen Perspektiven und in verschiedenen Kontexten zu untersuchen“, sowie die „Erprobung von Befunden, Modellen und Theorien und deren Replikation in der Praxis“ umzusetzen. Die qualitative Methodik fasst eine „Vielzahl methodologischer Denkformen, Forschungsstile und Instrumentarien“ (Breuer, 2010, S. 35) zusammen, bei deren Ausdifferenzierung verschiedene theoretische Traditionen und unterschiedliche Disziplinen einen Einfluss nehmen. Weiter führt der Autor aus, werden Daten werden zumeist über Feldbeobachtungen, Interviews oder über „nichtreaktive“

Datenquellen, wie beispielsweise Inhalte im Internet, Akten oder Bilder gewonnen. In der vorliegenden Arbeit findet die Methodik des Interviews – genauer des episodischen Interviews - Verwendung, welche sogleich näher vorgestellt wird.

3.1.1 Das episodische Interview

Für die vorliegende Arbeit wurde das episodische Interview als Methode der Datenerhebung ausgewählt. Das von Flick (1995) beschriebene Konzept geht davon aus, dass Personen ihre Erfahrungen zu einem bestimmten Thema basierend auf zwei Wissensformen mitteilen können: Zum einen auf dem narrativ-episodische Wissen, welches „(…) aus unmittelbarer Erfahrungsnähe hervorgegangen ist und einen Erinnerungsfundus an konkreten Begebenheiten beinhaltet“ (Lamnek, 2010, S.331). Zentral sind hierbei Beschreibungen von Situationsabläufen. Als zweite Wissensform wird das semantische Wissen genannt, welches das aus „(…) Erfahrungen abgeleitete Wissen, d.h. Generalisierungen, Abstraktionen und die Setzung bestimmter Zusammenhänge durch das Subjekt“ (Lamnek, 2010, S.331) darstellt.

32 Diese beiden Wissensformen werden im episodischen Interview miteinander verbunden, indem sich das Interview zum einen auf die Erzählung von Erfahrungen konzentriert, auf der anderen Seite aber auch zielgerichtete Fragen stellt (Flick, 2011). Im Vergleich zum rein narrativen Interviewstil, welcher sich durch das primär erzählen lassen auszeichnet, werden im episodischen Interview zusätzlich die Vorteile des leitfadenorientierten Interviews genutzt (Flick, 1995), um „(…) über Abläufe und Kontexte zu erzählen und gleichzeitig Routinisierungen des Alltags und Verallgemeinerungen mit aufzunehmen“ (Lamnek, 2010). Die Verbindung der beiden Wissensformen ist für die vorliegende Befragung besonders geeignet, da über das narrativ-episodische Wissen Auskunft über das Erleben der Dimensionen arbeitsbezogener Prekarität in der 24h-Betreuung gegeben werden kann. Zum anderen können in den Interviews über das semantische Wissen Erkenntnisse über strukturelle Merkmale der 24h-Betreuung erlangt werden. Die Methode des episodischen Interviews ist für die vorliegende Arbeit aus dem weiteren Grund passend, da durch den Wechsel aus Fragen und erzählen lassen, im Vergleich zur eher künstlichen reinen Narration, ein natürlicher Dialog entsteht (Lamnek, 2010). Diese alltagsnahe Kommunikation ist für die Zielgruppe der rumänischen 24h-BetreuerInnen besonders geeignet: Zum einen war bei der Befragung zum Thema arbeitsbezogener Prekarität eine gewisse Emotionalität zu erwarten. Zum anderen hat die vorhergegangene Recherchearbeit gezeigt, dass rumänische 24h BetreuerInnen Vorbehalte gegenüber Mitteilungen über Beschäftigungsverhältnisse haben, da negative Konsequenzen befürchtet werden. Im Rahmen der natürlichen Dialogform des episodischen Interviews wird davon ausgegangen adäquat mit Fingerspitzengefühl auf die jeweiligen InterviewpartnerInnen eingehen zu können. Flick (2011) empfiehlt zur Vorbereitung des Interviews einen Leitfaden zu erstellen, welcher alle zu befragenden Themenbereiche umfasst. Zusätzlich sollen zu den Themenbereichen Erzählaufforderungen und Fragen formuliert werden, wobei die Reihenfolge jedoch flexibel gestaltet werden kann. Der Interviewleitfaden (s. Anhang) erfordert einen geschickten Umgang der interviewenden Person, da in den passenden Momenten Nachfragen gestellt beziehungsweise Erzählungen stimuliert werden sollten (Lamnek, 2010).

3.1.2. Qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016)

Die Auswertung erfolgte anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016). Das Konzept von Kuckartz basiert auf dem von Mayring im Jahr 1983 veröffentlichtem Buch mit

33 dem Titel „Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken“, welches im Jahr 2015 bereits in der 12. Auflage erschien und im deutschsprachigen Raum als Standardwerk der qualitativen Inhaltsanalyse gilt (Kuckartz, 2016). Die qualitative Inhaltsanalyse kann „als ein Verfahren zur Beschreibung ausgewählter Textbedeutungen verstanden“ werden (Schreier, 2014, S.3). Weiter, so die Autorin, würden relevante Bedeutungen demnach „als Kategorien eines inhaltsanalytischen Kategoriensystems expliziert und anschließend Textstellen den Kategorien dieses Kategoriensystems zugeordnet werden“ (Schreier, 2014, S.3). Zentral für den Analyseprozess sind die Kategorien, deren wissenschaftlicher Bildung eine ähnliche Funktion zukommt, wie den grundlegenden kognitiven Prozessen in der Alltagswahrnehmung:

In beiden Fällen geht es darum das Wahrgenommene zu abstrahieren und einzuordnen, Begriffe zu bilden und Beobachtungen gewissen Kategorien zuzuordnen (Kuckartz, 2016). Der generelle Ablauf der qualitativen Inhaltsanalyse folgt dem im Folgenden dargestellten Schema:

Abb. 1. Ablaufschema qualitativer Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2016) .

Textarbeit

Kategorien-bildung Codierung

Analyse

Ergebnis-darstellung

Forschungs- frage

34 Bei der Inhaltsanalyse nach Kuckartz steht es offen, inwiefern die Kategorien deduktiv, also theoriegeleitet oder induktiv, am Material entwickelt werden, „solange zumindest ein Teil der Kategorien aus dem Material stammt und somit die Passung des Kategoriensystems an das Material sichergestellt ist“ (Schreier, 2014, S.6). Bei einem deduktiv-induktivem Vorgehen können die Oberkategorien deduktiv und die Unterkategorien induktiv entwickelt, wobei es auch möglich ist Unterkategorien aufgrund von Vorwissen deduktiv zu bilden oder Oberkategorien induktiv zu ergänzen (Kuckartz, 2016). Unterschieden werden kann die qualitative Inhaltsanalyse in 1. Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse, 2. Die evaluative qualitative Inhaltsanalyse und 3. Die typenbildende qualitative Inhaltsanalyse. Bei der vorliegenden Arbeit wurde die erste Form der Inhaltsanalyse ausgewählt, da die Identifikation von Themen sowie deren Systematisierung im Vordergrund stehen sollte (im Vergleich zur Klassifikation und Bewertung im Rahmen der evaluativen Inhaltsanalyse und der Suche nach mehrdimensionalen Mustern in der typenbildenden Inhaltsanalyse). In seinem Werk gibt Kuckartz direkte Anleitung dafür, wie sowohl Transkription als auch Analyse der Daten computergestützt über die QDA-Software durchgeführt werden kann. Auf die genauere Durchführung der Auswertung soll an späterer Stelle eingegangen werden.