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ie Bürger sind realistischer als mancher Sozialpolitiker“, er- klärte Dr. Renate Köcher, Ge- schäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, beim„Aachener Dialog 97“ zum Thema
„Wer garantiert künftig soziale Si- cherheit?“ der Aachener und Mün- chener Lebensversicherung AG. In einer Repräsentativumfrage äußerten 84 Prozent der Befragten Zweifel an der zukünftigen Sicherheit der Ren- ten; zum Vergleich: im Jahr 1980 wa- ren es nur 50 Prozent. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung erwartet, daß die Renten in zehn Jahren niedri- ger ausfallen werden als heute (nur neun Prozent glauben an einen An- stieg der Renten).
Wie Dr. Köcher berichtete, sind 40 Prozent der Bürger der Ansicht, daß die Bundesrepublik ein neues Rentensystem braucht, weitere 40 Prozent glauben (und das sind vor al- lem jüngere Menschen), daß das be- stehende System durch Veränderun- gen zu stabilisieren ist. Ein Drittel
hält es für notwendig, daß der Staat bestehende Sozialleistungen kürzt.
Auch die Unsicherheit über die Lage der persönlichen Altersversor- gung wächst. War
1988 nur ein Drit- tel der Befragten unsicher, ob sie im Alter finanziell abgesichert sind, stieg ihr Anteil 1996 auf 45 Pro- zent. Die Frage, ob man sich in letzter Zeit Ge- danken über die persönliche Al- terssicherung ge- macht habe, be- jahten 1988 45
Prozent der Befragten, 1996 waren es bereits 66 Prozent (Grafik 1).
„Nach den Ergebnissen unse- rer Umfragen hat die Bevölkerung die Eigenverantwortlichkeit für die finanzielle Absicherung im Alter längst erkannt“, erklärte Köcher.
Als gute und sichere Alters- vorsorge schätzen die Bürger vor al- lem Immobilien ein (86 Prozent);
in der Skala der Beliebtheit folgen Lebensversiche- rungen (80 Pro- zent), Festgeldan- lagen (65 Prozent) und festverzins- liche Wertpapiere (60 Prozent). We- niger interessant
erscheinen Bausparverträge (42 Pro- zent) und Investmentfonds (26 Pro- zent). Weit abgeschlagen – trotz des in den Medien propagierten Börsenfiebers – rangieren Aktien (19 Prozent) und Optionsscheine (6 Prozent).
In Deutschland existieren 80 Mil- lionen Lebensversicherungen. Nach Angaben von Köcher entspricht ein Drittel der Verträge einem Wert von 50 000 bis 100 000 DM. Der Anteil der Policen über 100 000 DM ist von acht Prozent im Jahr 1988 auf heute 26 Prozent angestiegen.
Eine der – viel zitierten – Ursa- chen für die Schwierigkeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ist der steigende Anteil älterer Men- schen an der Bevölkerung. Die demo- graphische Entwicklung ist laut
Köcher jedoch nur ein Teil des Pro- blems. Vielfach unterschätzt werde der Einfluß der Frühverrentung (Gra- fik 2). Waren Anfang der 80er Jahre noch 68 Prozent aller 55- bis 64jähri- gen Männer in den Arbeitsprozeß eingegliedert, war ihr Anteil Anfang der 90er Jahre bereits unter die 50- Prozent-Marke abgerutscht.
Diese Entwicklung wurde nur von Frankreich „unterboten“. Im sel- ben Zeitraum verringerte sich der Anteil der französischen Arbeitneh- mer von knapp 60 Prozent auf etwa 40 Prozent. Zum Vergleich stellte Köcher die Daten des Anfang der 80er Jahre als „besonders sozial“ gel- tenden Staates Schweden vor: Der Anteil der 55- bis 64jährigen arbei- tenden Männer lag damals bei etwa 80 Prozent und sank auf 72 Prozent ab (bei jetzt wieder steigender Ten- denz). Dr. med. Vera Zylka-Menhorn A-3243
P O L I T I K AKTUELL
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 48, 28. November 1997 (31)
Demoskopische Umfrage zur Rentensituation
Bürger setzen mehr auf Eigenverantwortung
Während die politischen Diskussionen über notwendige Veränderungen des Sozial- staates und des Rentensystems wie Verzweiflungsakte erscheinen – was kann ich mei- nen Wählern ohne Stimmenverluste noch an Belastungen zumuten? –, ist den meisten Bürgern sehr bewußt, daß der Staat längst an seine finanziellen Grenzen gekommen ist – und sie verlassen sich nicht mehr auf ihn. Die Altersvorsorge ist ein Beispiel.
Grafik 1
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen 5004, 5036, 9015, 5088, 6029
Die Bevölkerung macht sich zunehmend über ihre Alterssicherung Gedanken.
Grafik 2
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen 5004, 5036, 9015, 5088, 6029
Anteil der 55- bis 64jährigen Männer, die noch arbeiten