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Archiv "Grafenecker Erklärung zur Bioethik: Orientierung an den Menschenrechten" (13.09.1996)

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Academic year: 2022

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und 10 000 Menschen mit gei- stigen Behinderungen und psychischen Krankheiten wurden im Jahr 1940 im Rah- men des nationalsozialistischen „Eu- thanasie“-Programms in Grafeneck (Schwäbische Alb) durch Giftgas getötet. 55 Jahre später trafen sich an diesem Ort die Mitglieder des „Ar- beitskreises zur Erforschung der ,Eu- thanasie‘-Geschichte“. Der interdiszi- plinäre Zusammenschluß von Ärzten, Psychologen, Theologen, Juristen, Medizinhistorikern und Krankenpfle- gekräften erarbeitete die „Grafen- ecker Erklärung zur Bioethik“, die jetzt vorliegt.

Die Bioethik wird darin als mit den Menschenrechten unvereinbar bezeichnet. Die Menschenrechte ga- rantierten jedem Menschen, unabhän- gig von seiner Hautfarbe, die Unver- letzlichkeit seiner Person und die Un- antastbarkeit seiner Würde. Die Bioethik dagegen erkenne Menschen erst dann als Personen mit Würde und Recht an, wenn sie über bestimmte Ei- genschaften wie zum Beispiel Selbst- bewußtsein, Gedächtnis oder Kom- munikationsfähigkeit verfügen. „Auf der Grundlage dieser bioethischen Grundaussage werden Menschen mit Behinderungen oder Alterserkran- kungen abgewertet und zu For- schungsobjekten und Materiallagern für Transplantate degradiert, werden Sterbende als Kostenfaktor betrachtet und Embryonen zu Sachen erklärt“, heißt es weiter. Und noch an einem zweiten Punkt verläßt die Bioethik nach Ansicht des Arbeitskreises die Menschenrechtstradition: „Sie relati- viert alle Werte, indem sie sie in ,mo- ralischen Kosten-Nutzen-Analysen‘

gegeneinander abwägt.“ Schutzgaran- tien des einzelnen würden anderen

Rechten wie der Forschungsfreiheit gleichrangig gegenübergestellt.

Scharfe Kritik üben die Verfasser der Erklärung an dem Entwurf der

„Menschenrechtskonvention zur Bio- medizin“ des Europarates und an der geplanten Bioethik-Deklaration der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO). Abge- lehnt wird an dem Entwurf des Euro- parates vor allem, daß fremdnützige Forschung an nichteinwilligungsfähi- gen Personen ohne persönliche Zu- stimmung erlaubt werden soll. Der Eingriff solle, so der Entwurf des Eu- roparats, dann erlaubt sein, wenn das Risiko gering sei und keine einwilli- gungsfähigen Personen gefunden wür- den, die einem solchen Eingriff zu- stimmen. Zur Begründung werde auf den Nutzen für andere Patienten und künftige Generationen verwiesen.

Außerdem werde die – bisher in Deutschland verbotene – Forschung an lebenden Embryonen freigegeben.

Nürnberger Kodex als ethische Grundlage Die Bioethik-Deklaration der UNESCO habe das menschliche Ge- nom zum „Erbe der Menschheit“ er- klärt. Den wirtschaftlichen Interessen an der Ausbeutung dieses „Erbes“

werde keinerlei Riegel vorgeschoben.

Eingriffe in das Genom, auch Keim- bahnmanipulationen sowie voraussa- gende Gentests und die Patentierung von Genschnipseln sollten ebenfalls nicht ausgeschlossen sein. Gleichzeitig würden die nationalen Staaten zur Förderung der Forschung verpflichtet.

Die Verfasser der Grafenecker Erklärung fordern, den „Nürnberger

Kodex“ als Grundlage für die Bestim- mung der Rechte des Menschen in der modernen Medizin anzuerkennen.

Der „Nürnberger Kodex“ wurde im Jahr 1947 „als international anerkann- te ethische Grundlage der Medizin“

formuliert. In diesem Kodex stehe nicht die medizinische Forschung, der wissenschaftliche Fortschritt oder der Nutzen der Gesellschaft im Mittel- punkt der Medizin, sondern der Mensch mit seinen Grundrechten. Für jede Behandlung und Forschung zum Wohl Dritter muß nach diesem Kodex die freiwillige Einwilligung nach um- fassender Information vorliegen. Nur Heilversuche könnten gemäß einer Präzisierung durch die „Deklaration von Helsinki“ ersatzweise auch durch die Einwilligung des gesetzlichen Ver- treters legitimiert werden.

In bioethischen Verweisen auf

„übergeordnete Interessen“, das

„Wohl der kommenden Generatio- nen“ oder gar ökonomische Überle- gungen bezüglich einer „Gesundung der Menschheit“ sieht die Erklärung die Gefahr der Wiederholung der Ge- schichte. Schließlich hätten giganto- mane Gesundheitsvorstellungen in der Nazi-Ära dazu geführt, daß nicht nur die Rechte, sondern auch das Le- ben des einzelnen mißachtet worden seien, um den „Volkskörper“ zu hei- len. Die Grafenecker Erklärung plä- diert dafür, die Entwicklung der Bio- wissenschaften auf der Grundlage der Menschenrechte zu kontrollieren.

1 Der vollständige Text der

„Grafenecker Erklärung zur Bio- ethik“ und eine Unterschriftenliste, die Ende 1996 der Bundestagspräsi- dentin überreicht werden soll, kön- nen angefordert werden bei Dr. Mi- chael Wunder, Himmelstraße 26, 22299 Hamburg. Gisela Klinkhammer A-2290 (22) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 37, 13. September 1996

P O L I T I K AKTUELL

Grafenecker Erklärung zur Bioethik

Orientierung an den Menschenrechten

Die Bioethik „verläßt an entscheidenden Stellen den Boden der Menschenrechte, mißachtet die geschichtlichen Erfahrungen und unterwirft den menschenrechtlichen Schutz des einzelnen zweck- dienlichen Wertabschätzungen“. Das ist das Fazit der „Grafen- ecker Erklärung zur Bioethik“, die vom „Arbeitskreis zur Erfor-

schung der ,Euthanasie’-Geschichte“ erarbeitet wurde. In der Er- klärung werden auch die geplante Bioethik-Deklaration der UNESCO sowie die „Menschenrechtskonvention zur Biomedizin“

vom Europarat scharf kritisiert. Die Unterzeichner plädieren

dagegen für eine ethische Orientierung am Nürnberger Kodex.

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