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Deklaration der UNESCO
Forschung am Genom erlaubt
J
eder Mensch hat das Recht, am biologischen und gen- technischen Fortschritt teil- zuhaben, ohne daß seine Würde und Freiheit beeinträchtigt wer- den", heißt es in dem Entwurf ei- ner Bioethik-Deklaration der UNESCO. Dieser Entwurf, der jetzt in englischer, französischer und deutscher Sprache vorliegt, wurde auf Initiative der 27. UNES- CO-Generalkonferenz (1993) vom„Internationalen Bioethik-Komi- tee" der Kulturorganisation der Vereinten Nationen erarbeitet.
Das Komitee hatte dazu einen Rechtsausschuß aus acht Mitglie- dern und drei Beratern eingesetzt, der sich dazu entschied, anstelle ei- ner rechtsverbindlichen und zu ra- tifizierenden Konvention eine Prinzipiendeklaration zu erarbei- ten. Diese soll die „Grundlage der gesetzlichen Maßnahmen der ein- zelnen Staaten" bilden, heißt es in der von der deutschen UNESCO- Kommission besorgten, nicht be- glaubigten Übersetzung.
Das menschliche Genom wird in dem Deklarationsentwurf zum gemeinsamen Erbe der Mensch- heit erklärt. Dazu die Erläuterun- gen: „Durch Bekräftigung der Tat- sache, daß das menschliche Ge- nom Teil des gemeinsamen Erbes der Menschheit ist, unterstreicht die Erklärung die Verantwortung der Menschheit und macht auf- merksam auf die Notwendigkeit, ein weltweites Bewußtsein für den
Themenbereich menschliche Gen- forschung zu schaffen." Jeder Mensch habe dennoch seine eige- ne genetische Identität und ein Recht auf Achtung seiner Würde.
Dieser Würde des einzelnen Men- schen müsse Vorrang vor jedem wissenschaftlichen Fortschritt ein- geräumt werden.
Dennoch sollten Eingriffe in das menschliche Genom nicht grundsätzlich verboten sein, de- klarierte die UNESCO. Sie dürf- ten allerdings nicht ohne „vorheri- ge, freiwillige und klare Zustim- mung des Betroffenen oder gege- benenfalls seiner rechtmäßigen Vertreter" vorgenommen werden.
Außerdem habe jeder Mensch ein Recht auf Entschädigung für Schä- den, die sich aus einem direkten Eingriff in sein Genom ergeben haben. Die einzelnen Staaten müßten die intellektuellen und materiellen Voraussetzungen für Genomforschung gewährleisten,
„vorausgesetzt, daß diese For- schungstätigkeit den Wissensstand erweitert und zur Bekämpfung von Behinderung und Krankheit beiträgt".
Die Forschungstätigkeit müs- se unter gebührender Berücksich- tigung der demokratischen Grundsätze beschränkt werden,
„wenn dies zum Schutz der Würde und Freiheit des Menschen, zum Schutz der Gesundheit oder zum Schutz der Umwelt erforderlich ist". Für den Forscher ergebe sich
eine besondere Verantwortung im Hinblick auf Sorgfalt, Vorsicht und intellektuelle Aufrichtigkeit.
Scharfe Kritik an diesem von der Öffentlichkeit weitgehend unbe- achtet gebliebenen Entwurf übte der CDU-Europaabgeordnete Dr.
med. Peter Liese. „Gegen diese Deklaration ist der Entwurf einer Bioethik-Konvention des Euro- parates ein Dokument von Le- bensschützern", erklärte er. Be- sorgniserregend sei vor allem das Menschenbild, das hinter dem Entwurf stehe. Die Menschen- würde definiert sich, so die Auf- fassung Lieses, nicht daraus, daß der Mensch perfekt ist. Eine Ge- sellschaft, in der es weniger kran- ke und behinderte Menschen gä- be, sei sicherlich keine bessere Gesellschaft. Daher dürfe nicht der Versuch unternommen wer- den, Behinderung und Krankheit vollständig aus der Welt zu schaf- fen. Der Europaabgeordnete for- dert die Bundesregierung auf, die Deklaration mit allen Kräften zu verhindern: „Ein solches Doku- ment kann man nicht korrigieren, man kann es nur grundsätzlich ab- lehnen."
Die Prinzipiendeklaration soll 1998 verabschiedet werden. Vor- her sollen, so die UNESCO, staat- liche Behörden, Fachkreise und Nichtregierungsorganisationen auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene zum Entwurf konsultiert werden. Kli Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 39, 29. September 1995 (1) A-2511