Der demente Mensch
und sein Recht auf Freiheit
„Freiheit“
• Verankertes Grundrecht europäischen Menschenrechtskonvention Artikel 5 – Recht auf Freiheit und Sicherheit (EMRK)
• Bundesverfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit Artikel 2 – Erlaubte Einschränkungen (Verfassung)
• Geregelt in einzelnen Gesetzen:
Strafrecht (Freiheitsentzug)
ABGB (Erziehungsmaßnahmen Minderjähriger) Heimaufenthaltsgesetz u. Unterbringungsgesetz
Freiheitsbeschränkungen
„Eine Freiheitsbeschränkung liegt dann vor, wenn es einer
Person unmöglich gemacht wird ihren Aufenthalt nach freiem Willen zu verändern.“
• Hindern am Verlassen des Wohnbereiches, der Einrichtung, der Station, oder des Zimmers, Aufstehen aus dem Sessel, dem Rollstuhl oder des Bettes
• Androhung einer dieser Maßnahmen!
Mittel zur Freiheitsbeschränkung
• Unmittelbar körperliche Zugriffe, Festhalten, Fixation, Vorstellen von unüberwindbaren Hindernissen (Tische), oder die Wegnahme von Gehhilfen
• Medikamentöse Freiheitsbeschränkung:
Wenn die Gabe dem Zweck der Bewegungsunterbindung dient
• Elektronische Überwachungsmaßnahmen
• Videoüberwachung
• Bauliche Maßnahmen
§4 Heimaufenthaltsgesetz
§ 4. Eine Freiheitsbeschränkung darf nur vorgenommen werden, wenn 1. der Bewohner psychisch krank oder geistig behindert ist und im
Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben und die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich
gefährdet,
2. sie zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauer und Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist sowie
3. diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere
schonendere Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen, abgewendet werden kann.
Voraussetzungen im UbG
1. Psychische Erkrankung
2. Ernste und erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung
3. Es bestehen keine anderen
Behandlungsalternativen, bzw. gelindere Mittel
UbG – HeimaufG
• Erkrankung, ernste und erhebliche Gefährdung
• Verhältnismäßigkeit und Dauer der Maßnahme zur Gefährdung, sowie die Möglichkeit gelinderer Mittel müssen geprüft werden
• Die Freiheitsbeschränkung im Rahmen einer psychischen Erkrankung ist kein „Privileg“ der Psychiatrie!
• HeimaufG gilt in allen „nicht psychiatrischen Abteilungen“ eines Krankenhauses und Pflegeheimen
• UbG gilt nur für den Bereich der psychiatrischen Abteilung
(Zuweisung durch den Amtsarzt und die Vorstellung durch die Polizei aus dem extramuralen Raum)
Die Gründe für
freiheitsbeschränkende Maßnahmen
• Selbstgefährdung >> Fremdgefährdung
• Vorangegangene oder drohende Stürze und Verletzungen
• Fordernde Verhaltensweisen
• Unkenntnis bzw. mangelhafte Verfügbarkeit von Alternativen
• Unzureichende Ursachenklärung
• Rasche Lösung
• Angst vor Haftung
• Wunsch der Angehörigen
Negativspirale von Fixierungen
• Sturzbedingte Verletzungsgefahr und fordernde unangepasste Verhaltensweisen
• Autonomieverlust, Stress, Gegenwehr, direkte Verletzungen, Mobilitätsreduktion, Zunahme der Verhaltensstörungen
• Gesteigerte Benzodiazepin- und Neuroleptikagabe mit entsprechendem Nebenwirkungsprofil
• Erhöhte Sturzgefährdung, Polypharmazie und zusätzliche medizinische Komplikationen
• Reduzierter AZ, reduzierte Lebensqualität, reduzierte Mobilität
• Vermehrte Schuldgefühle bei Angehörigen und Personal, reduzierte Arbeitszufriedenheit
Alternativen?
Redufix-Projekte www.redufix.de
Priv. Doz. Dr. med Clemens Becker, Prof. Dr. Thomas Klie, Prof. Dr. med. Doris Bredthauer
• Multidisziplinäres Projekt
• Für und Wider der Fixation und der Alternativen unter
pflegerischen, medizinischen, psychosozialen und rechtlichen Aspekten regelmäßg erarbeitet und überprüft
• Regelmäßige Schulungen zur Erhöhung der
Handlungssicherheit
Ergebnis
•
bei 20% der Patienten die regelmäßig fixiert waren gelang es die Fixation zu beenden, bzw. die Fixationszeiten drastisch zu reduzieren
•
keine Erhöhung des Verletzungsrisikos (bei erhöhter Sturzrate)
•
keine Erhöhung der Psychopharmakotherapie
•
deutlichen Rückgang des fordernden und aggressiven
Verhaltens
Fixierungen
„… sind weder ein adäquates noch evidenzbasiertes Mittel zur Verhinderung von Stürzen oder Beeinflussung von fordernden Verhaltensweisen bei demenzkranken alten Menschen.
Solche Maßnahmen sind allerdings selbst nicht ohne Risiken und stellen einen schweren Eingriff in die Grundrechte des Menschen dar.“
Bredthauer, Becker et al. 2005 n=122,
gleich häufigen Anzahl der Stürze bei fixierten und nicht fixierten Pat.
gravierenden Verletzungen (Frakturen) fanden sich nur im Verlauf von fixierten Pat.
Aggressives, selbstgefährdendes Verhalten – Was nun?
Zunehmendem Verlust der Sprache Rechnung tragen:
– Medizinische Abklärung und Behandlung möglicher Ursachen (Delir, Schmerzen, Nebenwirkungen, etc.)
– Interdisziplinären Problemanalyse:
Was, wann, wo, wer hat das Problem und was hat geholfen – Analyse von psychosozialen und Umgebungsfaktoren
Alternative Maßnahmen:
• Tagesstrukturierende Maßnahmen
• Biografie orientierte Beschäftigung
• Kognitiv und körperlich aktivierende Kleingruppen (Gehen, Singen, Ballspielen,…)
• Gehen statt Sprechen
• Kommunikationsregeln:
nicht konfrontieren oder logisch argumentieren, Augenkontakt, klare, einfache Sätze, auf Gefühlsebene eingehen und bestätigen,
• das Phänomen Aggression auch als Abwehrreaktion von Gefühlen des Ausgeliefert
Medikamentöse Maßnahmen:
• Erst nach dem Ausschöpfen nicht medikamentöser Maßnahmen
• Start low, go slow
• Nebenwirkungsmonitoring
• Verzicht auf Polypharmazie (Reduktion)
• Absetzversuche
(Auswahl der Medikation nach Prioritäten, Komorbiditäten und Nebenwirkungsprofil)
Fall
• 87-jähriger Patient
• Vorbekannte Demenz mit entsprechenden Verhaltensauffälligkeiten
• „Fremdaggressives Verhalten bei Demenz“
• Keine Kontaktpersonen
• keinerlei Gefährdungselemente fassbar, kohärent im Duktus, adäquat im Affekt
• Entlassung zurück ins Pflegeheim
• Folgetag wird der Patient
in Polizeibegleitung wegen akuter
Selbst- und Fremdgefährdung an die Abteilung gebracht!
Ursachen
• Zu rascher und gehäufter Ortswechsel
• Das Gefühl sozialer Impotenz, des nicht gehört werdens, nicht ernst genommen werdens
• Mangelnde Kommunikation im
Betreuungsnetz
Mögliche Lösungen
• Multiprofessionelle, interdisziplinäre Zusammenarbeit mit gegebener
Kommunikationsbereitschaft
• Offenheit gegenüber neuen,
ergänzenden Therapieoptionen
Herzlichen Dank!
Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren!