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Archiv "Freiheit der Forschung durch Datenschutz begrenzt" (01.05.1980)

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DER KOMMENTAR

Freiheit

der Forschung durch

Datenschutz begrenzt

In keiner staatlichen Einrichtung sind über so viele Bürger so viele und so brisante Daten zusammen- getragen wie gerade im Bereich der gesetzlichen Krankenversiche- rung. Diese Daten entstammen der Arztpraxis und sind dort durch die strengen Strafvorschriften der ärztlichen. Schweigepflicht (§ 203 StGB; BDSG) geschützt. Verlas- sen diese Patientendaten aber die Arztpraxis und gelangen zum Zwecke der Abrechnung in den Bereich der Kassenärztlichen Ver- einigungen und der Krankenkas- sen, so regelt ein kompliziertes ju- ristisches Netzwerk den Umgang mit ihnen. Offenbarung und Wei- tergabe dieser Daten werden durch Bestimmungen des Sozial- gesetzbuches (SGB) wie auch durch Bestimmungen der Daten- schutzgesetze des Bundes und der Länder geregelt.

Hierbei gibt es Personen und Stel- len innerhalb und außerhalb der öffentlichen Verwaltung, die unter bestimmten Voraussetzungen die- se Daten empfangen dürfen und andere nicht. Diese schwierigen Datenschutzregelungen haben, soweit die Daten zu Forschungs- zwecken gebraucht werden, zu ei- ner großen Unsicherheit im Um- gang mit ihnen bei den gesetzli- chen Krankenkassen, aber auch bei den Kassenärztlichen Vereini- gungen geführt.

Um ja nichts falsch zu machen, wird von den „Datenherren", das sind Institutionen, die Versicher- tendaten rechtmäßig besitzen, der Datenschutz restriktiv ausgelegt und weitgehend auf jede Weiter- gabe an Dritte verzichtet.

An diesem Punkt nun stoßen sich die Interessen. Insbesondere

die empirische Sozialforschung glaubt, bei der Erforschung der Ursachen für krankmachendes Verhalten und der Erforschung der Kostenexpansion nicht ohne personenbezogene Patientenda- ten auskommen zu können. Das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen (WIdO), Bonn- Bad Godesberg, hat deshalb den Datenschutzexperten Prof. Dr. jur.

Wilhelm Steinmüller, Fachbereich Rechtswissenschaft der Universi- tät Regensburg, beauftragt, in ei- nem Gutachten die vielschichti- gen Datenbeziehungen zwischen den Beteiligten der gesetzlichen Krankenversicherung darzustellen und auf ihre Zulässigkeit hin zu untersuchen').

In der 98 Seiten starken Expertise wird insbesondere auf die Daten- weitergabe an Dritte zur wissen- schaftlichen Auswertung einge- gangen. Ein vergleichbares, wenn auch nicht veröffentlichtes Gut- achten hat Steinmüller bereits 1977 für das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (ZI), Köln, erstellt.

Beide Institutionen betreiben em- pirische Sozialforschung, bei der sie Versichertendaten analysieren.

Die empirische Sozialforschung, die heute auf Versichertendaten aufbauen will, hat es seit Inkraft- treten der Datenschutzgesetze schwer. Denn die Übermittlung der Versichertendaten ist verbo- ten, es sei denn

1. die Zweckidentität der Daten- verarbeitung liegt vor. Das heißt, die empfangende Stelle will die Daten zum gleichen Zweck verar- beiten wie die übermittelnde Stelle dies darf (§10 Abs. 1 Satz 2 BDSG) und

2. der Betroffene stimmt zu oder 3. es besteht eine gesetzliche Mit- teilungspflicht oder

1) Wilhelm Steinmüller: Erfordernisse des Da- tenschutzes. Hrsg.: Wissenschaftliches In- stitut der Ortskrankenkassen, WIdO-Mate- hallen, Band 6, Bonn-Bad Godesberg 1979.

4. es liegt ein Fall der einge- schränkten Amtshilfe nach § 35 Abs. 2 SGB vor oder

5. sonstige Rechtfertigungsgrün- de für die Übermittlung sind ge- geben.

Für die Weitergabe von Daten zum Zwecke der Forschungsverarbei- tung lassen diese Regelungen nur wenig Raum. Die Übermittlung von Versichertendaten für For- schungszwecke an Institutionen außerhalb der gesetzlichen Kran- kenversicherung wurde in der Ver- gangenheit deshalb häufig mit der Güter- und Interessenabwägung zwischen dem berechtigten Inter- esse des Staates an der Durchfüh- rung von Forschungsvorhaben und dem ebenso berechtigten In- teresse des Individuums an dem Schutz seiner Persönlichkeitsda- ten begründet.

Steinmüller weist ausdrücklich darauf hin, daß die Güter- und In- teressenabwägung keinen Recht- fertigungstatbestand zur Daten- übermittlung darstellt und dies auch nicht in § 35 StGA Teil 1 vorgesehen ist. Diese restriktive Auslegung des Datenschutzes und die indirekte Abkapselung der so- zialempirischen Forschung von den „Routinedaten" der gesetzli- chen Krankenversicherung hat zu einem Entwurf einer Neuregelung der Sicherung des Sozialgeheim- nisses geführt.

Dieser wird zur Zeit von den zu- ständigen Bundestagsausschüs- sen beraten. Die bedenklichste Neuregelung des Sozialgesetzbu- ches enthält ein neuer § 35 d be- züglich der Forschung und Pla- nung. In der Begründung dazu heißt es:

„Mit dieser Norm wird eine Durch- brechung des Sozialgeheimnisses im Interesse der Forschung und Planung ermöglicht, wenn die Voraussetzung des § 73 des 10.

Buches Sozialgesetzbuch vor- liegt." Die Voraussetzungen sind dort allerdings so offen geregelt, daß die Übermittlung von perso- nenbezogenen Versichertendaten

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 18 vom 1. Mai 1980 1169

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DER KOMMENTAR

zum Zwecke der Forschung und Planung damit praktisch freigege- ben wäre.

~ Eine Aufweichung des Daten- schutzes in diesem Punkt ist höchst bedenklich, wenn man er- kennt, daß heute nahezu jedes po- litische Interesse an Versicherten- daten durch Forschungs- und Planungsvorhaben legitimiert wer- den kann. Dies wird nicht zuletzt durch einen Blick auf das Pro- gramm der Bundesregierung .. zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Dienste der Ge- sundheit (1978-1981 )" deutlich, in dem sich ein Großteil der .,For- schungsvorhaben" mit der Analy- se von Versichertendaten beschäf- tigt. Von daher ist das breite wis- senschaftliche und politische In- teresse an der Aufweichung der augenblicklich bestehenden Da- tenschutzregelung zwar verständ- lich, aber deswegen nicht weniger brisant.

Auch bei geltendem Recht ist Forschungsdatenverarbeitung im Rahmen der empirischen Sozial- forschung möglich. Steinmüller weist dazu drei Wege:

1. Um trotzrechtlicher Beschrän- kungen geschützte Daten einer Analyse durch Dritte zugänglich zu machen, kann man durch tech- nische Maßnahmen die Personen- beziehbarkeil der Daten durch An- onymisierung beseitigen (.,techni- scher Weg").

2. Eine zweite Möglichkeit ist die Vergabe von Datenverarbeitungs- aufträgen gemäß § 8 BDSG, bei der die verarbeitende Stelle strikt an die Weisungen der weiterge- benden Stelle gebunden ist ( .. ju ri- stischer Weg").

3. Schließlich können Wissen- schaftler durch Werkverträge or- ganisatorisch und rechtlich in die weitergebende Stelle einbezo- gen werden ( .. organisatorischer

Weg").

Diese drei grundsätzlichen Gestal- tungsmöglichkeiten lassen es

heute bereits zu, ohne Gefähr- dung des Betroffenen eine Daten- basis für Forschungszwecke auf- zubauen, die allen rechtlichen An- forderungen entspricht. Diese Ge- staltungsmöglichkeiten funktio- nieren allerdings nur dann, wenn die Forschung im Interesse der übermittelnden Stelle geschieht.

Liegt das Interesse an der Durch- führung von Forschungsvorhaben nicht bei der übermittelnden, son- dern bei der die Daten empfangen- den Stelle, sieht das geltende Recht keine Möglichkeit für die Übermittlung von Versichertenda- ten vor. Der Gesetzgeber hat damit indirekt eine nicht vorgesehene Beschränkung der Forschungs- freiheit vorgenommen. Der beste- hende Zielkonflikt zwischen For- schungsfreiheit auf der einen und Datenschutz auf der anderen Seite muß sicher durch den Gesetzge- ber gelöst werden.

~ Der augenblicklich diskutierte Entwurf zur Neuregelung des So- zialgeheimnisses mit der Einfüh- rung des § 35 d in das Sozialge- setzbuch, Teil 1, erscheint jedoch als untauglicher Versuch, da hier der Datenschutz einseitig dem Forschungsinteresse geopfert

Klassen-

unterschied

Elisabeth Dessai schreibt in ihrem Buch .,Auf dem Weg in die kinder- lose Gesellschaft" (Rowohlt, 1979): .,in unserem Land gibt es zwei leicht unterscheidbare Klas-

sen: die Leute mit Kindern und die

Kinderlosen. Die einen haben mehr Arbeit, die anderen mehr Geld. Wen wundert's, daß immer mehr junge Leute aus dieser All- tagserfahrung die Konsequenz ziehen und keinB Kinder kriegen wollen."

Noch deutlicher wird die Fernseh- journalistin Luc Jochimsen in dem von Carola Stern herausgegebe- nen rororo-Bändchen .,Was haben

1170 Heft 18 vom 1. Mai 1980 DEUTSCHES ARZTEBLATT

wird. Die von Steinmüllers Gut- achten vorgeschlagene Regelung zur Lösung dieses Dilemmas er- scheint dabei wesentlich differen- zierter. Sie wird von folgenden Grundgedanken getragen:

~ .,Die unabhängige, wissen- schaftliche Forschung erhält alle 'Daten, die sie für den Forschungs- zweck unbedingt braucht, aber nur für definierte Forschungsvor- haben unter den folgenden Vor- aussetzungen: Zustimmung des Betroffenen oder keine Beein- trächtigung des Betroffenen tritt nach sozialer Gewißheit ein, und es gibt keine Weitergabe der Da- ten (außer bei Zustimmung des Betroffenen und nur für For- schungszwecke). Weiterhin ist für jedes definierte Forschungsvorha- ben ein Forschungsleiter zu be- nennen, der persönlich verant- wortlich und haftbar ist, und die Datenschutzinstitution kontrolliert die Einhaltung dieser Vorausset- zungen."

Eine weitere Durchbrechung des Sozialdatengeheimnisses gegen- über dem geltenden Recht wird von Steinmüller als überflüssig ab- gelehnt. Gerhard Brenner/li

die Parteien für die Frauen ge- tan?" Sie erklärt kategorisch: .,Die Situation der unterbezahlt außer Haus und unbezahlt im Haus ar- beitenden Frauen, die auf eigene Kosten die Last der biologischen Regeneration dieser Gesellschaft übernehmen, ist unerträglich ge- worden."

Die Ursache für diese Entwicklung liegt in einer .. Frondienstpflicht"

der Familien mit Kindern (Frank- tu rter Hefte, 1953), denen der Staat entschädigungslos das weg- nimmt, was er für die Altersversor- gung ausgibt; denn .,die Versor- gung der Nicht-mehr-Erwerbsfähi- gen hängt ausschließlich und al- lein ab von der nachgewachsenen erwerbstätigen Generation", so der Jesuitenpater Prof. Dr. Oswald von Neii-Breuning in seinem neu-

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