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Was oder Wer ist der Mensch?

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Academic year: 2021

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(1)

Matthias Jung

Vorlesung:!

Einführung in die

philosophische Anthropologie

(2)

Philosophische Anthropologie

Überblick Vorlesung!

Was oder Wer ist der Mensch?!

Alltagserfahrung, Wissenschaft, Philosophie!

PhA als Integrative Anthropologie!

Aufbau der Vorlesung!

Literaturhinweise

2

(3)

Literaturhinweise

Gerald Hartung, Philosophische Anthropologie, Reclam (eher historisch)!

Christian Thies, Einführung in die philosophische Anthropologie, 2.

Aufl., WB (eher systematisch)!

Christoph Wulf, Anthropologie, rowohlts enzyklopädie (Kulturalismus)!

Ganten/Gerhardt etc., Was ist der Mensch, De Gruyter!

Joachim Illies, Philosophische Anthropologie im biologischen Zeitalter, stw!

Matthias Jung, Der bewusste Ausdruck, Anthropologie der Artikulation, De Gruyter

(4)

I. Grundlagen!

Einführung: die Rückkehr philosophischer Anthropologie!

Nomaden im Zweistromland: Natürlichkeit/Kulturalität/Ausdrücklichkeit/

Symbolizität/Diversität/Historizität!

II. Historische und aktuelle Positionen!

Ohne Menschenbild geht es nicht: Die implizite Anthropologie religiöser und metaphysischer Weltbilder!

Klassische Positionen I: Lebensphilosophie und Pragmatismus!

Klassische Positionen II: Scheler/Gehlen/Plessner!

Gegen den Dualismus: eine Anthropologie der Artikulation!

III. Problemfelder!

Was unterscheidet uns von anderen Lebewesen?!

Die evolutionäre Entstehung des Menschen

4

(5)

Homepage für das Herunterladen der Vorlesung

http://uni-koblenz.de/

~mjung/

(6)

Was oder Wer ist der Mensch?

oder: Die Rückkehr der philosophischen Anthropologie

Drei Dimensionen:!

Implizite Menschen- und Weltbilder!

Narrative Anthropologie in Religion und Kultur!

Wissenschaftliche Anthropologie

6

(7)

Was oder Wer ist der Mensch?

Die Beobachter- und die Teilnehmerperspektive:!

Das System der Personalpronomina:!

Ich/Wir!

Du/Ihr!

Er/Sie!

Extensionale und intensionale Fragen!

Extension: Was fällt alles unter den Begriff?!

Intension: Was bedeutet der Begriff?!

Gattungsidentität und personale Identität!

Deskriptive und normative Fragen

(8)

Alltagserfahrung, Wissenschaft, Philosophie

Die Unhintergehbarkeit gewöhnlicher Erfahrung!

Die Fähigkeit symbolischer Distanzierung!

Personale und soziale Innenperspektive, geistes- und naturwissenschaftliche Außenperspektive!

Die Humanwissenschaften!

Der überholte Gegensatz von Kultur- und Naturwissenschaften!

Falsche Auflösungen des Gegensatzes: Naturalismus/

Kulturalismus

8

(9)

Alltagserfahrung

Unhintergehbarkeit gewöhnlicher Erfahrung!

Unterschiede zu wissenschaftlicher Erfahrung!

Nicht-Systematizität: Widerfahrnisse!!

Holismus (Gefühl, Wille, Vernunft integriert)!

Subjektivität (Intersubjektivität und Privatheit)!

Nicht-Vollständigkeit objektiver Weltbeschreibungen

(10)

Alltagserfahrung, Wissenschaft, Philosophie

Die Bedeutung der Kognitionswissenschaft (cognitive science)!

Empirische Erforschung der Ontogenese!

Evolutionäre Anthropologie!

Verbindung von Phänomenologie und kausalem Denken!

Suche nach anthropologischen Invarianten („Differences among individuals are so boring“(Steve Pinker))!

Zwei Denkansätze:!

Funktionalismus: Geist als algorithmische Verarbeitung von Input (Reiz) und Output (Motorik)!

Embodied Mind: Geist entsteht aus der Steuerung der Interaktionen des Organismus mit seiner Umwelt

10

(11)

Alltagserfahrung, Wissenschaft, Philosophie

Historische bzw. Kulturanthropologie:!

Betonung kultureller Differenzen, verschiedener semantischer Codes etc.!

Ethnologischer Eurozentrismus-Verdacht!

Häufig Skepsis gegenüber Naturwissenschaften!

Skepsis gegenüber der Rede von dem Menschen, aber:


Invarianten als Voraussetzungen der Erkenntnis von Differenzen

(12)

Alltagserfahrung, Wissenschaft, Philosophie

Immanuel Kant:!

Schul- und Weltbegriff der Philosophie!

Idee einer Anthropologie in pragmatischer Hinsicht

12

(13)

Zitat Vorrede BA III, IV

(14)

PhA als Integrative Anthropologie

Interpretation, Integration, Holismus (lt. Ch. Thies, Einf. in die phil. Anthr.)!

Integration als Bezug von Perspektiven, die verschieden bleiben (keine Synthese)!

Keine „Lehnstuhlphilosophie“!

Relevanz und Grenze des Wissenschaftlichen!

Integration der normativen/wertenden Fragen:!

Was sind Wir?/Was wollen wir sein?

14

(15)

Nomaden im Zweistromland

Text verfügbar über Homepage!

Menschen als Grenzgänger zwischen Erleben und Kulturellem Sinn!

Menschen sind zugleich ganz Teil der Natur und mit ihrer Lebensform etwas Einzigartiges

(16)

II.Historische und aktuelle Positionen 1. Die Achsenzeit als Ursprung

anthropologischen Denkens

16

(17)

Die Achsenzeit

Mensch als Wesen, das sein Leben nicht einfach führt, sondern eine Bedeutung ausdrücklich macht:

Riten, Geschichten, Wertekataloge, rechtliche Ordnungen, Weltanschauungen und Religionen!

Dafür entscheidend: Reflexivität!

Achsenzeit als Begriff für den Zeitraum, in dem reflexive Einstellungen erstmals kulturelle Wirksamkeit entfalten!

Begriff wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Karl Jaspers populär gemacht: seit ca. 15 Jahren wieder zentrales Thema!

Zitat aus Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte:

(18)

Zitat aus Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

Mittwoch, 8. Februar 12 18

(19)

Die Achsenzeit

Blütezeit der ersten Hochkulturen!

Synchrone Entstehung von universalen Weltdeutungen, wissenschaftlichem Denken und politischem Bewusstsein!

„Entdeckung der Transzendenz“!

„Second-Order-Thinking“:!

first-order: Bewusstsein → Gegenstand!

second-order: Bewusstsein ↔ Gegenstand!

Mensch wird sich selbst zum Gegenstand des Nachdenkens

(20)

Ohne Menschenbild geht es nicht

Mensch als selbstinterpretierendes Wesen!

Mythen als Deutungen der Stellung des Menschen in der Welt!

Anthropomorphismus („Ursprüngliche

Allvermenschlichung“) und Kosmozentrik!

Mikro-/Makrokosmos-Analogie

20

(21)

Beispiel I: Die hebräische Bibel

Distanzierung des Mythischen durch Monotheismus und Schöpfungsgedanken!

Klassische Stellen: die zwei Schöpfungsberichte Gen I, 26-28; Gen 2-3; Psalm 8!

Kein Dualismus von Leib und Seele!

Spannung von Größe und Nichtigkeit!

Sinnfrage: Es gibt keinen Zusammenhang von Tun und Ergehen (Kohelet)

(22)

22

GEN 1, 26-28

Mittwoch, 8. Februar 12

(23)
(24)

Beispiel II: Chorlied der Antigone

aus Sophokles, Antigone (Uraufführung 442 v. Chr.):!

CHOR!

!

Ungeheuer ist viel und nichts!

Ungeheurer als der Mensch.!

Er überschreitet auch das graue Meer!

Im Notossturm!

Unter tosenden Wogen hindurch.!

Erde, der Güter höchste,!

Die unerschöpfliche, unermeßliche,!

Bedrängt sein Pflug. Auf und ab!

Ackern die Rosse ihm!

Jahr um Jahr.

24

(25)

Leichtgesinnter Vögel Volk!

Fängt er im Garn,!

Wilder Tiere Geschlechter!

Und Kinder des Meers!

In verschlungenem Netzgeflecht,!

Der kluge Mensch.!

Mit List bezwingt er,!

Was haust auf Höhlen!

Und schweift im Freien.!

Dem Pferd mit der mutigen Mähne,!

Dem unbändigen Bergstier!

Zähmt er den Nacken!

Unter das Joch.

(26)

26

Und luftgewirkte Gedanken!

Lehrte er sich!

Und den Trieb zum Staat!

Und Obdach!

Gegen ungastlichen Reif vom Himmel!

Und Regengeschosse,!

Allberaten.!

Ratlos tritt er!

Vor nichts, was kommt,!

Nur dem Tod entrinnt er nicht.!

Aber aus heillosen Leiden!

Ersann er sich Rettung.

(27)

Mit der Erfindung Kunst!

Reich über Hoffen begabt,!

Treibt’s zum Bösen ihn bald!

Und bald zum Guten.!

Ehrend des Landes Gesetz!

Und der Güter beschwornes Recht,!

Ist er groß im Volk. Nichts im Volk,!

Wer sich dem Unrecht gab!

Vermessenen Sinns.!

Nie sei Gast meines Herdes, Nie mein!

Gesinnungsfreund,!

Wer solches beginnt.

(28)

Lebensphilosophie und Pragmatismus

Anthropologie im engeren Sinn als spezifisch neuzeitliche Frage vor dem Hintergrund von:!

Humanismus!

Aufklärungsphilosophie!

Idealismus!

Romantik/Expressivismus!

Darwinismus

28

(29)

Wilhelm Dilthey, 1833-1911

WILHELM DILTHEY 1833-1911

29

(30)

Literaturhinweis:

Matthias Jung, Dilthey zur Einführung. Junius-Verlag

30

(31)

„Einleitung in die Geisteswissenschaften“

Motiv des „ganzen Menschen“!

Kritik an Theoretizismus und Intellektualismus!

Wille, Gefühl, Vernunft!

Interaktionszusammenhang von Organismus und Umwelt!

Entwicklung und Evolution!

Erkenntnisanthropologie der „inneren Erfahrung“

(32)

Zitat aus Wilhelm Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften

Mittwoch, 8. Februar 12 32

(33)

Geistes- und Kulturwissenschaft

Abgrenzung von den Naturwissenschaften: Innen- und Außenperspektive!

Unterschied, nicht Gegensatz von Erklären und Verstehen:

Perspektivendifferenz vs. unterschiedliche Seinsarten!

Hermeneutik als Theorie des Verstehens: Mensch als interpretierendes Lebewesen!

Sinn als artikulierte Lebensbedeutsamkeit!

Dreischritt Erlebnis-Ausdruck-Verstehen

(34)

Lebenszusammenhang Mensch-Umwelt

34

Erklären Verstehen

Naturwissenschaften Geisteswissenschaften

Beobachterperspektive Teilnehmerperspektive

Kausalität Sinnzusammenhang

Deduktiv-nomologisches Schema:!

empirische Daten - Gesetzeshypothese - Erklärung

Erlebnis - Ausdruck - Verstehen

(35)

Hempel-Oppenheim-Schema

(36)

Pragmatismus

36

(37)

Grundgedanken

philosophische Bedeutung der alltäglichen Erfahrung und des Handelns!

Menschen als qualitativ erlebende und interpretierende Wesen!

Bedeutung der Praxis für die Theorie und umgekehrt!

Anerkennung von Kontingenz!

Handeln immer prekär!

keine „Flucht in die Theorie“ (Dewey, „Die Suche nach Gewissheit“)!

positive Einschätzung der Evolutionstheorie → Antidualismus

(38)

Zitat aus John Dewey, Erfahrung und Natur

38

Mittwoch, 8. Februar 12

(39)

John Dewey

nichtreduktionistischer Naturalismus!

antiindividualistischer und antidualistischer Begriff des Geistes!

menschliche Bedeutungen als realer Teil der Natur!

anthropologisch zentrale Werke:!

Human Nature and Conduct (1922)!

Experience and Nature (1925)

(40)

„Experience and Nature“

menschlicher Geist als Teil der Natur!

Alltagsperspektive nicht abgewertet (keine „Folk Psychology“), sondern unhintergehbar!

Naturalismus, aber nicht szientifisch!

Dreigliedrigkeit!

physisch!

psycho-physisch!

mental (geistig)

40

(41)

Die „Philosophische Anthropologie“

(42)

Der klassische Entwurf Helmuth Plessners

Literaturhinweis: Kai Haucke, Plessner zur Einführung, Junius-Verlag!

Hauptwerk: Die Stufen des Organischen und der Mensch (1926)!

Hintergründe:!

Diltheys Lebensphilosophie als Theorie der Geisteswissenschaften!

Interesse für Biologie!

Kognitive Bedeutung der Sinnlichkeit/Leiblichkeit: „Versinnlichung des Geistes, Vergeistigung der Sinne“ → kein „Gehirn im Tank“!

Diskreditierung des cartesianischen Dualismus!

Verbindung mit Naturphilosophie: Aristotelismus, Idee der Scala Naturae

42

(43)

Methodische Grundlagen

Verbindung von:!

Phänomenologie (Fokus auf dem in der Perspektive der

ersten Person Erlebbaren; zentrale Figur: Edmund Husserl)!

Hermeneutik (Fokus auf Ausdruckshandeln als

Interpretation der Wirklichkeit; zentrale Figur: Wilhelm Dilthey)!

Lebensphilosophie (Fokus auf Interaktionszusammenhang von Organismus und Umwelt)!

Biophilosophische Grundlegung der Anthropologie

(44)

Grundpositionen Plessners

Positionalität des Organismus!

wechselseitige Vermittlung von Teil und Ganzem!

Gestalthaftigkeit!

Grenze haben (Stein) - Grenze sein (Tier)!

Zentriertheit!

Umweltfixiertheit („ökologische Nische“)

44

(45)

Zusammenfassend: Stufen des Organischen: 288

(46)

Grundpositionen Plessners

Exzentrische Positionalität des Menschen!

Körper und Leib (Naturprozess und phänomenales Erleben)!

Weltoffenheit!

Nicht-Festgelegtheit, Plastizität!

Ausdruckshaftigkeit:!

„Ausdrücklichkeit als Lebensmodus des Menschen“ (Stufen des Org. 323f.)!

Sprache als Expressivität zweiter Stufe!

Kulturalität!

Reflexive Distanz (Herder: „Besonnenheit“)

46

(47)

Plessners drei anthropologische Grundgesetze

Natürliche Künstlichkeit!

Vermittelte Unmittelbarkeit!

Utopischer Standort

(48)

Kritik an Plessner

überzeitlicher Wesensbegriff: „Essentialismus“!

keine produktive Rezeption der Evolutionstheorie!

Naturphilosophie von Naturwissenschaften abgekoppelt

48

(49)

Menschen und andere Lebewesen

Verhältnis Mensch-Tier als zentrale anthropologische Frage!

bei Aristoteles: „animal rationale“!

schon Begriffe unklar: „animal“ als Lebewesen bzw. als

„Tier“

(50)

Klassifikationsschema A

50

KLASSIFIKATIONSSCHEMA A

Lebewesen

Menschen Tiere

Gattung

Art/Nebenart

Mittwoch, 8. Februar 12

(51)

Klassifikationsschema B

KLASSIFIKATIONSSCHEMA B

Menschen Tiere

Gattungen

(52)

Die Mensch-Tier-Differenz in Religionen und Weltanschauungen

In den „abrahamitischen“ Religionen Spannung

zwischen „Ausnutzung“ und „Kultivierung“ als zwei Dimensionen von Herrschaft über die übrige Natur


→ Betonung der Differenz von Mensch und Tier!

Im Hinduismus über Wiedergeburtslehre stärkere Kontinuitätsannahme!

Im Buddhismus und Daoismus Betonung von Mitleid und Nähe aller Lebewesen

52

(53)

Die Mensch-Tier-Differenz in Religionen und Weltanschauungen

Naturalistische Weltanschauungen in der Moderne:!

Mensch als Teil der Natur; aber Interpretationsspielraum:!

Primat des Menschen und der Naturausnutzung z.B. im Marxismus!

ökologische Naturalismen: Nähe zum

Pantheismus, z.B. Gaia-Hypothese (Margulis/

Lovelock)

(54)

Die Mensch-Tier-Differenz in der Anthropologie

Klassische Philosophie: Mensch als!

„animal rationale“!

„zoon politikon“ (Aristoteles)!

Philosophische Anthropologie: „Sonderstellung des Menschen“

Doppeldeutigkeit:!

a) Mensch fällt aus evolutionärer Kontinuität heraus (nicht haltbar!)!

b) Einzigartigkeit der menschlichen Lebensform als ganzer (Ablehnung des Stufenmodells)

54

(55)

Die Mensch-Tier-Differenz in der Anthropologie

falsche Strategie: Suche nach einzelnen Kompetenzen, die allen anderen Lebewesen fehlen!

Beispiel Werkzeuggebrauch (tool-making-animal)!

Beispiel kognitive Fähigkeiten (etwa Intentionsverstehen)!

Beispiel Zeichensysteme (Einwand: Bienensprache, Walgesänge etc.)!

richtige Strategie: Suche nach Struktureinheit, die alle Aspekte durchdringt

(56)

Systematik: zwei grundsätzliche Weichenstellungen

Evolutionäre Kontinuität!

Differenzholismus

56

(57)

Evolutionäre Kontinuität

Menschen stehen in der Kette des Lebendigen!

Entstehung aller humanspezifischen Fähigkeiten und Eigenschaften im Laufe natürlicher Evolutionsprozesse!

Funktionale Parallelen zwischen Mensch und Tier:!

Organismus als selbstorganisierende Interaktionseinheit mit innerer Struktur, äußerer Grenze und Bewegungsorganen!

Enge Verwandschaft mit Physiologie der Organe und des Gehirns!

Organismen als unselbstständige Teilkomponenten von Interaktionszusammenhängen mit der Umwelt!

Zentrale Frage: Ergibt sich daraus in der Anthropologie ein szientifischer Naturalismus?

(58)

Evolutionäre Kontinuität

Zentrale Bedeutung des Interaktionszusammenhangs/der Umwelteinbettung für Verständnis der Reichweite naturalistischer Argumente!

Literaturhinweis: Thomas Fuchs, Das Gehirn - ein Beziehungsorgan, Kohlhammer-Verlag!

In den Neurowissenschaften/Kognitionswissenschaften häufig:!

Tendenz zur Isolierung des Gehirns: Mereologischer Fehlschluss!

Beispiel für Fehlschluss: Zitat aus Gerhard Roth: Fühlen, Denken, Handeln, 554:!

„Menschen können als bewusste Individuen nichts für das, was sie tun, denn ihr bewusstes Handeln wird durch das emotionale

Erfahrungsgedächtnis geleitet, das nicht dem Willen unterliegt.“

58

(59)

Evolutionäre Kontinuität, Thesen:

Gehirne können nicht denken, sondern nur Menschen Menschen-in- einer-Umwelt!

Alle menschlichen Fähigkeiten sind evolutionär entstanden!

Annahmen über Prozentzahlen der Übereinstimmung an

genetischem Material etc. verraten nichts über den Grad der tatsächlichen Differenz!

Die Umwelt des Menschen ist zum Teil von ihm selbst geschaffen (Kultur)!

Nur die innere Verbindung natürlicher und kultureller Faktoren erlaubt ein Verständnis der menschlichen Lebensform

(60)

Differenzholismus

Grundthese: Durch natürliche, evolutionäre Entwicklung ist eine menschliche Lebensform

entstanden, die sich als ganze, nicht nur in ihren „oberen Etagen“ von anderen Lebensformen unterscheidet.

60

(61)

Differenzholismus

Ablehnung aller Schichten- bzw. Stockwerkmodelle!

!

!

!

!

!

DIFFERENZHOLISMUS

Ablehnung aller Schichten- bzw. Stockwerksmodelle

Erdgeschoss Erste Etage Oberstübchen

Vegetative Funktionen

Animalische Funktionen Geistige Funktionen

Pflanzen, Tiere, Menschen Tiere, Menschen

Menschen

Mittwoch, 8. Februar 12

(62)

Differenzholismus

Statt dessen: neue menschliche Möglichkeiten strukturieren den Organismus im Ganzen neu!

Zentrale Differenz zu anderen Lebewesen: Sprachfähigkeit und kooperative Kommunikation!

Sprache nicht einfach nur als Erweiterung tierischer

Ausdrucksmöglichkeiten, sondern als deren funktionale Neubestimmung!

Beispiel: Menschenaffen und Menschen verwenden Gesten, um

Aufmerksamkeit zu erzeugen (sog. „attention getters“, M. Tomasello)!

Funktion menschlicher „attention getters“ in Sprache eingebettet

62

(63)

Beispiel: „attention getters“

(nach Michael Tomasello, Origins of the human mind, MIT-Press 2008)

EIN BEISPIEL: „ATTENTION GETTERS“

(NACH MICHAEL TOMASELLO,

ORIGINS OF THE HUMAN MIND, MIT-PRESS 2008)

(64)

Humanspezifikum: Kooperative Kommunikation

64

HUMANSPEZIFIKUM:

KOOPERATIVE KOMMUNIKATION

Mittwoch, 8. Februar 12

(65)

Humanspezifikum: Kooperative Kommunikation

Aufkommen prosozialer Kommunikationsmotive: helping, sharing!

Zusammenhang von Intentionalität und Rekursivität!

Rekursivität:!

A will, dass B x tut.!

B weiß, dass A will, dass B x tut.!

A weiß, dass B weiß, dass A will, dass B x tut.!

B weiß, dass A weiß, dass B weiß, dass A will, dass B x tut.!

…!

Kollektive Intentionalität: Wir tun etwas.

(66)

Ein Experiment zur sozialen Kooperation

https://www.youtube.com/watch?v=GInzFRCAUEw

66

(67)

Differenzholismus

Zentrales Strukturmerkmal der menschlichen Lebensform:!

Kommunikation und Denken mittels verkörperter Symbolizität!

Kommunikationssysteme gibt es auch bei anderen Lebewesen!

Funktionale Überlegenheit angepasster Kommunikationssysteme über Sprache (Beispiel: Bienentanz)!

Besonderheiten von (symbolischen) Sprachen:!

Ablösbarkeit der Kommunikation von Hier und Jetzt!

Rekursivität (der Sprache selbst und der kommunikativen Intentionen)!

Thematisierbarkeit von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft; von Möglichkeit, Wirklichkeit und Unmöglichkeit; Normativität und Totalität!

„Indirekter Gegenstandsbezug“, daher Gefahr des Realitätsverlustes (Sprache muss verkörpert bleiben)

(68)

Differenzholismus

Mensch als Wesen der Ausdrücklichkeit!

Wir müssen handeln und können uns nicht einfach verhalten!

Reflexivität im Unterschied zu bloßer Intelligenz: Bruch des Motivationskontinuums!

Zusammenhang Sprache-Handeln: Freiheit und Möglichkeitshorizont!

Plastizität und Selbstbestimmung!

Kultur als Natur des Menschen

68

(69)

Fazit

Zugleich von evolutionärer Kontinuität und Differenzholismus!

Wir sind ganz Teil der Natur wie alle anderen Lebewesen, aber…!

Unsere Lebensform ist als ganze anders:!

Wir sind verkörperte Symbolverwender: Geist, Gehirn, Körper und physische Umwelt bilden eine funktionale Einheit.!

Durch körperliches Handeln und Wahrnehmung haben wir einen direkten Wirklichkeitszugang.!

Durch den Gebrauch von Symbolen können wir uns von der Gegenwart und von der Wirklichkeit lösen.!

Durch soziale Kooperationen bilden wir über-individuellen Geist aus.!

Die genannten Aspekte sind keine isolierten Module, sondern bilden eine Einheit!

(70)

Fazit

Gemeinsamkeit mit Tieren: Wir sind Lebewesen!!

Fähigkeiten , mit Tieren Lebensgemeinschaften zu bilden: dann sind die Tiere nicht Nahrung, sondern Selbstwert!

Bewusstsein, Empfindungsfähigkeit, Schmerz und Lust, Instinkte mit anderen Säugetieren gemeinsam → diese Gemeinsamkeiten aber auf spezifisch menschliche Art!

elaboriertes Selbstbewusstsein, kollektive Intentionalität, biographische Identität, Reflexivität, Umgang mit Möglichkeitshorizonten, normative Orientierung

Alleinstellungsmerkmale des Menschen als Ausdruck der Struktureinheit seiner spezifischen Lebensform

70

(71)

Evolution und Entwicklung des Menschen

Begriffsklärung: Evolution und/oder Entwicklung!

Evolution:!

sinnfreier (=weder sinnvoller noch sinnloser) Prozess (keine Zweckursachen)!

Mechanismen (stark vereinfacht): Mutation und Selektion!

Bedeutung des Zufalls und der Pfadabhängigkeit!

Entwicklung:!

Teleologie: im Naturprozess die Ontogenese des Organismus; im Kulturprozess die Entstehung von Neuem durch teleologische Antizipation!

Verbindung von Zufall und Zielgerichtetheit!

„ratchet-effect“ (Michael Tomasello)

(72)

Evolution und Entwicklung

Siegeszug der Evolutionspsychologie seit den 80er Jahren!

http://plato.stanford.edu/entries/evolutionary- psychology/

72

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Grundannahmen der Evolutionspsychologie

Dominanz genetisch geprägter Verhaltensweisen: Weitergabe der Gene als

„Ziel“!

Entstehung von menschlichem Verhalten als Folge von Adaptionen in der Steinzeit!

Verhalten daher nicht an die Jetztzeit angepasst!

Tooby/Cosmides: „Our modern skulls house a Stone Age mind.“!

Lieblingsbeispiel der Evolutionspsychologie: Unterschiedliches Sexualverhalten von Frauen und Männern!

Modularitätsannahme: Swiss-Army-Knife-Model of the Human Mind

Geist aus vielen unabhängig voneinander evolvierten Funktionsmodulen zusammengesetzt

(74)

Kritik an der Evolutionären Psychologie

genetischer Determinismus!

Ausblendung der Rolle von Kultur (dagegen: Dual- Heritage-Theory)!

Nichtunterscheidung zwischen Trieb (Drive) und Gewohnheit (Habit)!

Vernachlässigung des menschlichen Bewusstseins und Symbolgebrauchs

74

(75)

Die Evolutionäre Entstehung des Menschen

Konzentration auf die innere Form des spezifisch menschlichen Bewusstseins!

Koppelung von Bewusstseins-, Sprach-, Gehirn- und Handentwicklung Koevolution (Terrence Deacon)!

Ineinandergreifen von kultureller Entwicklung und natürlicher Evolution: sog. ratchet effect (Michael Tomasello) → Kultur als Tradition von kognitiven Errungenschaften, sodass nicht jede Generation neu anfangen muss!

Die Evolution des Bewusstseins nach Merlin Donald, A Mind so Rare

(76)

Mittwoch, 8. Februar 12 76

(77)

Vielen Dank für ihre

Aufmerksamkeit!

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