A-894 (22) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 14, 4. April 1997
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ls mit der Menschenwürde völ- lig unvereinbar“ bezeichnete Prof. Dr. Ludger Honnefelder, Leiter des Instituts für Wissen- schaft und Ethik in Bonn, den Entwurf einer Bioethik-Deklaration der Unes- co. Sie gehe zwar von den Menschen- rechten aus, betone unter anderem den Vorrang des Individuums und enthalte ein Diskriminierungsverbot, doch der Artikel 1 des Entwurfs ma- che den Ethiker „fassungslos“. In die- sem Artikel heißt es: „Das menschli- che Genom ist gemeinsames Erbe der Menschheit.“ Das stehe dem Men- schenrechtsgedanken genauso diame- tral entgegen wie Artikel 11, in dem festgestellt wird, daß die Staaten „die geistigen und materiellen Vorausset- zungen fördern sollen, die eine freie Forschung am menschlichen Genom begünstigen“. Das Genom sei jedoch kein Gegenstand, der nutzbar ist, son- dern es sei im Gegenteil besonders schutzbedürftig. Ein Papier, in dem die Menschenrechte begründet wür- den, sei nicht dazu da, gleichzeitig auch Forschung zu fördern.Völlig unzulänglich Zu wichtigen Fragen der Ethik und Nutzung der Forschung werde überhaupt nichts ausgesagt. Dagegen werde ausführlich das Recht auf Teil- habe an Biologie und Genetik be- schrieben. Doch das hält Honnefelder für problematisch. Auch Artikel 6 b, in dem es um die Forschung an Nicht- einwilligungsfähigen geht, hält er für völlig unzulänglich. So sei in der soge- nannten Bioethik-Konvention des
Europarates darauf hingewiesen, daß die Beachtung sogenannter Professio- nal Standards bei der Forschung ge- fordert werde. Außerdem würden be- sondere Schutzbestimmungen für Nichteinwilligungsfähige gelten. Da- von sei in der Deklaration der Unesco nicht die Rede.
Honnefelder vertritt die Ansicht, daß grundsätzlich neben die Bio- ethik-Konvention des Europarates kein zweites Dokument gestellt wer- den solle: „Das führt zur Relativie- rung beider Dokumente.“ Wenn das Genom als eigenständige Größe so stehenbleibe, sei das Unesco-Papier nicht zu retten. Internationale Rege- lungen für den Umgang mit For- schung und ihrer Anwendung in der Medizin seien zwar notwendig, doch es sei fraglich, ob sie ausgerechnet von der Unesco aufgestellt werden sollten. Noch härter ging Marina Steindor mit dem Text ins Gericht.
Die Bioethik-Deklaration erinnere an die Volksgesundheitsgesetze der Nazis und sei nicht verbesserungs- fähig, sagte die Bundestagsabgeord- nete von Bündnis 90/Die Grünen.
Dagegen räumte der Präsident der Deutschen Unesco-Kommission, Prof. Peter P. Canisius, ein, daß ledig- lich ein Mindeststandard an Regeln für den Umgang mit Bioethik formu- liert werden solle, den es in vielen Ländern bisher nicht gebe. Die mei- sten Teilnehmer des Workshops lehn- ten den Entwurf schließlich nicht rundweg ab, sondern erarbeiteten Verbesserungsvorschläge. Einig wa- ren sie sich darin, daß die Deklaration ein Klonierungs- und Keimbahninter- ventionsverbot enthalten müsse. Kli
P O L I T I K AKTUELL