Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 22|
3. Juni 2011 A 1209 SEXUELLER KINDESMISSBRAUCHPsychotherapie und Entschädigung
Die Unabhängige Beauftragte für die Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs legt nach einjähriger Arbeit ihre Empfehlungen vor. Gefordert ist nun die Politik.
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ehr und spezifischere Psy- chotherapie und Beratung für Betroffene stehen gleich an erster Stelle der Empfehlungen, die die Unabhängige Beauftragte zur Aufar- beitung des sexuellen Kindesmiss- brauchs fordert. Dazu gehören die Integration von traumatherapeuti- schen sowie kreativ- und körper - therapeutischen Methoden, die nicht von den Kassen bezahlt werden.„Die Betroffenen berichteten uns immer wieder, dass ihnen diese Me- thoden sehr geholfen haben“, beton- te Dr. med. Christine Bergmann bei der Vorstellung ihres Abschlussbe- richts Ende Mai in Berlin. Die Bun- desfamilienministerin a. D. war im März 2010 von der Bundesregierung mit der Aufarbeitung beauftragt worden, nachdem Fälle von sexuel- lem Kindesmissbrauch an Jesuitenkollegs, dem Klos- ter Ettal und der Oden- waldschule in ungeahntem Ausmaß bekannt wurden.
Das Deutsche Ärzteblatt berichtete in Heft 38 und 41/2010.
Notwendig seien des Weiteren eine bessere psy- chotherapeutische Versor- gung auf dem Land, spe- zielle Angebote für Män- ner, Migranten und ältere Menschen. Die Stunden- kontingente in der Regel-
versorgung sollten für komplex Traumatisierte erweitert werden; die Aus-, Weiter- und Fortbildung für Psychologische Psychotherapeuten und Ärzte zum Thema sexueller Missbrauch ausgebaut werden.
„Wir schlagen ein auf Missbrauch spezialisiertes therapeutisches Am- bulanzmodell vor“, erklärte Prof.
Dr. med. Jörg Fegert, Ulm, der die wissenschaftliche Begleitforschung übernommen hat. Eine solche Am- bulanz soll die „zeitnahe und pass-
genaue Versorgung“ der Betroffe- nen ermöglichen. Außerdem sollen Beratungsstellen ausgebaut und ein rechtlicher Anspruch auf Fachbera- tung festgelegt werden.
Ausgewertet wurden für die Empfehlungen circa 15 000 Anrufe und Briefe von Betroffenen, die bei der vor einem Jahr eingerichteten Anlaufstelle der Missbrauchsbeauf- tragten ankamen. Außerdem gingen die Ergebnisse einer Online-Befra- gung von 2 000 Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten ein, eine Studie des Deutschen Jugend- instituts e.V. (DJI) zu sexueller Gewalt in Institutionen sowie Ex- pertisen von Beratungsstellen.
Bei der Anlaufstelle haben sich mit 63 Prozent überwiegend Frauen
gemeldet, meist Betroffene, aber auch Angehörige. Das Durch- schnittsalter lag bei 40 Jahren. In mehr als 60 Prozent der Fälle han- delte es sich um wiederkehrende Taten. Die Täter waren überwie- gend Männer. Frauen waren häufi- ger Opfer im familiären Kontext, Männer dagegen in Institutionen.
Das DJI fand heraus, dass 62 Pro- zent der Übergriffe in kirchlichen Institutionen stattfanden und dass ein Täter meist mehrere Kinder
missbrauchte. Unter den Patienten der befragten Psychotherapeuten waren zu 22 Prozent von Miss- brauch Betroffene, von denen 84 Prozent den Missbrauch in der Fa- milie erlitten und zehn Prozent in Institutionen.
Die Empfehlungen umfassen au- ßerdem:
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ein „Hilfemodell Rehabilita - tion“ für verjährte Fälle, bei dem die Therapiekosten bei Missbrauch in Institutionen die Einrichtung übernehmen soll, in anderen Fällen der Bund●
eine Entschädigung gemäß gerichtlicher Schmerzensgeldtabel- le, die die Institutionen Betroffenen in bereits verjährten Fällen zahlen sollen; die Anträge überprüft eine unabhängige Clearingstelle●
eine Reform des Opferent- schädigungsgesetzes, die Betroffe- nen von inbesondere familiärem Missbrauchs zugutekommt●
eine Verlängerung der zivil- rechtlichen Verjährungsfrist auf 30 Jahre statt bisher drei; gelten soll die- se frühestens ab dem 21. Lebensjahr●
die Einführung von Mindest- standards für Institutionen, wie ein erweitertes Führungszeugnis auch für ehrenamtliche Mitarbeiter●
die Berücksichtigung der DDR- Heimkinder bei Hilfemodellen und eine Aufarbeitung der Thematik.Die Empfehlungen werden am 6. Juni dem runden Tisch „Sexuel- ler Kindesmissbrauch“ vorgelegt, der die Umsetzung in die Wege leiten soll. Bis Oktober wird die Miss- brauchsbeauftragte noch im Amt sein, und die telefonische Anlaufstelle (kostenfreie Hotline: 0800 2255530) wird fortgeführt. Die Hilfe für die Betroffenen muss weitergehen. ■
Petra Bühring
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Der Abschlussbericht als Download:www.beauftragte-missbrauch.de
„Wir haben unse- ren Auftrag ernst genommen und unser Bestes gegeben“, betonte Christine Berg- mann. „Wir hoffen, dass die Bundes - regierung die Empfehlungen nun umsetzt.“
Foto: dapd