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Archiv "Körperliche Aktivität in der Rehabilitation von onkologischen Patienten: Die Rolle des aeroben Trainings" (21.05.1999)

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A-1340

ie Einschränkung der körper- lichen Leistungsfähigkeit und die ausgeprägte Ermüdung sind häufige und gravierende Proble- me der onkologischen Patienten. Die- se Symptome werden sowohl von der Erkrankung selbst als auch von der Behandlung verursacht. Das Phäno- men, im englischen Sprachraum als

„fatigue“ benannt, wird bei über 70 Prozent der onkologischen Patienten nach konventioneller Chemotherapie und Bestrahlung beobachtet (6, 8, 20, 25). Häufig schränken diese Sympto- me Arbeits- und Freizeitaktivitäten so stark ein, daß eine Wiederaufnahme des normalen Alltagslebens nach Ab- schluß der Behandlung verzögert und erschwert wird. Für viele Patienten werden alltägliche Tätigkeiten wie Treppensteigen oder sogar Spazieren- gehen zu erschöpfenden Belastungen.

Die ausgeprägte Einschränkung der Leistungsfähigkeit hat schwere psy- chische Folgen: Mehrere Studien ha-

ben gezeigt, daß sie eine Zunahme körperlicher Beschwerden sowie De- pressionen und eine Verminderung der Lebensqualität bewirkt (1, 12, 15).

Bei vielen Patienten wird die Er- schöpfung zu einem langfristigen Pro- blem: Unabhängig von der Art der Erkrankung und noch mehrere Jahre nach Abschluß der Behandlung gab ein Drittel der onkologischen Patien- ten eine gegenüber der Zeit vor der Krankheit nicht völlig wiederherge- stellte, unbefriedigende Leistungs- fähigkeit an (3, 4, 8, 15, 16, 30). Für die Patienten können die sozialen und finanziellen Folgen dieses Pro- blems verheerend sein: Aufgrund des reduzierten Allgemeinzustandes ist

noch ein Jahr nach Abschluß der Knochenmarktransplantation mehr als ein Drittel der Patienten nicht im- stande, Erwerbstätigkeiten nachzu- gehen (16, 30).

Ursachen des Problems

Mehrere Faktoren wie zum Bei- spiel Anämie, Abnahme der Muskel- masse, Behandlung mit Schlafmitteln oder Antihystaminika, biochemische Änderungen infolge der Chemo- und Radiotherapie können eine Reduktion der Leistungsfähigkeit bei Tumorpati- enten bewirken. Jedoch erklären diese die Persistenz des Problems mehrere Jahre nach Abschluß der Behandlung, sogar bei Patienten in kompletter Re- mission, nicht. Versuche, die Intensität dieser Symptome pharmakologisch zu reduzieren, brachten keine nennens- werten Erfolge (5, 21, 27). Die Er- schöpfung und die reduzierte körperli-

(36) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 20, 21. Mai 1999

Körperliche Aktivität in der Rehabilitation von onkologischen Patienten

Die Rolle des aeroben Trainings Fernando Dimeo

1

Eckhard Thiel

2

Dieter Böning

1

Die Abgeschlagenheit und die Einschränkung der Lei- stungsfähigkeit sind zwei der häufigsten Probleme onko- logischer Patienten. Häufig ist aufgrund dieser Sym- ptome eine Wiederaufnahme des normalen Alltaglebens nach Abschluß der Behandlung nicht möglich. Um die Müdigkeit zu verringern, wird den Patienten empfohlen, die körperliche Aktivität weitgehend zu reduzieren und Anstrengungen zu vermeiden. Jedoch kann das Ergebnis dieser Maßnahmen paradox sein: Da Bewegungsmangel einen starken Muskelabbau bewirkt, werden die normalen

Aktivitäten für die Patienten immer anstrengender. Neue Untersuchun-

gen belegen, daß diesen Symptomen durch ein Ausdauer- trainingsprogramm in kurzer Zeit erfolgreich entgegenge- wirkt werden kann. Gleichzeitig zeigen diese Studien, daß die positiven Effekte dieser Therapie nicht nur auf die körperliche Leistungsfähigkeit begrenzt sind.

Schlüsselwörter: Krebs, Knochenmarktransplantation, periphere Blutstammzelltransplantation, Rehabilitation, Ausdauertraining

ZUSAMMENFASSUNG

Physical Activity in the Rehabilitation of Cancer Patients: the Role of Aerobic Exercise

Fatigue and impairment of physical performance are com- mon and sometimes serious problems of cancer patients.

Particularly in the recovery phase immediately after treatment, low physical performance imposes limitations on basic daily activities. To avoid fatigue caused by physi- cal effort, patients are often advised to rest and to limit their daily activities. However, these well-meaning recommendations can cause paradoxical results. Physical

inactivity induces muscular wasting. Therefore, prolonged rest can produce further loss of

performance. Recent studies have shown that an aerobic training programme can reduce the severity of these symptoms in a short time. Furthermore, the effects of aerobic training are not limited to an improvement of physical performance.

Key words: Cancer, bone marrow transplantation, peripheral blood stem cell transplantation, rehabilitation, aerobic exercise

SUMMARY

D

1 Institut für Sportmedizin (Ärztlicher Leiter:

Prof. Dr. med. Dieter Böning), Freie Univer- sität, Berlin

2 Medizinische Klinik III (Hämatologie, On- kologie und Transfusionsmedizin) (Direktor:

Prof. Dr. Eckhard Thiel), Freie Universität, Berlin

(2)

che Leistungsfähigkeit werden häufig als unvermeidliche Folge von Erkran- kung und Behandlung angenommen.

Um die Müdigkeit zu verringern, wird den Patienten dementsprechend emp- fohlen, die körperliche Aktivität weit- gehend zu reduzieren und Anstren- gungen zu vermeiden. Jedoch kann das Ergebnis dieser Maßnahmen paradox sein. Die Patienten reduzie-

ren die körperliche Aktivität auf ein Minimum, so daß ein anhaltender Zustand von Bewegungsmangel entsteht.

Dieser Bewegungsmangel be- wirkt einen starken Muskel- abbau; demzufolge werden die normalen Aktivitäten für die Patienten immer anstren- gender. Diese Situation wurde mit Hilfe spiroergometrischer Untersuchungen objektiviert:

Bei Tumorpatienten mit chro- nischer Erschöpfung wurden bei geringen Belastungen (Gehen bei einer Geschwin- digkeit von 5 km/h) Herzfre- quenzen von 150/min und

mehr festgestellt (11). Für diese Pati- enten entsteht dann ein Circulus vitio- sus: Verminderte körperliche Aktivität aufgrund der raschen Erschöpfbarkeit und weitere Abnahme der Leistungs- fähigkeit durch Bewegungsmangel.

Dadurch läßt sich die Chronifizierung des Problems erklären (9, 32).

Für die erfolgreiche Behandlung dieses Problems erscheint daher ein neuer Ansatz erforderlich: Nicht Ru- he, sondern richtig dosierte körperli- che Aktivität hilft den Patienten, wie- der leistungsfähig zu werden! Durch passive Anwendungen (zum Beispiel Balneotherapie und Massage) wird kein Leistungszuwachs erzielt. Auch die spontane Alltagsaktivität sowie sehr ausgedehnte Belastungen (zum Beispiel lange langsame Spaziergän- ge) erreichen die Intensität nicht, die für eine Zunahme der Leistungsfähig- keit notwendig ist (29). Aus diesem Grund werden seit mehr als zehn Jah- ren bundesweit Sportgruppen für Patienten in der Krebsnachsorge an- geboten. Ziele der Übungen sind eine Verbesserung einzelner einge- schränkter Funktionen (zum Beispiel Bewegung des Armes nach radikaler Mastektomie) sowie „eine physische, psychische und soziale Stabilisierung“

(7). Jedoch wird durch diese Anwen- dungen nur eine geringe Zunahme der allgemeinen Leistungsfähigkeit erreicht. Ferner sind die Sportgrup- pen in der Krebsnachsorge überwie- gend für Frauen nach Mammakarzi- nom in kompletter Remission konzi- piert (24): Es gibt derzeit keine ähnli- chen Initiativen für männliche Patien-

ten beziehungsweise Patienten mit anderen onkologischen Erkrankun- gen (zum Beispiel hämatologischen Neoplasien, Zustand nach Knochen- marktransplantation).

Behandlung von Erschöpfung

Einen neuen Ansatz in der Be- handlung der krankheitsbedingten Leistungseinbuße stellt das aerobe Training dar. Dieser Begriff bezeich- net körperliche Aktivitäten, die drei Voraussetzungen erfüllen:

! Große Muskelgruppen wer- den rhythmisch bewegt,

! die Belastungsintensität liegt zwischen 70 und 80 Prozent der maxi- malen Belastbarkeit, so daß die Ener- giebereitstellung über den aeroben Stoffwechsel erfolgt, und

! die Belastung streckt sich über eine ausgedehnte Zeit.

Aerobe Sportarten sind unter an- derem Laufen und Jogging, schnelles Gehen (neuerdings Walking ge- nannt), Schwimmen, Radfahren und Rudern. Aerobes Training ist fester Bestandteil der Rehabilitationspro- gramme für Patienten mit verschiede-

nen Erkrankungen (koronare Herz- krankheit, Stoffwechselstörungen, Adipositas, Niereninsuffizienz). Die- se Anwendung wird für onkologische Patienten noch nicht allgemein akzep- tiert. Die Unsicherheit von Patienten und Ärzten und ihre Angst vor Über- anstrengungen stellen nach wie vor ein schwer zu überwindendes Hinder- nis für eine frühzeitige und erfolgrei- che Rehabilitation dar. Jedoch wur- den mittlerweile die positiven Effekte eines aeroben Trainingsprogrammes auf die Leistungsfähigkeit von Kreb- spatienten bereits in mehreren klini- schen Studien belegt. Diese Studien wurden in der Abteilung Präventive und Rehabilitative Sportmedizin der Universität Freiburg (Ärztlicher Di- rektor: Prof. Dr. med. J. Keul) unter Leitung eines der Autoren der vorlie- genden Arbeit durchgeführt.

Patienten nach Knochenmark- transplantation

An der ersten dieser Studien nahm eine Gruppe von 20 Patienten mit hämatologischen Neoplasien teil (9). Die Patienten litten an Leukämien (n=17) oder Lymphomen (n=3) und befanden sich im Zustand nach Kno- chenmarktransplantation. Das Trai- ning begann am Tag der Entlassung aus der Transplantationseinheit (30 66 Tage nach Knochenmarktrans- plantation), als die Patienten eine Thrombozytenanzahl von mehr als 203109/l und eine Leukozytenanzahl von mehr als 1,5 3109/l erreicht hatten.

Das Training wurde täglich über sechs Wochen von Montag bis Freitag durch- geführt und bestand aus Gehen auf ei- nem Laufband bei einer Geschwindig- keit entsprechend 8065 Prozent der maximalen Herzfrequenz, berechnet (220 – Alter). Während der ersten Wo- che führten die Patienten täglich fünf dreiminütige Belastungen durch. Um eine optimale Anpassung zu gewähr- leisten, wurden die Belastungsdauer allmählich erhöht und die Anzahl der Belastungen reduziert, so daß die Pati- enten in der zweiten Woche viermal fünf Minuten, in der dritten Woche dreimal acht Minuten, in der vierten Woche dreimal zehn Minuten und in der fünften Woche zweimal fünfzehn

A-1341

M E D I Z I N AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 20, 21. Mai 1999 (37) Woche 1

Woche 2 Woche 3 Woche 4 Woche 5 Woche 6

Training Erholung

Zeit/Minuten 3 6 9 12 15 18 21 24 27 30 33 36 Grafik 1

Gestaltung des ambulanten Trainingsprogramms auf dem Lauf- band; die Dauer der Belastungen wird jede Woche erhöht, die An- zahl der Belastungen reduziert

(3)

Minuten täglich trainierten. Zwischen den Belastungen gingen die Patienten bei der Hälfte der Geschwindigkeit über drei Minuten weiter (Grafik 1).

Patienten, die nur mit einer Geschwin- digkeit von 4 km/h oder weniger trai- nierten, saßen während der Pausen.

Erst in der sechsten Woche wurde das Training über dreißig Minuten ohne Unterbrechung durchgeführt. Herz- frequenz und Laktatkonzentration im Ohrläppchenblut wurden während des Trainings in regelmäßigen Abständen kontrolliert. Um eine optimale Bela- stungsintensität zu gewährleisten, wur- de im Laufe des Programms die Ge- schwindigkeit entsprechend der indivi- duellen Verbesserung der Leistungs- fähigkeit erhöht. Während des Trai- ningsprogramms nahmen die maxima- le Leistungsfähigkeit und die maxima- le Gehstrecke signifikant zu (p ,0,001, Grafik 2). Die Leistungsfähigkeit aller Patienten war am Ende des sechs- wöchigen Programms hoch genug, um alle alltäglichen Aktivitäten durchzu- führen. Manche Patienten, die am An- fang des Programms nicht länger als 160 m ohne Pause gehen konnte, leg- ten sechs Wochen später mehr als 3,2 km ununterbrochen zurück. Dieser Befund steht in starkem Kontrast zur Literatur, die berichtet, daß für eine Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit nach Knochen- marktransplantation im Durchschnitt mehr als ein Jahr notwendig sei (26).

Patienten mit soliden Tumoren

Erste positive Ergebnisse ergab auch eine Pilotstudie bei Patienten mit soliden Tumoren (n=22) und Lympho- men (n=14) nach Hochdosis-Chemo- therapie (13). Das Training begann am Tag der Entlassung aus dem Kranken- haus. Die Patienten in der Trainings- gruppe trainierten nach dem oben be- schriebenen Programm sechs Wochen, während die Patienten in der Kontroll- gruppe nur die normalen, alltäglichen Aktivitäten durchführten. Die maxi- male Leistungsfähigkeit beider Grup- pen wurde bei der Entlassung und nach sieben Wochen mittels einer Laufband- ergometrie untersucht. In diesem Zeit- raum war die Zunahme der maximalen Leistungsfähigkeit bei den Patienten in

der Trainingsgruppe signifikant höher als bei der Kontrollgruppe (Grafik 3).

Gleichzeitig gaben bei der Untersu- chung sieben Wochen nach Entlassung vier Patienten in der Kontrollgruppe (25 Prozent), aber kein Patient in der Trainingsgruppe an, aufgrund von Er- schöpfung nicht alle alltäglichen Akti- vitäten, wie Treppensteigen oder Ein- kaufen, bewältigen zu können. Ein wei- terer Befund belegt den Wert des aero- ben Trainings bei diesen Patienten: Die Hämoglobinkonzentration war sieben Wochen nach Entlassung bei der Trai- ningsgruppe signifikant höher als bei den Kontrollen. Dieser Befund kann überraschend erscheinen, jedoch wur- de er auch in mehreren Studien mit Pa- tienten mit dialysepflichtiger Nierenin- suffizienz, die an einem Trainingspro- gramm teilnahmen, erhoben (17, 19).

Die Ursache dieses Phänomens liegt wahrscheinlich an einer erhöhten Pro- duktion und Freisetzung von verschie- denen Hormonen und Zytokinen (wie zum Beispiel Wachstumshormonen und Erythropoetin) nach Ausdauerbe- lastungen (22, 23).

Patienten mit

chronischer Erschöpfung

In einer weiteren Studie wurden die Effekte eines aeroben Trainings- programms an einem kleinen Kollek- tiv von Patienten mit chronischer Er- schöpfung untersucht (11). Die Sym- ptome waren bei allen Patienten während der Chemotherapie aufge- treten und hatten sich nach Abschluß

der Behandlung nicht gebes- sert. Einige dieser Patienten hatten aufgrund des anhal- tenden Schwächezustandes Studium oder Beruf aufgeben müssen. Auch bei diesen Pati- enten wurde in kurzer Zeit ei- ne deutliche Zunahme der Leistungsfähigkeit festge- stellt, die sich in einer klaren Besserung des Erschöpfungs- syndroms widerspiegelte.

Diese Änderung war für die Patienten von entscheidender Bedeutung: Nach eigenen Angaben konnten sie nach dem Trainingsprogramm wie- der studieren, arbeiten und Aktivitäten nachgehen (zum Beispiel Spazierengehen, Einkaufen oder „mit den Kindern spielen“), die vorher aufgrund der Abgeschlagen- heit unmöglich waren. Diese ersten positiven Ergebnisse werden derzeit in einer größeren kontrollierten, rando- misierten Studie überprüft.

Training während des stationären Aufenthaltes

Die oben genannten Studien lie- ferten klare Beweise über die positive Wirkung eines aeroben Trainingspro- gramms unmittelbar nach der Chemo- therapie. Jedoch ist der optimale Zeit- punkt für den Beginn des Rehabilita- tionssports eine noch offene Frage.

Aufgrund der Angst vor Komplika- tionen wird den Tumorpatienten in vielen Fällen noch mehrere Monate nach Abschluß der Behandlung von körperlichen Anstrengungen abgera- ten. Infolgedessen leiden die Patien- ten lange Zeit unter Bewegungsman- gel mit all seinen negativen Folgen.

Aus diesem Grund wurden in einer kontrollierten, randomisierten Studie die Effekte des aeroben Trainings un- mittelbar nach der Chemotherapie untersucht (10).

Siebzig Patienten mit soliden Tu- moren (Mammakarzinom, Seminom, Bronchialkarzinom und Sarkom) nah- men an der Studie teil. Alle Patienten wurden mit einer Hochdosis-Chemo- therapie nach demselben Chemothe- rapieschema behandelt. Die Patienten in der Trainingsgruppe (n = 33) führten ein tägliches Trainingsprogramm, be-

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9 8 7 6 5 4 3

4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 Geschwindigkeit Gehstrecke 0,5

Vor Nach

km/h km

Grafik 2

Maximale Leistungsfähigkeit (als Geschwindigkeit bei der Lauf- bandergometrie) und maximale Gehstrecke vor und nach dem Trainingsprogramm bei Patienten nach Knochenmarktransplanta- tion (p für beide ,0,001) (9)

(4)

stehend aus „Radfahren“ auf einem Bettergometer, durch. Das Training wurde am Tag nach Abschluß der Hochdosis-Chemotherapie begonnen und während des gesamten Aufenthal- tes (Isolierung) durchgeführt. Die Pati- enten trainierten eine Minute bei einer Intensität entsprechend einer Herzfre- quenz von mindestens 50 Prozent der kardialen Reserve, berechnet als 220 minus Alter minus Ruhefrequenz.

Diese Belastung wurde fünfzehn- mal mit einminütigen Ruhepausen zwischen den Belastungen wiederholt, so daß sich das Training täglich über ei- ne Zeit von 30 Minuten erstreckte. Die Belastung lag zwischen 20 und 40 Watt und die Tretgeschwindigkeit zwischen 40 und 60 Zyklen/Minute. Während Infekten oder Fieber wurde das Trai- ning unterbrochen und nach Abklin- gen der Symptome wieder aufgenom- men, so daß die Patienten in der Trai- ningsgruppe das Trainingsprogramm während 80 6 10 Prozent der Tage des Krankenhausaufenthaltes

durchführten. Die restlichen 37 Patienten nahmen an der Studie als Kontrolle teil. Die Leistungsfähigkeit beider Gruppen war bei der Aufnah- me nicht unterschiedlich. Der Verlust an Leistungsfähigkeit während der Behandlung war bei den trainierenden Patien- ten um fast ein Drittel redu- ziert, so daß die Leistungs- fähigkeit der Trainingsgruppe bei der Entlassung signifi- kant höher als bei den Kon- trollen war. Die Effekte des Trainingsprogrammes waren nicht nur auf die Leistungs- fähigkeit begrenzt: Die Dauer der Knochenmarkregenera-

tion (Neutropenie, 0,5 3 109/l und Thrombopenie ,50 3109/l) war bei der Trainingsgruppe signifikant kürzer als bei der Kontrollgruppe (Grafik 4).

Ein weiterer positiver Effekt des Trai- ningsprogrammes war der unter- schiedliche Verbrauch von Schmerz- mitteln in beiden Gruppen. Acht Pa- tienten in der Trainingsgruppe (25 Pro- zent), aber nur ein Patient in der Kon- trollgruppe (3 Prozent) benötigten kei- ne Schmerzmittel während des sta- tionären Aufenthaltes. Auch war die Anzahl von Patienten, die Opiate benötigten, in der Kontrollgruppe sub-

stantiell höher (10 Patienten, 27 Pro- zent) als in der Trainingsgruppe (4 Pa- tienten, 12 Prozent). Eine Erklärung für diese Beobachtung bietet die Er- höhung der Schmerzschwelle nach körperlicher Aktivität (18, 28); die vor- geschlagenen Mechanismen dieses Phänomens sind eine Aktivierung von zentralen schmerzhemmenden Zen- tren und eine erhöhte Produktion von Endorphinen (14). Infolge der geringe- ren Komplikationen und des besseren Allgemeinzustandes konnten die trai- nierten Patienten früher entlassen wer- den, so daß die Dauer des stationären Aufenthaltes für die Trainingsgruppe signifikant kürzer war als für die Kon- trollgruppe.

Die dargestellten Erfahrungen zeigen, daß ein aerobes Trainingspro- gramm eine substantielle Zunahme der Leistungsfähigkeit bei onkologi- schen Patienten ohne erhöhtes Risiko von Komplikationen ermöglicht.

Gleichzeitig bewirkte das Training ei-

ne deutliche Besserung des psychi- schen Zustandes der Patienten.

Selbstwertgefühl und Selbständigkeit der Teilnehmer an dem Trainingspro- gramm nahmen gleichzeitig mit der Verbesserung der Leistungsfähigkeit zu. Häufig beobachteten wir während des Trainingsprogrammes eine ein- deutig positive Änderung der depres- siven Stimmung der Patienten. Die Kontrolle der Herzfunktion am Ende der Studien ergaben keine pathologi- sche Änderung bei den Teilnehmern des Trainingsprogramms. Diese Be- funde belegen, daß das aerobe Trai-

ning per se keine kardialen Komplika- tionen verursacht; onkologische Pati- enten mit normaler Herzfunktion können daher an einem Trainingspro- gramm ohne Gefahr von kardialen Schädigungen teilnehmen.

Aktuelle Aussichten

Derzeit werden die Effekte des aeroben Trainings bei anderen Grup- pen von onkologischen Patienten im Rahmen weiterer Studien untersucht.

In der ersten von ihnen nehmen Pati- enten mit hämatologischen Neoplasien und soliden Tumoren unmittelbar nach Hochdosis-Chemotherapie an einem Trainingsprogramm auf dem Laufband teil. Die Patienten legen bereits am er- sten Tag nach der autologen Stamm- zelltransplantation noch im Isolations- zimmer eine Strecke zwischen 1,2 und 2 km zurück. Die ersten Erfahrungen sind ermutigend und haben gezeigt, daß geeignete Rehabilitationsmaßnah- men während dieser Zeit eine deutli- che Zunahme der Leistungsfähigkeit bewirken, so daß mehrere Patienten bei der Entlassung eine für Alter und Geschlecht normale Leistungsfähig- keit erreichen. In einer weiteren Studie wird die Durchführbarkeit eines Trai- ningsprogrammes unmittelbar nach al- logener Knochenmarktransplantation untersucht. Zuletzt befassen sich zwei weitere randomisierte, kontrollierte Studien mit den Effekten des aeroben Trainings bei Krebspatienten mit chro- nischer Erschöpfung und nach Lun- genresektionen. Diese Untersuchun- gen werden Information über die kurz- und mittelfristigen Effekte des aero- ben Trainings auf die Leistungsfähig- keit, den psychischen Zustand, die Im- munfunktion und die Lebensqualität von Patienten mit Tumorerkrankun- gen liefern.

Schlußfolgerung und Hinweise für die Praxis

Aerobes Training ist eine einfa- che und wirksame Intervention gegen die krankheits- und behandlungsbe- dingte Erschöpfung. Die im Folgen- den dargestellten Erfahrungen stam- men aus der Zusammenarbeit des In- stituts für Sportmedizin und der Me-

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10 9 8 7 6 5 4

15 14 13 12 11 10 9 8 7 LF vor LF nach HB vor HB nach 6

Training Kontrolle

km/h g/dl

Grafik 3

Maximale Leistungsfähigkeit (LF) und Hämoglobinkonzentration (Hb) bei trainierten und untrainierten Patienten bei Entlassung und nach 7 Wochen (p für die Unterschiede nach dem Trainings- programm ,0,05) (13)

(5)

A-1345 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 20, 21. Mai 1999 (41)

dizinischen Klinik III (Hämatologie, Onkologie und Transfusionsmedizin) im Universitätsklinikum Benjamin Franklin der Freien Universität Ber- lin. Für die Rehabilitation von onko- logischen Patienten hat sich unserer Erfahrung nach das schnelle Gehen auf dem Laufband am besten be- währt, denn der ausgeprägte Muskel- abbau mit entsprechender Schwäche der Oberschenkelmuskulatur macht für viele Tumorpatienten das Radfah- ren ungeeignet. Nur bei übergewichti- gen oder orthopädisch vorgeschädig-

ten Patienten ist das Training auf dem Fahrradergometer dem Laufbandtrai- ning vorzuziehen. Bei Aufnahme in das Programm wird die individuelle Belastbarkeit mittels einer submaxi- malen Ergometrie mit kontinuierli- cher EKG-Kontrolle festgestellt.

Nach Ausschluß von Kontraindika- tionen und einer ersten Trainingsein- heit unter ärztlicher Aufsicht wird das Training täglich auf der Station unter Betreuung von geschultem Personal fortgesetzt. Für Patienten nach Kno- chenmarktransplantation beginnt das Training bereits während der Neutro- penie im Isolierungszimmer. Um die bestmöglichen Ergebnisse in kurzer Zeit zu erreichen, sollte das Pro- gramm entsprechend dem Prinzip des Intervalltrainings gestaltet werden:

Die Patienten sollten Belastungen von kurzer Dauer (einer bis drei Mi- nuten) bei einer Intensität entspre- chend zirka 80 Prozent der maximalen Herzfrequenz durchführen; zwischen

diesen Belastungen liegen Erholungs- pausen von einer bis drei Minuten, die eine Regeneration ermöglichen. Bei Patienten mit kardialen Erkrankun- gen sind diese Intensitäten dem Zu- stand des Patienten anzupassen.

Es sind derzeit keine negativen kardialen oder immunologischen Ef- fekte des aeroben Trainings bekannt;

vielmehr weisen mehrere Untersu- chungen auf die positive Auswirkung des Trainings auf das Immunsystem hin (2). Jedoch ist körperliche Akti- vität in bestimmten klinischen Situa- tionen (zum Beispiel Infek- te, Fieber, Knochenmetasta- sen an den unteren Extre- mitäten oder am Stammske- lett mit der Gefahr einer Kompression des Spinalka- nals, mangelhafter Er- nährungszustand) kontrain- diziert. Ferner ist ein Trai- ningsprogramm in manchen Situationen (Epilepsie, Er- krankungen des Bewegungs- apparates, Diabetes mellitus, bestimmte kardiovaskuläre Krankheiten und andere) nur bedingt möglich. Eine genaue Bestimmung der Hä- matopoese ist unentbehrli- che Voraussetzung vor dem Beginn eines Rehabilita- tionsprogramms. Um das Ri- siko von Blutungen zu verringern, werden die Patienten in das Trai- ningsprogramm erst aufgenommen, nachdem die Thrombozyten eine An- zahl von 20 3 109/l erreicht haben.

Diese Werte liegen unterhalb der von anderen Autoren vorgeschlagenen Grenze für die Durchführung von körperlichem Training (31); jedoch wurden bei den Teilnehmern an den beschriebenen Programmen keine trainingsbedingten Komplikationen wie Blutungen oder Infekte beobach- tet. Unserer Ansicht nach stellt An- ämie keine Kontraindikation für das aerobe Training dar. Unter unserer Betreuung haben bereits mehrere Pa- tienten mit Hämoglobinkonzentra- tionen von weniger als 9 g/dl an einem Trainingsprogramm ohne Komplika- tionen teilgenommen. Aus den oben genannten Gründen sollte das aerobe Ausdauertraining zum festen Be- standteil der Rehabilitationspro- gramme und der Behandlung der Er- schöpfung bei onkologischen Patien- ten werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-1340–1345 [Heft 20]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser Dr. med. Fernando Dimeo Institut für Sportmedizin Freie Universität Berlin Universitätsklinikum Benjamin Franklin

Clayallee 229 · 14195 Berlin 19

17 15 13 11 9 7 5

Neutropenie Thrombopenie Stationärer Aufenthalt Tage

Trainingsgruppe Kontrolle Grafik 4

Dauer (in Tagen) der Neutropenie ,0,5 3109Zellen/l (p = 0,01), der Thrombopenie ,50 3109Thrombozyten/l (p = 0,06) und des stationären Krankenhausaufenthaltes (p = 0,03) bei trainierten und untrainierten Patienten mit soliden Tumoren nach Hochdosis-Chemo- therapie und peripherer Stammzelltransplantation (10)

Der Morbus Crohn gehört zu den chronisch-entzündlichen Darmerkran- kungen, die besonders häufig zu rezidi- vieren pflegen. Die kanadischen Auto- ren untersuchten den Einfluß des Rau- chens und oraler Kontrazeptiva auf die Rezidivneigung bei 152 Patienten, von denen 61 (40 Prozent) während einer einjährigen Beobachtungsperiode ein Rezidiv entwickelten. Eine Multivari- anzanalyse ergab für Rauchen versus

Nichtrauchen ein relatives Risiko von 2,1, für die Einnahme der Pille ein rela- tives Risiko von 3,0. Ex-Raucher wie- sen kein erhöhtes Risiko auf. Die Auto- ren kommen zu dem Schluß, daß orale Kontrazeptiva und Nikotinkonsum mit einem erhöhten Rezidivrisiko bei Mor- bus Crohn vergesellschaftet sind. w Timmer A, Sutherland LR, Martin F, Ca- nadian Mesalamine for Remission of Crohn’s Disease Study Group: Oral con- traceptive use and smoking are risk fac- tors for relapse in Crohn’s disease. Gas- troenterology 1998; 114: 1143–1150.

Department of Community Health Sciences, The University of Calgary 3330 Hospital Drive Northwest, Calgary, Al- berta, T2N 4N1, Kanada.

Pille und Rauchen:

Risikofaktoren

für M.-Crohn-Rezidive

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